Spanien wieder mal verurteilt

Ralf Streck 04.11.2004 16:57 Themen: Repression
Gestern gab es mal wieder ein Urteil gegen Spanien im Zusammenhang der Folter am Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg und letzte Woche war die spanische Folter sogar Thema in der UNO-Vollversammlung. Interview mit Iñigo Elkoro, Sprecher und Anwalt vom baskischen Antifolterkomitee (Torturaren Aurkako Taldea, TAT)
Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg Spanien verurteilt, weil es Folteranzeigen von 15 Katalanen aus dem Jahr 1992 nicht einmal untersucht hat. Was bedeutet das?

Das ist sehr wichtig. Wir haben immer gesagt: eine Basis für die Fortdauer der Folter im spanischen Staat ist, dass nicht gegen die Folterer ermittelt wird. Das wurde jetzt durch Straßburg bestätigt. Es gibt uns weitere Möglichkeiten dagegen vorzugehen und einige Fälle von uns sind ohnehin in Straßburg anhängig.

Erst letzte Woche hat der Sonderberichterstatter der UNO für Folter Theo van Boven vor der UNO - Vollversammlung seinen Bericht vorgestellt. Er erklärte: "Gefoltert wird an vielen Orten, auch in Europa, wenn es um Fragen der Selbstbestimmung geht wie der Basken in Spanien und der Kurden in der Türkei". Wie bewertet TAT diese Vorwürfe?

Das war ein schwerer Schlag für den spanischen Staat, dass die Anklagen wegen Folter nun auch in der UNO-Vollversammlung behandelt werden. Der Bericht drückt die extreme Besorgnis aus, die der spanische Staat mit seinen Aktivitäten hervorruft und fordert zu Handlungen auf. Er basiert auf einem persönlichen Besuch Bovens, wo er hier mit Folteropfern und den zuständigen Behörden gesprochen hat. Für uns ist es sehr wichtig, dass die höchste Autorität in der UNO für Folter den spanischen Staat angreift.

Er sagte: "Folter und Misshandlungen sind keine systematische Praxis in Spanien", fügte aber an, "mehr als sporadisch wird auf Praktiken wie Folter, Misshandlungen, grausame oder unmenschliche Behandlung zurückgegriffe". Wie bewertet TAT die Lage?

Unserer Meinung nach wird die Folter systematisch verwendet. Dabei geht es uns nicht so sehr um die Zahl der Fälle, wo es im Baskenland viele gibt. Es geht um das System, das um den Nationalen Gerichtshof herum besteht und eine straffreie Folter erlaubt. Da ist die Kontaktsperre, wenn ein Verhafteter nach dem Anti-Terror Gesetz tagelang keinen Kontakt zu seinem Anwalt, Arzt oder Familie hat. Wenn man bedenkt, in welchem diplomatischen Rahmen van Boven sich bewegt, ist es enorm, wenn er fast von systematischer Folter spricht.

Was bedeuten die Reaktionen des spanischen UNO-Botschafters, der den Bericht als „falsch, inakzeptabel und ungerecht” abwertet?

Das ist normal. Vorwürfe gegen Verletzungen der Menschenrechte negieren sie stets. Nicht einmal die diplomatischen Formen werden dann gewahrt. Dabei ist Boven auf Einladung der spanischen Regierung gekommen und nun akzeptieren sie seine Ergebnisse nicht.

Gibt es Veränderungen seit dem Regierungswechsel im März zu den Sozialisten?

Nein, absolut nicht. Die Sozialisten hatten vor der Machtübernahme der Volkspartei 1996 die Folter abgestritten und machen das heute wieder. Zu erinnern sei an die Todesschwadron GAL, die es in den 80er Jahren unter den Sozialisten gab. Es gibt einen roten Faden in deren Handlungen und es scheint, daran wird sich auch nichts ändern.

Artikuliert sich das auch praktisch?

