Frühsport im Göttinger A-Amt

fit for fun 22.09.2004 02:57 Themen: Soziale Kämpfe
Am 21.09 war es soweit: Der Frühsport im Göttinger A-Amt fand statt.
Etwa 50 Leute kamen, um sich daran zu beteiligen. Schade, dass es nicht mehr wurden trotz der vielfältigen Mobilisierung. Das hätte den Handlungsspielraum doch noch mehr erweitert. Aber auch so war der Spaßfaktor für uns und der Ärgerfaktor für sie sehr hoch.
Wider Erwarten kamen wir völlig problemlos in das A-Amt rein. Die Masse an Ordnungshütern hielt sich unsichtbar im Hintergrund. Die Zivis wirkten verschüchtert, wohl wegen der angekündigten Sportart „find deinen Zivi“. Und auch die A-Amt MitarbeiterInnen hielten sich äußerst dezent zurück. Offenbar wollen sie unter allen Umständen negative Schlagzeilen vermeiden, obwohl der Frühsport als recht offensive Aktion angekündigt war.
Das war eine Erfahrung, die wir schon bei unserem Frühstück im A-Amt (  http://de.indymedia.org/2004/03/76156.shtml ) und Sozialamt
(  http://de.indymedia.org/2004/05/82817.shtml ) gemacht hatten. Vielleicht fürchten sie ja, dass jegliche Art von Eskalation zu einer Initialzündung werden könnte.
Nun zu unseren kreativen Sportarten:
Es gab eine 1-Euro-Cheerleading-Gruppe, die durchs ganze A-Amt, bis hoch in den sechsten Stock, puschelte und trommelte. Außerdem gab es noch folgenden Sprechgesang:

Wir sind die 1-Euro-Job-Kolonne
Arbeit ist für uns `ne Wonne
1 Euro ist doch reichlich Lohn
Tarifentgelt wer will das schon

Liebe Leute kommt und seht,
wie das Putzen für ein Euro geht
wer Arbeit will der putze mit
das verbessert unsern Schnitt

Wir wollen wirklich alles geben
Arbeit ist das ganze Leben
Hin und her und her und hin
Da ist doch Musike drin

Die Letzte Frage ist nun nur
Wo bleibt denn die Müllabfuhr
Oder habt ihr ne Idee
Ja- den Müll zur SPD! (individuell auch PSA, CDU, NPD oder Arbeitsamt…)

Dann gab es noch Hürdenlaufen, Jonglieren mit der Paragraphenkeule, sich durch die Anträge boxen und Dosenwerfen. Das Dosenwerfen war wirklich sehr, sehr laut und im ganzen Amt zu hören. Aber auch die „Toleranz“ der A-AmtsmitarbeiterInnen hatte ihre Grenzen. Nachdem der Lederfußball ausgepackt wurde und schon einige Tore geschossen wurden, war Schluss mit lustig. Uns wurde mehrfach und eindringlich nahe gelegt, das Fußballspielen einzustellen. Was wir natürlich auch befolgten und zum Handball übergingen. Aber offenbar hatten sie eine Lederballphobie, denn das gefiel ihnen auch nicht.
Der Frühsport bot natürlich jede Menge an Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen. So gab es auch einen Wettbewerb: „bring deinen Aufkleber unbemerkt irgendwo an“. Leider gab es von solchen Eigeninitiativen zu wenig, dabei wäre viel mehr drin gewesen.
Natürlich gingen wir mit der Parole: Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage. Aber die Aufforderung der A-Amtsleiterin aus Göttingen werden wir schon auch beherzigen: „Warum geht ihr denn nicht zum Landkreis“. (Die Stadt und der Landkreis Göttingen haben einen Antrag auf das Optionsmodell gestellt.)
Anschließend gab es noch eine Spontandemo in die Innenstadt mit einem Abstecher zum Grünen Parteibüro. Trotz vehementen Klingelns und Klopfens öffneten sie uns nicht die Tür. Dabei wollten wir uns doch nur für ihre Beteiligung an der Flüchtlings-, Kriegs- und Sozialpolitik bedanken.
Alles in allem ein lustiger Vormittag. Die Aktionsform verlangt nach einem remake. Was wäre nahe liegender, als das ganze auch bei den Krankenkassen zu machen oder bei …?
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Ergänzungen

