Gegen Hohmann und das eklige Dorf (Neuhof)

g8mai 07.10.2004 12:22
bericht und nachträgliche reflektion zur kundgebung gegen martin hohmann in neuhof
erstveröffentlichung für startseite
Liebe zu totem Holz, Hass auf lebende Juden -

Über das "eklige Dorf" im Allgemeinen und Besonderen

1. Dorf

Dörfer - wer kennt sie nicht, diese kleinen, aus der ferne harmlos wirkenden ansammlungen von 30-300 häusern, zwischen denen eine bäckerei, eine metzgerei, eine tankstelle und ein onkel-emma-laden angesiedelt wurde. So dahingetupft in eine idyllische landschaft erscheinen sie der flüchtigen betrachterin als ideale orte des der harmonie, der erholung, des rückzugs und des ungetrübten wassers. Wie stets trügt der schein.
Bei näherem hinschauen stellt sich die erkenntnis ein, dass ein öder haufen dem nächsten gleicht wie ein hühnerei dem anderen. Überall stehen die selben zweistöckigen einfamilienhäuser mit terrasse und vorgarten, fein säuberlich durch einen zaun vom nächsten grundstück abgetrennt, in deren fenster infantile "kunstwerke" hängen und an deren eingangstüren die namen müllermeierschmitt zu lesen sind. Die dort einquartierte jugend, die dorfjugend, unterscheidet sich ebensowenig voneinander: mofa, bluejeans, hardrock (seit kurzem: deutschrap), hässliche frisuren lauten die hegemonialen koordinaten. Das pseudoaufmüpfige jungbauerntum, welches sich am wochenende in übermäßigem alkoholkonsum ergeht, stellt den lediglich generationsbedingten gegenpart zu den spießigen erwachsenen dar. Letztere gehen monoton tagein tagaus ihrer arbeit bei der steuerberatung oder in der im einzigen industriegebiet des ortes angesiedelten kerzenfabrik nach, sind seit 30 jahren mit dem selben partner verheiratet und würden nie in der öffentlichkeit schlecht über die nachbarn reden (hinter vorgehaltener hand dafür umso mehr).

Was lustig klingen mag oder als letzten endes harmloses, getrost zu
ignorierende ästhetische verbrechen in leider nicht unbeträchtlichem
geographischem ausmaße abgetan werden könnte, ist es trotz - und wegen - der treudoof-unpolitischen oberfläche nicht. Es handelt sich um das nahezu
bruchlose weiterbestehen von bedingungen, die auschwitz ermöglicht haben:
Konstitutiv für die rurale szenerie ist die herausbildung einer
dorfgemeinschaft, bestehend aus heterosexuellen weißen männern (auch frauen,denen allerdings meist ein platz an der seite eines mannes zugewiesen wird),die in der regel auf dem abstammungsprinzip beruht und hierarchisch gestaffelt ist. Neben ökonomischen faktoren bestimmt sich die rangordnung über die lautstärke der stimme und die größe der faust, mit der auf den hölzernen küchentisch zu hauen früh eingeübt wird. Die dominanz der lokalplatzhirsche und stammtischreiter stellt sich als strukturelle dar, die zwar ständig durch vielerlei praxen reproduziert, jedoch nur in ausnahmefällen mittels direktem physischem zwang bis hin zu folter und mord durchgesetzt werden muss. Vielmehr kommt ihr eine selbstverständlichkeit zu,die eine offene artikulation weitgehend überflüssig macht, was die brutalität der zustände kaum mildert. Menschen mit "abweichendem" sexuellen begehren oder nicht kohärenter "geschlechtsidentität", intellektuelle,migrantInnen, obdachlose, linke wissen um die hegemonie des ressentiments,verringern ihre öffentliche sichtbarkeit daher so weit als möglich oder ziehen in die großstadt, wo sie sich zumindest in die jeweilige szene einklinken können. Die scheinbare gemütlichkeit des landlebens beruht also auf dem ausschluss des "anderen", nicht-identischen, der in letzter konsequenz immer die juden anvisiert. In ihnen sieht die/der ländliche mittelstandsdeutsche projektiv sämtliche verhassten eigenschaften vereint:
kosmopolitische freizügigkeit und ausbruch aus dem begrenzten wirkungsraum, sexuelle ausschweifung und reichtum ohne arbeit, übertreten der althergebrachten ordnung und rationale verfolgung eigener interessen ohne verzicht für die gemeinschaft, kurzum: glück in größtmöglicher anhäufung. Aufgrund der vor 60 jahren begangenen untaten kommen juden den ländlern jedoch äußerst selten zu gesicht. Wenn ihr regressiver einfaltspinselzorn dann und wann einmal ausbricht, etwa anlässlich von alkoholseligem
schützenfest oder fussballspiel, findet er im normalfall genügend andere
objekte, an denen abzureagieren sich lohnt. Zu nennen sind sogenannte
zugezogene, nicht im dorf verwurzelte, die oft auch nach 20 jahren noch
nicht den nötigen stallgeruch aufweisen können; die aus der ex-udssr
eingewanderten "aussiedler", die unter dem verdacht der mafiabetätigung
stehen; oder natürlich richtige fremde wie "neger" und "asylanten", deren
oftmals geballtes vorkommen in form von heimen die günstige gelegenheit
gibt, die im schulsport erworbenen wurfkenntnisse auszunutzen und kleine
freudenfeuer zu veranstalten.

