Verschwindenlassen von KriegsgegnerInnen II

Aug und Ohr, Gegeninformationsinitiative 07.10.2004 14:12 Themen: 3. Golfkrieg Medien Militarismus Soziale Kämpfe Weltweit
Teil 2 "Das politische Profil der betroffenen Organisationen". Fortsetzung von Teil I "Verschwindenlassen, eine Kriegstechnik" auf  http://germany.indymedia.org/2004/09/94589.shtml
Verschwindenlassen von KriegsgegnerInnen:
ein Teil des Schmutzigen Kriegs

2. Teil

Das politische Profil der betroffenen Organisationen.

Es ist im deutschsprachigen Bereich zuwenig bekannt, was für eine Rolle Un Ponte per … im Widerstand gegen das Embargo und den Krieg gespielt hat. Sie standen in vorderster Linie! Das politisch-offensive Vorgehen gegen Embargo, Völkermord und imperialistische Politik war mit konkreter Hilfeleistung verbunden, Informationstätigkeit von unten war verbunden mit praktischer Tätigkeit im sozialen Bereich. Diese theoretisch-praktische Doppel-Politik finden wir auch beim International Action Center und allen, großen, reifen und guten Organisationen.

Der Arab Monitor schreibt: „Un Ponte ... ist eine Organisation, die seit dem Krieg von 1991 im Irak aktiv ist, ursprünglich nannte sie sich sogar Un Ponte per Baghdad, in der Folge wurde aber die Bezeichnung „für Bagdad“ ausgelassen, um das umfassende humanitäre Programm zu bezeichnen, das sich auch auf andere Bereiche des Nahen Ostens erstreckte. Die Organisation hat im Irak bereits zu einer Zeit eine außergewöhnliche Hilfstätigkeit entfaltet, als es nur wenige Bekundungen der Solidarität seitens Italiens mit den durch das Embargo ausgehungerten Irakern gab.“ (16)

Vor Un Ponte per Baghdad gab es die Initiative Un Ponte per Diyarbakir. Das vergisst der Arab Monitor. Ponte stellte sich praktisch auch gegen die Genozidpolitik der Kemalisten.

In einem internationalen Appell zur Freilassung der Geiseln, der von Organisationen aus Lateinamerika, Griechenland, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, den Philippinen, Thailand, Indien und Palästina unterzeichnet wurde, heißt es: „Während des Embargos haben andere humanitäre Organisationen sich geweigert, weiter im Irak tätig zu sein, dagegen hat sich Un Ponte mit der Position gewandt, das Leiden der Zivilbevölkerung dürfe nicht als politisches Kleingeld verwendet werden. ... Un Ponte per ... war in Italien die stärkste Kritikerin am Beitritt der italienischen Regierung zur US-geführten Koalition.“ (37)

Vor kurzem entstand Un Ponte per Shatila. Ziel: Hilfsaktionen für die in den libanesischen Lagern dahinvegetierenden und durch ihre arabische Umwelt marginalisierten Opfer des Massenmords von 1982. Die beiden Simonas waren zum Jahrestag des Massenmordes von Sabra und Shatila in Beirut.

Aus der Geschichte von Un Ponte per … erledigt sich das Argument, die Kidnapper könnten Baathisten gewesen sein. Der Grünenpolitiker Bonelli meint in seiner konzisen und lakonischcn Art dazu nur: „Die Baathisten kannten die Lage.“ (38). Nämlich während des Embargos.

Von Bedeutung ist aber auch, daß Un Ponte per … in Sadr City an der Renovierung von Volksschulen mitgewirkt hat. Durch die militärische Aktion ist diese Tätigkeit abrupt behindert worden. Diese Tätigkeit erforderte eine unmittelbare Fühlungnahme auch mit den religiösen und politischen Autoritäten, die bei den Aktivistinnen zu einem tiefen Verständnis der islamischen Kultur und zu einem freundschaftlichen Verhältnis zu ihren Hauptkontaktpersonen geführt hat. Scheich Anwar aus Sadr City war eine der ständigen Kontaktpersonen der AktivistInnen von Un Ponte per … . Er war täglich zu Besuch bei ihnen. Seine Reaktion auf den unerwarteten Gewaltakt: „Diese Entführung ist nicht islamisch und nicht irakisch. Sie ist gegen unsere Religion und gegen unser Volk gerichtet. Wir bitten euch und wir werden euch weiter bitten: Laßt sie sofort frei!“ (12)

Die Tatsache der engen Zusammenarbeit mit der Bevölkerung in der Hochburg des schiitischen Widerstands in Bagdad hebt aber auch die Annahme einer islamistischen Urheberschaft aus den Angeln. Unsere verhetzte Sozialdemokratin sollte sich das zu Gemüte führen.

Mohammed al Mussawi, Menschenrechtsaktivist, erinnert an die von Un Ponte per… organisierten Hilfsleistungen nach Falludja. Noch vor einem Monat gab es eine weitere Hilfsaktion. In einem Kommentar schildert Simona Torretta das zwangsläufige Entstehen von Widerstand aus den unmittelbaren Bedingungen von Krieg, Entbehrung und Unterdrückung. Der Widerstand geht logisch bis hin zu einem Volksaufstand, heißt es in einem Bericht von ihr für das kommunistische Radio Onda Rossa (39). Mussawi liest ein Fax vor, daß von einem Komitee aus Falluja gesendet wurde: „ Die Organisationen, denen die entführten Personen angehören, sind gegen die Besatzung. Sie haben uns während des Embargos verteidigt, tut ihnen nichts an.“ (12)

Neben Simona Pari und Simona Torretta, beide 29 Jahre alt, sind zwei IrakerInnen gleichermaßen betroffen, Mahnaz Basam und Ra´ad Ali Abdul Aziz. Auch von ihnen fehlte die ganze Zeit jegliche Spur. Keineswegs soll auf eurozentristische Weise die Aufmerksamkeit bloß auf die zwei Italienerinnen beschränkt werden. Ohne die Lebensgeschichte der einzelnen AktivistInnen ausführlich zu beschreiben, sei folgendes über Ra´ad Aziz berichtet: Er ist Ingenieur, arbeitet seit 5 Jahren für Ponte, war also schon in der schwierigen Embargo-Zeit dabei. Er verfügt über Kenntnisse, die unentbehrlich waren für die Wiederinstandsetzung der Wasserversorgung, die 1991 und in der darauf folgenden Jahren kaputtging. In Sadr City übernahm er die Renovierung der Schulen. Intersos ist eine humanitäre Organisation mit breit gefächerten Aktivitäten. Dazu gehört die Arbeit mit Kindern, Flüchtlingsarbeit, Altenhilfe, Hilfsaktionen für das Bagdader Kinderkrankenhaus, wie erwähnt Entminungsdienste und Weiterbildungsprogramme (11). Mahnaz Bassam war Dolmetscherin und hatte kordinierende Aufgaben.

