Freie Netze breiten sich aus - Beispiel Berlin

Sebastian Krekow 03.09.2004 00:41 Themen: Freiräume Medien Netactivism
In Berlin finden sich derzeit immer mehr Menschen zusammen, um gemeinsam dezentrale, freie und selbstorganisierte Funk-Netzwerke aufzubauen. Diese können als Alternative zu kommerziellen Internetzugängen und überteuerten Telefonnetzen stadtweite Kommunikation und Datenaustausch ermöglichen.
Sogenannte Bürgernetze existieren schon länger. Sich selbst organisierende, hierachiefreie, organisch wachsende und dadurch kaum kontrollierbare Netzwerke bedeuten allerdings eine neue Entwicklungsstufe der Kommunikation und eine erfolgreiche Umsetzung der Utopie selbst organisierter Gemeinschaften.
Auch anderswo in der Welt beschleunigt sich die Ausbreitung freier Netze oder ist schon wesentlich weiter vorangeschritten. Freie Netzwerke sind Teil der Idee von freiem Wissen, und freier Kommunikation, hinter der eine vielfältige globale Bewegung steht. Diese bringt Projekte und Teilbewegungen, wie Open Source, Wikipedia, Ökonux oder Mediaktivismus von der art Indymedia's hervor.
In Djursland, im Norden Dänemarks, findet im September das nächste Treffen der globalen Free-Network-Bewegung statt.
Angefangen hat es in Berlin 2002/03. Der Verein C-Base e.V. gründete das Projekt Berlin Back Bone, um sich in einer Gegend ohne DSL einen breitbandigen Anschluss zu schaffen. Dabei entstand die Idee, verschiedene Kulturstätten Berlins, wie zum Beispiel die C-Base, das Bootlab, das Tacheles, die KuFa und andere mit einander zu vernetzen. Geschehen sollte dies unter dem sog. "PicoPeeringAgreement", einer art Grundsatzabkommen der globalen Bewegung für freie, drahtlose Bürgernetze. Später sollte von diesen Kulturstätten als Knotenpunkt ausgehend miteinander vernetzte lokale Netze in der Nachbarschaft entstehen. Auf diese Weise würde ein kostenloses stadtweites WLAN-Netz entstehen.
Daneben hat sich Freifunk.net, eine bundesweite offene und nichtkommerzielle Initiative, zum Ziel gesetzt, die Entstehung "lokaler Sozialstrukturen durch freie Netzwerke" zu fördern. Freifunk.net ist Teil der internationalen freien Netzwerk Communities.
Im Sommer/Herbst 2003 begannen sich einige mit dem ad-hoc-Routing Protokoll "Mobile Mesh" zu beschäftigen. Dabei würden die einzelnen Clients ("Kunden") im Netzwerk nicht mehr nur empfangen, sondern selbst zu Knotenpunkten werden. Auf diese Weise würde ein Netz entstehen, welches sich selbst dynamisch konfiguriert und organisch wächst. Zentrale Router und hierarchische Strukturen wie bei gängigen (Funk)-Netzwerken existieren nicht mehr.


Beispiel für ein ad-hoc-Netzwerk: da jeder Rechner gleichzeitig als Brücke funktioniert, verbreitet sich das Netz auch außerhalb der Router-Reichweite und wächst organisch


Vorführung im C-Base im Rahmen der transmediale 04

Nach einigen öffentlichen Präsentationen bei der Freifunk.net Summer Convention 2003 oder anlässlich der Transmediale begannen sich immer mehr Aktivisten dafür zu interessieren. Auf den Linux-Tagen 2004 herrschte reges Interesse am Mobile Mesh. Einige Linuxdistributionen, wie zum Beispiel Knoppix (ein Live-System, welches nicht installiert werden muss, sondern von CD läuft) wollen entsprechende Software integrieren.Mit 4Gsysteme fand sich eine kleine Firma in Hamburg, die speziell auf das Protokoll abgestimmte Mini-Router - sog. "Meshcubes" - herzustellen begann.


Schema des Mobile-Mesh-Netzwerkes - solche Grafiken erzeugt die Mesh-Software automatisch


schematische Darstellung des OLSR-Netzwerkes beim Wizards of OS

Der erste größere Versuch fand dann anlässlich des Wizards of OS im Juni statt (siehe: Bericht dazu). 20 von 4Gsysteme gespendete Meshcubes sollten über Berlin-Mitte eine "Mesh-Wolke" legen. Statt Mobile Mesh wurde hier OLSR genutzt, ein ähnliches Protokoll. Nach dem erfolgreichen Feldversuch wurden die 20 Geräte auf Dächer in Friedrichshain und Mitte verteilt.