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muss ausgefüllt werden 22.09.2004 - 03:15
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Frühsport im Arbeitsamt

Fast schon wieder vergessen: im April verkündeten die Schlagzeilen „Arbeitslose sollen künftig regelmäßig an Sportprogrammen teilnehmen!“. Durch den Sport sollen Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen verbessert werden. Disziplinierung also der renitenten Arbeitslosen, die ja gar nicht arbeiten wollen. Inzwischen kräht kein Hahn mehr danach. Angesichts der sich überschlagenden Neuigkeiten über Hartz IV ist die Schlagzeile von gestern heute keine Aufregung mehr wert. Ob die im April angekündigte „konzertierte Aktion“ von Arbeitsagenturen, Krankenkassen, Sportverbänden, Bildungsträgern und Kommunen noch kommen wird? Wer weiß, niemand redet mehr darüber.

Das ganze hat System. Wenn wir uns über Nachrichten aufregen, die morgen schon wieder vergessen oder doch ganz anders sind, was soll dann irgend eine Art von Protest bringen? Die Januar-Zahlung wird nun doch ausgezahlt, der Kinderfreibetrag erhöht, Ausbildungsversicherungen müssen doch nicht verkauft werden und, und, und. Was noch alles geändert wird, steht in den Sternen. Aber bis es soweit ist, blickt endgültig niemand mehr durch und alle haben resigniert. Die Lebensversicherung ist kaum noch eine Meldung wert und die 1-Euro-Zwangsjobs finden inzwischen alle Wohlfahrtsverbände ein Super-Schnäppchen.

Das alles sind Versuchsballons - mal sehen, wie weit sie gehen können, ohne dass Massenproteste ausbrechen. Wenn es soweit ist, wird diskutiert, vielleicht zurückgerudert und ganz vielleicht geändert. Mehr und mehr richten sich die Proteste nur noch gegen einzelne Bestandteile von Hartz IV. Die ganze andere Scheiße geht dabei völlig unter.

Ob Hartz I-IV, ob Gesundheits-, Renten- oder Sozialhilfereform, was hier versucht wird durchzusetzen, ist eine weitgehende Entrechtung aller Menschen, die sich nicht mehr über Arbeit, genauer: Lohnarbeit, definieren können, aller Menschen, die für den kapitalistischen Verwertungsprozess nicht mehr gebraucht werden, die unnütz sind - überflüssig. Die Umverteilung von unten nach oben soll uns als persönliches Risiko verkauft und auf die Einzelnen abgewälzt werden. Jede/r ist selber schuld! Wir alle sollen uns gegenseitig fertig machen, statt gemeinsam dagegen zu kämpfen. Das schlimme ist, es funktioniert. Arbeitslose schimpfen auf SozialhilfeempfängerInnen, Angestellte und ArbeiterInnen regen sich über MigrantInnen und Flüchtlinge auf, RentnerInnen über StudentInnen oder umgekehrt usw. Statt gemeinsam zu kämpfen, versuchen alle, ihre Schäflein ins Trockene zu bringen.

Gleichzeitig - und das ist die andere Seite der Medaille -ist durch die Agenda 2010, also die bisher umgesetzten Reformen, die Wirtschaft bereits um etliche Milliarden entlastet worden. Allein durch die Gesundheitsreform, d.h. die Verlagerung der Kosten auf uns einzelne, haben die Arbeitgeber durch die Verringerung der Sozialbeiträge etwa 7 Mrd. Euro gespart. Der Anteil an den Sozialbeiträgen verschiebt sich weiter zu Lasten der Arbeitnehmer. Rechnen doch alle damit, dass durch die Verringerung von ALG 1 auf 12 Monate der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auch abgesenkt werden wird, natürlich nur für die Arbeitgeber. Dabei haben die Unternehmen schon in den Vorjahren seit 2001 etliche Milliarden gespart durch Steuererleichterungen der rot-grünen Bundesregierung - pro Jahr über 30 Milliarden.