Die Beziehung von Un Ponte per… wie auch Intersos zur Bevölkerung waren lebendig und problemlos, demgemäß sah man sich auch nicht gefährdet, am allerwenigsten durch den Widerstand: „Das Verhältnis zur irakischen Gesellschaft, zu den Organisationen, zu den Scheichs der Moscheen, die Hilfslieferungen für Falluja, die auch über die Bagdader Moscheen organisiert wurden … es gab da nie irgendwelche negativen Anzeichen, nicht die geringste Drohung oder auch nur das Gefühl, daß man in Gefahr sei, in die Schußlinie geraten könne. In der Hinsicht waren wir völlig unbesorgt.“ (40) Bis kurz vor Schluß.

So wurden Aktivistinnen einer Gruppe, die sich gegen Krieg und Imperialismus gestellt hatte, zum Opfer. Wer sie verschwinden ließ, hat nichts mit dem Widerstand zu tun, wer sie verschwinden ließ, stellt sich gegen den Widerstand. Wer sie verschwinden ließ, kam nicht aus der Bevölkerung.





Welche Strategie verfolgt das Verschwindenlassen?



1. Säuberung des zivilen Anteils der Kriegsgegner.

Zum Massenmord an der Zivilbevölkerung und zur gezielten Eliminierung des Widerstands tritt die physische Beseitigung politisch-humanitärer KriegsgegnerInnen, die sich im Lande befinden. Gino Strada - seine Organisation Emergency unterhielt mitten im Talibanregime ein Krankenhaus - zieht einen Vergleich mit einer anderen Terrorregion: „Die Ermordung von sechs humanitären Helfen des Roten Kreuzes, die in Grozny mitten im Schlaf mit Pistolen mit Schalldämpfern beseitigt wurden, hatte zur Folge, daß alle humanitären Organisationen aus Grozny evakuiert wurden. Das Ziel wurde erreicht. Sollte es sich hier um etwas Ähnliches handeln? Ist das die Strategie, die mit den letzten Ereignissen, der Entführung der zwei französischen Journalisten und dem Mord von Enzo Baldoni verfolgt wird? Verwunderlich wäre es nicht. Wer Zivilpersonen gezielt auslöscht, wer Dörfer dem Erdboden gleichmacht, wer sowas wie Abu Ghraib (und Guantánamo) geschaffen hat, dem ist mit Sicherheit die Präsenz von FriedensaktivistInnen im Irak ein Dorn im Auge und auch die von Journalisten, die nicht embedded sind. Es kann durchaus das Ziel von Freund George sein, wie es das von Freund Vladimir gewesen ist, die unerwünschte Gegenwart solcher Leute immer mehr zu erschweren und sie schließlich völlig zu verhindern. … Weg mit allen! So ist es in Tschetschenien passiert, auch in Afghanistan und um einen ähnlichen Versuch könnte es sich auch im Irak handeln. Das würde bedeuten, daß die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und wahrscheinlich auch der Länder, die die Aggression der Vereinigten Staaten unterstützen, in erster Reihe der Engländer und Italiener, unmittelbar und maßgeblich an der Sache beteiligt sind.“ (41)




2. Teil des Genozids


Zu einer ähnlichen Schlußfolgerung gelangt das Comitato Nazionale per il ritiro dei militari dall´Iraq (“ Kommitee für den Rückzug der Soldaten aus dem Irak“): „Man muß sich den spezifischen Charakter dieser Aktion vor Augen halten: Nach einem Journalisten, der nicht embedded war und Kriegsgegner, nach zwei Journalisten, die aus einem nicht kriegsführenden Land kamen, sind jetzt zwei Vertreterinnen der breiten Solidaritätsbewegung mit dem irakischen Volk entführt worden.“ (42) In einem Kommentar der Comitati Iraq Libero in indymedia Italia heißt es mit völliger Klarheit: „ An dem selben Nachmittag, an dem Simona Torretta und Simona Pari entführt wurden, haben die Amerikaner in Sadr City 36 und in Falluja 76 Menschen getötet.“ (43)

Die Entführung stellt keine bloße zeitliche Koinzidenz mit dem Massenmord dar, sie ist Bestandteil einer umfassenden Strategie, deren wesentlichstes, aber nicht einziges Element der Massenmord ist.


3. Demagogische Hetze gegen die Linke.


Nicht nur, daß sie zum Verschwinden gebracht wurden, ihre politische Arbeit wird auch noch der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen. Was dem Imperialismus politisch-humanitäre Hilfsarbeit bedeutet, das zeigt sich in der haßerfüllten Fratze des Vittorio Feltri der in einem Artikel von unglaublicher Vulgarität folgendes von sich gibt: „Alles in allem, seien wir uns ehrlich, wenn das meine Töchter gewesen wären, dann hätten sie von mir ein paar Ohrfeigen bekommen. Ihr fahrt nach Bagdad? Ihr wollt damit die Leute überzeugen, daß das Leben schön ist, trotz allem, was geschieht? Hört mir doch damit auf! Rührt euch bloß nicht weg von hier, sonst … Sonst knallt´s! Die lassen sich auf die gefährlichste Mission ein, die es auf der Welt gibt. Haben den Kopf voller guter Absichten und pazifistischer und antiglobalistischer Gemeinplätze. Meinen das sicher ernst, sind voll von heiliger Begeisterung und gewillt, dem Nächsten zu helfen und so weiter. Mein Gott, was ist das für eine Dummheit, wie kindisch, wie naiv ist das! Wir haben ja alles Mögliche zu hören bekommen wegen unserer Kritik an Baldoni, der sich in die Wüste abgeseilt hat, auf der Suche nach Emotionen und gruseligen Abenteuern. Wir können uns schon im vorhinein vorstellen, was jetzt geschieht, wenn wir unser Urteil abgeben über zwei hilflose Mädchen, die das Bedürfnis empfinden, der verletzten Menschheit des Nahen Ostens zu helfen!“ (44)

