08.11.2004 in Wurzen: Demobericht

Lisa Schubert 10.11.2004 00:18 Themen: Antifa
Mit den Sprengstoffanschlag auf das NDK in Wurzen erreichte die Qualität der Naziangriffe in Sachsen mittlerweile ihren Höhepunkt. Als Reaktion dieses Anschlages mobilisierten sächsische Antifagruppen zu einer Demonstration am Montagabend, 08.11.2004, in Wurzen. Zum Beginn der Demonstration waren dann auch 250 Antifas am Bahnhof versammelt, an dem gleichzeitig eine Kundgebung des NDK Wurzen mit ca. 50 BürgerInnen stattfand.
Wie in einer Pressemitteilung angekündigt, wollten wir demonstrieren. Kurz nach Demostart kam es zu exzessiven Angriffen auf die Demonstration durch die Polizei. Mit der Situation vollkommen überfordert, prügelteten die Cops mit Tonfas (Schlagstock, eigentlich eine Waffe) gezielt in die Gesichter der ersten Reihe und setzten Pfefferspray gegen die DemonstrantInnen ein. Einem Demonstranten wurden bei dem überzogenem Polizeieinsatz mehrere Zähne ausgeschlagen, mindestens ein Demoteilnehmer mußte mit einer Platzwunde am Kopf in die Notaufnahme.

Die Demonstration konnte noch bis zum Büro des NDK Wurzen fortgesetzt werden, wurde dort von der Polizei wiederholt angegriffen. Daraufhin zog sich die Demo wieder an den Bahnhof zurück und wurde gekesselt. Die Anmeldung einer weiteren Demonstration wurde seitens der Ordnungsbehörde und der Polizei verweigert und es wurde gedroht, die Versammlung aufzulösen. Es trafen dann auch weitere Berufsschläger aus Leipzig zur Verstärkung ein. Daraufhin konnte ausgehandelt werden, dass der Polizeikessel in 5er-Gruppen verlassen werden konnte.

Die Antifa provoziert. Bernd Merbitz, der Chef der Polizeidirektion Grimma äußerte in Bezug auf die bevorstehende Antifademonstration: "Nichts wäre fataler, als wenn sich hier in Wurzen das Problem dadurch wieder zuspitzt." Sächsische Zustände also: Die Situation in Kleinstädten, Wurzen ist hier nur exemplarisch, spitzt sich zu, wenn die Antifa interveniert. So erklärt sich Herr Merbitz anscheinend auch das Auftauchen der 80 Nazis schon am Nachmittag im Park und der ca. 40 Nazis gegen Ende der Kundgebung, wie AMAL Sachsen berichtet. Nach der Demonstration kam es in Wurzen gestern Nacht zu weiteren Überfällen von 25 Nazis auf 12 Personen aus dem Umfeld des "Netzwerkes für demokratische Kultur", bei denen mehrere Jugendliche verletzt wurden und ärztlich behandelt werden mußten. Wahrscheinlich gibt es die Nazis in der eingeschränkten Welt des Herrn Merbitz in Wurzen sonst nicht.

Unverständnis. "Wir möchten noch einmal deutlich machen, dass diese mögliche Demo keine von uns gewollte Aktion ist. Die wurde uns übergestülpt, und wir distanzieren uns von jeglicher Gewalt", so Ingo Stange vom Netzwerk in der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom 08.11.2004. Nicht nur, dass Stange den Antifas unterstellt, Gewalt ausüben zu wollen, diese Argumentation sind wir als euer Problem mittlerweile gewohnt. Wir haben die Demonstration in Wurzen einerseits als eine Intervention gegen die Zustände in Sachsen, gegen die Akzeptanz von Nazis in der Bevölkerung, den kaum wahrnembaren Protest seitens der Zivilgesellschaft gegen, mittlerweile terroristische Methoden seitens der Nazis, verstanden, andererseits sollte diese Demonstration ein Zeichen gelebter Solidarität sein. Die Pressemitteilung des Netzwerkes "Tolerantes Sachsen", in der eine Solidarität eingefordert wurde, bleibt im Rückblick auf die Ereignisse bei der Demonstration gestern in Wurzen, reine Makulatur. In den Neuen Bundesländern werden mittlerweile nicht nur Linke das Opfer gezielter Naziangriffe. Beispielsweise wurde gegen den "Antifaschistischen/Antirassistischen Ratschlag Thüringen" in Gotha seitens militanter Nazis mobilisiert. Im Zusammenhang mit der Demonstration am 27. November in Pirna mobilisiert die SSS gegen einen "Kulturverein" in Pirna auf der Gartenstraße mit dem Hinweis, dort würde sich die örtliche Antifa organisieren, wissend, dass der Verein nicht mehr auf der Gartenstraße seine Büros hat. Unter dieser Adresse ist aber das "Kulturbüro Sachsen/Mobiles Beratungsteam Pirna" zu finden. Hier wird seitens der Nazis eine Vermischung von Antifa und zivilgesellschaftlichen Initiativen herbeihalluziniert um sich gegen alles zur Wehr setzen zu können, was nicht in ihr Weltbild passt.

