Anti-Lager-Tour in Eisenhüttenstadt

antilagertour 07.09.2004 13:05 Themen: Antirassismus
Die Anti-Lager-Tour erreicht ihre letzte Station: Eisenhüttenstadt mit Erstaufnahme-Sammellager und Abschiebeknast. Wieder die mittlerweile schon vertraute Situation: Polizei zwischen uns und den Flüchtlingen aus dem Lager. Trotzdem trauen sich welche durch die Polizeisperren hindurch. Am nächsten Tag tritt ein Flüchtling in den Hungerstreik.
Anti-Lager-action-Tour in Eisenhüttenstadt beendet
Ungerechtfertigter Polizeieinsatz gegen AktivistInnen.
Abschiebeknast: Flüchtling tritt in den Hungerstreik.

Am Sonntag den 5. September endete die Anti-Lager-action-Tour in
Eisenhüttenstadt. Ca. 300-400 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet
protestierten vom 2.-5.9. für die Abschaffung aller Lager in Deutschland.
„Alle Menschen sollen dort wohnen dürfen wo sie wollen“ ist die
Haupt­forderung der Veranstalter gewesen, niemand solle in Deutschland
gezwungen werden in Lagern zu leben. „Obwohl die Stadt uns viele Steine in
den Weg gelegt hat, haben wir uns nicht abschrecken lassen und unseren
Protest in Eisenhüttenstadt deutlich gemacht“, bilanzierte Kai Kemper für
die VeranstalterInnen.
Am Samstag Nachmittag wurde auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit
Matthias Platzek in Frankfurt/Oder auf die Forderungen aufmerksam gemacht.
Als SPD-Mitglied getarnt forderte eine Aktivistin die Schließung von Lagern und die Abschaffung der Residenzpflicht.
Am Abend kam es während der Abschlusskundgebung vor der ZABH zu mehreren
willkürlichen Festnahmen der Polizei. Neun TeilnehmerInnen des Camps wurden hinter dem Gelände des Protest-Camps festgenommen. Sie wur­den erst in der Nacht und nach Intervention einer Anwältin freigelassen. Mehrere Menschen er­hielten Platzverweise für den Parkplatz des „Marktkauf“ und den Weg zum Campgelände.
Bei mehreren Besuchen in dem Abschiebegefängnis (Bericht siehe Anhang)
erklärte uns ein paläs­ti­nensischer Flüchtling, dass er sich seit Samstag
im Hunger und Durststreik befinde. Er ist mit einer deutschen Frau
verheiratet und hat zwei in Deutschland geborene Kinder. Er fordert mit dem gesundheitlich äußerst gefährlichen Protest seine Freilassung.
Die Resonanz der Menschen in Eisenhüttenstadt war gering. Es gab einige
Bekundungen guten Willens aus der PDS und kirchlichen Kreisen, konkrete
Taten folgten aber nicht. Dennoch reihten sich erfreulicherweise einige
BewohnerInnen Eisenhüttenstadts in die Demonstration ein und schauten auf
dem Camp vorbei. Offen kam die rechtsradikale Gesinnung einiger
Eisenhüttenstädter zum Vorschein, als sie stolz verkündeten „Ich wähle DVU“ oder „Geht doch zu euren 'Presskohlen', bald ist Heizsaison“. „Wenn solche Aussagen in der Öffentlichkeit Eisenhüttenstadts ungehindert möglich sind, ist die Stadt gefordert“, so die Veranstalter.
Als konkrete Maßnahme planen TeilnehmerInnen der Anti-Lager-action-Tour,
eine Rechts­beratung für die Be­wohnerInnen der ZABH einzurichten.

ANHANG
Kurzbericht vom Besuch am Zaun vor dem Abschiebeknast am Frei­tag, den
3.9.2004

