China: Im Akkord zur Ausbeutung

Christian Gräff 28.10.2004 20:09 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Im Wirtschaftswunderland China bröckelt die Fassade. Unter dem Zwang, sich der Dynamik des Weltmarktes zu unterwerfen, leidet vor allem die Bevölkerung. Christian Gräff hatte die seltene Möglichkeit, einen Blick in eine chinesische Spielwarenfabrik zu werfen, die für europäische Firmen produziert. Zu sehen bekam er entwurzelte und entrechtete Wanderarbeiter, denen es verglichen mit chinesischem Standard noch gut geht. Er konnte jedoch auch die Unzufriedenheit spüren, die sich immer häufiger in sozialer Unruhe und Aufruhr entlädt.
Der Raum ist erfüllt vom Surren hunderter Nähmaschinen. In engen Reihen sitzen darüber gebeugt junge Frauen und fertigen von Hand Puppenkleider für den europäischen und amerikanischen Markt. Ein Stockwerk höher werden in dampfenden Pressen Puppenköpfe geformt, daneben sitzen Arbeiter mit Mundschutz vor Lackiergeräten und sorgen für den lebensechten Anstrich. Die Fabrik, in der sich diese Szenen abspielen, befindet sich in Shenzhen - dem Zentrum der chinesischen Spielwarenindustrie.

Frauen schuften für den Weltmarkt

Man sieht fast nur Frauen an der Arbeit. Sie kommen aus den ländlichen Provinzen Chinas, wo die Arbeitslosigkeit über 20 Prozent liegt. Wanderarbeiter nennt man diese Tagelöhner in den boomenden Industriezentren Chinas. Sie sind hier mehr geduldet als gewollt, ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Chinas Führung will den Exodus vom Land in die städtischen Regionen nicht noch befördern.

Ein Tageswerk für einen Dollar

Umgerechnet rund 48 Euro verdienen die Arbeiterinnen im Monat, zehn werden ihnen für Verpflegung und Unterkunft wieder abgezogen. Sie liegen damit knapp über der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag. Immerhin: Bei der Firma "4K" wird der Lohn regelmässig ausbezahlt, auch die Überstunden werden entlohnt. Das ist keineswegs selbstverständlich.

Arbeiten unter Einsatz des Lebens

Experten vom katholischen Hilfswerk Misereor wissen, dass in vielen Fabriken vor allem in der Vorweihnachtszeit bis zu 16 Stunden am Tag geschuftet wird. In vielen Firmen gibt es keinerlei Sicherheitsvorrichtungen - Arbeitunfälle sind die Regel. Vor zehn Jahren kamen bei großen Fabrikbränden Dutzende von Arbeitern ums Leben, Feuerlöscheinrichtungen existierten nicht. Bei "4K" gibt es - auch auf Druck des deutschen Hauptkunden, des Spielwarenherstellers Zapf Creation - bessere Arbeitsbedingungen. Arbeits- und Pausenzeiten werden eingehalten. Die Produktionsräume sind aus Sicherheitsgründen von den Unterkünften getrennt.

2m² fürs Privatleben

Doch selbst hier sind die Lebensbedingungen nur nach chinesischen Standards erfreulich zu nennen: Acht Menschen leben in einem Raum von knapp 15 Quadratmetern, ein Bett von zwei Quadratmetern steht jedem als Privatbereich zur Verfügung. Dazu eine Küchennische und eine Stehtoilette - halb im Freien. Dieses Leben halten die Wanderarbeiter nur ein paar Jahre aus, bevor sie wieder zu ihrer Familie aufs Land gehen.

Proteste gegen Unmenschlichkeit

Anfang Oktober kam es in Shenzhen zu öffentlichen Protesten. Denn in den meisten der 1000 "sweat shops" gilt nicht der relativ junge Kodex der Internationalen Spielwarenverbandes, der ein Minimum an Lebens- und Arbeitsstandards vorschreibt. Gerade einmal 40 Firmen wie "4K" erfüllen ihn bisher, es gibt in China aber geschätzte 9000 Zulieferer.

Konkurrenz verhindert verbesserte Bedingungen

Shenzhen, vor 25 Jahren noch eine Kleinstadt von 30.000 Einwohnern, profitierte als Sonderwirtschaftszone besonders von der Auslagerung europäischer Fertigung und explodierte auf 4.000.000 Einwohner. Doch die Stimmung trübt sich ein: Auch im Landesinneren Chinas entstehen neue „verlängerte Werkbänke“ europäischer und amerikanischer Firmen, und auch in Vietnam und Bangladesh erwächst Billigkonkurrenz. Da steigt der immense Kostendruck noch, und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bleibt ein frommer Wunsch.