2. Hohmann

Ähnliche vorgänge sind aus dem örtchen neuhof bei fulda in osthessen in
deutschland zu vermelden, wo der katholizismus sein unbarmherziges regiment führt. Dort wurde von der lokalen cdu solange gegen einen türkischen metzger gehetzt, bis dessen laden mit hakenkreuzen beschmiert und verwüstet wurde und das geschäft schließen musste.

Teilhabe an der propaganda kann martin hohmann für sich reklamieren, der
lange jahre den posten des bürgermeisters ausfüllte und auch heute noch, als für seine antisemitischen phantasien bundesweit bekannter
bundestagsabgeordneter, nichts von seiner popularität in ort und region
eingebüßt hat. Bei einer abstimmung der fuldaer zeitung votierten 88% der
anruferInnen für den verbleib hohmanns in der cdu-fraktion. Die leute, die da unten, fühlen sich von dem gestandenen mann würdig repräsentiert:
autoritäre charaktere die sie sind fürchten sie sich davor ihre
angelegenheiten selbst in die hand zu nehmen, ebenso treibt sie die angst
vor allerlei ominösen sprechverboten und angeblichen tabus, die ihnen nicht recht einsichtig sein wollen. Deswegen laben sie sich an der direkten sprache, die "ihr martin" an ihrer statt findet, wenn es um das beherzte draufschlagen und den rundumschlag im karussell der ressentiments geht. Kein element des faschistoiden weltbildes lässt der ideelle gesamtneuhöfer aus,wenn er mal wieder ans rednerpult schreitet: seien es die homosexuellen, die für den bevölkerungsrückgang verantwortlich gemacht werden und dekadenz,zersetzende moderne in die provinz bringen, ja geradezu einschleppen. die frauen, die abtreiben und damit ebenso jeden tag das heißgeliebte volk dem tod durch aussterben einen schritt näher bringen. Die medien, die in ihrer profitlogik nur auf skandalmacherei aus sind und für einen schnellen euro
ein ganzes dorf zu unrecht in den dreck ziehen, quasi "mit der
antisemitismuskeule erschlagen." Die hinten ihnen stehenden strippenzieher, die aus durchsichtigem interesse (wer wüsste nicht was gemeint ist!?) eine hetzkampagne angeordnet haben. Die unfähigen schwätzer in den parlamenten, die eine "politikerverdrossenheit" erzeugen, weil sie das volk nicht gut regieren, ihm nicht ausreichend aufs maul schauen, egoistisch vor sich hin
materialisieren anstatt sich für die wählerInnen aufzuopfern. Nicht zu
vereinbart bereichern, anstelle ihre arbeitskraft bedingungslos zur
verfügung zu stellen, also die finanziellen ressourcen der deutschen mittels ihrer bekanntermaßen parasitären art aussaugen.
Wer am meisten saugt, dass weiß ein martin hohmann auch ganz gewiß: die
juden sind es, liegen sie den deutschen doch nun schon seit mehr als einem halben jahrhundert mit ihrem wehgeschrei in den ohren und ziehen daraus handfesten profit, während deutsche zwangsarbeiter noch immer nicht entschädigt wurden. Solche missstände können jedoch nicht behoben werden, solange das "jüdische volk" mit einem "übermaß an wahrheit" über die längst vergangenen vorfälle aufwartet, wo es als mindestens-ebenso-tätervolk doch kein recht dazu hätte. Die macht der juden und des auslands, die die deutschen zu unterprivilegierten parias im eigenen land macht, muss gebrochen werden, um wieder stolz auf das vaterland demonstrieren zu können.