Mit einer kleinen Delegation von 6 Leuten besuchten wir am Freitag während
der Auftakt­kundgebung den hinteren Zaun der ZABH in Eisenhüttenstadt. Wir
konnten vom Zaun aus mit einem Teil der Gefangenen in Kontakt kommen. In
verschiedenen Sprachen wurde erklärt, warum wir hier sind und was die
Anti-Lager-Tour ist. Es wurde mehrfach dazu aufgerufen, sich innerhalb des
Knastes selbst zu organisieren und es ging um Widerstandsmöglichkeiten gegen Abschiebungen.
Mit einigen tschetschenischen Männern und einem Palestinenser aus Syrien
entwickelten sich Gespräche, sie erzählten, der Knast sei in drei Blocks
aufgeteilt: in einen Frauenblock für 30 Frauen, einen Männerblock für
ebenfalls 30 Männer und einen kleineren für 15 Männer. Eine Zelle ist mit
drei bis vier Personen belegt.
Der palästinensische Mann hatte sich zwei Tage zuvor einem ersten
Abschiebeversuch erfolg­reich widersetzt. Er erzählte uns, er habe kurz
zuvor in einem Prozess das Mitsorgerecht für seine zwei Kinder erstritten,
die er zusammen mit einer deutschen Frau hat. diese Entschei­dung sei aber
von der Ausländerbehörde nicht berücksichtigt worden.
Über eine armenische Frau, die in der Zast ist und einen Sohn im
Abschiebegefängnis hat, kam es zu einem regen Austausch mit mehreren
tschetschenischen Männern. Wir sagten einen weiteren Besuch zu, um genauer
darüber zu sprechen. Im Anschluss stoppten wir kurz vor den Gebäuden der
ZABH, sprachen auch dort in mehreren Sprachen über die Tour und ihre Ziele.

Ergebnisse der weiteren Besuche am Samstag, den 4.9. und Sonntag den 5.9.

Wir sprachen mit vier verschiedenen Männern. Sie alle befinden sich in
großer Unsicherheit und hatten viele Fragen bezüglich des Asylverfahrens,
welche wir leider nur teilweise beant­worten konnten. Die Menschen sind in
vier Trakten untergebracht in denen sie sich frei be­wegen können. Am Abend
kommen sie in Einzelzellen. Ein Stunde Hofgang pro Tag und ein Besuch sind
erlaubt.
Als Skandal empfanden wir, dass die Insassen keine Übersetzung angeboten
wird. Sowohl die offiziellen Bescheide als auch die Anwaltspost ist in
Deutsch. Die Insassen versuchen die Briefe mit Wörterbüchern Wort für Wort
zu übersetzen. Diese Situation ist nicht hinnehmbar.
Bei zwei der Inhaftierten kamen uns große Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung: Der oben schon erwähnte Palästinenser hat durch seine Heirat und seine Kinder für die er Sorgerecht hat, einen Anspruch auf Aufenthalt in Deutschland. Er sitzt aber in Abschiebehaft. Ein armenischer Insasse hat bei seinem Grenzübertritt an der deutsch/polnischen Grenze einen Asylantrag gestellt und hatte vor zwei Tagen seine Anhörung. Eigentlich müsste er bis zur Entscheidung seines Asylantrags auf freiem Fuß leben. Er sitzt aber in Abschiebehaft. Das sind unserer Einschätzung nach Rechtsbrüche.
Alle Gesprächspartner hatten von einer speziellen Zelle gehört, in die
renitente Häftlinge verbracht werden. Diese ist mit Fuß- und Handfesseln
ausgestattet und hat keine Fenster. Es wurde von einem Kameruner erzählt,
der aus Protest, weil er seine Briefe nicht lesen konnte und sie ihm nicht
übersetzt wurden nicht in seine Zelle gehen wollte. Er sei danach seit drei Tagen nicht mehr gesehen worden und wahrscheinlich in dieser Zelle.
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Ergänzungen

Eisenstadt suckt

SChichaman 07.09.2004 - 14:25
300-400 is zwar ein kleines wenig übertrieben, aber sonst wars sehr cool!!!!!

300 - schön wär's

Miromin 07.09.2004 - 17:30
Also 300 - 400 ist leider wirklich reichlich übertrieben.
(Da hast'e wohl den "grünen Block" gleich noch mitgezählt ;-))

So etwa 50 bis 60 dürfte wohl hinhauen, aber die Stimmung war absolut super!

@Miromin

zähler 07.09.2004 - 17:59
na zählen bzw. schätzen ist auch nicht deine stärke. beim auftaktplenum am do waren ca. 150 auf dem camp, am freitag sind es noch mehr geworden, samstag paar gefahren, paar gekommen so dass insgesamt auf jeden fall über 200 da waren. sogar die Märkischen Oderzeitung redet von 150 TeilnehmerInnen  http://www.moz.de/showArticle.php?OPENNAV=lokales&SUBNAV=eisenh%FCttenstadt&ID=33961
und die ist ja nicht gerade uns sehr wohlgesonnen. also zählen lernen!