Parallel dazu hat der italienische Faschistenführer Gianfranco Fini auf einer Veranstaltung der Parteijugend der Alleanza Nazionale, der Azione Giovani, die Jugendorganisation zum Kampf gegen den Pazifismus aufgefordert: „Ich fordere euch auf, für den Frieden und gegen den Pazifismus zu mobilisieren, der ist bloß eine Karikatur des Friedens. Pontius Pilatus war der erste Pazifist der Geschichte, der sich in aller Unschuld die Hände gewaschen hat. … Frieden erkämpft man nicht nur mit Fahnenschwingen, sondern indem man eine Politik der echten Befriedung vertritt. … Das und nicht der Pazifismus ist die Alternative zum Terrorismus.“ (45)


4. Diskreditierung des Widerstands

Im Rundumschlag gegen die Linke ist natürlich der Versuch enthalten, dem irakischen Widerstand und der Solidarität mit ihm die Legitimstation abzusprechen. Der Entführungs-Aktion folgen die politischen Sprachregelungen auf dem Fuß. Pierferdinando Casini ist Präsident der Abgeordnetenkammer: „Man soll mir nur nicht mit dem irakischen Widerstand kommen. Es darf nicht sein, daß Worte, die zur Ehre der Geschichte unseres Landes und, in der Nachkriegszeit, anderer Länder gereichen, willkürlich verwendet werden. … Es sind zwei Frauen zum Ziel erklärt worden, deren Haupteigenschaft es war, sich mit dem eigenen Leib für die Solidarität mit dem gemarterten irakischen Volk aufzuopfern, und das sagt alles über den kriminellen Charakter dieser Personen (der Entführer, AuO) aus, zu denen kein Weg der Verständigung führt. Zuerst haben sie gegen das Militär rebelliert, dann sind sie gegen Journalisten und Arbeiter vorgegangen, heute gehen sie soweit, daß sie auf eines der Symbole der humanitären Hilfe, Uneigennützigkeit und Solidarität zielen.“ (46) Der Widerstand war´s.


5. Gegenmaßnahme gegen die Eskalation des Widerstands

Zwei wichtige Maßnahmen finden immer dann statt, wenn der Widerstand wächst: 1. Es werden anderswo ablenkende Manöver inszeniert, und 2. Es werden - von staatlicher Seite - Terroraktionen durchgeführt, die die unbeteiligte Öffentlichkeit treffen, aber dem Widerstand in die Schuhe geschoben werden. Im letzten Fall sind es Aktionen, die geeignet sind, den Widerstand verhaßt zu machen, weil sie bewußt kein klares Ziel auswählen und damit beim unbefangenen Betrachter das Urteil auslösen, der Widerstand sei verwirrt, fanatisch, „außer Rand und Band“ geraten. Dies ist ein Teil der psychologischen Kriegsführung.

Beide Modelle werden derzeit erprobt. Für die erste Kategorie steht Dafur, die zweite ist dem italienischen Publikum bereits durch zahlreiche Experimente in den 70er und 80er Jahren, die unter der Führung der CIA, der Gladio, der Geheimdienste, der Carabinieri und der Faschisten in Italien durchgeführt wurden, mehr als bekannt. Der Zeitpunkt ist immer genau gewählt, es wird - durch provokative, desorientierende Pseudo-Aktionen und damit verbundenen Psychoterror - ein Schlag gegen den realen Widerstand geführt. Offizielle Statements über den Terrainverlust der Kriegs-Koalition sind in den bürgerlichen Zeitungen en masse zu finden und brauchen hier nicht wiederholt zu werden.

Das Campo Antimperialista weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß allein im Monat August 2.700 Angriffe stattfanden, fünfmal soviel wie im März (25). In einer solchen Situation muß die Kriegsführung der Imperialisten zu einer vielfältigen und komplizierten Counter-Strategie greifen. Wir müssen uns also noch auf einiges gefaßt machen. Man wird die unglaublichsten und blutrünstigsten Taten dem Widerstand zuschreiben. Nach ein paar Jahrzehnten werden Dokumente freigegeben werden, in denen die konkreten Auftraggeber vermerkt sind.


6. Anlaß zur Konstruktion der „Nationalen Einheit“.


Durch die Anbindung der Tätigkeit der politisch-humanitären AktivistInnen und KriegsgegnerInnen (meist nur „freiwillige Helferinnen“ genannt, wie in der Tiroler Tageszeitung (47), oder überhaupt nur „Helferinnen“, im Italienischen durchgehend volontari (48), was in etwa der deutschen Bezeichnung „ehrenamtliche Kräfte“ entspricht), durch die Anbindung also einer entpolitisierten Auffassung der aktiv-humanitären KriegsgegnerInnen an das bloße „Italien“, an die italienische „Nation“, an die ethnische Gemeinschaft mit Hilfe sprachlicher Verwirrungstechniken wird ebendiejenige „Nationale Einheit“ fingiert, derer die Nation so sehr bedarf und die auch von der französischen Regierung aus Anlaß der Entführung der beiden Journalisten inszeniert wurde. Dazu Emergency: „Der Unterschied zwischen Millionen von Italienern, die sich gegen den Krieg gestellt haben und denen, die ihn geplant und durchgeführt haben, löst sich auf.“ (42)

Der Europaabgeordnete Giulietto Chiesa¨ zur Vereinnahmung der etablierten Linken durch die Berlusconi´sche Einheitsstrategie: “Ich glaube, daß .. die Mitte-Links-Opposition in einen Abgrund von kollektiver Verdummung hineinschlittert, der in der Geschichte des Landes seinesgleichen nicht hat.“ (49)



