Staat und Sicherheitswirtschaft

Thomas Brunst 03.12.2004 19:57 Themen: Repression
Staat und Sicherheitswirtschaft: Gemeinsam gegen das Gewaltmonopol der Bundesrepublik
Durch public private partnerships bzw. durch Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gefährden Staat und Sicherheitswirtschaft zunehmend das Gewaltmonopol der Bundesrepublik sowie den behördlichen Datenschutz. Die Bürgerinnen und Bürger müssen als Steuzahler für zusätzliche - teils gesetzwidrige - private Sicherheits-/ Ordnungsdienstleistungen aufkommen; sie werden somit auch gezwungen ihre Kontrolle bzw. Überwachung durch Private zu selbst zu finanzieren.
Das Bundeskriminalamt (BKA) veranstaltet am 09.12.04 erstmals gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) ein Symposium zum Thema "Polizei und private Sicherheit". Schon jetzt ist klar: Die Sicherheitswirtschaft hat es als offizieller "Polizeipartner" bis zum - oder besser - bis ins BKA geschaft.
“Die Aufträge an private Sicherheitsdienste seitens der öffentlichen Hand werden steigen, nicht nur in JVA’s.“ (Zitat: Marcus Schulte-Fischdiek, Firmensprecher von Kötter Services)

“Olschok rechnet auch damit, dass Wach- und Sicherheitsunternehmen bundesweit weiterhin vom Trend zur so genannten Fremdvergabe etwa von Überwachungsaufgaben profitieren werden. (…) Zudem erwartet Olschok, dass auch die öffentliche Hand Sicherheitsaufgaben weiterhin zunehmend an private Anbieter vergeben wird. Dazu würden klamme Kassen viele Städte und Gemeinden förmlich zwingen, sagte der Sicherheitsexperte.“ (Harald Olschok, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen, BDWS, e.V. in YAHOO! Nachrichten vom 06.07.04 “Mit Sicherheit Wachstum - Wachdienste wollen weiter zulegen“)

“Der Kampf gegen Kriminalität und andere Formen ‘abweichenden Verhaltens‘ ist dabei nur ein Aufgabengebiet.“ (Zitat: Harald Olschok in DER SICHERHEITSDIENST, DSD, Verbandsorgan des BDWS 2/03, S. 25)

“Schießlich sei an die Videoüberwachung zu denken, da bei einer Überwachung durch Private verfassungsrechtliche Bedenken, die bei einem staatlichen Einsatz bestünden, geringer seien.“ (Klaus Hardrath, ehem. Innenminister von Sachsen im Artikel “Polizei und privates Sicherheitsgewerbe – gemeinsam für die Sicherheit der Bürger“, Arbeitstagung Dresden vom 28.02.02, DSD 2/02, S. 4)



Staat und Sicherheitswirtschaft: Gemeinsam gegen das Gewaltmonopol der Bundesrepublik

Von Thomas Brunst SAFERCITY.DE (Dez. 2004)

Im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung arbeiten Staat und Wirtschaft immer intensiver zusammen. Durch sogenannte public private partnerships (ppp) will die öffentliche Hand Geld sparen und gleichzeitig für mehr (subjektive) Sicherheit sorgen, so die Versprechungen. In Verbindung mit der Privatisierung bundesdeutscher Haftanstalten existieren in mehreren Bundesländern weitreichende ppp-Pläne.
Aus unkommerziellen Kooperationsvereinbarungen, wie der auf Informationsaustausch basierenden Zusammenarbeit zwischen Polizei und Sicherheitsunternehmen, entwickelten sich binnen weniger Jahre öffentliche, lukrative Auftragsvergaben zu Gunsten der Sicherheitswirtschaft.
Bereits heute werden die Privaten (“Polizeipartner“) von den Stadt-/ Kommunalverwaltungen mit hoheitlichen Aufgaben betraut. Geschäftsverträge und Dienstvereinbarungen zwischen Behörden und Sicherheitsunternehmen sollen hierfür die rechtliche Grundlage sein. Das Gewaltmonopol der Bundesrepublik und der Datenschutz (“Recht auf informationelle Selbstbestimmung“) werden dabei einfach ignoriert.
Es ist der Staat selbst, der sich durch ppp - im Zuge von Privatisierungen – über das Grundgesetz (Art. 33 Abs. 4 GG) der Bundesrepublik hinwegsetzt und dabei die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel setzt.
Entgegen dem deutschen Recht verfolgen Firmenangestellte im Auftrag von Stadt-/ Kommunalverwaltungen Ordnungswidrigkeiten und erteilen zudem Platzverweise. Auf Flughäfen führen private Sicherheitsdienste Fluggastkontrollen durch, eine Aufgabe, die bis vor wenigen Jahren ausschließlich Polizeibeamten vorbehalten war. Auch bei der Videobeobachtung des öffentlichen Raumes sitzt privates Sicherheitspersonal bereits an Monitoren und Aufzeichnungsgeräten. Und sogar Fahndungen erfolgen im öffentlich-privaten Sicherheitsverbund.

