ESF London 2004 ein Rückblick (15-17.10.2004)

anwesend 20.10.2004 20:37 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Austragungsort des diesjährigen, zum drittenmal stattfindenden, ESF (European Social Forum) war die grosse Stadt an der Themse. London eine alterwürdige Stadt mit durchaus proletarischer Seele, riesige Fabrikgebäude, rote Ziegelbauten und der immer düstere Touch lassen in einem kämpferische Stimmung aufkommen. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Unterhaltskosten, die in dieser Stadt enorm sind, das Essen und Trinken, selbst Kaffee ist schier unbezahlbar. Diese Stadt war also Austragungsort des ESF.
Schlafplatz und Essen zwei vernachlässigte grundlegende Bedürfnisse

Wer am Forum teilnehmen wollte, musste sich einschreiben und akkreditieren lassen. Dies Kostetet für StundentInnen 20£ und für alle anderen 30£ dies sind doch stolze Preise, da es doch ein Sozialforum und für alle offen sein sollte. Schon am Donnerstag, bei der Akkreditierung in London, gab es die ersten Probleme. In der Conway Hall konnten die Tickets zu Armbänder umgetauscht werden. Da der Besitzer der Conway Hall diese am Morgen schliessen lies und erst als alle ESF- Offiziellen ihre T- Shirt umgedreht hatten, so dass die Aufschrift nicht mehr zu lesen war, wurde die Halle über eine Stunde später wieder geöffnet, die angerückte Polizei blieb allerdings vor Ort. In dieser Zeit hatte sich allerdings eine lange Schlange gebildet und so wurde die Geduld ein erstes mal auf die Probe gestellt. Die angekündigten „gratis Schlafplätze“ kosteten 10£. Die Schlafplätze waren im Millennium Dome, ein riesiges Zelt, das für den Jahrtausendwechsel gebaut wurde und unheimlich teuer war. Ironie aber Realität war, dass die Gegner des Bauvorhabens das Gebäude nun zum letzten mal brauchten, die Stadt hatte es verkauft und Gerüchte zu folgen soll nun ein Casino hinein gebaut werden. Dessen nicht genug, von der Unterkunft in welcher problemlos 20'000 Menschen hätten untergebracht werden können, durften nur 5000 Menschen übernachten und wer sich nicht frühzeitig angemeldet hatte, oder einer offiziellen Veranstaltungsgruppe angehörte durfte nicht hinein. So kam es, dass trotz genügend Platz Menschen in U- Bahnstationen etc. schlafen mussten. Nach dem Schlafplatzproblem kam dann noch die Essensbeschaffung dazu. Auf dem gesamten ESF- Gelände gab es nur einen Essensanbieter, welcher Fast- Food zu Wucherpreisen verkaufte und Coca Cola zum selbstverständlichen Sortiment gehörte. Es würde mich wirklich interessieren wie das ESF entschieden hat, welcher Essensstand das Monopol auf Essensausgabe erhalten sollte? Zu allem Übel war das Kochen im Dome verboten, trotzdem kochten wir munter unsere Nudeln.
Der gesamte Dome war Videoüberwacht und das Licht brannte die ganze Nacht, nicht gerade ein angenehmer Fleck um zu logieren. Zum Dome gehörte auch der interne Sicherheitsdienst, welcher anscheinend nicht ganz klar kam mit der Situation, dass hier kein Partyvolk die Nächte verbringt sondern politisch motivierte Menschen, vor allem Jugendliche, die sich nicht einfach alles bieten lassen. So kam es dann Samstag Abend zur Eskalation. Der Sicherheitsdienst hatte begonnen das Alkohol verbot im Dome rigorose durchzusetzen und kontrollierte alles Gepäck. Die Stimmung war so oder so schon sehr kämpferisch gewesen. Parolen halten durch den Dome und als dann eine grössere italienische Gruppe entschloss, alle hinein zu holen, welche die vorderen Nächte draussen geschlafen hatten, schlossen sich spontan viele andere an. So begaben sich die Menschen zum Haupttor und brachen durch den Kordon des Sicherheitsdienstes, diese riefen die Polizei, welche aber nicht mehr einschritt, auch der Sicherheitsdienst hatte nun begriffen, dass es nichts mehr bringt und gaben die harten Kontrollen auf. Im Anschluss war die allgemeine Parole „el pueblo unido jamás sera vencido“!