7. Erstickung der Forderung nach Rückzug.

Die institutionalisierte Linke hat mit der rechtsextremen Regierung einen Schulterschluß und Burgfrieden gemacht, der hier nicht im Detail beschrieben werden kann. Auch Rifondazione vollzieht auf ihre Weise diesen Burgfrieden mit, indem sie durch ihren Generalsekretär Bertinotti ein besonderes Entpolitisierungsopfer einfordert, nämlich ein Ausklammern der Frage des Rückzugs. „Man muß alles versuchen, was zu machen ist“, sagt er. „Auch den Rückzug der Soldaten?“ „Die Frage des Kriegs muß davon getrennt bleiben, das ist ein anderer Bereich.“ “Aber die antagonistische Linke besteht doch auf dem irakischen Widerstand?“ Bertinotti: „Den Ausdruck hab ich nie gebraucht.“(50), Hervorhebung von AuO.

Er windet sich und versucht, der Sache doch noch ein wenig gerecht zu werden, indem er einige undeutliche Unterscheidungen einbringt: „Es gibt einen Widerstand (gegen den historischen Faschismus, „Resistenza“, AuO) mit dem großen R, das ist der italienische. Und dann gibt’s Widerstandsbewegungen („resistenze“) mit einem kleinen r. Ersterer hat den Faschismus besiegt und Italien eine republikanische Verfassung gegeben; irakischer Widerstand, und da beziehe ich mich auf alles, was außerhalb des Terrorismus steht, kann legitim sein, weil man dort unter den Bedingungen einer Besatzung lebt, aber die Lösung des Problems hält er nicht bereit. Und dann gibt´s schließlich den Terrorismus. Gegen den muß man sich ohne irgendwelche Einschränkungen stellen, er kann nicht gerechtfertigt werden, es darf kein Verständnis für ihn geben.“ (50)

Fällt ihm auf, daß er die Terminologie der Amerikaner gebraucht? Woher der Schwung? Setzt er ihn auch konkret ein gegen den Staats-Terror der Amerikaner und der derzeitigen irakischen Regierung? Was betrachtet er als seine Aufgabe? „Wir suchen die Zusammenarbeit (im Original collaborazione) (mit der Regierung, AuO), um die Geiseln zu befreien“ (50). Piero Maestri meint zu dieser Entradikalisierung, auch er habe seine „Vorbehalte gegen diese Erklärungen von Bertinotti. Rückzugsforderungen sind nichts Zweitrangiges, die Forderung nach Freiheit für die beiden Simonas und die nach Freiheit für das irakische Volk können voneinander nicht getrennt werden.“ (28)

Die Position der radikalen antiimperialistischen Kriegsgegnerbewegung kurz und vereinfacht zusammengefaßt: Durch den absoluten Rückzug der Besatzertruppen muß solchen Operationen radikal der Nährboden entzogen werden. Rückzug, ergo Befreiung des Irak plus Befreiung der Geiseln. Eine Doppelforderung, deren Komponenten voneinander nicht getrennt werden können. Jetzt ist die Gelegenheit, die Rückzugsforderung durchbringen.


8. Stigmatisierung anderer Sichtweisen

Das Kommitee für den Rückzug der Soldaten wird mit dem oben zitierten Hinweis (48) auf die Parallelität der Entführung Baldonis, nicht eingebetter Journalisten und der Aktion gegen die Solidaritätsarbeiterinnen auf eine Weise in der Repubblica zitiert, als handelte es sich bei dieser Zusamnmenstellung um eine ideologische, fanatische Verdrehung. Das Blatt suggeriert in diesem Zusammenhang, es gäbe Kräfte, “die alles auf die Spitze treiben. Da taucht aus dem Dunkel der Siebzigerjahre eien Redensart auf, von der man meint, sie sei längst in Vergessenheit geraten: “Die Strategie der gesamtgesellschaftlichen Eskalation”.” Und zur zitierten Passage meint La Repubblica: “Da haben wir die Rückkehr der strategia della tensione (im Deutschen ungenau, eigentlich falsch mit “Strategie der Spannung wiedergegeben, AuO) in ihrer irakischen Version”. Die Autoren des Kommuniqués sähen hier “verdeckte Kräfte am Werk, die sich “auf die Besatzer oder die unabhängige (!) irakische Regierung stützen.” (48) Das rechtfertigt den Übertitel: “In indymedia taucht die These der “Geheimaktionen” (wörtlich “dunkle Kräfte”; oscuro ist ein Synonym für “geheimdienstlich, verdeckt” AuO) auf.”

Die konternde Aufklärung durch die Linke wird mit sprachlichen Manövern noch einmal, auf einer zweiten Ebene, in die Nähe des Terrorismus und tendenziell der eversione, der außergesetzlichen Systemgegnerschaft, gerückt.



9. Gleichsetzung von irakischem Widerstand und dem Terror von Counter-kommandos.

Die Counter-Entführungen werden mit Entführungen von Hilfspersonal der Besatzer (ausländischen Sicherheitskräfte, Angestellten von Zulieferern der Army und dergleichen) auf eine Ebene gestellt. Casini setzt, wie bereits zitiert, den Widerstand gegen die Besatzerarmee und die Entführer der “humanitären Helfer” parallel. Nahtlos wird die vermutlich geheimdienstlich gesteuerte oder ermunterte Entführung mit einer von wirtschaftlichen Profiteuren gleichgesetzt. Im Corriere della Sera heißt es anläßlich der Entführung von Hensley und Armstrong: “Im Irak geht der Krieg der Entführungen weiter. ... Ein weiteres Mal wurden Ausländer gekidnappt, zwei Amerikaner und ein Engländer.” (51) Alles in einer Reihe! Als ob es sich bei Menschen, die der Bevölkerung helfen und solchen, die ihr die Arbeitsplätze und die Luft wegnehmen, um ein und dasselbe Phänomen handeln würde.