Gerade im Kommunalbereich zeichnet sich dabei ein überraschendes Ergebnis ab: Selten werden durch ppp Geldmittel eingespart, da die privaten Sicherheitsdienstleistungen fast ausschließlich zusätzlich zu den bestehenden staatlichen Leistungen der Sicherheits-/ Ordnungsbehörden eingekauft werden. Deshalb nützt es auch nichts, dass bei öffentlichen Auftragsvergaben die billigsten Anbieter die Zuschläge erhalten; die Steuerzahler müssen nämlich diese zusätzlichen “privaten“ Dienstleistungen auch zusätzlich finanzieren.
Geradezu perfide ist, dass der Staat es zulässt, dass seine Bürgerinnen und Bürger von schlecht ausgebildeten und teils unterbezahlten Firmenangestellten “sicherheitsverwaltet“ oder besser ausgedrückt überwacht und kontrolliert werden. Unrechtmäßiges Verhalten der Privaten, wie das Vortäuschen hoheitlicher Befugnisse, wird dabei vom öffentlichen Auftraggeber billigend in Kauf genommen.
Wie mehrere Anfragen ergaben, schweigen oftmals die Datenschutzbeauftragten und andere aufsichtsführende Stellen (z.B. Innenministerien und Mittelbehörden) zu diesen Entwicklungen. In diesem Zusammenhang darf auch die Rolle der Gewerbeaufsichtsämter kritisch hinterfragt werden. Wie werden sich wohl künftig Gewerbeaufsichtsämter bei Beschwerden gegen privates Sicherheitspersonal verhalten, das im Auftrag der eigenen Behörde, der Stadt-/ Kommunalverwaltung steht? Und: Wie intensiv wird die Polizei bei Anzeigen gegen ihre “Juniorpartner“ ermitteln?
Die Sicherheitswirtschaft dürfte über den “Verschmelzungsprozess“ mit den staatlichen Stellen höchst erfreut sein. Gute Unternehmensumsätze dank stabilen öffentlichen Aufträgen und zudem die Aufnahme der Privaten in die “Schutzgemeinschaft“ der Sicherheitsbehörden (dies kommt einer Beförderung gleich). Behördliche Informations-/ Datenzugänge existieren für die kooperierenden Sicherheitsunternehmen und daran angeschlossene Ermittlungsdienste und Detekteien außerdem.

An drei Beispielen sollen die vorausgegangenen Aussagen verdeutlicht werden:


