Versammlungsausschluß von Nazis - HowTo

Maik Tomson 14.09.2004 19:33 Themen: Antifa Repression Soziale Kämpfe
Immer wieder lassen sich VersammlungsleiterInnen, vor allem auf den Montagsdemos, von der Polizei anlügen: die Nazis dürften nicht ausgeschlossen werden.
Meist ist das aber böser Wille, politisches Kalkül oder Unwissen der betreffenden Beamten. Die rechtliche Lage sieht durchaus vor, Nazis aus den Demos zu werfen.
(sorry für die fehlenden Umlaute (Zeitdruck), demnächst folgt hier in den Ergänzungen eine besser formatierte Version des Textes)

Seitdem sich Protest gegen das Hartz-IV-Paket organisiert, nehmen an den Demonstrationen auch (Neo-)Nazis teil. Sie versuchen sich damit als alternative zu den etablierten Parteien darzustellen und formulieren ihren Standpunkt ganz in der Tradition einer nationalsozialistischen Kapitalismuskritik. Sie setzen die Volksgemeinschaft gegen das angeblich j?dische Kapital, sie sch?ren die ?ngste vor der Konkurrenz ausl?ndischer Arbeitskr?fte, sie setzen auf nationale, autarke Wirtschaftsr?ume gegen die ?Globalisierung? der Wirtschaftsbeziehungen.
Vielerorts treffen sie damit durchaus unter den Protestierenden auf Zustimmung und auf so mancher ?Montagsdemonstration? konnte sowohl die Parole ?Wir sind das Volk? als auch ?Ausl?nder raus? ohne Widerspruch skandiert werden. Andernorts wird jedoch erkannt, dass mit (Neo-)Nazis keine Politik der sozialen Gerechtigkeit durchzusetzen ist und Veranstalter und Demonstrationsteilnehmer versuchen, diese von ihren Demonstrationen auszugrenzen. Sie setzen sich damit einem gewissen Risiko aus, da von den (Neo-)Nazis sehr genau beobachtet und registriert wird, wer sich ihrer Propaganda in den Weg stellt. Doch von der Polizei k?nnen sie meist keine Unterst?tzung erwarten, vielmehr setzt diese teils mit Gewalt die Teilnahme der (Neo-)Nazis durch.
Die Problematik ist nicht neu. Auch bei den Massendemonstrationen gegen den Krieg gegen das Baath-Regime im Irak kam es zu Auseinandersetzungen um die Teilnahme von Neonazis, die an den Antiamerikanismus vieler Demonstranten anzukn?pfen versuchten. Auch hier wurden diese teils begr??t, teils geduldet und manches Mal wurde versucht, die Teilnahme der Nazis zu verhindern. Abgesehen von der Frage, wie die inhaltliche Abgrenzung von antisemitischer und rassistischer Propaganda gelingen will, stellt sich die Frage, welche rechtlichen M?glichkeiten es gibt, Gruppierungen auszuschlie?en, von denen sich der Veranstalter und/oder die Mehrheit der Versammlung distanziert.