Counter- und Widerstandsaktionen sollen bis zur Unkenntlichkeit vermischt und verwechselt werden. Das ist der schmutzige Anteil der psychologischen Kriegsführung, die den Schmutzigen Krieg begleitet. Die Mobilisierungsenergien, die für Ponte aufgewendet wurden, sollen tunlichst in eine Mobilisierung für alle Entführungsopfer und gegen den bewaffneten Widerstand, und womöglich auch noch in eine Mobilisierung gegen den zivilen Widerstand umgeleitet werden. Nichts würde uns verblüffen!

Für solche Manöver bedarf es der Zuhilfe durch die Mitte-Links-Opposition als auch die moderaten, staats- und parteiabhängigen, systemtreuen PazifistInnen, die per definitionem auch gegen gerechtfertigte Gewalt zur Abwehr eines größeren Übels eingestellt sind. Sie sind tatsächlich eingestellt, und fungibel.

Was hätte man von einer Friedensbewegung gehalten, die sich dem jugoslawischen antifaschistischen Widerstand in den Weg gestellt hätte?




Kleiner Exkurs, 2. Teil

Wir sind so klug als wie zuvor. Zumindest stehen nach wie vor zwei einander gegenüberstehende, auf den ersten Blick schwer zu vereinende Optionen offen: Geheimdienstmanöver und/oder (obskure) Rechtsislamisten; abgesehen vom Einsatz einer rein kriminellen Gang, die sich aber mit beiden Optionen verbinden kann, ja im Vollzug der Privatisierung der Kriegsführung, wie sie schon bei der Iran-Contra-Affäre zu beobachten war, hier als Subkontrahent gewirkt haben mag.

Diese Doppel- oder Dreifachfrage können wir zunächst nicht auflösen. Der derzeit radikale moslemische Widerstand, Muqtada al-Sadr etwa, war es nicht, wenn dann war es ein pseudomoslemischer; oder ein neuer atypischer, rassistischer, wahrscheinlich mit den westlichen Geheimdiensten kooperierender. Baathistischer Widerstand war es nicht, wenn dann gekaufter, recycelte Baathisten (52).

Ein Vorblick in die Zukunft. Denkbar ist eine künftige Polarisierung des Widerstands in einen rechten, “fundamentalistischen” bewaffneten Widerstand und in einen linken, sozialen bewaffneten Widerstand. In einer solchen Situation könnten Teile, die bisher unter der Kontrolle von Al Qaida standen, zu den Imperialisten zurückkehren, sich von ihnen neufinanzieren lassen und sich mit ihnen zusammen gegen den sozialen Widerstand verbünden.

Gäbe es einen bedeutenden kommunistischen Widerstand, stünden gar die Kommunisten im Irak vor der Machtübernahme, dann wäre dieses Szenario mit Sicherheit bald an der Tagesordnung.

Das Gros des politischen Islamismus haßt nichts so sehr wie gottlosen Kommunismus. Es kann sein, daß solche Allianzen gegen die “Ersatzkommunisten”, die Baathisten, sosehr sich diese auch mit dem islamischen Widerstand amalgamiert und sich “angepaßt” haben, ihre Bärte wachsen ließen, von Rechtsislamisten bereits geschmiedet werden, im Namen eines neuen islamistischen Rechtsradikalismus.

Seine Aufgabe wird es außerdem sein, die rebellische moslemische Basis außer Gefecht zu setzen.

Auch innerhalb des Islamismus könnte sich eine plebejische kämpferische, sozialere, egalitärere Muqtada- oder Muqtada-ähnliche Linie und eine theokratische, offen prokapitalistische Rechte herausbilden. Deren Modell ist die iranische Regierung, die Musterzuhälterin des internationalen Kapitals. Eine innerislamische Polarisierung ist wünschenswert, denn dadurch würden die Fronten geklärt werden.

Die Fronten können sehr schnell gewechselt werden. Vom Widerstand zurück zur Kollaboration, von Reaktion und Kollaboration zurück zum Widerstand. Was die US-finanzierten Taliban in Afghanistan waren, das wurde durch den Einfall der US-Amerikaner zersprengt und findet sich jetzt im Widerstand gegen die Amerikaner zusammen. Die Volksmassen, die dort bis dato durch eine reaktionäre, populistische Macht gebunden waren und die der frauenverachtenden Diktatur folgten (die aber einem großen Teil der Bevölkerung, verglichen mit früher, eine größere Sicherheit brachte und von der die Opiumproduktion auf ein Minimum reduziert wurde), sind jetzt die Gehetzten und Gejagten und mutieren zu Widerstandskräften. Beides heißt “Taliban”. Am Beispiel der Taliban kann man einen, für Naive vielleicht verwirrenden, Bedeutungswechsel beobachten.

Wer garantiert andererseits, daß - es kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden - Al Qaida, jetzt im Widerstand, nicht einen neuerlichen Frontwechsel zurück vornehmen wird? Die Familie Bin Laden, die eng mit der Familie Bush, mit der US-Wirtschaft und mit der CIA verflochten war, ist nun zu einem Element eines (ideologisch einseitigen und reaktionären) Widerstands geworden, der gegen die Vereinigten Staaten gerichtet ist. Aber wer weiß, ob die rezente Entführung nicht eine kleine Probe war auf eine Neu- Entente zwischen westlichen Geheimdiensten und abgehalfterten Elementen aus dem islamistischen Bereich? Was aus dem CIA kommt, kehrt leicht wieder in seinen Schoß zurück. Davor sind CIA-finanzierte Djihad-Kräfte nicht gefeit. Wenn es sich um den Kampf gegen die Gottlosigkeit handelt, würden sie sich immer wieder mit dem Teufel verbünden.

Ebenso falsch wäre es aber, die reale militärische Bedeutung von Al-Qaida-Kämpfern im Irak verkennen und nicht anerkennen zu wollen. Wenn Peruzzi Al Qaida nicht dem “authentischen” irakischen Widerstand zurechnet, so vergißt er, daß, wie etwa in Le Monde außergewöhnlich gut beschrieben (53), sehr wohl “ausländische” Al-Qaida-Kämpfer in verschiedenen Regionen durch die entsprechenden Kontakt-Imame untergebracht und geschützt werden, und ihre Aufträge ausführen. Es wird auch für ihr Begräbnis gesorgt. Es sind harte, ideologisch und militärisch geschulte Glaubenskämpfer aus der Unter- wie Oberschicht, die eine bestimmte Quote des militärischen de-facto-Widerstands stellen.