1.) Videoüberwachungen des öffentlichen Raumes durch Private

“‘Die kleinen Brüder‘ schauen nie weg: Kamera-Überwachung in Cuxhaven/ Videobeobachtung im öffentlichen Raum durch Private“, titelten die Cuxhavener Nachrichten (CN) vom 27.09.04. Beklagt wurde im CN-Artikel ein “Wildwuchs“ bei der Videoüberwachung des öffentlichen Raumes durch Private. Hier zwei Auszüge dieses Zeitungsartikels: (...) “Und da anstelle der Polizei Private den öffentlichen Raum überwachen, stellt sich die Frage nach dem Datenschutz. Was mit den Aufnahmen der Kameras passiert, treibt auch Befürwortern der Kamera-Überwachung zur Verbrechensabwehr die Sorgenfalten ins Gesicht: ‘Wer kontrolliert die Überwacher?‘, fragt Bernd Michaels vom kommunalen Präventionsrat und weiter: ‘Man weiß nicht, wo die Daten landen und wie sie benutzt werden.‘ (...) Auch ein professioneller Überwacher wie Claus Nöckel von der Detektei Nöckel beobachtet den Umgang mit Bildern von privaten Überwachungskameras im öffentlichen Raum mit Skepsis. ‘Es ist haarsträubend, wie leichtfertig mit Daten umgegangen wird‘, sagt der Detektiv, der im Auftrag seiner Kunden beispielsweise die Kameras beim Stadion am Meer aufgestellt hat. So würden mancherorts Videokopien von den Bildern der Überwachungskameras gezogen und mit nach Hause genommen oder es gebe Voyeurismus. Zu häufig fehlten beispielsweise die Schilder, die nach dem Bundesdatenschutzgesetz auf eine Videoüberwachung hinweisen müssen und wer diese durchführt, so Nöckel.“(...) (Vollständiger Artikel im Internet unter:  http://www.cn-online.de/archiv_artikel.cfm?Artikel=7112)
Eine Anfrage (29.09.04) hierzu wurde vom niedersächsischen Datenschutzbeauftragten bisher nicht beantwortet. Auf telefonische Nachfrage teilte die zuständige Sachbearbeiterin der Aufsichtsbehörde, Frau B., mit, dass es sich bei den im CN-Artikel beschriebenen Beobachtungsräumen der Kameras vermutlich nicht um öffentliche, sondern lediglich um private Räume handeln dürfte. Dies sei im Zeitungsbericht falsch beschrieben worden, so ihre Einschätzung. Unsere Anfrage würde außerdem nur beantwortet, wenn erkennbar sei, dass eine “politische Aussage“ der Aufsichtsbehörde hierzu erforderlich ist. Dies sei aber nicht erkennbar, so die Sachbearbeiterin. Den Vorschlag, an die Sachbearbeiterin eigene Informationen zur Cuxhavener Videoüberwachung einzuholen, lehnte Frau B. ab.
Alleine die Artikelaussagen von Claus Nöckel hätten die Alarmglocken in der niedersächsischen Datenschutzbehörde klingeln lassen müssen. Warum dies – das damit erwartete handeln der Behörde – ausbleibt ist nicht bekannt.
An die Adresse des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten gerichtet: “Wildwuchs“ geht oft einher mit mangelnder Kontrolle!
In Hamburg-Harburg existiert ebenfalls die Videobeobachtung des öffentlichen Raumes durch Private. Die Betreiber dieser Anlage suchen noch nach einer (rechtlichen) Möglichkeit um Bildmaterial offiziell aufzeichnen zu können – bislang hindert sie nämlich der Hamburgische Datenschutzbeauftragte daran, so das Hamburger Abendblatt vom 09.12.03.


2.) Private Fahndungen nach “Schwarzarbeitern“

Nach einem Bericht des Hessen Fernsehen (M€X - Das Marktmagazin, 09.09.04, 21:15 Uhr) sind in der Wetterau (Hess.) sog. Eigenheim-Detektive im Auftrag der Kreishandwerkerschaft Friedberg mit Kontrollen von Baustellen beschäftigt. Auf der Suche nach illegalen Beschäftigungsverhältnissen (“Schwarzarbeit“) dringt ein beauftragtes Detektiv-Unternehmen in Razziamanier auf die Baustellen vor und zwingt die anwesenden Personen ihre Personal- und Sozialversicherungsausweise auszuhändigen sowie Angaben zu den Beschäftigungsverhältnissen zu machen.
Weigern sich die betroffenen Personen (z.B. aus Rechtsunsicherheit) den Forderungen der Detektive nachzukommen, wird kurzerhand die Polizei hinzugezogen. Diese übernimmt dann für die Detektive - im Rahmen einer Art “privater Amtshilfe“ - die Identitäts-/ Personalienfeststellungen und die Befragungen der überprüften Personen und übergibt die Daten und die Befragungsergebnisse anschließend an die Detektive. Die Detektive wiederum leiten diese Daten und Informationen an ihren Auftraggeber und Behörden wie Arbeitsagenturen und Sozialämter weiter. (Beitragsprotokoll im Internet unter:  http://www.hr-online.de/website/fernsehen/sendungen/index.jsp?rubrik=2656&key=standard_document_2212612)
Wegen der Zwangssituation, in der sich die kontrollierten/ überprüften Personen befinden, kann hier von Freiwilligkeit zur Kooperation mit den Detektiven keine Rede sein. Schon die nichtvorhandenen hoheitlichen Befugnisse der Detektive und der Datenschutz verbieten diese – auf “Generalverdacht“ basierenden - privaten Baustellenrazzien, die außerdem den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllen.
Auch hier schützt und fördert die Polizei nicht nur das rechtswidrige Handeln der Detektive: Durch diese staatlich gestützte Kontrollpraxis geraten Daten und Informationen über unschuldige Personen - unkontrollierbar – in verschiedenste private und staatliche Dateien. Weder die Polizei noch die überprüften Personen hinterfragen die Rechtmäßigkeit dieser privaten Kontrollmaßnahmen.
Auch in Bayern finden diese private Baustellenrazzien statt, wie die Tageszeitung Fränkischer Tag vom 12.09.00 berichtet.


