Dresden: stille Besetzung wird laut

Paul Hering 26.11.2004 01:30 Themen: Freiräume Soziale Kämpfe
Dresden: seit vier Monaten waren die Häuser am Martin-Luther-Platz 6 still besetzt. Nun gehen die BesetzerInnen an die Öffentlichkeit.
Am Martin-Luther-Platz 6 standen seit langem zwei Häuser leer und verfielen: Fenster wurden eingeschlagen, durchs Dach begann es reinzuregnen. Deshalb hat Anfang August 2004 eine kleine Gruppe von aktiven Menschen damit begonnen, sich um die Häuser zu kümmern, ohne zu wissen, wer Rechtsanspruch auf die Häuser erhebt. Seitdem machten die Instandbesetzer Schritt für Schritt Teile der Gebäude wieder nutzbar: reparierten Fußböden, beräumten Schutt, und strichen die Wände: im Erdgeschoss des Vorderhauses ist so ein offener Veranstaltungsraum entstanden.
Im ersten Stock hat der Umsonstladen Platz gefunden: hier können Menschen brauchbaren Kleinkram wie Geschirr, Bücher und Kleidung abgeben: wer etwas sucht, nimmt es einfach mit. Ohne Tausch und ohne Geld, aber in einer netten Atmosphäre. Im Laufe der vier Stunden, die der Umsonstladen montags und mittwochs geöffnet hat, nutzen etwa vierzig Menschen aller Schichten das Angebot: trotz fehlender Heizung und nur mangelnd beleuchtet durch Autobatterien.
“Der Zuspruch zum Umsonstladen bestätigt uns in unserer Arbeit. Wenn alles gut geht, so werden wir demnächst öfter aufmachen.“ – so Paul Hering, einer der Instandbesetzer. Nach und nach wurde die Gruppe grösser: so haben seit zwei Monaten zehn, vorher teils obdachlose junge Menschen selbstverwalteten Wohnraum gefunden. Aus einer kleinen Idee, die am Anfang stand, hat sich also schnell mehr entwickelt: die Idee eines Sozialen Zentrums.

Soziales Zentrum
„In den Räumen der Häuser am haben wir begonnen, damit zu experimentieren, einen Freiraum vom kapitalistischen Alltag zu schaffen. Hier soll die Utopie einer anderen, freieren Gesellschaft konkret werden.“ so nochmals Paul. Auf die Frage, was das Konzept eines sozialen Zentrums für die Initiative denn bedeute, antwortet Selma Lindhorst: „Es geht darum, unabhängig zu sein, zum Beispiel von Mietverträgen oder staatlicher Förderung. Es geht darum, einen offenen Raum zu bieten, einen Raum für alle, der auch ohne Zugehörigkeit zu irgendeiner politischen oder sozialen Gruppe genutzt werden kann. Ohne Angestellte. Kurzum: ein Experimentierfeld für Selbstorganisation.“
Bedarf gibt es, so die Mitglieder der Initiative, genug: ob für Umsonstladen, Selbsthilfewerkstätten, non-profit-Lebensmittelkooperativen, offene Arbeitsräume für Bürgerinitiativen... Diese Vision ist jedoch nun akut durch Räumung bedroht.

aktuelle Lage
Bis jetzt ist die Gruppe nicht öffentlich aufgetreten, um Ärger mit den zunächst unbekannten EigentümerInnen oder Polizei zu vermeiden, und zu ermöglichen, dass sich im Stillen mehr entwickeln kann. Das ging vier Monate gut. Am 22.11.2004 erreichte das Haus eine „Räumungsaufforderung“, die eine „kurzfristige Sanierung“ ankündigt. Bis zum 30.11.2004 sollen die Projekte die Häuser verlassen haben – in einer Frist von 8 Tagen!
Eine derart eilig anberaumte Sanierung ist allerdings schon deshalb unglaubwürdig, da bis zum jetzigen Zeitpunkt niemand das Haus in Augenschein genommen hat. In den ganzen 4 Monaten erschien nicht ein einziges Mal der Eigentümer oder ein von ihm Beauftragter. (Benachrichtigt wurde der Eigentümer aller Wahrscheinlichkeit nach von der Polizei.) Das allein läßt ein ausgeprägtes Interesse an den Häusern zweifelhaft erscheinen. Das angekündigte Sanierungsvorhaben wirkt in Anbetracht der hereinbrechenden Winterzeit noch unglaubwürdiger. Laut „Räumungsaufforderung“ soll eine mögliche Räumung eine “ordnungsgemäße weitere Nutzbarkeit“ herstellen. Eine weitere Nutzbarkeit ist auch im Interesse der gegenwärtigen NutzerInnen: schließlich haben diese die Häuser auch ohne Auftrag des Besitzers provisorisch instandgesetzt und -gehalten.