Es könnte eine Zeit kommen, in der das Sigel “Al Qaida” härtesten Widerstand und “rechtesten” Verrat zugleich bedeutet - so ähnlich wie “der Schleier” im Iran (54) genau die entgegengesetzte Bedeutung hat wie in Italien. In Italien ist er ein Zeichen von Widerstand gegen den islamophoben Staat; im Iran ein Zeichen von blutiger Unterdrückung. Allein die Palette der Schiiten geht von den übelsten Verrätern, die sich am meisten anbiedern (und daher auch zur Verantwortung gezogen werden) bis zu Widerstandskämpfern, die ihr Letztes geben. Was heißt schon “Schia” im politischen Sinn? Politisch ist es ein Begriffspopanz. Zu warnen ist vor europäischen Linken, die uns allzuschnell auf eine dieser weltanschaulichen Richtungen einschwören wollen, weil sie es als ihre Aufgabe ansehen, uns einen Ersatz-Sozialismus anzudrehen (55).

Am allerdenkbarsten ist es, daß unter der bewährten Führung von Negroponte und Konsorten zahlreiche Kräfte des Widerstands oder zweifelhaften Widerstands durch Köderpolitik, Anfinanzierung, Diplomatie, Entsendung verdeckter Aufhusser und dergleichen so sehr durcheinander- und auch gegeneinandergewirbelt werden, unter anderem mit Hilfe von vorgetäuschten Entführungen und vorgetäuschten Widerstandsaktionen unterschiedlichster und kaum mehr zu erklärender Typologie, sodaß schließlich keine Fronten und keine eindeutigen politischen Linien mehr zu erkennen sind. Es könnte ein Strudel von wirrer Gewalt entstehen, bei dem kein Oben und Unten mehr auszumachen ist. Das große Lehrbeispiel dafür ist die politische Situation im Italien der Siebzigerjahre.

Dies wäre das Resultat einer äußerst gereiften Taktik des Schmutzigen Kriegs. Die Amerikaner werden sie ausführen, sie haben schon jetzt damit begonen, ihnen liegt geopolitisch und ressourcenmäßig viel an Mesopotamien, kulturell liegt ihnen nichts daran.

Auch wenn sich ein völlig unerwartetes Resultat herausstellen sollte: eine rein kriminelle Bande, die bloß für ihr Eigeninteresse gearbeitet hat, eine kriminelle Bande, die verdeckt gefördert und ermuntert wurde, eine von Allawi angeheuerte kriminelle Bande, eine halbkriminell gewordene islamistische Privatbande, eine vom CIA beauftragte Bande, ein aus arabisch sprechenden Tsahal-Kriegern bestehendes Spezialkommando, eine kuwaitische oder jordanische Aufstandsbekämpfungstruppe, ein gewisser Typus von versprengten, wildgewordenen Kräften des Widerstands, solchen, die “alles Ausländische” ablehnen und den Counterpart der Ideologie Huntingtons darstellen (solche Kräfte tauchen auch in der europäischen Solidaritätsbewegung auf!) (56), uninformierte Trotteln, ein perfektes private-public-Amalgam unter der Führung der erfahrensten westlichen Geheimdienste (auch des SISMI), ein Polizeimanöver zur Diskreditierung des Widerstands, eine unpolitische Initiative, an die sich pseudopolitische Großsprecher angehängt haben, ein Medienkrieg von US-Standorten her, eine aus unterschiedlichsten Elementen zusammengesetzte, geheimdienstlich durchgesteuerte Truppe, oder auch eine rein kommerzielle Aktion, die “zweitinstanzlich” verwendet wurde (die Dienste haben nur auf den Zeitpunkt gewartet!) - was auch das endgültige Resultat sein möge: Es war eine Counter-Aktion, deren Urheber vom irakischen Widerstand zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Und am bereits vorliegenden Material ist zu lernen, mit welchen Mechanismen die Mainstream-Berichterstattung, die Staats- und Geheimdienstpresse, die “Pressefreiheit” des SISMI die Geschehnisse reduzieren und vereinfachen, oberflächliche, selektive Daten für eine einseitige ideologische Interpretation und mithin politische Desinformation verwenden und hier, mitten in Europa, Krieg führen.



Abschluß


“Die Harmonieseligkeit, die parteienübergreifende Harmonieseligkeit ist so groß wie nie” bemerkte Pfeifer im Mittagsjournal des Österreichischen Rundfunks (57). Selten kommt man in die Lage, einem bezahlten österreichischen Journalisten beizupflichten. Ein Spektakel wird aufgezogen, dessen nationale Besoffenheit, an das volksgemeinschaftliche Glühen und die Empörung erinnert, die vor zwei Jahren anläßlich einer irakischen Aktion gegen italienische Carabinieri in Italien hergestellt wurde.... “Seit langer Zeit ist es nicht passiert, daß ganz Italien von einem Gefühl echter und spontaner Freude erfaßt wurde, von der das ganze Land, das Simona Pari und Simona Torretta und ihren Familienangehörigen in eine große Umarmung eingeschlossen hatte, vereint werden konnte.” Im Faschismus ist dies das letzte Mal passiert. So zu lesen in einem Kommentar von Stefano Folli auf der ersten Seite des Corriere della Sera (58). Aus Anlaß der Rückkehr war das Colosseum tagsüber hell erleuchtet, dazu auch der Sitz der Regierung der Provinz Rom (59).

