Montagsdemo in Offenburg

Günter Melle 24.08.2004 17:19 Themen: Soziale Kämpfe
Die Betroffenen und die vielleicht bald Betroffenen konnten sich an diesem Tag den öffentlichen Raum schaffen, und sich die Stimme geben, die Voraussetzung ist für den weiteren Widerstand gegen Hartz IV. In Offenburg war diese Montagsdemonstration die größte in der Geschichten nach 1945
Impressionen an einem Montag in Baden

Montag, 23.8.2004, Günter Melle





Am Anfang: Schwarzer Himmel ist heute nicht, auch wenn die Metereologen das Sommergewitter voraussagten. Vom Westen solle es heranziehen, von Frankreich her und vielleicht Grüße mitbringen von den Chomeurs, den Precaires und Intermittents. Denn das Wetter des sozialen Protests hat seine Gesetzmäßigkeiten in Europa. Sie bestimmen die Niederschlagsmenge und die momentan recht eisigen Temperaturen des neoliberalen Klimas. Für Arbeitslose wird Hagel prognostiziert, mehr als ihnen lieb ist und in ihren wetterdurchlässigen, abgenutzten Klamotten, bleibt nur die Hoffnung, dass das Wetter umschlägt. Es gewährt zumindest einen weiteren sonnereichen Sommertag, Voraussetzung dafür, dass weiter wächst, was nun schon drei Wochen lang bundesweit auf den Straßen Sprossen ansetzt.

In der Presse war zu lesen, dass die Organsiatoren der Demonstration 100 bis 150 Teilenehmer erwarten. Um 17 Uhr war das Rathaus in der mittelbadischen Burdastadt mit roten Fahnen geschmückt. Davor der Stand des Aktionsbündnisses Montagsdemonstrationen, die üblichen Organisationen hieß es in den Redaktionsstuben lokaler Berichterstattung – nichts Aufregendes also, das ein badisches Weltbild von gut gestärkten Hemden, Blusen und frischgebügelten Anzügen ins Wanken geraten ließe. Davor eine kleine Ansammlung, diskutierende Grüpplein, offensichtlich Klientel eines Kanzlers, der große Pläne mit ihnen zur Umgestaltung der sozialen Landschaft hat. Rentner, welche Altersarmut kläglich kleidet, Zahnlücken als vorhergesagtes Insignium dafür, dass diese Scheinwelt des Konsums bald nicht mehr in der Lage ist, das anwachsende soziale Mißverhältnis von arm und reich zu übertünchen. Arbeitslose, viele von ihnen schon seit langer Zeit, die Erfahrungen austauschen, das Schicksal kennzeichnet sie, die Worte voller Bitterkeit darüber wie Gesellschaft und ihre Institutionen mit ihrer Arbeitslosigkeit umgehen. Harte Worte gegen das Arbeitsamt, das im neoliberalen Stil nun als Bundesagentur für Arbeit firmiert - Etikettenschwindel des Systems von Kapitalismus und Krise, das nicht Arbeitsplätze schafft, sondern vernichtet. „Sozial- und Arbeitsämter“ auflösen, sagt einer, „das dadurch gewonnene Geld in ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alle stecken.“ „Die werden dafür bezahlt, dass sie uns schickanieren“, meint eine Langzeitarbeitslose, „wir brauchen sie nicht.“ Tatsächlich ist der Gesamtetat ein riesiger Moloch mit Personalausgaben von 3,4 Mill. €., die dazu verwendet werden - so ist die einhellige Meinung- die Arbeitslosen zu bekämpfen und mit unsinnigen Pflichtaufgaben zu beschäftigen.

Wie in jeder Stadt hängt mittlerweile an jeder lokalen Zweigstelle der Bundesagentur ein Rattenschwanz an ineffektiven privaten oder gemeinnützig firmierenden Initiativen auf dem Sektor Arbeitsvermittlung. Da sie in der Regel keine Arbeit vermitteln können, weil keine da ist, besteht ihre Funktion darin, in Seminaren das Know How einer richtig aufgesetzten Stellenbewerbung zu vermitteln. Es gibt Leute, die das etliche Male über sich ergehen lassen mussten und schließlich vielleicht sogar an das glaubten, was zur Verinnerlichung gedacht war: „Wer keine Arbeit hat, hat sich falsch beworben.“ Die Arbeitslosigkeit selbstverschuldet, eigenes Schicksal, hättest du deine Schnauze gehalten, wärst nicht krank geworden, Pech gehabt, wenn deine Firma pleite oder dicht machte – warum hast du da auch gearbeitet, wer arbeiten will, findet auch Arbeit. Arbeitslosigkeit kennt die vielen kleinen Argumente, die dich atomisieren, als wertlos stigmatisieren, dir die Freude am Leben nehmen. Umso erfreulicher ist ein Rathaus mit roten Fahnen, ein Platz zum diskutieren, die Erfahrung gemeinsamer Gefühle, gemeinsamer Wut, gleicher Schicksale und der Beginn eines Protests in einer Stadt, in der es angeblich nie was zu protestieren gab.