Der offizielle Teil des ESF

Das Gross der Veranstaltungen fand im Alexander Palace in Nord-London statt. Mit der U-Bahn musste etwas mehr als eine Stunde zum Alex vom Dome aus gerechnet werden, was für Londons Verhältnisse eher normal ist. Der Alexander Palace ist ein riesiges Gebäude mit mehreren grossen Sälen, welche mehrmals unterteilt wurden um mehr Platz für Plena, Workshops etc. zu haben. Ein Kino war eingerichtete und unzählige von Ständen, die fast alle mit roten Hammer und Sichel- und Che- Fahnen oder offiziellen Partei oder Gewerkschaftsfahnen behängt waren. So war diese Veranstaltung doch eher obskur. Da traf sich also die Linke, in einem Palace, in dem Türsteher von der feinen Sorte einem in höflichster Form die Türe öffneten, oder einen mit Sir anredeten, um die Welt sozialer zu gestalten. Kritik die im Vorfeld schon von NGO’s, Libertären, lokalen ESF- Initiativen und anderen artikuliert wurde, war doch stark spürbar. Elitäres verhalten der OrganisatorInnen, völlige Vereinnahmung des Entstehungsprozesses und der Veranstaltungsumgebung durch die Socialist Workers Party und anderen Parteien so wie Grossgewerkschaften und den Stadtpräsidenten selbst, der politisch links der Labour- Party angesiedelt ist. Er hatte nämlich im Vorfeld des ESF 400’000£ an die OrganisatorInnen als „Spende“ überwiesen und versprochen, dass alle TeilnehmerInnen des ESF gratis Karten für das gesamte öffentliche Verkehrsnetz erhalten würden. Im krassen Gegensatz dazu stehen die enorm hohen Preise für den ÖV, welche vielen ArbeitsnehmerInnen stark zu schaffen machen, zumal London eine Stadt ist, in der ohne ÖV praktisch nichts geht. Weiter wurde das nicht einhalten und ignorieren von grundlegenden ESF- Grundsätzen kritisiert. So hatten dann an der Veranstaltung selbst auch die Hauptsponsoren T&G, UNISONT und die eher linke aber bürgerliche Tageszeitung „the Gardien“ Monopolstellungen und konnten so kräftig Werbung in eigener Sache machen, was sie auch taten. Auch die Socialist Workers Party war mit ihrer Zeitung Socialist Worker ominpräsent. Die Veranstaltungen und Diskussionen selbst, die im Rahmen des ESF stattgefunden haben waren sehr interessant und der internationale Austausch konnte von Angesicht zu Angesicht gelebt werden. Diese Tatsachen zeigen, dass solche Veranstaltungen dringend nötig sind, damit auch wir als Bewegung reaktionsfähig bleiben. Wenn sie aber instrumentalisiert werden und als Werbeveranstaltung für wenige dienen, dann verfehlen sie jedoch das selbst gesteckte Ziel bei weitem.
Schon am Freitag war es zu tumultartigen Szenen gekommen als der Generalsekretär der Irakischen Gewerkschaften, ein Befürworter der Besatzung durch die fremden Truppen im Irak, an einer Podiumsdiskussion teilnehmen sollte. Eine Gruppe verunmöglichte seinen auftritt, was zu allgemeinem Gesprächstoff führte. Tags darauf kam es zu einer ähnlichen Szene als MigrantInnen einer Rede über Asylwesen beiwohnten an der eine Frau von der „Refugee cancel“ eine Rede hielt. Refugee cancel ist eine nicht staatliche Organisation die aber von Staat sechzehn Millionen Dollar eingestrichen hatte. Die MigrantInnen werfen der Gruppe vor, offiziell unabhängig zu sein, in tat und Wahrheit aber mit dem Staat zusammen zu arbeiten, abgewiesen Flüchtlinge auf die Strasse zu stellen und Notunterkünfte zu unterhalten, in den bekannter weise Frauen vergewaltigt wurden.
Samstag Abend verunmöglichte dann auch noch, aus verständlichen Gründen aber eher zum falschen Zeitpunkt, eine Gruppe von ca. 300 Menschen aus dem Zusammenhang der Autonomomous spaces den Beginn einer Plenumsdiskusion zum Thema “Rassismus und den Vormarsch der Rechten in Europa stoppen.” um ihre Kritik am ESF kund zu tun. Die Kritik war die selbe die schon vorhin genannt wurde. Durch die AktivistInnen wurde noch ein Flugblatt verteilt in dem sie Kritikpunkte noch genauer erläuterten anschliessend zogen sie wieder nach draussen. Die von den ESF – VeranstalterInnen herbeigerufene Polizei verhielt sich zuerst ruhig wollte aber keine Demonstration dulden, was zu einem ziemlichen Gerangel führte. Hier in der Schweiz hätten sie wohl Gummischrot eingesetzt. Da die Polizei in England mittel wie Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer nicht kennt, so schlugen sie heftig mit ihren Eisenstangen in die Menge. Wirklich verletzte gab es keine, ein paar Festnahmen wurden gemeldet. Anscheinend sollten noch mehr verhaftet werden, doch der beherzte Einsatz der MitdemonstrantInnen verhinderte dies. So zog dann schliesslich doch noch eine Demo vom Alex zur Middlesex University, Tottenham Campus welcher der Austragungsort des Beyond ESF war. Anfänglich verfolgte die Polizei noch eine eskalative Strategie, als sie aber merkten, dass die Demo auf dem Rückweg war, lies die Polizei sie gewähren. Parolenschreiend und von einem Helikopter und mindestens 4 Einsatzfahrzeugen begleitet bahnte der Demozug seinen Weg durch die Strassen von London. Die Bevölkerung rundherum reagierte in einem höchsten masse Solidarisch. Viele applaudierten zum Fenster hinaus oder hupten im Rhythmus der Parolen mit.


