Göttingen und die Montagsdemo

Nehmen wir, was uns gefällt… 25.08.2004 01:08 Themen: Soziale Kämpfe
Bericht von der Göttinger Montagsdemo

Widerstand organisieren und unterstützen, Perspektiven gemeinsam entwickeln!
Solidarität ist unsere Stärke!
Göttingen und die Montagsdemo
Nehmen wir, was uns gefällt…


Angemeldet von der MLPD, aufgerufen von verschiedensten Gruppen, versammelten sich 170 bis 200 Leute in der Göttinger City, um ihren Unmut über die Agenda 2010 zu äußern.
Die MLPD ging bei der Demo mit ihrem Transpi „weg mit Hartz vier, das Volk sind wir“ vorneweg, was dazu führte, dass sich einige Leute der Demo nicht anschlossen.
Allerdings hatten auch Gruppen aus dem linksradikalen Spektrum zu einer Beteiligung aufgerufen, die dann auf der Demo einen „alles für alle“-Block bildeten und ca.30-40 Leute umfasste. Parolen dominierten die Demo wie „Weg mit dem Sozialabbau, organisiert den Kaufhausklau!“, „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten! Wer verrät uns schneller, Grüne und AL´er“ (eine der Parolen aus den Achtzigern, die wohl auch nie an Aktualität verlieren wird), “Ohne Leistung, ohne Geld, neh’m wir uns, was uns gefällt!“. Darüber beschwerte sich die MLPD denn auch bei der Abschlusskundgebung. Schließlich konnten deshalb ja ihre eigenen Parolen von anderen nicht aufgegriffen werden. Das war aber auch nicht besonders verwunderlich, denn sobald der Slogan mit dem Volk kam, wurde er mit oben genannten Parolen oder „Hoch die internationale\antinationale Solidarität quittiert.
Gut war das offene Mikro, an dem Leute ihre Gedanken und Meinungen loswerden konnten. So konnte das offene Mikro genutzt werden, um einen Redebeitrag über den Zusammenhang von Flüchtlingspolitik und sozialem Angriff zu halten. (Der Redebeitrag war der Artikel aus der Anti-Lager-Tour-Zeitung „Sonst frisst der Löwe alle“.) In diesem Redebeitrag wurde auch deutlich gemacht, dass die Parole „Wir sind das Volk“ auf der Demo nichts zu suchen hat. Viele Leute waren offensichtlich derselben Meinung, denn an dieser Stelle gab es viel Applaus.
In weiteren Beiträgen gab es für und wider Statements, in denen aber auch sehr gut klar gemacht wurde, warum es Probleme mit benanntem Volk gibt.
Nächsten Montag, ihr ahnt es schon, soll es wieder eine Demo geben. Dazu ruft ein breites, größtenteils bürgerliches Spektrum auf. Nicht nur persönliche Betroffenheit sollte begründen, warum wir an der Demo teilnehmen. Die Gelegenheit, eigene Inhalte und Positionen einzubringen über die linke Nische hinaus, bietet sich an. Und es wäre verkürzt und elitär, alle Menschen, die an den Montagsdemos ect. teilnehmen, unter der Schublade „Volksmob“ zu subsumieren. Dennoch ist klar, dass es mit Rassisten und Sexisten keine Gemeinsamkeiten gibt.
Das Thema hat eine gewisse Brisanz und ist einfach zu wichtig, um es anderen zu über lassen. Wir sollten nicht vergessen, dass wir alle nicht mit einer schwarz\roten Fahne in der Hand auf die Welt gekommen sind. Nur durch solche Auseinandersetzungen kann sich was verändern und entwickeln über die Proteste gegen die Agenda hinaus.

Widerstand organisieren und unterstützen, Perspektiven gemeinsam entwickeln!
Solidarität ist unsere Stärke!
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Ergänzungen

heute ist nicht alle tage

komme wieder keine frage 25.08.2004 - 01:29
weitere infos unter www.soziales-zentrum-goettingen.de

redebeitrag

alles für alle 25.08.2004 - 15:54
Redebeitrag auf der Montagsdemo in Göttingen

Am Wochenende hat in Bramsche/Osnabrück die Anti-Lager-Action-Tour begonnen. Dort protestieren Flüchtlinge und UnterstützerInnen gegen die Ausgrenzung und Isolierung von Flüchtlingen in Lagern. In der Tour-Zeitung, die überall verteilt wird, steht ein Artikel, der sich mit dem Zusammenhang von Flüchtlingspolitik und dem sozialen Angriff befasst.



Sonst frisst der Löwe alle
Job-Center und Ausreise-Zentren

Ein Löwe geht zu drei Kühen und sagt zu ihnen: liefert mir eine von euch aus, dann lass ich euch anderen in Ruhe. Zwei der Kühe sind sich bald einig und gehen auf den Handel ein. Eine Woche später kommt der Löwe zu einer der beiden Kühe und sagt: überlass mir deine Kollegin, dann verschone ich dich. Die Kuh ist einverstanden. Es vergeht eine Woche, dann kommt der Löwe wieder. Die letzte Kuh erinnert an das Versprechen, doch der Löwe lacht und fragt: warum sollte ich dich verschonen? Und frisst sie auf.“ Diese afrikanische Geschichte erzählte ein Flüchtling.