Vater und Bruder von Simona Pari werden aus Rimini in einem Flugzeug des Ministerpräsidenten herangeflogen (60). Wäre Moreno Pasquinelli entführt worden - es ist fraglich, ob seiner Familie und seinen Freunden diese Ehre zuteil geworden wäre. Nun, man wird sehen, wieweit angesichts der Zirkus-Show die beiden Simonas ihre Antikriegspositionen permanent weiterhin vorbringen, wieweit sie die Entführung nicht nur für humanitäre, sondern auch für politische Ziele einsetzen. Daß eine der beiden bereits angekündigt hat, sie würde wieder in den Irak zurückkehren, das fand die Person, die den Vorspann der Nachrichten herunterplapperte, “unglaublich”. Na ja, von Leuten mit festen Posten hier in Österreich kann man ein Verständnis für so eine Geradheit auch nicht erwarten.

Daß jemand nämlich seine ganze Kraft für die Armen von Sadr-City aufwendet! Schlechthin unverständlich, ja “unglaublich”.

Für mich, der ich noch staunen kann, ist es schlichtweg “unglaublich”, daß solche Leute in der Öffentlichkeit unbeanstandet ihre Hausmeister-Meinung zum besten geben dürfen, dafür auch noch Reporter, Sprecher oder Journalisten genannt und von der Öffentlichkeit dafür bezahlt werden.

Auf dem Miliärflughafen Ciampino (was nichts mit Ciampi zu tun hat) fand sich sogar der italienische Faschistenführer Fini ein (61), und der Ministerpräsident, der mit Hilfe der Mafia an die Macht gekommen war, beglückwünschte die Gegnerinnen seines Systems noch, bevor sie aussteigen konnten, im Flugzeug (61) zu ihrer Rückkunft. “Regierungsmehrheit und Opposition waren gemeinsam” am Flughafen versammelt. “Denn diese Befreiung ist auch das Resultat der nationalen Einheit” erklärt der Corriere-Reporter Caccia, was auf deutsch Jagdbomber heißt.

An dem Glücksgefühl können etwa die drei Iraker, die am Donnerstagmorgen bei einem Luftangriff der Vereinigten Staaten in Falluja ermordet wurden (62), nicht teilhaben. Der Papst dankte in der Privatkappelle seines Landsitzes in Castelgandolfo Gott “für diese Geste der Menschlichkeit” (63), womit er sich etwas frevelhaft verhält, und Bertinotti macht einen schnellen Schwenk und spricht sich umgehend für einen Abzug der italienischen Truppen aus (64). Hoffentlich trägt sein Statement zur Polarisierung der politischen Kräfte in Kriegsgegner und (humanitäre) Kriegsduldner bei.

Alle übrigen Geiseln sollen nun freigelassen werden, wird von den Staatsmedien gefordert, und hätte eine echte aufständische Gruppe einen US-Folterer geschnappt, dann wäre dessen Freilassung an der Tagesordnung und er würde in der Presse wohl auch als “Helfer” bezeichnet werden. Für ihn würden wohl fünf Millionen Dollar gezahlt werden; für einen entführten Negroponte hundert. Im Namen der Nationalen Einheit... Die Frage der Urheberschaft wird nun ganz sekundär.

Auch Österreich beteiligt sich ein wenig an dem nationalen Einebnungs-Taumel, und zwar durch verstärkte Zensur. Der Standard hat darüber ganz vergessen, den Österreichern das mitzuteilen, was immerhin die Frankfurter Allgemeine und der Herald Tribune ihren Lesern nicht vorenthalten, daß nämlich die französische Regierung eine Konferenz unter Beteiligung des bewaffneten Widerstands gefordert hat. Da hat die österreichische Vorzensur offensichtlich Njet gesagt.

Das wäre ja noch schöner! Nennt der französische Außenminister nicht nur offen den Widerstand Widerstand, sondern lädt ihn auch noch zu einer Konferenz ein!

Deaf a denn des? Hat er bei der österreichischen Zensur nachgefragt?

Unsere Volksparteiregierung muß einen Schock erlitten haben! Da hat man ja gar nichts in der Hand gegen unsere radikale antimperialistische Opposition, die sich am End auch noch auf den französischen Außenminister Barnier berufen wird, wenn sie ihren islamistischen Kongreß hier aufziehen möcht. A jo, mia woan jo eh imma gegn die Franzosen, net?

Den Flug von Kuwait nach Italien legten die beiden Italienerinnen in einem F-16 zurück (61), (62), dem Bomber, dessen zentrale und schreckliche Bedeutung für die imperialistische Kriegsführung vor einer Reihe von Jahren in einer Reihe von manifesto-Artikeln auf die schärfste und anschaulichste Weise dargestellt wurde. Mit was für einer Selbverständlichkeit ist seither über den Einsatz der F-16, dieser Zentralmaschine des Welt-Genozid-Theaters, in diesem und jenem Land berichtet worden, als sei dieses todbringendste Instrument der NATO und der Amerikaner bloß eine Angelegenheit des technischen Sachverständnisses. Und mit sowas werden die beiden Simonas ins kriegsführende, taumelnde Italien zurückeskortiert. Ist es nicht eine größere Erniedrigung als die Geiselnahme? So werden die entpolitisierten Geiseln für den Taumel der nationalen Eintracht eingesetzt.




(37) An Appeal for the Release of the Italian and Iraqi Aid Workers Abducted in Baghdad,  http://www.occupationwatch.org/article.php?id=6686

(38) Vertice tra governo e opposizione, Radio Onda d´Urto, 8. 9. 2004

(39) Corrispondenze di Simona Torretta per Radio Onda Rossa dell'8 e 9 aprile 2004, durante l'assedio a Fallujah MP3 at 1.1 mebibyte

(40) Cosa faceva Un Ponte per ... in Baghdad? Interview mit Paola Gasparoli von Un Ponte per …, Radio Onda d´Urto, 8. 9. 2004
(41) Gino Strada: Noi pacifisti nell´inferno di Bagdad, il manifesto, 9. 9. 2004

(42) Comitato Nazionale per il ritiro dei militari dall´Iraq („Italienisches Aktionskomitee für den Rückzug der Soldaten aus dem Irak“), zitiert nach Giovanni Maria Bellu: Rete no-global sotto shock, „E strategia della tensione“, La Repubblica, 8. 9. 2004