Mitbestimmung bleibt frommer Wunsch

Vieles mutet eher wie im Frühkapitalismus an: der Ausbeutung der Arbeiter steht keine soziale Sicherung entgegen. Obwohl es neuerdings einen gesetzlichen Anspruch auf die Gründung eines Betriebsrates gibt, wissen die meisten Arbeiter mit dem Begriff Mitbestimmung kaum etwas anzufangen.

Boom führt zu sozialen Spannungen

China boomt, und allerorten tragen Parteisekretäre und Staatsdiener jeden Ranges dem westlichen Besucher voller Euphorie Zahlenkolonnen als Beleg chinesischer Leistungsfähigkeit vor. Doch die Unzufriedenheit ist nicht mehr auf die bei Einkommen und Steuerlast traditionell benachteiligte Landbevölkerung beschränkt. Unruhen in verschiedenen chinesischen Provinzen entzünden sich am selbstherrlichen und oft korrupten Auftreten staatlicher Oberaufseher. Wo der Kommunismus nur noch als Fassade einer turbokapitalistischen Entwicklung taugt, verliert die politische Führung an Autorität. China boomt, aber es zahlt einen Preis: Die soziale Unruhe gärt.
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Ergänzungen

China

Norbert 29.10.2004 - 11:56
1) "Im Wirtschaftswunderland China bröckelt die Fassade."

Der Begriff "Wirtschaftswunderland" ist falsch gewählt, weil er unpassenderweise an die Situation in den 50er und Anfang der 60er Jahre in der BRD erinnert. Die Ausgangslage und die Entwicklungsbedingungen in China sind aber andere.

2) "Unter dem Zwang, sich der Dynamik des Weltmarktes zu unterwerfen, leidet vor allem die Bevölkerung."

Die "Bevölkerung" ist ein zu allgemein gehaltener Begriff, mit dem man die unterschiedliche Entwicklung der Lebensbedingungen in China nicht verstehen kann.

Es ist zudem falsch, zu behaupten und zu suggerieren, dass "die Bevölkerung" nun durch den "Weltmarkt" besonders leiden würde.

Tatsächlich haben sich die ökonomischen und kulturellen Lebensbedingungen (z.B. in den Bereichen Wohnung, Heizung, Konsumgüter, "allgemeine Freiheit", Zugang zu Informationen, Sex, Musik, Reisemöglichkeiten) der Mehrheit der städtischen Bevölkerung stark verbessert. Auch den Arbeitern und Arbeiterinnen geht es heute besser - sofern sie nicht gerade entlassen oder um ihren Lohn betrogen werden (was aber nur jeweils einer Minderheit geschieht) - besser als vor 30 Jahren.

Bei den Bauern (der Mehrheit der Bevölkerung, die auch die Wanderarbeiter stellen) ist es grundsätzlich ähnlich, wenn man ihre Situation heute mit der vor 30 Jahren vergleicht.

Um nicht missverstanden zu werden: "Besser" bedeutet lediglich besser, als vor 30 Jahren. Es heisst nicht, dass es ausgerechnet den Chinesen heute "gut" geht in einem umfassenden Sinn dieses Wortes. Übrigens geht es der überwiegenden Mehrheit der Weltbevolkerung - inkl. der Mehrheit in Deutschland - also den ArbeiterInnen nach humanistischen Standards gemessen ziemlich beschissen. Im Kapitalismus wird sich daran auch nichts ändern.

3) "Christian Gräff hatte die seltene Möglichkeit, einen Blick in eine chinesische Spielwarenfabrik zu werfen, die für europäische Firmen produziert."

Das ist natürlich vollkommener Quatsch, denn in diese Fabriken werfen viele Leute ihre Blicke rein, z.B. die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Manager, Investoren usw.

4) "Zu sehen bekam er entwurzelte und entrechtete Wanderarbeiter"

In vielen Ländern der Welt, die sich in diesem Entwicklungsstadium befinden, kann man so etwas sehen. Und an die Sonnenstrände Europas werden doch bekanntlich viele Leichen von "entwurzelten und entrechteten Wanderarbeitern" angeschwemmt. Und wenn sie es tatsächlich geschafft haben Spanien oder Griechenland zu erreichen - wie geht es ihnen dort?