Bei Versammlungen unter freien Himmel kann anders als bei Versammlungen in geschlossenen R?umen (? 11 I VersG) der Versammlungsleiter Teilnehmer nicht aufgrund eigener Organisationshoheit ausschlie?en. Vielmehr steht dieses Recht der Polizei zu, die nach ? 18 III VersG Teilnehmer ausschlie?en kann, die die Versammlung gr?blich st?ren. Dabei stellt sich die Polizei meist auf den Standpunkt, dass eine solche St?rung nur dann vorliegt, wenn die unerw?nschten Teilnehmer den ?u?eren Ablauf der Versammlung behindern. Diese Auffassung ist gepr?gt von Vorstellungen des allgemeinen Polizeirechts und setzt die St?rung der Versammlung mit der St?rung der ?ffentlichen Sicherheit gleich.
Eine solche Auslegung steht jedoch im Widerspruch zu dem Recht auf Versammlungsfreiheit. Diese soll sicherstellen, eine Versammlung eines bestimmten Inhalts durchf?hren zu k?nnen. Konterkarieren Gruppierungen diesen Inhalt, so liegt eine Zweckst?rung vor. Die Beurteilung, ob nun eine solche Zweckst?rung vorliegt, obliegt bei Versammlungen unter freien Himmel nach ? 18 III VersG der Polizei. Da jedoch die Bestimmung des Zwecks, d.h. des Inhalts der Versammlung dem Veranstalter und im vom Veranstalter vorab durch Aufrufe etc. vorgegebenen Rahmen der ?sich selbst ordnenden Versammlung? vorbehalten ist (vgl. Lisken/Denninger-Kniesel Kap. H Rn. 256 ff) und ein staatlicher Eingriff in den Inhalt der Meinungskundgabe in eklatanter Weise gegen die durch das GG garantierte Meinungsfreiheit verstie?e, ist es jedoch schwerlich vorstellbar, dass die Polizei zu einer vom Veranstalter abweichenden Beurteilung gelangen darf.
Die Situation, dass die Polizei die Teilnahme eine Gruppe Neonazis mit unmittelbaren Zwang durchsetzt, d.h. sie in eine Versammlung hineinpr?gelt, die und deren Versammlungsleiter sich eindeutig gegen die Teilnahme von Neonazis ausgesprochen hat, ist unertr?glich. Sie zeugt von einem schwachen Verst?ndnis f?r die Bedeutung von Versammlungen im demokratischen Prozess. Eine Versammlung ist zwar gekennzeichnet von einer ?ffentlichkeit in dem Sinne, dass sie nicht von vorhinein einem begrenzten Teilnehmerkreis zug?nglich ist, sie ist aber nicht Allgemeinheit, sondern Instrument einer politischen Str?mung, mitunter auch eines B?ndnisses verschiedener Str?mungen, die ein berechtigtes Bed?rfnis nach Abgrenzung von anderen politischen Str?mungen haben kann. Andernfalls w?rde der Versammlungsfreiheit als ein Minderheitenrecht nicht Rechnung getragen, da jede vom Mainstream abweichende Versammlung eingeebnet werden k?nnte. Die politischen Abgrenzungen festzulegen, kann nicht Aufgabe der Polizei sein. Hier hat der Grundsatz der Staatsferne demokratischer Prozesse zu gelten. Fraglich ist, ob in diesen F?llen ?berhaupt von einer ?inneren Verbindung? (BVerfGE 82, 34/38) der ?brigen Versammlungsteilnehmer mit den Neonazis gesprochen kann. Allein dadurch, dass eine Forderung wie die R?cknahme des Hartz-IV-Pakets geteilt wird, das dahinter stehende Weltbild jedoch kontr?r ist, d?rfte dies nicht der Fall sein. So wie aber eine Ansammlung von Personen, denen es an dem Willen zur gemeinsamen Meinungskundgabe fehlt, keine Versammlung ist, so k?nnen Personen, mit denen die Versammlung nicht gemeinsam eine Meinung kundgeben will, sich nicht auf ein Recht auf Teilnahme an der Versammlung berufen. Diese bilden allenfalls eine eigene Versammlung. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, wie konkret die Neonazis ihr Weltbild ausformulieren, es d?rfte gen?gen, dass sie als Tr?ger dieses Weltbildes bekannt sind, um den Dissens, der eine gemeinsame Meinungskundgabe f?r die ?brigen Teilnehmer unm?glich macht, zum Tragen zu bringen. Die Frage, mit wem ich demonstriere, ist letztlich nicht von der Frage, mit welchem Inhalt ich demonstriere, zu trennen. Taktisch gehen die (Neo-)Nazis meist so vor, dass sie zun?chst ohne eigene Transparente und eher zur?ckhaltend die Reaktion auf ihre Anwesenheit austesten, um bei n?chster Gelegenheit mit Transparenten wie ?F?r einen nationalen Sozialismus? aufzuwarten.