Es gibt bei allen Verhaftungen der letzten Zeit Folteranzeigen. Eine Person musste mit dem Krankenwagen nach der Kontaktsperre zum Gericht gebracht werden, eine andere hat einen Selbstmordversuch begangen, um der Folter zu entgehen. Gerade befinden sich sieben Basken nach Verhaftungen am Dienstag in der Kontaktsperre, die auf Grund von Aussagen verhaftet wurden die andere davor unter Folter gemacht haben. Wir befürchten schlimmes.

Hat sich am Umgang mit den Folterern etwas geändert?

Auch nicht. Die Regierung der Volkspartei hat in ihrer Regierungszeit 14 verurteilte Folterer begnadigt. Einer der ersten Akte der Sozialisten war, den General der Guardia Civil Enrique Rodríguez Galindo nach ein paar Jahren aus dem Gefängnis zu holen, der wegen Folter und Mord an zwei Basken verurteilt wurde.

Was ist wichtig, um die Folter zu beseitigen?

Zunächst muss das System der Kontaktsperre abgeschafft werden, weil es garantiert, dass in den Kerkern alles gemacht werden kann und es später kaum zu beweisen ist. Wenn dieses System beseitig ist, gibt es viel mehr Kontrollmöglichkeiten. Es gibt aber noch andere Elemente: Eine wirkliche, unabhängige und objektive Untersuchung der Folteranzeigen und die Abschaffung der faktischen Straflosigkeit der Folterer. Natürlich sind hier auch die Kommunikationsmedien zu nennen, die oft die Folteranzeigen verschweigen.

© Ralf Streck Hernani, den 03.11.2004
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Ergänzungen

@Ralf

Zuschauer 04.11.2004 - 23:24
Jo, Heise und dein Buch Tondar sind schon bekannt, da ich mich aufgrund meiner tendenziell pro- katalanischen Gesinnung und Affinität zur libertären CNT, ohnehin für das Land interessiere.

Ich halte es allerdings für ziemlich abwegig, dass sich die Guardia Civil und der spanische Staat aktiv am 11. März beteiligt hätten.

Der gefakete Tejero- Putsch von 1981 zur Einschüchterung der Bevölkerung und die falschen Anschuldigungen gegen die ETA hinsichtlich des 11. März sind eine Sache, aber obwohl die Medien sicher keine vollkommen neutrale Instanz, halte ich es nicht für möglich, dass man die Beteiligung an einem Anschlag mit über 100 Opfern, vertuschen könnte. Das scheint mir genauso unwahrscheinlich, wie die Verschwörungstheorien hinsichtlich des 11.9.

Gut denkbar ist hingegen, dass Garzon Bedrohungen inszeniert, um die Beschneidung von Bürgerfreiheiten voranzutreiben und den Islamismus zu stigmatisieren, da islamische Gruppierungen in Spanien ohnehin nur gern gesehen werden, wenn sie Staatsführer einer pro- westlichen Diktatur wie Marokko sind, um Wirtschaftsgeschäfte und Flüchtlingsschikanen zu kooperieren.

Wegen der Folter muss man immerhin skeptisch sein, dass Verbesserungen der Menschenrechte der baskischen Häftlinge in absehbarer Zeit erreichbar sind. Seit dem 11.9. ist es noch leichter mit dem Argument der Terrorismusprävention jeden möglichen Scheiss zu rechtfertigen und zudem hält sich die Solidarität mit den Basken wohl auch traditionell in Grenzen, wenn z.B. Autos mit baskischen oder katalanischen Nummernschild im Rest des Landes kaum zu verticken sind.

Die Demokratiedefizite gegenüber anderen EU- Staaten hängen natürlich hauptsächlich mit der fehlenden Aufarbeitung des Faschismus zusammen. Zudem scheint es mir trotz der Omnipräsenz von CIA und FBI so zu sein, dass Staaten, die den Industrailisierungsprozeß verpennt haben, immernoch stärker von der Staatsräson geprägt sind, da z.B. in Spanien die Schreckensherrschaft von Monarchie, Großgrundbesitz und katholischer Kirche gegenüber jener des Manchester- Kapitalismus größeren Einfluss hatte. Ähnlich scheint es mir unter anderen Vorzeichen in Russland zu sein, während man in traditionell kapitalistischen Staaten wie GB und USA stärker auf die agitierende Funktion der Medien setzt.

