Walser in Heidelberg: Gegenkundgebung

antifa ak 12.11.2004 17:30 Themen: Antifa
Am Mittwoch den 10.November war Matrin Walser wieder mal zu Gast in Heidelberg. Er las im Rahmen der Heidelberger Literaturtage - vor einem seit Wochen ausverkauftem Saal (mit ca. 300 Plätzen) - in der Heidelberger Stadtbücherei aus seinem neuen Roman.
Bilder und Bericht über die Gegenkundgebung.
Walsers Lesung in der Stadtbücherei sollte um 19:00 Uhr beginnen. Gegen 18:30 Uhr hatten sich etwa 20 Personen zu einer (nicht angemeldeten) Gegenkundgebung vor der Stadtbücherei eingefunden. Sie entrollten ein Transparent mit der Aufschrift "Gegen Nationalismus, Geschichtsrevisionismus und Antisemitismus ... für eine Schreibblockade Walsers" und fingen an Walser-kritische Flugblätter zu verteilen. Sofort kam der Hausmeister herraus meckerte rum und rief die Polizei. Die kam dann auch nach einiger Zeit, diskutierte kurz mit den Kundgebungsteilnehmerinnen rum und beschränkte sich danach im wesentlichen darauf alle paar Minuten nach der Lage zu schauen.
Die Reaktionen der Besucherinnen der Walserveranstaltung waren gemischt. Viele wollten das Flugblatt überhaupt nicht entgegnnehmen, manche reagierten empört, andere wiederrum nahmen die Kritk einfach passiv zur kenntnis. Es gab aber ein paar wenige - v.a. Besucher der Stadtbücherei die nicht zu Walser wollten - die sich auf eine Diskussion einließen.


Hier noch das vom 'antifa ak an der uni heidelberg' verteilte Flugblatt:

Gegen Nationalismus, Geschichtsrevisionismus und
Antisemitismus - welcher Form auch immer...

Am heutigen Abend steht Heidelberg mal wieder hoher Besuch ins Haus. Martin Walser
wird aus seinem neuen Roman „Der Augenblick der Liebe“ lesen. Seit Wochen sind die Karten für die Veranstaltung in der Stadtbibliothek ausverkauft. Eigentlich könnte es ein richtig schöner Abend werden, mit Rotwein, Signierstunde und dem gutem Gefühl
Kulturmensch zu sein. Und doch scheinen einige „gelangweilte, FAZ-betäubte Bürgerkinder“
(Walser im SZ-Magazin; 30.10.03) etwas gegen die Veranstaltung zu haben.