5) "Er konnte jedoch auch die Unzufriedenheit spüren, die sich immer häufiger in sozialer Unruhe und Aufruhr entlädt."

Ja, Unzufriedenheit gibt es doch wohl überall und Klassenkämpfe auch. Selbst die ArbeiterInnen in Deutschland sind nicht ganz immun dagegen.

6) "Die Fabrik, in der sich diese Szenen abspielen, befindet sich in Shenzhen - dem Zentrum der chinesischen Spielwarenindustrie."

"Diese Szenen" - das sind doch normale Szenen aus einer Fabrik in einem Land, dass sich schnell, aber von einem niedrigen Niveau aus, entwickelt.

Die ArbeiterInnen selbst werden mit der Zeit genügend eigene Kräfte mobilisieren, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern und wenn sie dann noch einen Schritt weiter gehen: den Kommunismus schaffen. Herr Gräff ist dafür unnötig - nicht aber die Arbeiterinnen in Deutschland und sonst wo.

7) "Umgerechnet rund 48 Euro verdienen die Arbeiterinnen im Monat, zehn werden ihnen für Verpflegung und Unterkunft wieder abgezogen."

Nicht gerade viel, die ArbeiterInnen haben allen Grund mehr Geld zu verlangen. Andererseits kann man von dieser Summe in China überleben, um weiter zu arbeiten und sich ab und zu etwas zu kaufen. Viel mehr bietet der Kapitalismus ohnehin nicht.

8) "Experten vom katholischen Hilfswerk Misereor wissen ..."

Erstens klingt der ganze Bericht ziemlich "katholisch" und zweitens kennen doch die ArbeiterInnen ihre Lage selbst am besten. Sie brauchen keine paternalistischen "Experten". Die widerliche und menschenfeindliche Religion des Katholizismus in einem Atemzug mit "Hilfswerk" zu nennen, finde ich auch ziemlich daneben.

9) "Mitbestimmung bleibt frommer Wunsch."

Nicht alle Kapitalisten haben es so gut, wie diejenigen in Deutschland, die die Ausbeutung ihrer LohnarbeiterInnen mit Segen und mit "Mitbestimmung" der Ausgebeuteten selbst erledigen können.

10) "Wo der Kommunismus nur noch als Fassade einer turbokapitalistischen Entwicklung taugt, verliert die politische Führung an Autorität. "

Ich glaube nicht, dass der Autor verstanden hat, was "Kommunismus" ist.

Wie dem auch sei. Wo der "Kommunismus" schon immer als Fassade einer nachholenden und staatskapitalistischen Entwicklung taugte, kann es nicht verwundern, wenn er jetzt als Fassade einer "turbokapitalistischen" Entwicklung dienen muß.

Wer mal was Intelligentes zur Situation in China aus Perspektive der ArbeiterInnen lesen will, der sollte diese Seite besuchen:

 http://www.china-labour.org.hk/iso/about_us.adp

Norbert

mehr Infos zu China

robert 29.10.2004 - 12:34
Mehr Infos zu sozialen Kämpfen in Asien gibts auf der sehr informativen Seite www.umwaelzung.de.
Daher stammt auch die Meldung unten zu China:

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China 18.10.04 Riot

4401
Wanzhou (Südwestchina): Ein harmloser Zwischenfall eskalierte zu einem Riot, an dem sich 10 000 Leute beteiligten. Ein als Träger tätiger Tagelöhner rempelte auf der Straße eine Frau an. Deren Ehemann schlug und trat den Träger, unter den Augen von einigen hundert Zuschauern. Der Ehemann gab sich als Beamter zu erkennen und sagte, daß er mit seinem Geld keine Konsequenzen zu fürchten hätte. Aus Protest gegen solchen Machtmißbrauch begaben sich einige hundert Demonstranten zum wichtigsten Regierungsgebäude, stürmten dort Büros, stahlen Computer und steckten Polizeifahrzeuge in Brand. Als sich der Protest zum Aufstand ausweitete, wurden hunderte Polizisten eingesetzt, einige dutzend der Polizisten wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt (z.B. durch geworfene Ziegelsteine). Sechs Personen wurden verhaftet.
aufgenommen: Do., 21.10.2004

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Hmmmm

Hmmmm-Macher 29.10.2004 - 11:55
Ist mir doch so alls hätte ich diesen Artikel gestern schonmal auf der Homepage der ARD gelesen...