3. Übernahme öffentlicher Sicherheits- und Ordnungsaufgaben durch “unbeliehenes“ privates Sicherheitspersonal – Kritik des Bundes der Steuerzahler an ppp

Obwohl Langen (Hess.) kein Kriminalitätsschwerpunkt ist, leistet sich die Stadt - neben ihrem Ordnungsamt – seit Herbst 2001 einen privaten Sicherheitsdienst, der in den Abend- und Nachtstunden öffentliche Sicherheits- und Ordnungsaufgaben wahrnimmt. Bezeichnung dieser ppp: “Citystreife“.
Für rund 80.000 Euro jährlich stellt das Darmstädter Sicherheitsunternehmen Chrisma hierfür zwei Mitarbeiter und einen Schutzhund zur Verfügung. “Wir haben die Citystreife nicht losgeschickt, weil Langen ein Kriminalitätsschwerpunkt ist. Nach den Statistiken der Polizei gibt es bei uns keine besonderen Auffälligkeiten“, so Bürgermeister Pitthan. Ziel der Streife sei es vielmehr, präventiv zu wirken und damit potenzielle Straftäter abzuschrecken. “Das Geld ist gut angelegt, wenn dadurch die Lebensqualität in unserer Stadt gewahrt und weiter verbessert wird", rechtfertigt Pitthan den Vertrag mit Chrisma.
Neben der öffentlichen Sicherheit kümmert sich die Langener Citystreife auch um Sauberkeit und Ordnung im Stadtgebiet. Selbst Fahrscheinkontrollen im öffentlichen Nahverkehr führt die Citystreife bzw. das Sicherheitsunternehmen durch. “Das Übergangswohnheim ist ein Schwerpunkt unserer Streifentätigkeit“(...) “Wenn wir hier einschreiten, geht es zumeist um Ruhestörungen oder um Verstöße im Straßenverkehr.“ (Zitat aus einer Pressemitteilung, PM, der Stadt Langen vom 22.11.01 mit dem Titel “Citystreife: Pitthan mit Einsatz und Wirkung zufrieden“)
Besonders gelobt wird bei dieser ppp die enge Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei. “Wir melden uns jeden Abend zu Beginn unserer Streife bei der Polizei an und am Ende wieder ab", berichtet das Sicherheitsunternehmen, und weiter: “Immer wieder kommt es vor, dass uns die Polizei unterwegs anruft und uns beispielsweise auf eine Ruhestörung aufmerksam macht, um die wir uns dann kümmern.“ Die Einsatzpläne würden in Zusammenwirken mit der Polizei aufgestellt wird berichtet.
Hierzu ein Auszug aus der PM der Stadt Langen vom 25.04.02 mit dem Titel “Citystreife: stolze Leistungsbilanz“: “Die gute Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizeistation findet ihren Ausdruck darin, dass die Citystreife 33-mal die Beamten alarmiert hat, wenn Straftaten zu vermuten waren. Umgekehrt hat die Polizei die Privaten 52-mal zu Einsätzen geschickt, vorwiegend wenn es um Ruhestörungen ging. Häufig arbeiten Citystreife und Polizei bei solchen Vorfällen Hand in Hand. Der Diensthund der Streife kam viermal zum Einsatz. Einmal hat er einen Angetrunkenen gebissen, der die Sicherheitsleute bedrohte. Gelungen ist es der Citystreife unter anderem, mit Hilfe der Polizei einen Hehlerring aufzudecken, einen Brandstifter zu schnappen, eine vermisste Person zu finden oder Fahrraddiebstähle zu verhindern.“ Und sogar bei Drogenhandel (ca. 12 Mal) griffen die Privaten ein und nahmen Personen fest.
“Den Sicherheitskräften gelingt es offenbar sehr gut, sich Respekt zu verschaffen", lobte Pitthan das Auftreten seiner Citystreife (PM der Stadt Langen, 22.11.01).
Nach einer internen Statistik der Citystreife wurden im Jahr 2003 “knapp 2000 Personen – mehrheitlich Jugendliche“ - aus Anlagen und von Plätzen “verwiesen“. Im Frühjahr 2003 kam es aufgrund dieser “privaten“ Platzverweise zu massiven Beschwerden von Jugendlichen.
Auf einer eigens wegen diesem Problem initiierten Veranstaltung des Langener Arbeitskreises Kriminalprävention, der Jugendförderung und des Jugendzentrums erschienen ca. 80 junge Leute, die dem Sicherheitsunternehmen vorwarfen, die Platzverweise teils willkürlich auszusprechen. “Einige meinten, sie seien von der Citystreife beispielsweise aus der Romorantin-Anlage oder vom Lutherplatz verwiesen worden, obwohl sie sich dort nichts hätten zu schulden kommen lassen“ (Zitat aus PM der Stadt Langen, 27.03.03).
Zu den (hoheitlichen) Befugnissen der Privaten heißt es in einer PM der Stadt Langen vom 27.03.03: “Wenn Verdachtsmomente einer strafbaren Handlung vorliegen, kann die Citystreife – wie jedermann – Personalien feststellen oder die Polizei einschalten. Außerdem übt sie im Auftrag der Stadt auf öffentlichen Plätzen das Hausrecht aus und kann deshalb Platzverweise aussprechen.“
Wie Manfred Weil, vom Fachdienst Öffentliche Sicherheit und Ordnung der Stadt Langen am 03.11.04 auf Anfrage mitteilte, sind die Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens Chrisma für ihre öffentliche Tätigkeit als Citystreife nicht mit hoheitlichen Befugnissen beliehen worden und sind damit keine Amtsträger. Somit besitzt die Citystreife keine Sonderrechte sondern nur die Rechte (Jedermannsrechte) die allen Bürgerinnen und Bürgern zustehen. Unsere Fragen hierzu an den Magistrat der Stadt Langen und deren Beantwortung durch Herrn Weil im Einzelnen:

(...) “2.) Im sog. ‘Jedermannsparagraphen‘ § 127 (1) StPO steht geschrieben: ‘Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.‘ Von einer Identitäts-/Personalienfeststellung durch ‘Private‘ bzw. ‘Jedermann‘ geht die aktuelle Rechtssprechung m.E. hierbei nicht aus.
Auf welcher Rechtsgrundlage basiert Ihre folgende - in der PM vom 27.03.2003 zu findende - Aussage: (...) ‘Wenn Verdachtsmomente einer strafbaren Handlung vorliegen, kann die Citystreife - wie jedermann - Personalien feststellen...‘?

Antwort:
Nein ! Betroffenen Personen werden gebeten Ihre Personalien anzugeben. Bei Verweigerung müssen die Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens entscheiden, ob zur weiteren Vorgehensweise die Personalien unbedingt erforderlich sind. Trifft dies zu, wird eine Polizeistreife hinzugezogen.


3.) Auf welcher Rechtsgrundlage basiert Ihre folgende - in der PM vom 27.03.2003 zu findende - Aussage: ‘Außerdem übt sie im Auftrag der Stadt auf öffentlichen Plätzen das Hausrecht aus und kann deshalb Platzverweise aussprechen.‘?

Antwort:
Zwischen dem Sicherheitsunternehmen und der Stadtverwaltung besteht eine Dienstvereinbarung in der die Übertragung des Hausrechtes, für bestimmte Einsatzgebiete, geregelt ist.“ (...)