Die Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern führt immer mehr dahin, dass ganze Landstriche von Nichtdeutschen, Alternativen, Linken und DemokratInnen durch die militante Naziszene „gereinigt“ werden. Beispielsweise wurde am Wochenende des 29.-31. Oktober 2004 in Pirna ein Mitglied der Jusos von Nazis überfallen. Nicht, weil dieser des Aussehens nach als links wahrgenommen werden konnte oder zur falschen Zeit am falschen Ort war, sondern weil er sich bei den Jusos engagiert und zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort eine Mitgliederversammlung der Jusos besucht hatte. Dieser Entwicklung gilt es sich entgegenzustellen und im Hintergrund dessen stossen bei uns die Äußerungen des Hern Stange auf vollkommenes Unverständnis. Wir fordern zu einem adäquaten und effektiven Vorgehen gegen Nazis auf breiter Ebene auf!

In Anbetracht des gestrigen Vorgehens der Polizei gegen DemonstrationsteilnehmerInnen fordern wir:
Kennzeichnungspflicht für Berufsschläger in Uniform! Jetzt!

Zeugenaufruf: Wenn ihr die oben genannten Polizeiübergriffe gesehen und/oder dokumentiert habt, insbesondere mit den Verletzten, bitte wendet euch dringend an die Rote Hilfe Dresden:

Rote Hilfe e.V. Dresden
Rudolf-Leonhard-Str. 39
01097 Dresden
Tel.: 0351- 89960456
Fax: 0351-8115111
 dresden@rote-hilfe.de
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Ergänzungen

Wahre Behauptung

Mensch 10.11.2004 - 11:14
Ich kenne Herrn Stange persönlich und war sehr enttäuscht vom Verhalten des NDK und seiner Äußerung gegenüber der LVZ (und der taz). Gleichwohl glaube ich, dass er diese Äußerung wirklich von sich gegeben hat.
Zum Schutz des NDK muss ich aber auch anmerken, dass sich Mitarbeiter und Freunde des NDK schon mit den Antifas in Verbindung gesetzt haben und weiter mit der Antifa zusammenarbeiten wollen. Viele sehen das Vorgehen der "Oberen" des NDK als falsch an.
Ich auch.

Die großen Solidarisierer

Stefan Ardagh 10.11.2004 - 11:16
Mit ist auch klar, dass die Gefahr und die Gewalt bei uns von den Rechtsextremen ausgeht. Die Darstellung der Demo am Montag hier und anderswo ist trotzdem heuchlerisch und verlogen. Wenn die Demonstration Solidarität mit den Wurzener Linken und Demokraten zeigen wollte, dann hätten sie sich wirklich minimal mit dem NDK besprechen können, was wie geht und wo Risiken für die DemonstrantInnen und den sehr fragilen Prozess in Wurzen bestehen und wer wie helfen kann, Konflikte zu vermeiden. So bleibt der Eindruck, eine selbstgefällige Antifa wusste es wieder mal besser als alle anderen. Die Unfähigkeit gleich eine Demo anzumelden, ist eine strategische Schwäche oder schickes Suhlen in der Opferrolle. Auch wenn die Polizei prügelgeil und überzogen reagiert.
Ich verstehe nicht, was die Demo erreichen sollte, außer dass eben 200 Menschen aus Chemnitz, Dresden und Leipzig gezeigt haben, dass sie gegen Faschisten sind und alle, die die Situation nicht genauso einschätzen und den Kampf genauso wie sie selber führen wollen, "Kühe und Schweine" sind.
Das ist ein bisschen arm und Selbstkritik ist auch nicht die Stärke dieser Antifagruppen, oder?

Kampf um die Straße?