Autonomomous spaces a place beyond ESF

Schon früh zeichnete sich ab, dass das ESF nicht den wünschen von vielen entsprechen würde, so starteten AnarchistInnen und Libertäre eine eigene Initiative. Es sollte ausserhalb des ESF weiter Veranstaltungen geben ohne Akkreditierung, Einschreibung etc. Eine Vielzahl von „Freiräumen“ wurde organisiert, Foren eingerichtete und Aktionen geplant. Diese „Freiräumen“ waren über die ganze Stadt verteilt. Dieser Teil des ESF war ein Aufsteller. Im Zentrum des Beyond ESF war auch eine VoKü vorbereitete. Die im Gegensatz zu den Ständen am ESF selbst Vegan und im übrigen äusserst gut kochte. Einziger Kritikpunkt ist, dass die Veranstaltung oft etwas chaotisch waren, zumindest an denen ich war und dies ist nicht wirklich repräsentant, wenn die grosse Menge von Veranstaltungen betrachtet wird. Nichts desto trotz war es gut diese Plätze zu haben, auch das Abendprogramm war gut, jeden Abend Kino und Live- Musik, so wie zu Essen für Solibeiträge, dies war nicht selbstverständlich an diesem ESF.


Die Sonntagsdemo

Zu dieser Demo gibt es eigentlich nicht sehr viel zu sagen ausser, dass sie mit höchstens 50'000 Menschen sehr klein war. Die Stimmung war nicht gerade Schlecht, aber auch nicht kämpferisch. Die Polizei beschränkte sich auf Fotomaterialbeschaffung und lies gewähren. Es gab allerdings auch nichts wo sie einschreiten hätten können, ausser die Absperrgitter herum zu stossen brachte nämlich auch der antikapitalistische Block nichts wirklich zustande. Einige hatten es sich zum Spass gemacht, immer eine andere Rute zu wählen als die vorgeschriebene und hatten so immer ein Anhängsel von mindestens 10 PolizistInnen die sie ständig verfolgten. Die mit abstand Beste Aktion war eine Gruppe, oder besser zwei Gruppen die ein Strassentheater spielten. Dieses fand auch ausserhalb der Demonstration statt. Berichten zu folge wurden an der Abschlusskundgebung auf verlangen der ESF- OrganisatorInnen weiter AktivistInnen der Autonomous spaces durch die Polizei verhaftet. Dies weil sie versuchten auf die Bühne zu kommen um eine Rede zu halten. Insgesamt seien neun Personen verhaftet worden, alle jedoch wieder freigelassen worden. Die Reden an der Abschlusskundgebung waren äusserst schlecht und populistisch. Ein englischer Genosse sagte zu mir, es komme ihm vor wie eine Predigt eines Pfarrers der in der Kirche vor gläubigen spricht. Es waren populistische unreflektierte Reden von Parteimitgliedern die am Schluss doch nur eines im Kopf haben, Mittglieder, Parteibüchlein- BesitzerInnen und WählerInnenstimmen. Während die Reden auf der Bühne gehalten wurden, zeigte die Regie auf den beiden Grossleinwänden Videobilder des Kriegs. Absoluter Tiefpunkt der Demo waren aber die Plakate der MAB (Muslim Assosation of Britain) auf denen war im Fordergrund zu lesen Israel Terrorist und im Hintergrund waren zwei Hackenkreuze und ein Davidstern nebeneinander dargestellt. Die Menschen die darauf angesprochen wurden, ob sie wüssten was sie da tragen. Reagierten fast allesamt erstaunt und mit den Worten sie hätten es nicht gesehen. Dies war Typisch für die ganze Demo. All diese Schilder die da verteilt werden, werden oft unreflektiert getragen und nicht selten sogar ohne wirklich zu wissen, für welche Gruppe sie nun Werbung machen und was denn genau auf dem Schild steht.