Mesh-Cubes kurz vor ihrer Aufstellung anlässlich des Wizards of OS


Vorstellung des OLSR beim Wizards of OS

Im C-Base und im Linux-Store trafen sich einige Wochen später Leute aus Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte, um die stadtweite Vernetzung der Nachbarschaften voranzutreiben. Neben einer Einführung in das Prinzip von Mobile Mesh bzw. OLSR gab es die Möglichkeit, in Workshops Antennen selbst zu basteln oder gemeinsam in kleinerer Runde die nächsten Schritte zu überlegen. Seit einigen Wochen finden sich immer mehr Leute, die sich am Aufbau eines freien Netzes in Berlin beteiligen wollen. Zahlreiche Häuser in den Innenstadtbezirken sind bereits an das Netzwerk angeschlossen.

Die Schaffung der Netzwerke bewirkt aber noch mehr, als einfach nur frei und kostenlos Daten zu tauschen. In den Kiezen, wo die Vernetzung begonnen hat, kommen sich die Leute wieder näher, lernen sich kennen, findet mehr Kommunikation statt. Dieser Effekt ist durchaus gewollt und für viele Beteiligten eine wichtige Motivation. Die Bewegung zeigt eindrucksvoll, daß Utopien nicht Utopien bleiben müssen, wenn man den Mut hat, diese umzusetzen...


Auszug aus der Karte der NodeDB vor einigen Monaten

Mitmachen ist einfach (könnte Grundlage für ein Flyer sein)
Zunächst kannst Du Dich informieren: Ist ein solches Netz schon in Deiner Nähe? Gibt es in deinem Haus oder Deiner Straße Menschen, die schon mitmachen oder mitmachen wollen? Sprich Deine Nachbarn an oder häng Zettel auf.
Wenn in Deiner Gegend schon ein Netz existiert, brauchst Du eigentlich nur einen Computer und eine Funkkarte. Entsprechende Software (zur Zeit wird mit OLSR experimentiert) gibt es kostenlos im Internet und auf olsr.freifunk.net steht, wie Du Deinen Rechner einrichten musst. Da die meisten Computer nicht ständig angeschaltet sind, empfiehlt es sich, einen Router anzuschaffen - dieser sollte im ad-hoc-Modus arbeiten können und in der Lage sein, mit OLSR zu arbeiten. (mehr: hier).
Wenn in Deiner Gegend kein Netz existiert und Du ein solches aufbauen möchtest, benötigst Du einen Router (oder einen sog. Mesh-Cube, der aber nicht ganz einfach zu konfigurieren ist) und eine Antenne. Wenn Du aufs Dach kommst, kannst Du mit weiter entfernt liegenden Kiezen Verbindung herstellen. Antennen, mit denen die Straße in eine Funkwolke getaucht werden kann oder weiter entfernte Knotenpunkte erreicht werden können, sind leicht zu bekommen oder können im C-Base selbst gebastelt werden. Bastelanleitungen finden sich auch im Internet. Beispiele: 1 | 2 | 3 | 4 | 5
Zusätzlich macht es Sinn, Bandbreite zur Verfügung stellen. Gerade hier wird sich zeigen, daß ein Freies Netzwerk dann am besten funktiniert, wenn der Umgang miteinander solidarisch ist und jeder das beisteuert, was er kann.
Vorteile eines solchen Netzwerkes: Kostenlos untereinander Daten austauschen, telefonieren (voice-over-mesh), Tauschbörsen, offene und freie Datenbanken, Internetempfang auch außerhalb von Wohnungen, Übertragungen lokaler Events, freies Community-Radio machen, sind nur einige Möglichkeiten, die so ein freies Netzwerk bietet.


Breitband-Initiative aus den USA stellt sich beim Wizards of OS vor.