“Wir können und wollen die Häuser nicht zum 30.11. räumen. Weil dann einige Leute wieder auf der Strasse sitzen würden. Weil der Umsonstladen auf Raumsuche gehen müsste. Weil die Räume wieder leerstünden und es das Aus für beginnende Projekte bedeuten würde. Wir wollen also erstmal drinbleiben.“ erläutert Selma Lindhorst.

Im Moment sieht die Gruppe eine Perspektive vor allem darin, einen begrenzten Nutzungsvertrag bis Frühjahr 2005 auszuhandeln. Für andere Lösungsvorschläge ist die Gruppe offen. Doch auch von einer gewaltsamen Räumung wollen sich die BesetzerInnen nicht einschüchtern lassen: „Wir geben nicht auf. Leerstehende Häuser gibt es genug“ bekräftig Paul.



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Die BesetzerInnen trällern schon frohen Mutes ihre Hymne, die sie nächtens verfasst haben:

[auf: „Rauch-Haus-Song“]

Der Martin-Luther-Platz war voll,
soviel Leute waren da,
und Paul Hering musste staunen,
weil er sowas noch nie sah.
und Paul Hering fragte Hertha:
“sag mal ist hier heut ein Fest?“
“So was ähnliches“ sagte Hertha
“die ha’m das Nachbarhaus besetzt“

Doch der Eigentümer drohte
“soziale Zentren will ich nicht,
denn wir werden bald sanieren
- die Typen bring ich vor Gericht!“

[Refrain:]
Doch die Leute sassen auf dem Dach,
und riefen: „Hier liegt doch soviel brach!
Wir geben niemals nach
gebt uns doch ein schönes, grosses Schloss am Elbebach!“

Neulich traf der Paul die Lieselotte aus Berlin
die sagte „Hey so wie’s bei euch läuft, wird ich wohl nach Dresden ziehn.“
und das Haus, das wurde voller
und es war bald viel zu klein
als die Bullen räumen wollten
fingen alle an zu schrein:

[Refrain]
Und die Leute im besetzten Haus,
riefen „Schmeisst uns hier ruhig raus!
Wir machen uns nichts draus, und gehen in ein schönres, grössres und viel buntres Haus!“
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Ergänzungen

HÄUSER DENEN DIE SIE BRAUCHEN UND DRINN .....

MALCOM & BOB 27.11.2004 - 08:31
coole Aktion-DRESDEN lebt wieder auf.
HÄUSER BESETZEN SOWIESO, der STAATSCLAN tut es ja auch. Kann mich noch gut an die STAATS-Aktionen nach der Wende errinnern. Alles wurde für paar Pfenn`ge verscheuert und an sich gerissen, ganze Fabriken und auch "Billiger" Wohnraum. Die da oben könnens ja, aber warum nicht wir? - ganz einfach: Sie wollen FREIDENKenden und UnKOMERZiellen Menschen keinen Platz zum Leben lassen, oder besser ausgedrückt, uns kann mann nicht kontrollieren - also will man uns auch gar nicht erst haben.
Ich habe selbst in Dresden ma gewohnt, deswegegen weiß ich auch ganz gut wie viele LEEEEEEEEEEEEEEEEERstehende Häuser es da gibt. Keiner kümmert sich darum, ach, und wenn wir dann mal eins für sinnvolle Zwecke benutzen, dann komm se wieder an die so feinen Herrn, nach dem Motto-geht: RAUS DA, das ist mein ABschreibeprojekt!

EUCH HERREN DA OBEN SOLL EINS GESAGT SEIN:

Ihr habt versagt auf ganzer Linie, IHR verarscht uns wo es nur geht, IHR sagt I H R wisst wo`s lang geht. EUER WEG ist NICHT UNSERER, das begreift endlich mal. Ihr feinen Pinkel kriminalisiert uns wegen NICHTS, und habt selbst genug Dreck am Stecken. Ihr, macht mit Armut, im unserem Land und auch anderswo Profite, ihr schoffelt nur in EUre Taschen - wie lange denkt Ihr soll das noch gut gehn.

Lasst EUCH das Haus nicht wegnehmen, die gewinn nicht immer !!!

Malcom & Bob

Artikel vom in Dresdner Neuesten Nachrichten

FFlink 27.11.2004 - 11:56
27.11.2004, DNN:

"Umsonstladen" fürchtet: Alles war umsonst

Vor ein paar Monaten besetzte eine Handvoll junger Leute die Martin-Luther-Straße 6 und versuchte, den "Kapitalismus" hinter sich zu lassen. Sie brachten die Räume provisorisch in Schuss, richteten im Hinterhaus eine Wohnkommune ("Leben ohne Strom") ein und zum Luther-Platz hin einen "Umsonstladen". Das Prinzip des geldlosen Nicht-Geschäftes: Wer vorbeikommt kann sich von den dort lagernden Klamotten, Spielsachen, Büchern und Krimskrams so viel nehmen wir er will, umgekehrt wird erwartet, dass auch ab und zu jemand etwas kostenlos mitbringt. "Das funktioniert eigentlich ganz gut", beteuert Michael* vom "Umsonstladen". "Nur manchmal muss ich einen Besucher fragen, ob er wirklich so viel braucht, wie er da mitnehmen will."