Liebling Kreuzberg 10.11.2004 - 15:16
Einer der wenigen erfreulichen Aspekte der Vorkommnisse am Montagabend besteht darin, dass 16 Nazis die Nacht im Knast verbringen durften und dafür auch noch heftig blechen müssen.
Einige andere Aspekte:
1.) Die Nazis triumphieren. Sowohl das Heimatschutznetzwerk Sachsen ("Anschlag trifft Hetzer - Knüppel trifft Gewalttäter") als auch das stoertebeker.net berichten entsprechend.
2.) In den genannten Berichten wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in den getroffenen Fenstern des NDK Plakate der Kampagne "Schöner leben ohne Naziläden" aushingen. In Wurzen selbst besteht ein solcher Laden. Meines Wissens ist Wurzen ebenso wie Riesa bisher nicht als Zielort der Kampagne vorgesehen.
3.) Ein wesentlicher Pfeiler der Nazistrategie besteht im "Kampf um die Straße". In Wurzen haben sie diesen Kampf bereits gewonnen. Die Demo am Montag hätte eine Gelegenheit sein können, die Straße ein Stück weit zurückzuerobern. Das Gegenteil ist eingetreten.
4.) In einer Presseerklärung des Netzwerkes Tolerantes Sachsen werden alle Bewohner Wurzens und ausdrücklich auch Sachsens zur Solidarität aufgefordert. Diese ist jedoch offenkundig nur dann erwünscht, wenn sie die Spielregeln und jegliche Einschränkungen durch das NDK akzeptiert. Eine Unterschriftenaktion, die sich ausschließlich gegen Gewalt wendet, ist keine adäquate Reaktion und dient lediglich zur Beruhigung des Gewissens.
5.) Ohne die Probleme im einzelnen öffentlich thematisieren zu wollen, sollte doch darauf hingewiesen werden, dass die Kommunikation durch die Antifas zu den diversen örtlichen Kräften - nicht nur dem NDK - deutlich zu wünschen übrig ließ. Ich wage die These, dass die Eskalation durch eine bessere Kommunikation hätte vermieden werden können.
6.) Ich persönlich fand es erfreulich, dass erstaunlich viele ältere Wurzener, die nicht dem NDK zuzurechnen sind, anwesend waren. Wie ich aus Gesprächen entnehmen konnte handelte es sich wohl weitgehend um PDSler, die demonstrieren wollten.
7.) Es ist wohl unstrittig, dass eine Distanzierung von der Demo, wie sie über den örtlichen Mitarbeiter von AMAL vorgenommen wurde, schädlich und sogar paradox ist. Gleichwohl ist sie verständlich und nachvollziehbar.
Der Vorsitzende des NDK ist Mitglied der SPD. In Wurzen zeichnet sich gegenwärtig eine Koalition zwischen der lange Zeit allein regierenden CDU und der SPD ab. Das NDK hofft (wohl nicht vergeblich) auf künftige Unterstützung durch die Stadt für ihr Bauprojekt. Man signalisiert deutlich, dass man dafür künftig lieb sein will. Der CDU-Oberbürgermeister ist im Gegenzug ebenfalls lieb und lobt in der heutigen LVZ das NDK.
Fazit:
1.)Es ist dringend erforderlich, dass in und zwischen den Antifagruppen über eine bessere Vermittlung der eigenen Aktionen debattiert wird. Bestehende Fäden zu Personen und Strukturen außerhalb der autonomen Antifa sollten nicht leichtfertig gekappt werden.
2.) Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass die so genannten "zivilgesellschaftlichen Initiativen" nur noch sehr eingeschränkt unsere Bündnispartner sein werden. Die Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung wird den Trend zur Distanzierung noch verstärken. Politische Bindungen stützen diesen Trend. Der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Dulig ist ebenso Gründungsmitglied des NDK wie auch Geschäftsführerin Grit Hanneforth von Tolerantes Sachsen das Parteibuch der SPD hat. Eigene strategische Planungen werden diesen Anpassungstrend brücksichigen müssen.

P.S.: Auf nach Pirna!