Der Ablauf: Um 17 Uhr gruppierten sich um den Stand der Montagsdemonstration bereits schon soviele Menschen wie die Organisatoren für die Demonstration vorausgesagt hatten. Gegen 18 Uhr war der Platz vor dem Rathaus bunt und voller Menschen, die gegen den Sozialraub einer sozialdemokratischen Regierung auf die Straße gehen wollten. Jede Alterstufe war vertreten, doch rar die Jugend, obwohl gerade sie zusammen mit der älteren Generation eines Arbeitslebens am härtesten gebeutelt werden. Und es war gute Stimmung, der Busverkehr durch die Innenstadt stand zeitweise still. Die Busfahrer sympathisierten, die ganze Stadt schien plötzlich verwandelt und sich nur einem Thema zu widmen. Da, wo sonst der kleinstädtische Einkaufsbummel das Zentrum aus allen Nähten platzen lässt, demonstrierten an diesem Montag tausend Mensch gegen Arbeitslosigkeit und die aktuellen Pläne zu ihrer Verwaltung. „Hartz IV muss weg!“ ... „Schöder in die Produktion für einen Euro“ ... „Wir sind das Volk!“

„Auf die Straße gegen die Zerschlagung der Sozialsysteme!“ tönte der Lautsprecherwagen. Dahinter das bunte Gemisch an Fahnen und selbstgefertigten Transparenten und ausgedachten Losungen des Protests. Erstaunlich auch viele Menschen, die noch Arbeit haben. Ein Betriebsrat meint: „der Schulterschluss von denen, die noch Arbeit haben und unseren Kollegen, die draußen stehen ist längst überfällig.“ Und dann heißt es in der Abschlusskundgebung: „Wie lange können und wollen wir uns noch dieses neoliberale Wirtschaftssystem leisten, das skrupellos und unverantwortlich mit menschlichen und natürlichen Ressourcen umgeht.“ Am Ende wird zur nächsten Montagsdemonstration aufgerufen, die Stimmung ist zuversichtlich und es wird diskutiert, was zu verbessern ist. Die Zufriedenheit ist auch bei den Organisatoren zu spüren. Das solidarische Miteinander der Organisationen im Vorfeld der Demonstration, das Vermeiden ideologischer Grabenkämpfe und politischer Abrechnungen, hat einem gedient: Die Betroffenen und die vielleicht bald Betroffenen konnten sich an diesem Tag den öffentlichen Raum schaffen, und sich die Stimme geben, die Voraussetzung ist für den weiteren Widerstand gegen Hartz IV. In Offenburg war diese Montagsdemonstration die größte in der Geschichten nach 1945.
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Ergänzungen

Anzahl der Demonstranten

Kritiker 24.08.2004 - 17:32
Du hast vergessen zu erwähnen, dass im Westen Offenburg hinter Dortmund mit der Teilnehmerzahl an zweiter Stelle lag: 1000 Demonstranten.

Absoluter Schwachsinn

Zähler 25.08.2004 - 18:15
wäre der nette Herr Melle mal aus seinem Auto ausgestiegen und hätte sich die Mühe gemacht mal die Demonstranten zu zählen, wäre er sicher (auch) nicht über 600 gekommen - ich habe 550 gezählt, was ganz gut ging, da die Reihen "nicht besonders geschlossen waren". Das sind zwar viel, aber nicht die 1000, wie es laut Polizei geschätzt wurde und nun von der lokalen Presse als Riesenerfolg gefeiert wird. Die Aussichten sind allerdings gut, dass es nächsten Montag noch mehr werden.

"wir sind das Volk" wurde wenn, dann nur von ein paar wenigen skandiert, was aber beim Großteil der Demoteilnehmer eher auf Desinteresse stoß. Überhaupt war die Demo eher lasch: es gab keinen breiten Applaus auf die Reden, und Parolen gab es nur von wenigen zu hören.

Und rote Fahnen am Rathaus? *ggg* - da stand nur ein Tisch von der PDS mit ner roten Tischdecke.

hoffen wir auf etwas mehr Elan für nächsten Montag, dann braucht auch nicht mehr so übertrieben zu werden.

@ Zähler

Irgendwer 25.08.2004 - 18:38
Gehts vielleicht mal auch ein bischen weniger beleidigend? Warum müssen einige Leute immer gleich diesen aggressiven Kasernenhofton anschlagen, wenn sie was zu kritisieren haben? Will nicht wissen, wie "Deine" Revolution aussieht. Wahrscheinlich werden wir alle an die Wand gestellt.
Ich schätze die Artikel von Melle sehr und finde es vollkommen egal, ob es 600 oder 100 Leute waren. Du schätzt wahrscheinlich auch nur und hast nicht abgezählt.

Toller Erfolg

Grille 26.08.2004 - 18:46
Zur Reaktion hier im Forum1

Ja, da gibt es Leute, die nichts auf die Beine bringen, aber nur meckern können! Manche Leute tun nicht nur die Kümmelkörner spalten, sondern sogar in Scheiben schneiden!

Es ist schon eine große Leistung von Herrn Melle, so was zu organisieren. Da ich selbst eine Demo für den Dienstag, den 14.09.04, 18 Uhr in 77933 Lahr organisiere, weiß ich, was das für Arbeit macht! Bei so einer Demo geht es nicht um absoulte Perfektion, sondern um den Inhalt! Wenn natürlich so paar Dillgurken dabei sind, die nur meckern können - damit muß man leben!

Mir ist auch klar geworden, warum nicht jede Stadt eine Demo macht und hat. Die Etablierten machen nicht mit und somit muß sich eine Privatperson finden, die organisieren, Reden schreiben und sprechen kann, sonst kommt nichts auf die Beine. Und so eine Privatperson ist nicht in jeder Stadt!

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