PS: 2 Laienfragen zu Spanien: 1. Wie hoch ist der Einfluß des Islam eigentlich gegenwärtig in Andalusien? Habe mal in einer Doku gehört, dass sich Teile der Gesellschaft vom katholischen Spanien abwenden. Ist aber schon ne Weile her.
2. Warum kooperiert die CC auf den Kanaren so intensiv mit der PP, obwohl es auch dort viele anti- spanische Stimmen gibt.

Keine Frage

RAlf 05.11.2004 - 16:36
Hallo,

es ist keine Frage mehr, dass die am 11. März beteiligt waren. Die Frage ist nur noch, wie sie beteiligt waren. Ob sie nur über Aktivitäten hinweggesehen haben, denn es kann nicht sein, dass sie bei all den Abhörgeschichten, mit so vielen Spitzeln, die ja erst den Sprengstoff besorgt haben und verdealt haben, nichts davon mitgekriegt haben oder aktiv verwickelt sind. Ich gehe davon aus, dass das wohl ne mißglückte Anti - ETA Aktion war. Vor ein paar Tagen kamen Auszüge von abgehörten Gesprächen von Gefangenen der ETA im Knast, wo Toro versucht hat den Sprengstoff zu verkaufen und er mit dem anderen Spitzel Zuheir zusammen getroffen ist.


Ich hatte es ja in einem der Heise-Texte  http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/18541/1.html schon mal angedeutet, dass der Versuch vom Spitzel Toro im Knast Sprengstoff zu verkaufen, bei den Gefangenen der ETA wohl mehr Misstrauen ausgelöst haben dürfte als sonst was.

El Pais hat das jetzt am 26.10.2004 mit transkribierten Abhörprotokollen aus dem Knast bestätigt. Zitat eines der Gefangenen: "Aber der Typ der den Sprengstoff verkauft hat, war hier im Knast, ein unglaubliches Großmaul. Also, bevor er den Sprengstoff den Moros verkauft hat, wollte er ihn uns andrehen. Verstehst du? Der wollte an alle möglichen Leute sein Zeug verdealen und hat das lauthals verkündet, dass er Goma 2 hat."

Weiteres Zitat: "Weißt du wer in diesem Teil des Knastes war? Asier und ich. Sie behaupten also, wir hätten Dynamit gekauft und was weiß ich noch alles, als ob das hier der Corte Ingles wäre und überhaupt kenne ich den Typen nicht einmal".

"Wenn dir hier einer eine Knarre zum Kauf anbietet, dann jagst du ihn zum Teufel. Das waren Spitzel und alle Welt hat das gewußt und denen soll man eine Telefonnummer gegeben haben um im Büro der ETA anzurufen", machen sie sich über den Vorgang lustig.

Aus einem anderen früheren Gespräch (es geht um angebliche Verbindungen zwischen der ETA und Al Kaida)

"Verbindungen.... zwischen Arabern und Basken, alles Mist. Über was willst du denn reden, man müßte ja bekloppt sein, sie wissen doch alles, selbst dass was bei den Verlegungen geredet wird. Alles wird abgehört. Kontakte zwischen Al Kaida und Basken, wenn es sie gäbe, dann sicher nicht im Knast, wo alles abgehört wird".

Zu der CC auf den Kanaren kann ich dir nicht viel sagen. Außer dass die halt ziemlich rechte Burschen sind und Ideologisch der PP sehr nahe kommen. Das ist ein bißchen ähnlich wie die UPN in Navarra, wobei der Vergleich hinkt.

Kleiner Fehler

AntifaTick 05.11.2004 - 21:00
In der Einführung des Artikels steht: "Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte".
Das hat mich erst mal iritiert, weil dieser ja in Den Haag ist.
Im Text habe ich dann erst gesehen, dass der europäische Gerichtshof für Menschenrechte gemeint ist. Ist was verwirrend.