Suboptimale Aktion

Fragender 10.11.2004 - 15:46
Sicherlich wäre eine Absprache mit dem NDK und eine gemeinsame Aktion die beste Lösung gewesen. Jetzt existiert (mal wieder) ein Dissenz über die antifaschistischen Reaktionsformen. Natürlich muss auch die Frage gestellt werden, was den Wurzenern hilft.
Die Antifa hat mit ihrer Aktion eine Lücke gefüllt, die in Wurzen zum Schutz des o.g. "fragilen Prozesses" (Was auch immer damit gemeint ist!?) von den dort Ansäßigen nicht geschlossen werden wollte.
Ich verstehe verschiedene Aktionsformen als sich ergänzende Momente. (Schließlich konnten in Leipzig am 03.10. die Nazis auch nur durch die sich ergänzenden Aktionsformen der verschiedenen Gruppen wirksam gestoppt werden.)
Wichtig wäre, beim nächsten Schritt, also dem der der Unterschriftensammlung/Aufklärungsarbeit und autonomer Spontandemo folgt, nach einer gemeinsamen Reaktionsform, also einer, in der man sich trifft, zu suchen. Dazu war die Stimmung am Montag absolut nicht geeignet. Das braucht Zeit.

Welche weiteren Ideen existieren denn in Wurzen?

Schiße Demo hoffentlich wirds in Pirna besser

Nazism, nie Dzienkuje 10.11.2004 - 20:33
Also ich kann hier mal nur einige kritische Anmerkungen machen, die mich ganz besonders am Vorgehen der (in erster Linie "antideutschen") Antifa in Wurzen gestört hat!
Ich finde es ziemlich Arrogant und unfair diesen Angriff auf das NDK zu instrumentalisieren um es "den Ostdeutschen mal wieder so richtig zu zeigen was sie für Arschlöcher sind". Nichts anderes sollte diese Demo sein. Eine Demo die Loszieht mit der Parole "Kühe, Schweine, Ostdeutschland" ist mit Sicherheit alles mögliche, aber keine Solidemo! Das NDK versucht nun schon seit einer Weile mehr oder weniger Erfolgreich in Wurzen eine Gegenkultur gegen den rechten Mainstream aufzubauen und dafür auch "Ostdeutsche" zu gewinnen. Und dann kommt ihr und pißt alle an, die nicht eurem antideutschen Weltbild vom Muster-Antifa entsprechen. Wunderbar. Als zweites frage ich mich, warum hier jetzt im Nachhinein auf dem Pressesprecher des NDK wegen seiner angeblichen Äußerungen rumgehackt wird. Erstens frage ich mich, ob denn vielleicht schon mal jemand auf die Idee kam, daß die LVZ den Herrn Stange einfach so zitiert hat, wie es ihnen in den Kram paßte, nämlich falsch? Es ist ja leider ziemlich alltäglich, daß die Presse Sachen bewußt und wissentlich falsch darstellt. Wolltet ihr in diesem Fall dies einfach nicht hinterfragen, weil es so toll ins antideutsche Weltbild gepaßt hat (dem NDK geht es ja schließlich nur darum Deutschland ein gutes Image zu verpassen, oder wer weiß was ihr Euch da wieder herbeihalluziniert), oder habt ihr es einfach vergessen? Scheiße blöd Eure Anpisserei auf alle Fälle. Falls er sich tatsächlich von dieser Aktion distanziert haben sollte, dann steht immernoch die Frage im Raum, warum er dies tat? So wie ich das NDK einschätze wohl kaum, weil er die Antifa als böse darstellen wollte, sondern weil er durch das vorgehen der Antifa-Demo eine Gefährdung der Zukunft des NDKs, seiner Arbeit und seiner Projekte sah. Aber wahrscheinlich gefällt es Euch mal wieder besser in der Opferrolle zu sein und von der deutschen Nazi-Volksgemeinschaft bedroht zu werden, weil ihr ja die einzig wahren Kämpfer gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus seid. Die anderen sind doch alles "Deutsche" (haha...)...Deutschland kann man aber auf viele Möglichkeiten zerlegen und meiner Meinung nach aber auf diese "Antideutsche" Art nicht...vielleicht wird die Demo in Pirna ja etwas erfreulicher, ohne Stumpfsinn-Parolen à la "Kühe, Schweine, Ostdeutschland" und "Eure Eltern waren Geschwister" (der "Peter Singer"-Antifa aufs Maul!) und statt dessen vielleicht mal wieder mit parolen à la "Hoch die Antinationale Solidarität", "No Borders-no nations" etc. und guten Flyern, die massenhaft verteilt werden können. Denn nochmal eine Demo wie in Wurzen können wir uns echt sparen, da lege ich mich lieber in die Badewanne und habe mit Sicherheit mehr gegen Faschismus und Rassismus getan als die Demo.

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NDK-Äußerung — Suse