Berlin: Anticolonial Africa Conference 2004

Lotti 10.11.2004 15:42 Themen: Antirassismus Globalisierung
Vom 11.-15.11.04 findet in Berlin die 'Anticolonial Africa Conference2004' statt. An vier Tagen gibt es Diskussionen, Veranstaltungen,Filme, eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der deutschenKolonialkriege in Afrika, Asien und Ozeanien, eine AntikolonialeDemonstration und noch viel mehr. Eine Gruppe von Menschen mit und ohneEU-Pass bereitete seit über einem Jahr die Konferenz vor undorganisierte gleichzeitig viele vorbereitende Veranstaltungen auchaußerhalb Berlins, eine monatlich stattfindende 'antikolonialeCity-Tour', und die begleitende Filmreihe,die in drei Berliner Kinos im November zu sehen ist.

Programm

Frauenwiderstand - Austellung im Rahmen der AAC
Do: Gedenkveranstaltung Neue Wache (Fotos) | Begrüßung | Fotos und Bericht
Antikolonialer Stadtspaziergang (Fotos)
Fr: Antikoloniale Demo | "Fortress Europe"
Sa: "Ausbeutung von Afrika"
Mo: Antikoloniale Aktion am Reichstag
Die anderen: junge welt 12.11. | taz 13.11. (1) (2) | junge welt 17.11. | jungle world 17.11. 17.11.

Antikoloniale Kundgebung in Braunschweig
Fotos vom Umbruch Bildarchiv
Für die Konferenz werden noch dringend Schlafplätze und ÜbersetzerInnen gesucht - bitte unter info(a)africa-anticolonial.org oder 0163-805 27 72 melden.

Angesichts eines deutlichen Minus im Budget braucht die Konferenz dringend Spenden!

"Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land."
Desmond Tutu


Als sich die derzeitige Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul im August diesen Jahres bei ihrem Besuch in Namibia irgendwie ein bisschen, aber nicht so ganz richtig, für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus entschuldigte, war dieses Kapitel deutscher Geschichte für einen Moment wieder interessant geworden:

Tagesschau 14.8.04: Gedenken an Herero-Aufstand. Keine Entschuldigung auch nach 100 Jahren
taz 14.8.04: Halbe Herero-Geste.Wieczorek-Zeul startet "Dialog" mit Namibias Hereros - zunächst ohne offizielle Entschuldigung für Völkermord
Spiegel 15.8.04: Deutschland entschuldigt sich für Kolonialverbrechen. Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul war den Tränen nahe. In Namibia bat sie die Herero um Vergebung für die Verbrechen der deutschen Kolonialherren.
Es wird immer mal wieder beschworen - gerade die deutsche Linke weiß mittlerweile schon, dass dies Thema mehr als bloße Erwähnung braucht, tut sich aber weiterhin schwer damit, denn irgendwie ist es ja doch schon sehr lange her..

"Die deutschen Kolonien umfassten 1914 insgesamt ein Gebiet von 2,3 Millionen km, 4,5mal so groß wie Deutschland selber. Im Ersten Weltkrieg wurden mit Ausnahme von Deutsch-Ostafrika alle deutschen Kolonien von den Kriegsgegnern erobert. Nach der Niederlage 1918 verlor Deutschland durch den Vertrag von Versailles alle Kolonien." (Wikipedia)

Der Beginn der deutschen Kolonialgeschichte wird durch die 1. Berliner Afrika-Konferenz markiert, "zu der Reichskanzler Bismarck am 15. November 1884 nach Berlin eingeladen hatte. Wie einen Kuchen haben die europäischen Staaten den afrikanischen Kontinent untereinander aufgeteilt und ihre Kolonialinteressen auf dieser Konferenz abgesteckt." (aus dem Aufruf zur Anticolonial Africa-Conference).

schwarz-weiss flyer

Dies und die Tatsache, dass sich in diesem Jahr zum 100. Mal der Völkermord deutscher Kolonialtruppen an den Herero und Nama im heutigen Namibia jährt, ist der Anlass für die antikoloniale Konferenz in Berlin. Herero und Nama fordern von der deutschen Regierung eine Entschädigung - aber die stellt sich taub.
So gab es am 15. Januar 2004 einen Beschluss des deutschen Bundestages (pdf), der sich des Themas annimmt, und nach anderthalb Seiten blumiger Betroffenheit die Bundesregierung sage und schreibe auffordert, "1. die guten bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia in Anbetracht der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands weiter zu vertiefen und 2. die Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia auf hohem Niveau weiter fortzuführen."


Die Fachleute des Auswärtigen Amtes, die den ohnehin harmlosen Beschluss vollends glatt gebügelt haben, entblödeten sich nicht, Argumente des rechtsextremen Geschichtsforschers Claus Nordbruch zu übernehmen - der spricht von der »Völkermordlüge« wie seinerzeit die Altnazis von der »Kolonialschuldlüge«.