Dieser Konflikt ist wie oben ausgef?hrt kein Einzelfall, sondern wird mit jeder sozialen Protestbewegung, deren Inhalt nicht in erster Linie ein antifaschistischer ist, wiederkehren. Denn (Neo-)Nazis suchen den Schulterschluss mit den Massen. Trotzdem droht sich die Rechtsauffassung der Polizei, dass die Teilnahme von (Neo-)Nazis durchzusetzen ist, solange diese den ?u?eren Ablauf der Versammlung nicht st?ren, aufgrund der normativen Macht des Faktischen noch l?nger bestand zu haben. Die meisten Veranstalter sind nicht in der Lage, gegen derartiges, sich in Realakten und m?ndlichen Verwaltungsakten vollziehendes polizeiliches Handeln effektiv Rechtsschutz zu erlangen. Neben den prozessualen H?rden des vorbeugenden Rechtsschutzes bzw. des Feststellungsbegehrens nach Erledigung ist die exakte Dokumentation der Ereignisse schwierig. Auch sind die Veranstalter meist ad-hoc-B?ndnisse, die organisatorisch kaum in der Lage sind, ?ber die lange Prozessdauer im Hauptsacheverfahren hinweg eine Grundsatzentscheidung herbeizuf?hren. Schlie?lich scheuen einige den Konflikt auch die inhaltliche Auseinandersetzung - mit (Neo-)Nazis und Staatsmacht. Sie verlegen sich deshalb auf die Argumentation, eine solche Auseinandersetzung w?rde die (Neo-)Nazis ?berbewerten. Es ist also zu bef?rchten, dass sich die Teilnahme von (Neo-)Nazis auf Protestveranstaltungen aller Art etabliert und diese so ihrem Ziel, sich als normale politische Kraft zu pr?sentieren, n?her kommen werden.
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Ergänzungen

Realitätsfremd

kein name 14.09.2004 - 22:09
Deine Mühen einen Text zu verfassen in allen Ehren, aber die Realität sieht doch etwas anders aus.

1. Die Polizei muss gar nichts. Sie kann aus taktischen Gründen und um deeskalierend zu wirken, von Maßnahmen gegen die Nazis absehen. Das macht sie z.T. auch bei Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche. Sitzblockaden sind theoretisch auch rechtswidrig.

2. Wer vertritt die Interessen der Aktivisten vor Ort? Ein Anwalt ist teuer und der Großteil der Polizisten lacht sich doch kaputt, wenn ich ihm ne Kopie Deines Textes vorlege. Sie sind doch angeblich auch verpflichtet ihre Dienstnummer zu nennen, was entweder gar nicht oder mit falschen Angaben geschieht.

3. Wer ist ein Nazi? Die Nazis verzichten doch zunehmend auf ihre klassische Rhetorik und versuchen die Grenze zwischen links und rechts zu verwischen. In Duisburg hat die Polizei sogar gedacht, dass diese die Demo angreifen würden.

Was tun?

Daniel Weigelt 15.09.2004 - 01:30
Moin,

das ist ja ein interessanter Text, leider konnte ich nicht darin erkennen, was konkret wir nun noch tun können, um Nationalisten (Ich benutze bewusst dieses Wort, denn die NPD zeigt sich ja als nationalistisch) von der Demo ausschließen zu können.

Wir haben in Dresden als Thema direkt im Bescheid, den die Polizei auch vorliegen hat, drinnen stehen: "Gegen Sozialabbau und Nationalismus". Trotz dem und trotz der überwältigenden Willensbekundung der Demonstranten und der Veranstalter weigert sich die Polizei konsequent, gegen die Nationalisten und insbesondere ihres Transparents (siehe Bild) vorzugehen.

Begründet wird das u.a. damit, das die Nationalisten ja gar nicht gegen sich selber demonstrieren können, ergo sind sie mit den Prinzipien der Demonstration einverstanden. Außerdem schreitet die Polizei nur dann ein, wenn es zu Gewalttätigkeiten kommt, genau wissen, dass diese nicht von den Nationalisten ausgehen werden.

Momentan weiß ich echt keine Möglichkeit mehr, für Tipps bin ich immer dankbar.