Mit seiner 1998 gehaltenen „Sonntagsrede“ hatte Martin Walser allen Deutschen aus dem
Herzen gesprochen, die angeblich genügend Konsequenzen aus dem deutschen Projekt,
dem Holocaust gezogen hätten. Seine Dankesrede war der Ruf nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit. Und jener Ruf fand in der deutschen Gesellschaft Gehör. Dabei hätten entscheidende Passagen der Rede auch von Neonazis stammen können: „Wenn ich merke, dass sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hinabzuhören, und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, dass öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ (Walser 1998,
„Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede“, S.18). Unausgesprochen
bleibt wer instrumentalisiert; weite Teile der deutschen Bevölkerung wissen aber genau, wer gemeint ist und teilen diese Überzeugung: Jüdinnen und Juden benützten den Holocaust dazu, um politisches wie finanzielles Kapital aus ihm zu schlagen - schlechthin eine der
Projektionen eines antisemitischen Weltbildes.
Walser forderte in seiner Rede die Verlagerung der Erinnerung aus dem kollektiven ins individuelle Gedächtnis; diese Forderung und ein Schlussstrich für öffentliches Gedenken liegen auf der selben Linie. Das Holocaustdenkmal in Berlin ist dann auch Walser zufolge eben nur die „Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande“ (Sonntagsrede, S.20).
Solche „Gedankenexperimente“ werden selbstverständlich immer falsch ausgelegt, zumal
die Medien eh nur —inhaltsleere Meinungsklischees“ zulassen und gegen ihn agieren (vgl.
Walser 1997, „Ansichten, Einsichten. Aufsätze zur Zeitgeschichte“). Walser lanciert seine
Auffassung von ‚Erinnerung‘ mit Sätzen wie: „Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein normales Volk, eine gewöhnliche Gesellschaft?“ (Sonntagsrede, S.20). Die Verdrängung der Vergangenheit wird Mittel zur Erreichung von ‚Normalität‘. Walser will Normalität, und stolz auf Deutschland sein; was Stolzdeutsche in der Geschichte angerichtet haben, steht Normalität absolut entgegen, zumal die Bedingungen, welche Barbarei zur Regel werden ließen nicht verschwunden sind.
Walsers Friedenspreisrede wurde von ganz rechts außen begeistert aufgenommen. So
druckte beispielsweise die rechtsextreme Wochenzeitung „Junge Freiheit“ Walsers Rede
komplett ab (JF Nr.43/98). Ebenso die „Deutsche Nationalzeitung“ aus dem Hause des DVU-
Vorsitzenden Gerhard Frey. Dass Walser deren Titelseiten eroberte, ist nur folgerichtig, traf er damit doch den Kern ihrer Forderungen. Stichwortgeber für Neofaschisten zu sein
kümmert ihn nicht, ebenso beteuert er, nicht missverstanden worden zu sein (vgl. FAZ
14.12.98).
Wie durchweg nationalistisch Walsers Weltbild ist, zeigt sich charakteristisch auch daran, dass er prinzipiell von ‚Volk‘ als unauflösbarer Schicksalsgemeinschaft spricht. Damit befindet er sich in der Tradition klassisch national-völkischer Deutungsmuster. Walsers volksverbundene Prosa etwa über „geschichtliches Gefühl“ (Die Verteidigung der Kindheit) oder „ein ganz normales Volk“ (Sonntagsrede) und dergleichen ist Erbauungsliteratur, die
Schriftsteller ‚ihrer Nation‘ schenken.
Doch stellt sich auch die Frage, warum Walser mit solcher Popularität und Penetranz seinen schwarz-rotgoldenen Firlefanz verbreiten kann. Walser gibt nationalen Bedürfnissen der deutschen Gesellschaft Ausdruck, vergleichbar mit Jörg Friedrichs „Der Brand“ und den Blockbustern „Wunder von Bern“ oder „Der Untergang“.

In beispielhafter Weise filtert und konstruiert sich die deutsche Gesellschaft ihre Geschichte
zusammen: mittels Opferstatus und der ‚Stunde Null‘. Diese historischen Umkehrungen bieten die Grundlage, sich auf Deutschland oder dessen Kultur positiv beziehen zu können. Dass es auch im Nationalsozialismus „Alles für Deutschland“ hieß, scheint kein Grund zu sein, ‚Nation‘ prinzipiell in Frage zu stellen. Es war keine kleine Naziclique, die Europa mit Krieg und Vernichtung überzog, sondern ein zu allem entschlossenes Kollektiv, dem es gerade um die deutsche Nation ging. Auf die Frage „Was deutsch ist?“ muss vielmehr „Auschwitz“ geantwortet werden. Sich nach alledem auf diese nationale Identität positiv zu beziehen, kann nur als barbarisch bezeichnet werden.