(43) Comitati Iraq Libero, 8. 9. 2004

(44) Vittorio Feltri, Libero, 8. 9. 2004, zitiert nach indymedia Italia, 9. 9. 2004. Feltri ist das Sprachrohr des intransingentesten und extremistischsten Amerikanismus Italiens und der journalistische Exekutor der brutalsten Polizeihetze. Für Feltri, um seine Politik kurz zu charakterisieren, ist das Campo Antimperialista ein „Kongreß des internationalen Terrorismus“ (, Notiziario del campo antimperialista 5 agosto 2002)

(45) Fini: Mobilitiamoci contro il pacifismo, La Repubblica, 18. 9. 2004

(46) Casini: Non mi si parli di resistenza irachena, Quotidiano Nazionale, 7. 9. 2003


(47) Arabisches TV sendet Appell für Irak-Geiseln, APA, in: Tiroler Tageszeitung, 19. 9. 2004. Ulrich Ladurner nennt sie in der Zeit nur „die italienischen Helferinnen“, Der Raub der Europäerinnen, Die Zeit, 6, 16. 9. 2004. Ebenso NZZ, Spiegel und Hamburger Abendblatt. Der Ausdruck „Helferinnen“ scheint sich im deutschsprachigen Bereich nunmehr durchgesetzt zu haben. Wir haben hier also eine Skala von Begriffsmünzen, die gleichzeitig eine steigende beabsichtigte Entpolitisierung der Aktivitäten von Un Ponte per.. . widerspiegeln.

(48) Ein neues politisches Subjekt in Italien, das besonders von der institutionalisierten Linken propagiert und vereinnahmt wird, mit dem die „Zivilgesellschaft“ besonders liebevoll illustriert wird

(49) Radio Onda d´Urto, La giornata 3, 15. 9. 2004
Giulietto Chiesa ist Europarlamentarier, wurde auf der Liste “Di Pietro-Occhetto-Zivilgesellschaft” gewählt. Als vielfältiger Rechercheur und Autor bekannt. Früher Moskaukorrespondent der Unità. Autor unter anderem eines Buches über die Geiselnahme in Teheran.

(50) Goffredo de Marchis: Intervista di Bertinotti a Repubblica, La Repubblica, 9. 9. 2004

(51) Baghdad: rapiti due americani e un inglese, Corriere della Sera, 16. 9. 2004 Hervorhebungen von AuO.

(52) Die Hizbollah war es übrigens auch nicht, denn die libanesische Hizbollah hat sich in einem Kommuniqué gegen die Entführung gewandt: Cecilia Zecchinelli: L´appello di Hezbollah “Liberate le due italiane sono con noi islamici”, Corriere dela Sera, 10. 9. 2004 (Printausgabe)

(53) Vgl. Sophie Shihab: Des “martyrs” d´Al-Qaida renforcent les combattants irakiens, Le Monde, 18. 12. 2003, zitiert nach: Archives Irak, 1ère Partie,  http://www.interet-general.info/plan.php3

(54) Die rechten (und linken) Regierungen in Europa konspirieren mit dem rechten islamistischen Terorregime im Iran, und hetzen gegen den Islam. Aufgabe der Linken wäre es, gegen das iranische Terrorregime anzukämpfen, und sich für den Islam zu interessieren, sich für ihn einzusetzen und ihn vor der westlichen Hetze zu schützen.

(55) Damit hat übrigens schon Enrico Deaglio in Lotta Continua begonnen, als er uns das damals neue iranische Regime schmackhaft zu machen versuchte.

(56) Das sind Leute, die die Teilnahme von progressiven Kräften aus den Vereinigten Staaten an einer internationalen Veranstaltung ablehnen, nur weil sie aus den Vereinigten Staaten sind.

(57) Mittagsjournal, Ö1, 29. 9. 2004

(58) Stefano Folli: La gioia, la memoria, Corriere della Sera, 29. 9. 2004, S. 1

(59) Il Colosseo illuminato, Corriere della Sera, 29. 9. 2004, S. 13

(60) Sono tornate: “Grazie a tutti, stiamo bene”, Corriere della Sera, 28. 9. 2004

(61) Fabrizio Caccia (sic!): Due grandi sorrisi: “Stiamo bene”, Corriere della Sera, 29. 9. 2004, S. 3

(62) Falluja: Drei Tote bei Luftangriff auf Zarkawi-Gruppe, Standard, 30. 9. 2004

(63) Volontarie liberate, la gioia del papa, La Repubblica, 28. 9. 2004

(64) “Jetzt ist das Problem, wie man den Krieg beenden kann. Ein jedes Menschenleben hat den gleichen Wert, es stellt sich unmittelbar die Forderung nach einem Rückzug der Truppen als Beitrag zum Frieden.” Ciampi: “Che gioia, ora liberate tutti gli altri.” Corriere della Sera, 28. 9. 2004
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Ergänzungen

F-16 ???

Scientist 07.10.2004 - 19:28
Den Flug von Kuwait nach Italien legten die beiden Italienerinnen in einem F-16 zurück (61), (62) ...

Das kann nicht sein:

in (61) schreibt Fabrizio Caccia zwar was von einem Falcon, die Bezeichnung F-16 kommt aber (zu Recht) nicht vor (viel Spass beim Suchen; kleiner Tip: Corriere Archiv funzt nur mit MSIE grrrr)
in (62) geht es wohl mehr um einen Luftangriff mit F-16 auf Falluja und weniger um die Simonas im F-16.

Wie man hier
 http://www.fas.org/man/dod-101/sys/ac/f-16.htm
erfährt, ist der F-16 ein je nach Konfiguration ein- bis zweisitziges Kampfflugzeug mit einer Reichweite von weniger als 4'000 km. Damit die BEIDEN Simonas in EINEM F-16 zurückfliegen konnten muss also mindestens eine der beiden eine Ausbildung zur Kampfpilotin durchgemacht haben und ohne Luftbetankung dürfte das eng gewesen sein mit der Rückflugdistanz.
Ausserdem - hat Italien überhaupt F-16 in Irak ? (In Italien wohl schon).

Gemeint war wohl dieses Flugzeug hier:
 http://www.fsjets.com/98/Dassault/dassault%20falcon%20900.htm

Gegeninformationsoffensive oder Falschinformationsoffensive ?