Download: Freifunk-Flyer
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Ergänzungen

gute Darstellung

funkocher 03.09.2004 - 14:25
Der Beitrag erfasst die Situation und die wesentlichen Entwicklungen sehr gut. Für meinen Geschmack ist es vielleicht etwas zu euphorisch.

auch lesenswert - das Buch von Armin Medosch,
Freie Netze – Geschichte, Politik und Kultur offener WLAN-Netze
 http://www.rebelart.net/source/Armin_Medosch_Freie_Netze.pdf
Das Buch ist unter Hilfe und Zuarbeit von einigen Aktivisten entstanden.

g.fk

Nachtrag - Historie freier Netze in Berlin

Brande 03.09.2004 - 14:57
Angefangen hat nicht wirklich alles 2002/03 in der c-Base, freie Netze und Versuche von freier Vernetzung fanden schon 1997/98 wahrscheinlich schon deutlich ehr in Berlin statt.
(man denke an DFUE/Mailboxen und dem Projekt von 97 internationale Stadt Berlin etc.pp.)

Konkret mit der Hostvernetzung via IP und Internet ging es ehr so 1998 los Mit den ersten drahtlosen Vernetzungen, teilweise bekannt unter den Namen "citywave.net", begann gegen 1999/00 die vernetzung mit WLAN Technologie.


- 1996/97 schon gab es das "prenzel.net" eine Intiative, spaeter und jetzt glaub ich auch Verein fuer ein freies Netz im Prenzlauer Berg ( http://www.prenzel.net)
Zeitgleich gab es div. Diskussionen und Vortraege zum Thema freie Netze - starke Vorreiter waren auch Projekte in Jena, Erfurt aber auch London und Amsterdam. Mehr aus dieser Zeit z.B. unter: ( http://www.iks-jena.de/mitarb/lutz/verein/funknetz/)
Ebenfalls thematisierte der CCC auf seinen Kongressen von 96-99 Netze und Vernetzung ueber alle verfuehgbaren Medien.


- 2000 CCC Kongress mit Workshops:
"Mobile Adhoc Networking"
"Wavelan-Security / The dark sides of IEEE 802.11"
( http://www.ccc.de/congress/2000/fahrplan/events.de.html)


- 2001 gab es schon erste, mir bekannte, in Berlin geschrieben und getestete, Veroeffentlichungen von Antennenbauanleitungen und Konfigurationsanleitungen um aus seinem Linux Rechner einen WLAN Router zu bauen. ( http://www.wlab.de/marx_engels/mediamatic_documentation/)


- 2001 - 2002 - ... Bildung kleinerer WLAN Communities in FHain, Mitte, PrenzlBerg, FHain und Kreuzberg. (den Westen kenn ich nicht so gut bitte ergaenzen)


- 2002 Berlon (Berlin London)  http://bootlab.org/berlon/ Kongress im BootLab ( http://www.bootlab.org).
Themen/Links:

(Antenna Building
Workshop) ->  http://www.raylab.com/antenna
(Mapping Workshop) ->  http://free2air.org/
(Picopeering
Agreement Workshop) ->  http://www.picopeer.net/
(Organisational Page) ->  http://consume.net/twiki/bin/view/Main/BerLon
(local copy)
->  http://www.heise.de/newsticker/data/jk-13.10.02-005/
->  http://www.heise.de/ct/02/22/052/
->  http://matrix.orf.at/bkissue/021110_1.htm
->  http://www.heise.de/tr/artikel/print/39715


- 2003 fand in der C-Base die "freifunk summer convention" statt wo viele Ideen und Themen vom BerLon oder von Visionaeren aus den 80gern aufgegriffen und verfeinert wurden.
Anschliessend wurden und werden div. Antenneworkshops, WLAN Seminare etc. pp. in der Base organisiert.


Die Idee, verschiedene Kulturstätten Berlins, wie zum Beispiel die C-Base, das Bootlab, das Tacheles, die KuFa und andere mit einander zu vernetzen enstand auch Jahre zuvor wurde nur gegen 02 durch WLAN Technologien realisierbarer als vorher mit kabelgebundenen Netzen.

Ich denke das war nicht alles und die Historie ist bestimmt nicht komplett und jetzt schon ein grosses Sorry an alle die ich vergessen habe.


- Geschichte wird gemacht ;) -

WlanHain

mac 03.09.2004 - 16:55
In Friedrichshain gibt es uebrigenz auch ein Offenes WirelessLan unter dem Namen WlanHain. WlanHain ist aus der Not entstanden da ganz Friedrichshain unterhalb der Frankfurter Allee Glasfasergebiet ist und dort keine moeglichkeit existiehrt Breitbandinternet zu bekommen. Inzwischen sind ueber 150 User damit verbunden.

networking

fly 05.09.2004 - 15:17
Utopie, Entropie oder............................
 http://www.wtec.org/loyola/rp/p1_ifam.htm

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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