Audio:"Der Flying Circus" Interview

Jens Steiner 08.12.2004 13:34 Themen: Freiräume Kultur Medien
Der Dokumentarfilm "Der Flying Circus" feierte zum Abschluss des Indymedia MAG04 Festivals in Berlin seine Premiere. Mehrere hundert Menschen füllten den großen Saal des Kant-Kinos im Stadtteil Charlottenburg.Vor drei Jahren gaben sechs junge Menschen ihr bisheriges Leben auf,bauten einen alten Reisebus aus und fuhren als Straßenmusikanten durch Süd- und Westeuropa. Über diesen "Flying Circus" sprach ich mit Christian Wahle, einem der beiden Macher des Films.
AudiobeitragLänge: 6.00 min
Format: mp3
Größe: 6 MB
Musik: Rodriges Katapulski (GEMA-frei, non-commercial)



Flyer zur Premiere des Films im Rahmen des MAG 04

Christian Wahle: Sie haben ihre Wohnungen in Berlin alle aufgelöst, sind mit ihrem wichtigsten Hab und Gut in den Bus gezogen. Also sie sind ne Band gewesen und haben sich dann auf den Weg gemacht, von Berlin im Sommer 2001, in Richtung Süden. Länder wie Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Gelebt haben sie von Straßen-Musik und teilweise noch Kindergeld. Die Dreharbeiten haben circa zweieinhalb Jahre gedauert. Wir haben sie In Berlin gefilmt, am Anfang, als sie das Projekt begannen. Also den Ausbau des Busses, ihre Eltern, die hier in Berlin leben und dann haben wir sie dreimal besucht. Einmal in Spanien und zweimal in Portugal. Für jeweils zwei Wochen waren wir dann immer da und haben versucht, so viel Material wie möglich zu bekommen.

Vier der sechs Berlinerinnen und Berliner kehrten nach zweieinhalb Jahren wieder nach Deutschland zurück. Zwei blieben in Portugal und versuchen dort für sich zu verwirklichen, wovon andere ein Leben lang nur träumen.

Christian Wahle: Also die Motivation war bei diesen sechs Leuten mit Sicherheit verschieden, teilweise auch ganz verschieden. Da waren zwei Personen, die aus meiner Sicht die Zieher waren. Also sprich: die Impulsgeber für die ganze Aktion und auch das Meiste an Energie da rein gesteckt haben, weil für sie diese Reise nicht nur Spaß und Abenteuer und ein einfaches Leben bedeutet, sondern es für sie ein viel existetiellerer Schritt sein sollte, dem normalen Alltag in unserer „zivilisierten“ westlichen Welt, den sie in Frage stellen, zu entfliehen.

Perspektivlosigkeit und Unzufriedenheit mit der Gesellschaft waren die Triebfedern der sechs Musikerinnen und Musiker, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Nach zwei Jahren relativer Freiheit und Unabhängigkeit kam für die Rückkehrer der Moment der Ernüchterung.

Christian Wahle: Letztendlich sind ja bereits nach anderthalb bis zwei Jahren von den sechs Leuten vier wieder in Deutschland gelandet. Drei auch wieder in Berlin. Da sind in jedem Falle Veränderungen zu beobachten. Sie sind fast noch sensibler geworden sind auf die Missstände, die es hier gibt.

Der Film „Der Flying Circus“ spiegelt zwei Perspektiven wider.Nicht nur die Menschen mitte zwanzig, die sich durch Europa schlagen und Musik machen, auch deren Eltern kommen zu Wort.

Christian Wahle: Einfach um den Kontrast zu zeigen, zwischen zwei Generationen. Der Film ist kein Generationenfilm in dem Sinne, der das thematisiert, aber wenn die Eltern in dem Film zu Wort kommen, dann finde ich, hat man schon diese Assoziation, denn da sind Leute, die sind doppelt so alt, haben eine andere Sicht auf die Dinge, teilweise aber auch eine ähnliche. Also man hört in dem Film sehr stark, dass die von ihren Kindern beeinflusst wurden, letztendlich in ziemlich existentiellen Fragen, was das Leben angeht und darauf dann auch reagiert haben und von den sechs Leuten, die mitgefahren sind, haben wir drei Elternpaare interviewt. Und der Zugang war relativ leicht. Wir haben sie besucht und haben unsere Kamera aufgebaut, erzählt worum es geht. Dann wurden die eigentlich relativ schnell warm und haben auch wirklich auch aus dem Nähkästchen geplaudert, so das gutes Material zu Stande kam.

Der Film stieß bisher auf recht positive Kritik und gab sicher manchen auch den einen oder anderen Denkanstoss.Christian Wahle: Da sind auf jeden Fall Fragestellungen vorhanden, die ziemlich an die Substanz unserer Gesellschaft gehen und damit natürlich sehr wichtig sind. Christian Wahle selbst ist mit seinem Film nicht wirklich zufrieden. Er hätte sich aktivere und aussagekräftigere Protagonisten gewünscht. Christian Wahle: Ich halte es persönlich für kein großes Problem. mit einer Gruppe von Leuten sich einen alten Bus auszubauen und dann einfach loszufahren.

Letztendlich waren es nur zwei Menschen, für die der Ausbruch aus dem eigenen Leben mehr war, als ein kurzes Kapitel in der eigenen Biografie, mehr als die Suche nach Spass und Abenteuer.Der Film ist gedreht. Bleibt abzuwarten, was nun damit geschieht.

Christian Wahle: Ich denke schon, wir werden diesen Film bei Dokumentarfilmfstivals einreichen, um einfach mal abzuwarten, wie die Reaktionen sind und ich denke, dass wird das Einzige sein, was wir dort machen, außerdem, ich muss dazu sagen, ich bin ja selbst kein Filmemacher. Ja, also ich kenne mich auf dem Gebiet auch so gut wie nicht aus. Ich hab das bis jetzt einmal gemacht und werde das höchstwahrscheinlich nie wieder machen, weil ich einfach keine Zeit dafür habe. Dann ist die Besonderheit, dass er nicht nur eine Reise begleiten soll, sondern die Umstände, warum diese jungen Leute, mitte 20, diesen Schritt gegangen sind. Teilweise aus ganz banalen oder auch aus tiefgreifenen Gründen, die aber letztendlich, von der Ursache her, eine ganz tiefe Unzufriedenheit über unsere Gesellschaft vermitteln, die Ungerechtigkeiten, die tagtäglich stattfinden, die man als Ursache sehen muss. Von daher sollte man sich den Film nicht unbedingt als einen Roadmovie im Dokumentarfilm-Style vorstellen.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

ernste nachfrage: — luxus für alle

@ "luxus für alle" — irgendwer