Dazu kamen weitere nonkapitalistische Angebote der Hausbesetzer: Sie veranstalten Umsonst-Kinovorführungen, Hörspiele und dergleichen mehr - dafür verlangen sie höchstens einen "Solidarbeitrag" für die sichtlich linksorientierte Kommune.



Damit soll nun Schluss sein: Der Hauseigentümer, eine westdeutsche Immobilienfirma, pocht auf sein Recht und hat die Besetzer aufgefordert die Gebäude zu räumen, er wolle selbige sanieren. "Wir haben so viel Mühe in die Reparaturen gesteckt, wir wollen das Haus behalten", meint Besetzer Sven. Und Karsten, eine Art Sprecher der Truppe, betont: "Der Umsonstladen und die anderen Angebote kommen im Stadtteil sehr gut an, es wäre schade darum." Die Kommune sei bereit, eine symbolische Miete an den Eigentümer zu zahlen. Wenn das nicht funktioniere, könne er nur öffentlich an Behörden und Bürger appellieren, dem aus einer kleinen Initiative gewachsenen neuen Stadtteilzentrum andere Räume zur Verfügung zu stellen.



Neustadts Ortsamtsleiter Manfred Künzel erklärte, er müsse sich zum Problem erst einmal kundig machen, könne daher noch nichts dazu sagen. Und die Dresdner Rechtsanwaltskanzlei, die den Eigentümer der Immobilie vor Ort vertritt, lehnte eine Stellungnahme ab.


Heiko Weckbrodt


*alle Namen von der Redaktion geändert

Artikel in der Sächsischen Zeitung

Selma Lindhorst 27.11.2004 - 13:03
Quelle: SZ vom 27.11.2004, S.21
Umsonstladen fürchtet um seine Existenz
Neustadt. Auf dem Martin-Luther-Platz 6 kann man seit vier Monaten den wahrscheinlich ersten Laden Dresdens bestaunen, in dem alle Angebote gratis sind. Wer Kleidung, Geschirr oder Bücher benötigt, nimmt sie einfach mit. Wer ähnliche Dinge nicht mehr braucht, stellt sie dem Laden zur Verfügung. Die Idee für das alternative Projekt stammt von Dresdener Jugendlichen. Ohne die Eigentümer zu kennen, richteten sie ein jahrelang leer stehendes Haus wieder her, bewahrten es damit vor dem Verfall. Der Müll in den Fluren ist verschwunden, Wände wurden neu gestrichen, Fenster repariert und Graffities von den Scheiben entfernt. Geht es nach dem Willen des Eigentümers, der ZB-Immobilien GmbH, ist damit bald Schluss. Um das Haus zu sanieren, soll es bis zum 30.11. 2004 geräumt werden. Die Jugendlichen hoffen nun, wenigstens eine Nutzungsvereinbarung bis zum Frühjahr mit der Firma vereinbaren zu können.(hw)

Lied ergänzt

Hertha 27.11.2004 - 13:13
Ich hab das Lied mal erweitert...

[auf: „Rauch-Haus-Song“]

Der Martin-Luther-Platz war voll,
soviel Leute waren da,
und Paul Hering musste staunen,
weil er sowas noch nie sah.
und Paul Hering fragte Hertha:
“sag mal ist hier heut ein Fest?“
“So was ähnliches“ sagte Hertha
“die ha’m das Nachbarhaus besetzt“

„Wird auch Zeit,“ sagte Paul Hering
“stand ja lange genug leer.
Ach wie schön ist so ein Freiraum,
gäb es davon noch viel mehr!“
Doch der Eigentümer drohte
“soziale Zentren will ich nicht,
denn wir werden bald sanieren
- die Typen bring ich vor Gericht!“

[Refrain:]
Doch die Leute sassen auf dem Dach,
und riefen: „Hier liegt doch soviel brach!
Wir geben niemals nach
gebt uns doch ein schönes, grosses Schloss am Elbebach!“

Letzten Montag traf der Paul die Lieselotte aus Berlin
die meint: „Hey so wie’s bei euch läuft,
werd ich wohl nach Dresden ziehn.“
und das Haus, das wurde voller
und es war bald viel zu klein
als die Bullen räumen wollten
fingen alle an zu schrein:

„Leere Häuser ohne Menschen
viele Menschen ohne Haus
das, was ihr in dieser Stadt macht,
ist ein einzger grosser Graus.
Denn ihr könnt uns zwar vertreiben,
wenn Euch unser Leben stört,
doch auf Dauer werdn wir bleiben,
weil allen alles gehört!“

[Refrain]
Und die Leute im besetzten Haus,
riefen „Schmeisst uns hier ruhig raus!
Wir machen uns nichts draus,
und gehen in ein schönres, grössres und viel buntres Haus!“

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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