Eine persönliche Rückschau

Das ESF in London ist nun vorbei, zurück bleibt ein etwas mulmiges Gefühl. Alles in allem kann gesagt werden, dass das ESF als Veranstaltung wichtig und auch nützlich ist. Weniger aber die grossen Veranstaltungen an denen nur Massenpolitik betrieben wird, sondern die vielen kleinen Gespräche, die unzähligen Diskussionen die mit Menschen aus aller Welt geführt werden können. Die persönlichen Bekanntschaften die gemacht werden sind von unschätzbarem Wert. Manche Bekanntschaften bleiben, dann ist es umso besser, andere wiederum waren für vier Tage spannend, auch gut. So hatte der riesen Schlafplatz im Dome doch noch sein gutes, da dies der Ort war an dem beinahe alle jüngeren und lowbudget Menschen lebten waren spannende Diskussionen bis tief in die Nacht hinein gewiss, denn geschlafen werden konnte bei dem hellen Licht sowieso nicht wirklich. Das nächste ESF findet in Athen im März 2006 statt und eines ist für mich Gewiss, ich möchte wieder gehen. Zum einen weil wir den reaktionären Kräften nicht den Platz überlassen dürfen und zum anderen weil wir den Kampf für eine gerechte und basisdemokratische Welt fortführen müssen.

Das Pfund ist etwa 2.30sFr und 1.60 Euro
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

storm the palace

jo 20.10.2004 - 22:16
die "antifaschismus"veranstaltung wurden aufgrund der angekündigten teilnahme von mr livingston (mayor of london) ausgewählt

Zeitungsname

horst 20.10.2004 - 22:46
Handelt es sich bei der im Text genannten Zeitung ?the Gardien? möglicherweise THE GUARDIAN?  http://www.guardian.co.uk/
Erstere wäre mir jedenfalls nicht geläufig.

natürlich guardian

anwesend 21.10.2004 - 09:04
hatte nur keinen zu hause um rechtschreibung zu kontrollieren

hey toller Bericht

ab 21.10.2004 - 11:48
Waere nur noch anzumerken dass der antikapitalistische Block nichtrs zustande brachte auf der Sonntags demo weil viele davon abgehalten wurden auf die Demo zu kommen- sie wurden nämlich an der Kings Cross U- Bahn station von der Polizei eingekesselt
Dadurch haben sich viele eher am Kings Cross eingefunden, der Block wurde erst wieder freigelassen, als die Demo vorüber war.

Kritische Seiten zu ESF und WSF ...

... gibts hier! 21.10.2004 - 19:36
Vereinnahmung aller Projekte, die Popularität und politischen (Pseudo)Einfluß, Spenden oder Mitglieder versprechen, ist ja nix Neues und tritt nicht nur beim ESF auf. Mehr Beispiele:
- Vereinnahmung bei Hartz-IV:  http://www.de.indymedia.org/2004/09/94945.shtml
- WSF und ESF, Sozialforum (auch zu dem in Doitschlanden):  http://www.projektwerkstatt.de/sozialforum
- Attac:  http://www.attac-online.de.vu
- Wahlalternative:  http://www.wahlalternative.de.vu
- Umweltbewegung:  http://www.projektwerkstatt.de/oekofilz