Deutschland bleibt Weltmeister - im Abhören

Jens Steiner 26.08.2004 11:36 Themen: Medien Netactivism Repression
Deutschland bleibt Weltmeister im Abhören. Wenig erfreut war der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar über die Veröffentlichung der Zahlen der neuen Abhörstatistik. Innerhalb von acht Jahren stiegen die "Überwachungsmaßnahmen zur Strafverfolgung" von 4.674 (im Jahr 1995) auf 24.441 (im Jahr 2003). Das ist eine Steigerung um mehr als 400 Prozent. Dies geht aus der Jahresstatistik der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post hervor.
Die Bundesregierung reagierte auf diese Steigerung. Sie wollte den Nutzen und die Rechtswirklichkeit der Abhörmassnahmen untersuchen lassen. Dazu beauftragte sie bereits 1999 das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrechtin Freiburg. Das Ergebnis der Studie wurde im Mai 2003 vorgestellt. Daraufhin forderten die Datenschutzbeauftragten auf Bundes- und Länderebene Nachbesserungen an den gesetzlichen Grundlagen zum Abhören. Doch eine Änderung der Strafprozessordnung steht bislang aus. Die Datenschützer forderten lediglich, dass nach wie vor Richter die Anordnung zur Überwachung erteilen müssten. Auch dürften nur wenige Ermitlungsrichter solche Anordnungen erteilen. Die Rechenschaftspflicht vor den Strafverfolgungsbehörden und die Benachrichtigungspflicht der Betroffenen müssten gestärkt werden. Auch das Zeugnisverweigerungsrecht von Pfarrern, Anwälten und Journalisten dürfe nicht noch stärker gefährdet werden. Bei viel zu vielen Straftaten würden die Ermittler zu schnell zum Abhören neigen. Deshalb müsse der Straftatenkataloges des § 100 a Strafprozessordnung gekürzt werden.

Die akustische Wohnraumüberwachung ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre und das Persönlichkeitsrecht. Ein derartiger Eingriff für Zwecke der Strafverfolgung ist, wenn überhaupt, nur dann zu rechtfertigen, wenn es um die Aufklärung besonders schwerer Straftaten geht. Der in § 100c Abs. 1 Nr. 3 der Strafprozessordnung festgeschriebene Straftatenkatalog geht nach den Feststellungen des Gerichts weit hierüber hinaus.
Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz
Bonn, 03. März 2004

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries rechtfertigte anhand der Studie das Abhören als unverzichtbares und effizientes Mittel zur Strafverfolgung. Schliesslich gebe es Straftaten, die gar nicht anders verfolgbar wären. Die Untersuchung ist mittlerweile auf den Seiten des Justizministeriums nicht mehr online als pdf verfügbar.
Eine Grundlage für eine weitere Ausweitung von Abhörmassnahmen schuf 2003 ein etwa 80 Seiten umfassendes Arbeitspapier des Bundeswirtschatsministeriums zur Neufasung des Telekommunikationsgesetzes.

Wenig Freunde sowohl bei den Wettbewerbern als auch bei der Telekom dürften sich die Verfasser des Novellentexts dagegen mit ihren -- teilweise ausgebauten, teilweise trotz heftiger Kritik aufrecht erhaltenen -- Anordnungen zur Überwachung und Speicherung der Inhalts-, Verkehrs- und Bestandsdaten machen. Denn die Wirtschaft soll ihre Kunden nach wie vor auf eigene Kosten beschnüffeln und sogar neue automatisierte Auskunftsverfahren für Strafverfolger und Geheimdienste einrichten. Zusätzliche Belastungen drohen durch die im Arbeitsentwurf eingebauten Bestimmungen zum Aufbau einer Datenbank über Entgelte und durch die geplante Einführung eines "Telekommunikationsbeitrags" sowie eines Frequenznutzungsobulus zur Finanzierung der Arbeit der RegTP.
c't aktuell, 21.02.2003

Bereits fünf Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 billigten private Telefonanbieter eine neue Verordnung zur Überwachung der Telekommunikation. Die Vorschläge für die neue Verordnung waren damals jedoch teilweise schon bis zu zwei Jahre alt. Sie gingen auf die konservativ-liberale Regierung zurück und lagen einige Zeit in der Schublade. Am 24. Oktober 2001 verabschiedete das Bundeskabinett die neue Telekommunikations-Überwachungsverordnung ohne weitere Aussprache.

Unter Telekommunikation fassen die Autoren auch den E-Mail-Verkehr. Internetprovider müssten bei der Verabschiedung des Entwurfs durch das Kabinett daher in Zukunft genauso wie Telcos Lauscheinrichtungen installieren und auf Abruf Verbindungsdaten und die Mailkommunikation an die "Bedarfsträger" übermitteln. Grundsätzlich sollen alle Betreiber von Telekommunikationsanlagen, die ihre Dienste der Öffentlichkeit anbieten, zur Aufzeichnung und Weiterleitung der Kommunikationsdaten an Strafverfolger verpflichtet werden. Ob es sich um Sprach- oder Datenübertragungen handelt, ob der Abzuhörende ein Handy oder einen ISDN-Anschluss nutzt, spielt dabei keine Rolle. Die entsprechenden technischen Vorkehrungen müssen die Telekommunikationsanbieter auf eigene Rechnung anschaffen. Vor der Inbetriebnahme ihrer Anlagen ist eine Abnahme der Überwachungsausrüstung durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post einzuholen. Sonst drohen Geldbußen bis 20.000 Mark.
Stefan Krempl, Rot-Grün will Telekommunikation lückenlos überwachen, Telepolis 18.02.2001
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Ergänzungen

Das sind nur die offiziellen Zahlen

Ergänzung 26.08.2004 - 12:12
Inoffiziell wird ein Vielfaches abgehört. Laufende Ernittlungen, heimliche/halblegale Abhöraktionen usw. werden nicht mitgezählt. Dazu gibts noch Geheimdienstprojekte (Echolon gibt auch Daten an VS und BKA weiter) und vieles mehr...
Sollte vielleicht noch ergänzt werden.

PDF

elfboi 26.08.2004 - 13:54
Hat irgendwer das PDF sowie einen Esel-Client auf dem Rechner? Falls ja, bitte ed2k-Link posten!

PDF des Justizministeriums

Moe 26.08.2004 - 16:09
So schnell lassen wir die Fakten nicht verschleiern. ;-)
das pdf-dokument ist allerdings formell sehr schlecht: kein erscheinungsdatum, kein verfasser angegeben, kein hinweis auf die herausgebende institution.
das Justizministeriums arbeitete hier also nicht nur intransparent indem es dokumente nach wenigen jahren bereits löscht, sondern auch extrem unprofessionell. ein schelm, wer böses dabei denkt ;-)
hier der link zum PDF des Justizministeriums:

Deutschland bleibt Weltmeister ????

Anakin 26.08.2004 - 18:27
Bestimmt ! Schon mal was vom Echelon-Projekt gehört ?
Die Amis hören allein in Deutschland mehr Gespräche / Daten ab als alle deutschen Behörden zusammen !

Also, wenn mensch sich als Antifa auf einmal auf Sperrlisten amerkanischer Fluglinien findet, braucht mensch sich nicht zu wundern.

No gates, no windows !

Linux !

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