Und das reicht den Unternehmen aber noch lange nicht. Der „Arbeitskampf“ tobt in voller Härte. Daimler-Chrysler war der Anfang. Die Diskussion um die 50-Stunden-Woche ist in vollem Gange. Der Süßwarenhersteller Nappo in Süddeutschland hat gerade die 60 Stunden-Woche für die 150 Mitarbeiter angeordnet - für drei Monate ohne Lohnausgleich. Zuschläge für Überstunden und Sonderzahlungen sind schon gestrichen worden und das Weihnachtsgeld halbiert. Peter Hartz legt jetzt bei VW den 7-Punkt-Plan vor: Senkung der „Arbeitskosten“ um 30 Prozent. Überall werden mehr und mehr Feiertage und Urlaubstage gestrichen. Arbeitszeiten und Kündigungsschutz, alles steht auf der Kippe, und wer sich auf die Gewerkschaften verlässt, hat schon verloren. Der Druck auf die Noch-Arbeitenden wächst enorm, nicht zuletzt durch die Angst vor dem Armutsgeld II. Noch nie war der Krankenstand in den Betrieben so niedrig wie heute, die Bereitschaft, alles für einen Arbeitsplatz zu tun aus Angst, arbeitslos zu werden, noch nie so hoch.

Unsere Bereitschaft ist auch so hoch wie nie - aber es ist die Bereitschaft sich zu wehren, sich nicht alles gefallen zu lassen. Die Bereitschaft für ein besseres Leben zu kämpfen. Wir wollen nicht die Krümel einer Armenspeisung - wir wollen den ganzen Supermarkt.

Die Arbeitsmarktexperten wollen, dass wir Sport machen! Okay! Aber die Sportarten und den Ort bestimmen wir! Wir machen Frühsport im Arbeitsamt - und zwar am 21. September, 10:00 Uhr!

Die SachbearbeiterInnen in den Ämtern werden gerade in Selbstverteidigung vom Schreibtisch aus angelernt, aus Angst vor zunehmenden Aggressionen der „KundInnen“. Und wer unterrichtet uns in einer für uns angemessenen Selbstverteidigung? Wie sollen wir lernen, uns unsere Würde und unsere Rechte nicht nehmen zu lassen, sondern im Gegenteil für mehr Rechte zu kämpfen?
Die Arbeitsmarktexperten sagen, „wer Sport treibt, denkt nicht an andere Dinge“. Wir schon! Wir denken an ein besseres Leben ohne Ausbeutung! Und wir kämpfen auch dafür!

Beim Ausdenken von Sportarten sind wir kreativ: lasst euch überraschen!


Dienstag, 21. September
10.00 Uhr
Frühsport im Arbeitsamt

Wir vergessen nichts! Wir resignieren nicht! Wir sind wütend!
Wir protestieren nicht gegen einzelne Bestandteile von Hartz, sondern gegen dieses ganze Scheiß-System!

Im Ernst?

ochnö 22.09.2004 - 06:08
Euer Bericht kling streckenweise so, als ob Ihr tatsächlich meint, der Staat und seine Angestellten hätten Angst vor Euch gehabt. 'Zivis wirkten verschüchtert' etc. pp.

Was soll das, das ist doch Selbstbetrug. Braucht Ihr das wirklich, um Eure Aktion zu rechtfertigen?

Euer Bericht jetz auch in "arbeit-zukunft.de"

Niels 26.09.2004 - 21:38
schaut mal in www.arbeit-zukunft.de. Wir finden Eure aktion gut und haben sie verlinkt!

Gruß niels

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Gelunge Aktion, gelunger Bericht. Mehr davon! — Direct Action gets the goods

@ochnö — irgendwerebend