Durch die Informationen aus den Pressemitteilungen (unter:  http://www.langen.de) der Stadt Langen zur Citystreife und durch die Beantwortung der o.a. Anfrage ist zweifelsfrei nachgewiesen, dass im Auftrag der Stadtverwaltung Langen “unbeliehenes“ privates Sicherheitspersonal hoheitliche Aufgaben ausübt und dabei unrechtmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Die Polizei kooperiert hier nicht nur mit kommerziellen Privaten, sondern bedient sich ganz selbstverständlich deren Dienste. Das Sicherheitsunternehmen wird bei “Verstößen im Straßenverkehr“ tätig und – wie beschrieben - sogar in polizeiliche Maßnahmen eingebunden. Damit handeln die Polizei, die Stadtverwaltung Langen und das Sicherheitsunternehmen Chrisma grundgesetzwidrig (Art. 33 Abs. 4 GG), weil sie das Gewaltmonopol der Bundesrepublik missachten.
Platzverweisungen sind nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ein rein behördlicher Verwaltungsakt gegen den Widerspruch zulässig ist. Widersprochen werden muß beim aussprechenden Amtsträger, dem sog. selbständigen Verwaltungsmittler, bei der zuständigen Ordnungsbehörde oder beim zuständigen Verwaltungsgericht.
Gegen diese “privaten“ Platzverweise, die einzig und allein auf Grundlage einer Dienstvereinbarung vom Sicherheitsunternehmen Chrisma ausgesprochen werden, können keine Rechtsmittel eingelegt werden, da sie im Verwaltungsrecht gar nicht existieren! Diese rechtswidrige Praxis müsste eigentlich sofort von der Kommunalaufsicht beim Regierungspräsidium (RP) Darmstadt gestoppt werden. Das Schweigen der Aufsichtsbehörde hierzu spricht Bände. Die mit der Citystreife eingekaufte Verbesserung der Lebensqualität in Langen geht eindeutig zu Lasten von Grundrechten – nicht nur der von Jugendlichen.


Ein Blick in andere Städte/ Kommunen

In Bergheim (NRW) und Suhl (Thür.) wurden ebenfalls Sicherheitsunternehmen mit öffentlichen Sicherheits- und Ordnungsaufgaben betraut. Parallelen zur Langener Citystreife: Auch in diesen Städten gerieten die beauftragten Sicherheitsunternehmen wegen ihres Vorgehens gegen Kinder und Jugendliche in die Kritik. Hieran wird deutlich: Je geringer die Beschwerdemacht der/ des Einzelnen ist, desto schneller überschreitet privates Sicherheitspersonal die eigenen und eigentlich engen Befugnisse.
In Trier und Worms (beide Rheinland-Pfalz) setzen die Stadtverwaltungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ebenfalls auf ppp. Parallelen zur Langener Citystreife hier: Weder in Trier noch in Worms ist eine Notwendigkeit zur Beauftragung der Sicherheitsunternehmen erkennbar.
Die Trierer Rathauszeitung vom 20.07.04 schreibt hierzu: "Die Kriminalitätsstatistik der Stadt Trier verzeichnet keine besonderen Auffälligkeiten. Dennoch ist den Bürgern der Schutz vor Straftaten, das 'subjektive Sicherheitsempfinden' ein besonderes Anliegen."
Der Wormser Oberbürgermeister Michael Kissel räumte in der Wormser Zeitung vom 25.08.04 ein: "Objektiv besteht eine gute Sicherheitslage" und betont, lediglich "das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger durch Prävention" erhöhen zu wollen. Während das Wormser ppp vorerst ein befristetet Modellprojekt ist kosten die Trierer “City-Scouts“ 75.500 Euro jährlich.
Am 01.04.04 titelte die Cellische Zeitung: “Schlechte Noten für Billig-Sheriffs: Bald ‘Hilfspolizei‘ statt City-Streife?“ und “Sinnvoll? Die City-Streife gerät in die Kritik.“ Unkorrektes, unfreundliches Verhalten gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern wird den Mitarbeitern von HS-Sicherheitsdienste im Zeitungsartikel vorgeworfen - “Schlecht ausgebildet, unmotiviert und ineffektiv seien die Mitarbeiter der thüringischen Firma HS Dienstleistungs GmbH...“ und “So soll ein ‘Sheriff‘ gefeuert worden sein, weil er mit Drogen gehandelt habe, heißt es aus Polizeikreisen.“; dies ist wortwörtlich im Zeitungsartikel zu lesen. Bernhard Zentgraf vom Bund der Steuerzahler Niedersachsen e.V. wird mit den Worten zitiert: “Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist Sache der Polizei.“, “Die Stadt Celle sollte sich überlegen, ob es wirklich eine Berechtigung für eine City-Streife gibt.“ SPD-Fraktionschef Jens Rejmann bemängelt am HS-Einsatz: “Einen Rechenschaftsbericht habe ich noch nie gesehen.“, “Wir sollten uns überlegen, ob wir diese Leute weiter durch die Stadt streifen lassen.“ Das Celler ppp existiert seit 1997 und kostet die Stadt knapp 80.000 Euro jährlich.
Zur Privatisierung öffentlicher Sicherheits- und Ordnungsaufgaben äußerte sich der Bund der Steuerzahler (BdSt) Niedersachsen e.V. bereits vor fünf Jahren: “Es kann nicht sein, dass die Steuerzahler auf der einen Seite die Polizei bezahlen müssen und dann auch noch einen Sicherheitsdienst finanzieren“ (Neue Presse, 04.01.00).
Auf Anfrage teilte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Dr. Karl Heinz Däke, am 27.10.04 mit: “...auch für den BdSt Rheinland-Pfalz kann ich Ihnen bestätigen, dass die vom BdSt vertretene Auffassung in der Neuen Presse Verbandsmeinung ist. Vielmehr sollte durch personalwirtschaftliche Maßnahmen bei der Polizei dafür Sorge getragen werden, dass sie ihrer Verpflichtung, die öffentliche Sicherheit zu garantieren, gerecht wird.“