Immerhin hat nach hundertjährigem Verklären und Verharmlosen eine neue Debatte über die deutsche Kolonialära begonnen. In Deutsch-Südwestafrika enstanden die Vorformen der KZ, Afrikaner mussten Blechmarken tragen wie gelbe Sterne. Man sprach von Lebensraum. Man kämpfte einen Rassenkrieg. Der Menschenforscher Eugen Fischer sezierte die Leichen der »Eingeborenen«, um ihre Minderwertigkeit nachzuweisen; einer seiner Studenten war ein gewisser Josef Mengele. Auch wenn keine direkte Traditionslinie vom Waterberg nach Auschwitz führt - der mörderische Geist der Nazis manifestiert sich schon in den Köpfen der wilhelminischen Kolonialschlächter. Keiner hat das so trefflich ausgedrückt wie Thomas Pynchon in seinem Roman V.: General von Trotha habe 60000 Menschen ins Jenseits befördert, schreibt der Amerikaner. »Das ist zwar nur ein Prozent von sechs Millionen, aber immerhin auch eine schöne Leistung.« (c) DIE ZEIT 05.08.2004 Nr.33


Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das ein besonderes Talent hat, seine minimalen Leistungen als unendliche großzügigkeit darzustellen, beschreibt durchaus die deutsche Geschichte in Afrika, und damit auch im heutigen Namibia. Es weist bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass Namibia besonders viel Geld bekommt. Von der Entschädigungsforderung allerdings findet sich, genauso übrigens beim Auswärtigen Amt, kein Wort. Selbst ein Oberkirchenrat der Evangelische Kirche im Rheinland hält die Haltung der Bundesregierung für eine "Unverblümtheit des Zynismus".

Aus einem Interview des Filmmachers Martin Baer, der in seinem Film "Weisse Geister. Der Kolonialkrieg gegen die Herero" sowohl die Geschichte als auch namibische Gegenwart beschreibt:

Frank Willmann: Die Herero fordern seit Jahren eine finanzielle Entschädigung für die kolonialen Verbrechen. Das tun sie auch in ihrem Film. Gibt es Aussicht auf Erfolg?

Martin Baer: Teilweise hatten die Herero schon Erfolg, indem Deutschland und die deutsche Öffentlichkeit ihren Forderungen endlich Gehör schenkt. Für eine juristische "Lösung" des Falle - sollte es jemals eine geben - werden Gerichte viele Jahre brauchen. Es ist bezeichnend, dass es in diesem Jahr immer wieder widersprüchliche Meldungen über ein angebliches Ende des Prozesses, eine Rücknahme der Klage usw. gab. Ich kann nur vermuten, dass diese Art von Wiedergutmachungsprozessen so lange weiter gehen werden, so lange es zum einen weitgehend verdrängte oder von den ehemaligen Kolonialmächten geleugnete Verbrechen und zum anderen eine riesige Ungerechtigkeit gibt, was die Verteilung des Wohlstandes in unserer heutigen Welt angeht. Viele Menschen in der Welt fühlen sich zu recht doppelt gedemütigt. Sie sind die Nachkommen der versklavten oder hingemordeten Opfer jener Ausbeutung, auf welcher der Reichtum des Nordens begründet ist - und die Nachkommen der Täter weigern sich bis heute, die Geschichte wahrzunehmen, von Entschuldigung ganz zu schweigen.

"Weisse Geister..." wird in Berlin am Donnerstag, den 10.11. 2004 um 20 Uhr im Rahmen von 'Black Atlantic' im Haus der Kulturen der Welt, sowie im Rahmen von 'One World Berlin 2004' am Samstag, den 20.11. um 15.00 im Dokumentkino und am Mi, den 24.11. um 17.30 im Jüdischen Museum gezeigt.

wir sind hier..
(Demo in Magdeburg Sept. 02)

Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört

Die Folgen der Kolonisierung - nicht nur der durch die Deutschen - sind vielfältig und dauern bis heute an. Armut, Kriege, Hunger, Schulden, die große Verbreitung von AIDS und anderen Krankheiten sind direkte Folgen der Herrschaft der Kolonialmächte. Die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Weltwirtschaft wird von allen anerkannt, und scheint unveränderbar - weil die Länder des Nordens nicht bereit sind, auch nur auf einen Bruchteil ihrer Privilegien zu verzichten. Dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden: diese Tatsache überrascht mittlerweile niemanden mehr. Nichtsdestotrotz wird die wirtschaftliche Ungleichheit vollkommen schamlos und ohne jeden Anschein demokratischer Legitimierung zementiert und Kriege mit immer fadenscheinigeren Begründungen begonnen. Die EU hat nichts besseres zu tun, als im Kolonialismus entstandene Wirtschaftsbeziehungen durch Erpressungen zu festigen (sinngemäß: "Wir nehmen Eure Exportgüter überhaupt nur dann, wenn ihr alle Flüchtlinge zurücknehmt, die wir loswerden wollen, egal, woher sie kommen") und ansonsten dabei zuzusehen, wie afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Wir dürfen gespannt sein, wie sozialdemokratische Lager in Libyen aussehen werden...