Ein Modellversuch: Seit mehr als sechs Jahren werden spezielle Abschiebelager in Deutschland erprobt. Dort werden Flüchtlinge eingewiesen, die nicht abgeschoben werden können, weil sie keine Papiere haben. Ihnen wird „mangelnde Mitwirkung“ unterstellt. Mittlerweile heißen diese Lager „Ausreisezentren“ und stehen im Zuwanderungsgesetz. In diesen Lagern wird gebündelt angewandt, was es an Sondergesetzen für Flüchtlinge gibt. Flüchtlinge in den„Ausreisezentren“ bekommen keine Sozialhilfe mehr, nur Essen, ein Bett und nur in Ausnahmefällen Taschengeld. Gesundheitsversorgung gibt es nur als Notfallbehandlung. Sie dürfen das Stadtgebiet nicht mehr ohne Genehmigung verlassen. Immer wieder werden sie zu „Verhören“ geholt. Ihnen wird die Hoffnung genommen, das Lager je wieder verlassen zu können. Viele berichten, sie würden langsam verrückt. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge verschwindet schließlich, weil sie die Zermürbungstaktik in diesen Abschiebelagern nicht mehr aushalten. Damit verlieren sie jeden Aufenthaltsstatus und alle Rechte, sie werden zu „Illegalen“. Wie und wovon sie nach dem Untertauchen leben, interessiert niemanden mehr. Die verantwortlichen PolitikerInnen erklären dies zum Erfolg.

Ein anderer Modellversuch: Junge Mannheimer, die Sozialhilfe beziehen, müssen in einem Job-Center vorsprechen, da sie sonst ihren Anspruch auf Sozialhilfe verlieren. Offizielles Ziel des Job-Centers ist die Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit. Da es aber weder Ausbildungs- noch Arbeitsplätze gibt, werden den Jugendlichen statt dessen Beschäftigungsmaßnahmen und Praktika aufgezwungen. Spezialmaßnahmen in diesem Modellversuch sind nicht nur abgesenkte Sozialleistungen und eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung, sondern auch regelmäßige „Hausbesuche“. Von 1100 jungen Erwachsenen wurde auf diese Weise bislang die Hälfte aus der Sozialhilfe herausgedrängt: Diese 660 Jugendlichen haben aber nicht etwa einen Job bekommen; sondern haben ihren Sozialhilfeanspruch wegen „mangelnder Mitwirkung“ verwirkt und sind quasi „verschwunden“. Wovon sie jetzt leben, interessiert offiziell niemanden mehr. Sozialarbeiter wissen, dass sie sich mit Blut- und Plasmaspenden, Prostitution oder Diebstählen durchschlagen. Der Modellversuch wird von den Behörden als Erfolg eingestuft.

Zwei sehr unterschiedliche Modellversuche, jedoch ähnliche Ergebnisse. Bei beiden „verschwindet“ die Hälfte der betroffenen Menschen, d.h. sie existieren für die jeweilige Behörde nicht mehr. Beide Modell-Projekte haben Vorbildcharakter. Mannheim ist offiziell ein Modell für die Ausgestaltung des bundesweiten Sonderprogramms Jump Plus für Jugendliche ohne Ausbildung, und ebenso für die gesetzliche Neuregelung der Sozialhilfe. Gleichermaßen diente die Sonderbehandlung und die soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen in den Abschiebelager-Modellversuchen als Vorbild für die sogenannten Ausreisezentren, aber auch für die Ausgestaltung der derzeitigen „Sozialreformen“ insgesamt. So wurde z.B. die Einschränkung der Gesundheitsversorgung zuerst an Flüchtlingen ausprobiert, ebenso die abgesenkte Sozialhilfe. Gutscheine statt Bargeld, wie im Arbeitslosengeld II vorgesehen, bekommen Flüchtlinge schon seit 10 Jahren.
Trotz der Parallelen gibt es aber auch Unterschiede. Bei Flüchtlingen in der Illegalität ist die Entrechtung total, sie können weder einen Arzt aufsuchen noch ihre Kinder zur Schule schicken. Flüchtlinge sind darüber hinaus auch noch von Rassismus betroffen. Sie bleiben jeweils die gesellschaftliche Gruppe, die stärker an den Rand gedrängt wird als andere. Sie sind die erste Kuh, die gefressen wird, an denen (un)soziale Maßnahmen als erstes ausprobiert und gesellschaftlich durchgesetzt werden. Wir meinen, dass es wichtig ist, diesen Zusammenhang zu erkennen, sich zu solidarisieren und Protest gemeinsam zu organisieren. Damit die Kritik an den aktuellen sozialen Angriffen nicht wohlstandschauvinistisch wird – und der Löwe am Ende nicht alle frisst.



Was wir brauchen ist ein gemeinsamer Kampf, der sich gegen die Entrechtung aller Menschen richtet und nicht nur die eigenen Taschen sichern will. Deshalb hat die Parole „Wir sind das Volk“ hier auf der Demo auch nichts zu suchen.
Gegen Entrechtung und Ausgrenzung!
Solidarität ist unsere Stärke!

Wie man die Parole "Wir sind dit Volk"

Bo 25.08.2004 - 17:47

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 9 Kommentare an

Hass-Prediger!!!! Mods!!! — Karl Weiss

eben, voellig arrogant ... — aufstehen, bewegen, wirken

Fuck the (german) People — gegen volk und nation

Die Hartzreise Kapitel IV — Heinrich Heine

soll natürlich INTERnationale Solidarität — und nicht nationale heißen

Was? — antinational

soll natürlich INTERnationale Solidarität — und nicht nationale heißen

Vielen Dank — für die Änderung im Text