Kann das bitte geändert werden?

so dies und das

Zuschauer 06.11.2004 - 10:55
Ich bestreite auch nicht, dass die ETA zu Unrecht beschuldigt wurde, dasGC- Spitzel für die Sprengstoffdealerei in Asturien verantwortlich sind, das Schlamperei bei den Ermittlungen vorlag oder das die Untersuchungskommission nicht an einer lückenlosen Aufklärung der Vorgänge interessiert ist. Dies tun schließlich selbst die bürgerlichen Medien kaum noch.

Ich gehe lediglich davon aus, dass die Guardia Civil und damit die Aznar- Administration nicht wissentlich den Tod von 192 Menschen in Kauf genommen oder selbst bei der Durchführung des Anschlages sekundiert hat.

Aber das Thema gibt schon einiges her: Wahrscheinlich gehe ich demnächst mit einer Kamera nach Spanien und drehe eine Doku mit dem Namen Fahrenheit M-11. Falls ich die entscheidenden Leute nicht vor die Kamera bekomme, imitiere ich halt die Michael Moore- Arbeitsweise und fülle die fehlenden Sequenzen der 2 Stunden- Dauer mit Nebensächlichkeiten oder themenexternen Szenarien, wie der Gewalt gegen Frauen in den spanischen Haushalten, der wuchernden Immobilienspekulation und den daraus resultierenden astronomischen Mietpreisen oder der Niveaulosigkeit des spanischen Fernsehens bzw. der Abhängigkeit TVE's von der jeweiligen Regierung. Das dürfte ein beachtlicher kommerzieller Erfolg werden, wichtig in diesen harten wirtschaftlichen Zeiten.

Um nochmal zum gebotenen Ernst der Sache zurückzukommen: Den stelle ich ohnehin nicht mehr in den Vordergrund. Ich gehe grundsätzlich mit den traditionell baskenfeindlichen anti- nationalen Block der Linken dahingehend konform, dass die grundlegenden Differenzen zwischen den Menschen nicht in nationalen Konflikten sondern im wirtschaftlichen Ungleichgewichten widerspiegeln. Schließlich kooperierten 1871 selbst die Erzfeinde Deutschland und Frankreich zur Niederschlagung der Pariser Commune. Auf der anderen Seite sind die Vorwürfe gegen den baskischen Nationalismus natürlich größtenteils haltlos, da er anti- rassistisch und auf internationale Solidarität mit anderen linken Bewegungen, wie z.B. Chiapas ausgerichtet ist. In Katalonien wiederum sind dagegen wohl, die Vergleiche mit der egozentrischen bayrischen Haltung beim länderfinanzausgleich schon gerechtfertigt, da der Separatismus im größeren Maße von wirtschaftlichen interessen getragen wird als in Euskadi. Die Wandlung Barcelonas zum Disneyland und Lifestyle- Mekka in dem beim Fotut 2004 bunte globalisierungskritische Videos über die High- Tech Schirme laufen, während man am Cava- Sekt nippt, scheinen mir typisch für die Lächerlichkeit und Irreversibilität der Welt des 21. Jh.

Womit ich eigentlich sagen will, dass es sich heutzutage aufgrund der Aussichtslosigkeit ohnehin nicht mehr zu lohnen scheint auf eine sozial gerechtere Gesellschaft zu hoffen, was immer mein Geschreibsel jetzt auch noch mit den Folterungen zu tun haben möge.

PS: Ich hatte die Kanaren nur angeschnitten, weil ich meinte die CC würde sich ebenfalls hinsichtlich mehr Autonomie bemühen, wöfür die Kooperation mit der PP wohl ein schizophrenes Indiz wäre. Zudem ist es verwunderlich, dass die politische Gesellschaft auf den Kanaren noch rechts von jener in Madrid steht.

PPS:Bleib sauber, wir haben nicht so viele pro- baskische Autoren in Deutschland.