Die Propaganda der kulturellen Überlegenheit rechtfertigte schon damals die blutige Eroberung des Kontinents. Die Kriege in Afrika haben allein in den letzten Jahren Millionen Menschen das Leben gekostet. Im Sommer 2003 wurde der erste gemeinsame europäische Krieg in der Demokratischen Republik Kongo geführt. Unter dem Vorwand Frieden zu bringen, werden die kolonialen Strukturen in Wirtschaft und Politik, Kultur und Alltagsleben neu gefestigt. Bis heute ist Europa an der Ausplünderung Afrikas massiv beteiligt und verschließt die Grenzen vor den Menschen, um "seinen" Wohlstand zu sichern.

Die kolonialen Strukturen wirken auch in die weißen Gesellschaften zurück. Sie reproduzieren und konstruieren "neues" koloniales Bewusstsein, Rassismus, Herrenmenschentum, Kriegslogiken, Frauenunterdrückung, technischen Machbarkeitswahn. Wir wollen diese Gewaltverhältnisse bekämpfen. Wir, das sind Menschen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, Deutschland und anderen europäischen Ländern. Uns verbindet das Ziel, diese Konzepte als patriarchale, als koloniale Herrschaft anzugreifen und zu verändern. Wir wollen Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, Dominanz- und Ausgrenzungsmechanismen aufspüren, delegitimieren und abschaffen und mit vielen die Aktivitäten vorantreiben, in unterschiedlichen Formen, mit Respekt und Solidarität. Der antikoloniale Widerstand ist politisch für uns ein zentraler Orientierungspunkt. An den damaligen Widerstand wollen wir erinnern und den aktuellen unterstützen.
(Aus dem Aufruf zur Konferenz)




Ältere Artikel:
"Dauerkolonie Togo e.V." - Deutsche Kolonialgeschichte in Berlin
Togo oder: Gärten in Berlin - Demo am 24.4.
Denk ich an Deutschland... Massenabschiebung nach Togo
Berlin/Togo: Hungerstreik gegen Massenabschiebung

Presse:
Nicht post oder neo, sondern anti
120 Jahre nach der Berliner Kolonialkonferenz findet ein Antikolonialer Kongress statt
(ak 15.10.2004)

stop epa

Links:
Third World Network
Focus on the Global South
Jubilee South
Kampagne gegen EU-AKP Freihandelsabkommen

Ärzte ohne Grenzen
medico international
buko Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft
WEED - Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung
Attac AG Welthandel und WTO

Antirassistische Initiative Berlin
Flüchtlingsinitiative Brandenburg
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
The VOICE Refugee Forum


9.-11. November, Groningen, NL: Treffen der EU-Minister Migrations- und Flüchtlingspolitik
12. November Berlin: Staatsministerin Müller im Auswärtigen Amt trifft Herero-Chief Maharero
19.- 21. November in Berlin: G20-Konferenz der Finanzminister und Notenbankgouverneure

"Migration may be an important aspect of this debate since it may play an important part in dealing with these challenges while - at the same time - representing a challenge in its own right. The G-20 will try to identify the issues at stake in each country, list the actions necessary to address these challenges and ask whether and to what extent this is a global policy issue in order to define the role and possible contribution of the G-20."
(aus dem Arbeitsprogramm des Berliner G20-Treffens)

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Ergänzungen

es gibt keine entschuldigung

monk 26.11.2004 - 13:32
Ich denke, es gibt für das, was Deutschland und andere Länder (!, denn es war nicht nur Deutschland) den Schwarzen angetan haben, keine Entschuldigung. Könnte man es rückgängig machen, ok, aber wieso gibt es solche Aktionen nicht für DDR-Opfer? (oder ist das wieder nicht so schlimm, weil die DDR-Führung kommunistisch/sozialistisch war?)
Entschädigungen nützen den Nachkommen nicht wirklich viel, und die Opfer tragen trotz der materiellen Entschädigungen immer noch ihre Psyche mit sich rum, und dafür kann sie keiner entschädigen. Und die Kolonialzeit ist mittlerweile vorbei, falls das noch niemandem aufgefallen ist.
Man darf solche Dinge natürlich nicht vergessen, aber die nachfolgenden Generationen nicht mit "historischer Schuld" behindern, denn genauso wenig wie die Deutschen, noch andere Länder/Völker tragen eine historische Schuld. Und welcher Vorfahre hat etwas davon, wenn seine Nachfahren für Dinge entschädigt wurden, die ihnen nicht angetan wurden?
Es sollte eine Mahnung sein, das sich soetwas nicht wiederholt, d.h. aber nicht, das man sich noch in 10000 Jahren für die Scheisse entschuldigt, die seine Vorfahren gebaut haben?

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