Bei Betrachtung der Lange im ganzen Land hat es für mich den Eindruck, das Nationalisten auf den Demos gewollt sind von Seiten der Regierung um mit den Finger auf uns zeigen zu können: "Seht, die demonstrieren mit Nazis!".

merkblatt dazu...

aergenzsie 15.09.2004 - 01:35
von labournet.de:

Grundsätzliches für die Anmeldung von Kundgebungen und Demonstrationen/ Umgang mit Rechtsextremen: Merkblatt vom DGB-Thüringen (pdf), auf dem wichtige Tipps und Hinweise zum Umgang mit Neonazis und Rechtsextremen auf Kundgebungen und Demonstrationen zusammengefasst sind.  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/merkblatt.pdf

Ausführungen von Maik Tomson sind Wunschdenke

Erasmus Roterodamus 15.09.2004 - 02:55
Es ist ein Grundrecht zu einer Demonstration zu gehen (Art. 8). Sie ist als „öffentliche Versammlung“ für jedermann zugänglich und nicht auf einen individuell bezeichneten Personenkreis beschränkt.
(BayObLG, NVwZ-RR 1995, 202; ThürOVG, DÖV 1998, 123 [124]; Höllein, NVwZ 1994, 635 [636]; Gusy, S. 231.)
Für die Polizei gibt es schlichtweg keine Rechtsgrundlage, einem Nazi sein Grundrecht auf Teilnahme an einer öffentlichen Versammlung zu verwehren. (Jaja, scheiß bürgerlicher Rechtsstaat.)
Bestimmte Personenkreise können nur ausgeschlossen werden, wenn es sich um eine nichtöffentliche Veranstaltung handelt (was unter freiem Himmel und bei Demonstrationscharakter schwer vorstellbar ist) oder wenn die Versammlung in geschlossenen Räumen stattfindet (ergibt sich dann aus §6 VersG). Dann - und nur dann - kann die Einladung von vornherein einen bestimmten Personenkreis ausgrenzen.

Im übrigen verkennt Maik Tomson völlig die GEsetzessystematik. Wenn der Gesetzgeber wollte, daß der Versammlungsleiter die hier geforderten Kompetenzen hat, dann wäre die Problematik von vornherein nicht polizei- und ordnungsrechtlich geregelt. Im Gegenteil ist Auch hier wieder deutlich die Abgrenzung zur nichtöffentlichen Privatveranstaltung zu erkennen.
Weiterhin kennt die Rechtsprechung auch ausdrücklich die "kritische Teilnahme" (BVerfG, NJW 1991, 2694 und 1995, 3110, 3112). Die Anwesenheit auf einer Demonstration ist also auch ausdrücklich solchen Personen gestattet, die von der Mehrheit der Teilnehmer abweichende Meinungen vertreten - solange sie nicht nach polizei- und ordnungsrechtlichen Maßstäben stören.


Und nochwas:
[IRONIE]Die Angst, das gemeinsame Demonstrieren mit Nazis könne aus der guten Sache doch eine schlechte machen, ist nicht unberechtigt. Schließlich ist der Verweis darauf, wer wen kennt und mit wem schonmal geredet hat, übliche "linke" Denuntiationspraxis. [/IRONIE]

Sehr hilfreich

mannheim-68erz 15.09.2004 - 14:30
Danke für Artikel. Ich denke, dass er, anders als vorher behauptet, ziemlich hilfreich sein kann. Ein Veranstalter kann unter Kenntnis dieser rechtlichen Rahmenbedingungen viel eher die Polizei dazu bringen, die Nazis zu entfernen, als sonst. Denn egal was viele schreiben, wenn man eine Kenntnis der Materie ausstrahlt, nehmen einen die Cops gleich viel ernster.
Abseits von "Recht und Ordnung" hilft aber nur eins: massiv den Faschos entgegentreten + Leute aufmuntern, das auch zu tun!

Was immer moeglich ist...

Buergerschreck Anarcho 15.09.2004 - 14:55
...ist, die Teilnehmer aufzurufen, die Nazis zum Gehen aufzufordern. Klappt besonders gut wenn Antifas da sind ;-)

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