3. Neuhof


Eine ansehnliche, hermetisch gegen jede erfahrung und rationalität
abgedichtete weltsicht hat sich hohmanneuhof da zusammengebastelt. Leicht
aufrechtzuhalten ist das gebilde, sucht man doch untereinander immer wieder bestätigung und rückt angesichts des feindseligen "medienspektakels" zusammen. Durch das enge beieinanderstehen soll, man kennt den prozess aus der physik, reibung und wärme entstehen, ein aggregatzustand den die rationalistische, bürgerlich-individualistische gesellschaft nicht bieten kann, was beständig allerlei rückwärts gewandte sehnsüchte hervorruft. Da die zusammenfindung zum volk von neuhof nur über den gemeinsamen feind hergestellt wird, gibt sie sich jedoch gerade darin als die größtmögliche menschliche kälte zu erkennen: die hohmänner verbindet nur das nicht(s), keine zuneigung, keine zärtlichkeit, kein gemeinsam beschlossenes projekt für das es sich zu leben lohnte ist ausfindig zu machen. allein das zufällige dahinvegetieren auf dem selben territorium und der hass auf andere, vermeintlich glücklich(er)e schweißt zusammen.

Wie weit der barbarische konsens gediehen ist zeigen nicht nur die
letztjährigen beschwerden der jüdischen gemeinde zu fulda, die sich beinahe völlig alleingelassen fühlte angesichts der wutschäumenden
pro-hohmann-meute. Auch schon bei kurzzeitigem flanieren durch den ort
schlägt einen die konterrevolution in permanenz ins auge:
überdurchschnittlich viele häuser flaggen die deutschlandfahne, auf autos
sind sprüche wie "stoppt tierversuche - nehmt kinderschänder" zu lesen und am gartenzaun hängen selbstgeschriebene pappschilder voll trauer und
empathie - für holzpfähle: "Zum gedenken an die vier pfosten die in den
letzten 20 jahren von lkw`s umgelegt wurden. Nur einer davon wurde bezahlt." Der am rande der hauptstraße platzierte stein mit der inschrift "3. oktober 1990" macht die abwesenheit jeglicher zeichen des gedenken an die opfer der deutschen vernichtungstaten noch bewusster.
Während der kundgebung gegen hohmanns rede am 03.10.04 schlägt den
protestierenden, die bis auf eine handvoll ausnahmen sämtlich aus frankfurt angereist sind, von seiten der fans des katholischen fundamentalisten feindseligkeit und hohn, letzterer gespeist aus der tatsache der numerischen überlegenheit, entgegen. Nachdem zunächst nur einzelne beleidigungen als "asoziale", "bettnässer" oder "juden" erklingen, gerät das blut der local heroes richtig in wallung, als ihre heimat in einem redebeitrag als "ekliges dorf" denunziert wird. Eine gruppe von jung- und altmännern kennt nun keine zurückhaltung mehr, sie drohen den "scheissern", sie sollten schon mal "ihre brillen abnehmen" um dann "das mikro zu fressen". Dass erst ab diesem punkt eine solch starke emotionale reaktion zu beobachten ist, zeigt, wie sehr sich die einzelnen mit dem zwangskollektiv in eins setzen: eine benennung ihrer umtriebe als antisemitische oder rassistische scheint ihnen nicht halb so schlimm wie die diffamierung ihres ortes, der gemeinschaft aus der sie den großteil
ihrer identität ziehen.Die von adorno angemahnte entbarbarisierung des platten landes, deren dringlichkeit er unter anderem mit der bäuerlichen herkunft vieler ss-männer zu belegen suchte, ist gescheitert, bevor sie überhaupt jemals in angriff genommen wurde. Unterstrichen wird diese aussage durch die gespräche mit den zwei oder drei versprengten einzelpersonen, die ihre ablehnung hohmanns in der region öffentlich kund taten. Der eindruck der klassenüber-greifenden einigkeit verstärkt sich noch: all ihre verwandten, bekannten, freundInnen seien der meinung, der bundestagsabgeordnete habe recht, erzählt eine junge frau. Die leute seien einfach dumm, durch die bank weg dumm, meint ein anderer, der aufgrund von kritischen leserbriefen drohanrufe bekam: "judenknecht" und "judensau" wurde ihm aus dem hörer entgegengeschleudert. Ehemalige bekannte grüßen ihn zum teil nicht mehr. Wenn er an den nationalsozialismus erinnert, wird sofort eingewandt: "Das war doch damals gar nicht so schlimm" oder "Ob`s das wirklich gegeben hat weiß man nicht". Wir allerdings wissen dass es neuhof gab und gibt, wenn uns auch der sinn,sozusagen das dörfliche existenzrecht, nicht ganz klar ist. Wir hoffen, die geschichte möge einmal einen gerechten lauf nehmen und dieses dorf, in welchem holz und tiere geliebt und zugleich juden und fremde gehasst werden, seinem verdienten ende zuführen. Da diese entscheidung nicht in unserer allzu bescheidenen macht liegt können wir nur auf höhere gewalten hoffen. Die oderflut sei der osthessischen provinz beispiel und warnung zugleich.

gruppe 8. mai

kontakt:  gruppe8mai@gmx.net
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Ergänzungen

Nicht nur Dörfer...