Für großes Aufsehen sorgte Walsers 2002 erschienener Roman „Tod eines Kritikers“. Diese
Abrechnung mit Marcel Reich-Ranicki spielt mit antisemitischen Ressentiments und Motiven.
Selbst Frank Schirrmacher (FAZ), langjähriger Mentor Walsers, blieb nur bekanntes Urteil: „Ihr Roman ist eine Exekution, […] ein Dokument des Hasses […], das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar“ (FAZ 29.5.02).
Walsers Romane enthalten neben offen antisemitischen Anspielungen, wie in „Tod eines
Kritikers“, gleichfalls Antisemitismus zwischen den Zeilen. „Ohne einander“, „Finks Krieg“, „Die Verteidigung der Kindheit“ und „Ein springender Brunnen“ sind durchzogen von mehr oder weniger subtil eingesetzten Stereotypen, die im Zusammenhang latenten Antisemitismus bedienen. Dies sind keine überzogenen (Falsch-)Interpretationen; vielmehr legt der Autor selbst jene Assoziationen nahe. Die Stereotype und Bezüge funktionieren gerade durch ihren versteckten, aber universellen Charakter, den Walser bewusst verwendet.
Walsers Standpunkte hinderten auch die SPD nicht daran ihn am 8. Mai 2002 zum patriotischen Talk einzuladen. Walser brauchte sich dabei nicht zurückzuhalten, schließlich kann seine Paulskirchen-Rede als eine Art Gründungsmanifest der Berliner Republik interpretiert werden, die sich nicht scheut mit Verweis auf Auschwitz Angriffskriege (Jugoslawien) zu legitimieren bzw. geopolitische Interessen zu verfolgen.
Walser dort: „Und lange vor unserer Staatlichkeit waren wir eine deutsche Nation und bitte,
nicht nur eine Kulturnation, sondern eine politisch tendierende Schicksalsgenossenschafti. („Über ein Geschichtsgefühl“ in: Die Verwaltung des Nichts 2004, S.256). Nation also als mythisches Schicksal, ein überindividuelles, naturgesetzliches ‚Wir‘, ein exklusives Blut- und Boden gegen ‚die Anderen‘.
Sein verklärtes Geschichtsbild und affirmierendes Nationenverständnis setzt sich nahtlos fort, wenn Walser vom ‚Versaillesdiktat‘ fabuliert: „Das Volk als deutsches Volk wurde
gedemütigt und ausgeplündert. Von den bürgerlich-feudalen Cliquen der Siegermächte“
(Walser: Händedruck mit Gespenstern, 1979, S.46). Zum Ersten Weltkrieg meint Walser in
„Über ein Geschichtsgefühl“: „Ohne diesen Krieg kein Versailles, ohne Versailles kein Hitler, ohne Hitler kein Weltkrieg Zwei […]. Das wichtigste Glied in der historischen Kette bleibt: ohne Versailles kein Hitler“ („Die Verwaltung des Nichts“, S. 256). Walser gibt mit diesem
revisionistischen Gedankengang den Alliierten des Ersten Weltkrieges die eigentliche Schuld
am deutschen Faschismus.

All dies Angeführte ist auch für die Stadt Heidelberg kein Grund Walser ein Forum zu
verweigern. Konsequent, denn die Stadt Heidelberg schlägt aus vielem kulturelles wie
politisches Kapital, seien es Euthanasieopfer (Prinzhornsammlung), faschistische Studenten-
verbindungen oder eben literarisch kaschierter Antisemitismus (Walser).
Zudem finden sich im geläuterten Deutschland, dem Projekt ‚Berliner Republik‘‚ getreu all die
wieder, die sich auch nicht durch Leichenberge von der ‚Liebe zur Nation‘ abbringen lassen.


Service/Literatur:
Heinz Brüggemann: „Martin Walsers ‚Geschichtsgefühl“- Konstruktion nationaler Homogenität und innerkulturelle Feinderklärung“,
in: Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität. Herausgegeben von Siegfried Jäger und Franz Januschek, Münster 2004.

Gerd Wiegel: Die Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs und kulturelle Hegemonie – Vom Historikerstreit zur Walser-Bubis-Debatte, Köln 2001.

Johannes Klotz/Gerd Wiegel (Hg.): Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik, Berlin 2001.
Antifaschistischer Arbeitskreis
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Ergänzungen

auch in dortmund

hans 12.11.2004 - 21:17
soll eine veranstaltung mit walser stattfinden.
die kommunistische initiative ruft zur gegenkundgebung auf:
 http://ki.antifa.net

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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kopfschüttel — grrr

Gut hinsehen — Erdenbewohner