Gerichte schützen staatliches Gewaltmonopol

Die Signale für ppp im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stehen auf grün – und zwar von ganz oben. Bundesinnenminister Otto Schily möchte diese Kooperationen zwischen staatlichen und privaten Ordnungshütern “optimieren“, mit dem Ziel, dass “sich hierdurch auch mögliche Vorbehalte auf der einen oder anderen Seite abbauen.“ (...) “So sollte insbesondere der Informationsaustausch zwischen der Polizei und den an der Sicherheitskooperation teilnehmenden privaten Sicherheitsunternehmen intensiviert und vor allem in beide Richtungen praktiziert werden. Noch bestehende technische und organisatorische Probleme bei der Informationsweiterleitung an die Polizei müssen weiter abgebaut werden“, verkündete der Bundesinnenminister im Jahr 2002 (DSD 3/02, S. 6).
Diese Wegweisung seines Dienstvorgesetzten hat BKA-Präsident Jörg Ziercke verstanden.
Der damals designierte BKA-Präsident lies es sich nicht nehmen, vor seinem Amtsantritt am 18.02.04 auf dem 5. Hamburger Sicherheitsgewerberechtstag zu sprechen und auf mögliche neue Kooperationsfelder zwischen dem Sicherheitsgewerbe und den Sicherheitsbehörden hinzuweisen. Seiner Meinung nach könnte das Sicherheitsgewerbe die Polizei künftig verstärkt im Objekt- und Veranstaltungsschutz unterstützen und mit der Überwachung des ruhenden Verkehrs betraut werden (Redebeitrag Zierckes am 18.02.04 auf dem 5. Hamburger Sicherheitsgewerberechtstag, DSD 1/ 04 S. 11 u.12).
Am 09.12.04 veranstaltet das Bundeskriminalamt erstmals gemeinsam mit dem Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) e.V. ein Symposium zum Thema “Polizei und private Sicherheit“. Es richtet sich an Polizei, private Sicherheitsunternehmen sowie Behörden und Verbände.
Vermutlich ist dem ersten Mann im BKA die nachfolgende Gerichtsentscheidung unbekannt: In der Bundeshauptstadt musste die private Parkraumbewirtschaftung durch Unternehmen aufgrund einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts 1996 eingestellt werden. In der Urteils-Entscheidung hierzu heißt es: “Die Aufnahme eines Sachverhaltes durch private Unternehmen im Rahmen der Überwachung des ruhenden Verkehrs unterliegt hinsichtlich der Verwertbarkeit in einem anschließend durchgeführten Verfahren der Ordnungsbehörde einem Beweiserhebungs- und daraus folgend einem Beweisverwertungsverbots.“ (Kammergericht Berlin, Beschluss v. 23.10.1996, Az: 2Ss 171/96 3 Ws (B) 406/96 304 a Owi 467/96)
Im Herbst 2003 erteilte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a.M. mit dem so genannten “Blitzer“-Urteil einem weiteren ppp-Bereich eine Absage. Durch dieses Urteil wird Städten/ Kommunen untersagt, die Überwachung des fließenden Verkehrs – und deren Datenauswertung – auf Private zu übertragen. In der Gerichtsentscheidung heißt es hierzu: “Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten ist eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns.“ Diese OLG-Entscheidung ist damit ein deutliches Signal: Selbst wenn Behörden “Private“ direkt mit der Durchführung von Ordnungsaufgaben betrauen, ist das nicht automatisch rechtmäßig (Az.: 2Ss OWi 388/02, Hessisch Niedersächsische Allgemeinen, 07.11.03).
Durch diese beiden Gerichtsentscheidungen wird das staatliche Gewaltmonopol geschützt und dem Artikel 33 Abs. 4 Grundgesetz Rechnung getragen.