Bombenleger (just a nick) 07.10.2004 - 14:12
Die hier genannten Strukturen sind wunderbar treffend beschrieben, müssen aber nicht nur zwangsläufig auf Dörfer zutreffen. Auch in kleineren Städten wie meiner Heimatstadt (55 000 Einwohner) sind solche Strukturen in einem gewissen Maß zu "bewundern".

!

nicht drin 07.10.2004 - 18:12
der text kommt übrigens aus frankfurt, nicht von einer der anderen gruppe 8. mai`s (hamburg, pforzheim ....)

typisch linke Vergangenheitsbewältigung

hamburger 08.10.2004 - 11:28
Die hier genannten Strukturen gibts übrigens nicht nur in Dörfern sondern auch in der Linken z.B. "Die dominanz der lokalplatzhirsche und stammtischreiter" ist bestens bekannt!

Die biedermaier Urbanität der Metropolen und der möchternehippepopkulturlifestyle in Szenevierteln ist im übrigen genauso schlimm wie ein Leben im Dorf.

Blödmänner sind Blödmänner überall!
Jeder findet seinen Dorfkrug!

Konstruktion von Kollektivität

Anti-Kollektiva 08.10.2004 - 12:38
Die Beschreibung von dominanten Strukturen in einem Dorf - o.k. Aber die Konstruktion zum "das Dorf" - Widerspruch. Genau die ständige Konstruktion indentitärer Kollektive schafft diese ja erst. Und sie wiederum ist eine (nicht "die" - das gibt es nur in den verkürzten Analysen, die allerdings überall dominieren) Voraussetzung für Diskriminierung, also auch für Rassismus oder Antisemitismus. Insofern sind die KonstrukteurInnen von "das" Dorf gedankliche WegbereiterInnen solcher Diskriminierungsformen und nicht deren GegnerInnen.
Treffender wäre die Dekonstruktion - "das" Neuhof ist nicht deutschnational, weil da etliche D-Fahnen hängen. Sondern es gibt dominante Diskurse usw. in verschiedenen Gesellschaftsformationen. Es ist ja auch nicht die Innenstadt einer Großstadt Coca-Cola, obwohl das Emblem da sicherlich so oft zu sehen ist wie D-Fahnen in Neuhof.

Emanzipatorische Politik muss mE Kollektivitäten zerlegen statt selbst noch aufbauen. Hieße im konkreten Fall: Die dominanten Tendenzen in Neuhof und überall attackieren, aber gerade die Differenz einfordern und stützen statt so tun, als ginge es gar nicht anders und damit Leute noch auf das Kollektiv zu drängen.

So, wie die platt-identitätssüchtigen Antifas im anderen gerade berühmten Dorf Hessens: Kirtorf. Am Anfang waren die Antifas der Meinung, dass dort alles Nazis und Nazifreunde sind. Ein Kartoffelacker sollte drauf gemacht werden (eliminatorische Gelüste ...). Dann gab es einen klassischen Aufstand der Anständigen - und viele der poser-pöbelnden Antifas machen jetzt gemeinsame Sache mit den Unser-Dorf-soll-sauber-bleiben-Heimatschützern bis hin zu Verfassungsschutz, die jetzt Kirtort retten wollen vor einem schlechten Image.

Beides war falsch. Aber beides ist typisch für die platten Analysen von Gesellschaft, die in Gut und böse teilt, weil eigentlich eine Sache religiösen Denkens ist.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Dorf — Depp

Das war ein... — ...sehr guter und vor allem wahrer Artikel

dörfer auschwitz — zweifler

BlaBlaBla — Dorfdepp

wie wahr... — antifa

gng — gng

dorfstadt — stadtdorf

das kapital, verdammt noch mal... — mäckie mässer

lustiger artikel — ex-dörfler

Maxe Brym Undercover — BRD-Grrr!

mehr analyse - weniger moral — lesender arbeiter