Ade Bankgeheimnis – Ade Datenschutz

Innerhalb der ppp existiert so gut wie kein Datenschutz für die Bürgerinnen und Bürger. Er darf in vielen Bereichen auch gar nicht mehr existieren, weil er einer effektiven Zusammenarbeit zwischen Behörden und Sicherheitswirtschaft im Wege steht und die Umsetzung der öffentlichen Aufträge durch die Privaten behindern bzw. unmöglich machen würde. Das wissen auch die hilflosen Datenschutzbeauftragten. Gerade in Bezug auf die Pläne, das Bankgeheimnis in Deutschland abzuschaffen und verschiedenen Behörden Konteneinsicht zu gewähren, gewinnt die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und privaten Sicherheitsdiensten an Bedeutung. Viele Sicherheitsunternehmen bieten zusätzliche Ermittlungs- und Inkassodienste an oder arbeiten mit diesen Diensten zusammen. Wie die Frankfurter Rundschau vom 07.09.04 berichtet, hat die Stadt Wiesbaden ein Inkassounternehmen beauftragt, um säumigen Schuldnern auf die Füße zu treten. Für den privaten Schuldeneintreiber ist der “Kunde“ bereits gläsern, bevor der Inkassodienst an dessen Türe geklopft hat. Gerade durch ppp wird den Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf “informationelle Selbstbestimmung“ abgesprochen. Eine Kontrolle, wer über wen Daten sammelt und wie verwendet, besteht nicht mehr.
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Ergänzungen

z.B. Privatisierung der Gefängnisse

Hummel 05.12.2004 - 21:56
Zur Zeit wird es vor allem noch diskutiert. In Hessen wird es zum Teil schon umgesetzt: Die Privatisierung von Gefängnissen. Private Unternehmen betreiben in den USA und Großbritanien inzwischen einen erheblichen Anteil der Gefängnisse. Abgesehen davon, dass sie pro Insassen Geld bekommen, lässt sich auch mit der in den Gefängnissen gelisteten Zwangsarbeit gute Geschäfte machen. Es gibt kaum eine billigere und willigere ArbeitnehmerInnenschaft, als die Insassen von Knästen. Vor allem Menschen mit langen Haftstrafen - von denen es immer mehr gibt, weil die Strafen immer drastischer werden - sind oftmal Bereit für einen Lohn von (z.B. in den USA) 22 bis 70 Cent pro Stunde zu arbeiten. In Deutschland bekommen KnastarbeiterInnen immerhin durchschnittlich ca. 10 Euro pro Tag, womit sie zwar nicht den Knastaufenthalt abbezahlen können. Aber immerhin veringern sich ihre Schulden nach dem Knast erheblich, wenn sie im Knast arbeiten. In den USA hat die Industrie diese billige Arbeitskraft für sich entdeckt: Da schließen Konzerne schon mal Billiglohn-Fabriken in Mittel- und Südamerika, weil es im Knast geht noch billiger zu produzieren.
Damit aber genug willige Arbeitskraft vorhanden ist, müssen immer genügend Menschen eingesperrt sein. Durch immer drastischere Strafmaße, aber auch bessere Überwachung von diskriminierten Bevölkerungsgruppen, konnte dies erreicht werden. So verdoppelte sich die Gefangenenzahl in den USA in den letzten 15 Jahren: Von 1,3 Millionen auf 2,5 Millionen heute.
Überwachungsfirmen und Knastbetreiber gehen dabei Hand in Hand, sind zum Teil identisch und profitieren massiv davon. Der Einfluss der Knast-Industrie in der Politik ist auch nicht zu unterschätzen. Z.B. ist Haliburton eine Firma, die auch damit Geld verdient.
Im Moment dürfen nur Beamte in Deutschland mit Gefangenen umgehen. Dies kann sich aber ändern, wenn das Beamtenrecht geändert wird. Für Flüchtlinge gilt dies übrigens nicht unbedigt. Im Abschiebeknast von Büren betätigt sich die Firma Kötter Security schon ganz fleißig.

Mehr zum Thema unter:  http://kiralina.so36.net/
Damit es auch immer