Berichte zu kritischen Attac-Veranstaltungen

Attacke!? 14.08.2004 13:09 Themen: Globalisierung
Mitte Juli erschien das Buch „Mythos Attac“, das erste kritische Buch zu Attac. In der Folge fanden einige Veranstaltungen statt. Gegenstand der Debatte waren nicht nur die Strategien und politischen Inhalte von Attac, sondern auch ähnliche Prozesse in anderen Gruppen, z.B. Sozialforen und der neuen Partei Wahlalternative. Diskussionsveranstaltungen fanden bisher statt in Dresden, Berlin und Leipzig. Weitere sind in Planung, u.a. in Frankfurt, Magdeburg, Würzburg, Gießen sowie ein intensiveres Tagesseminar in Berlin.
Kritik an Attac ist nicht neu. Meist werden bestimmte Aspekte von Attac kritisiert, z.B. die große Nähe zu staatlichen und institutionellen Lösungen, der fanatische Glaube an das Gute einer Weltregierung oder ähnlicher Institutionen, die ökonomischen Verkürzungen und künstlichen Trennungen ökonomischer Sphären (investitver und spekulativer Sektor) oder auch die Gegnerschaft zu radikaleren Ansätzen, militanten Aktionen und mehr. Im Mittelpunkt der Kritik seitens der aus verschiedenen Basisgruppen in Göttingen, Marburg und Gießen stammenden AutorInnen des Buches „Mythos Attac“ steht zudem die Kritik an der sogenannten „instrumentellen Herrschaft“ innerhalb von Attac, d.h. dass einzelne Personen ständig im Namen aller sprechen, ihre Inhalte platzieren und dabei die recht vielfältige Basis nur als telegenes Hintergrundbild brauchen.

Dresden
Die erste öffentliche Veranstaltung fand im Rahmen der Attac-Sommerakademie statt. Ein dort ebenfalls stattfindender Workshop zu „Entscheidungsfindung von unten“ überlegte einen dominanzmindernden Rahmen der Diskussion, u.a. eine Fish Bowl (siehe zu solchen Methoden:  http://www.hierarchnie.de.vu). Das klappte auch ganz gut. Von den ca. anwesenden 30 Personen waren etwas 4/5 im Laufe der Zeit direkt an der Diskussion beteiligt. Die Debatte selbst verlief weniger streitig als manche angenommen hatten – angesichts des Ortes der Diskussion mitten im „Herzen von Attac“. Auseinandersetzungen gab es vor allem die aktuelle Vodaklau-Kampagne, der die KritikerInnen vorwarfen, mit Falschaussagen (fehlende Voda-Milliarden der nächsten Jahre würden heute Kindergartenplätze gefährden), Verkürzungen und extremen Vereinfachungen (Staatseinnahmen würden Sozialabbau rückgängig machen), unsensibler Auswahl gerade eines nicht-deutschen Konzerns und sexistischen Grundmustern in der Kampagne (ausschließlich heulende Frauen) zu arbeiten. Das sei typischer Populismus. Dem widersprachen andere, sie solche Strategien für notwendig hielten, einige verteidigten sogar Populismus als sinnvoll, wen er der eigenen Sache nutze.

Berlin
Am 9.8. waren ins Cafe Morgenrot ca. 50 Personen gekommen, was zu einiger Überfüllung im Raum sorgte. Wieder sollte eine Fish Bowl Dominanzen mindern, was aber diesmal nicht klappte. Da wegen der Akustik mit Mikrophon gesprochen werden mußte, blieben die Vielredner bis kurz vor dem Ende weitgehend unter sich. Die Debatte war deutlich heftiger als in Berlin – den AutorInnen des Buches wurde vorgeworfen, viele Falschangaben gemacht zu haben bzw. persönliche Ziele zu verfolgen. Leider fehlte in der Regel eine präzisere Benennung der Vorwürfe, zudem war die Diskussion schwer zu führen, weil die sonstigen Menschen im Raum das Buch gar nicht kannten und auch nicht über das Buch diskutiert werden sollte, sondern über Attac, Sozialforen usw. Ein Höhepunkt der Debatte war die am Ende von bisherigen ZuhörerInnen eingeforderte Diskussion über Strategien der Proteste gegen Hartz IV.

Leipzig (Protokollierung eines Anwesenden)
Am 12.08. kamen in der Libelle über 20 Leute zusammen, um mit dem Referenten Jörg Bergstedt, Autor des Buches ‚Mythos attac,’ über seine Kritik an attac zu diskutieren. Im folgenden werde ich versuchen, die Argumentation seines Referates grob nachzuzeichnen, wobei zu beachten ist, dass sich die Kritik Jörg Bergstedts nach eigener Aussage nicht auf die genannten Punkte beschränkt und dass ich auch nicht sämtliche Ausführungen und Beispiele mitgeschrieben habe.

1. Instrumentelle Herrschaft
Der Vortrag begann mit der Feststellung, dass attac an der Basis extrem vielfältig sei, was der Referent auch gut fand. Dies werde allerdings dadurch wieder eingeschränkt, dass die Breite an der Basis für die Außenwahrnehmung egal sei, da diese von einigen wenigen Medienprofis (Peter Wahl, Sven Giegold, ...) bestimmt werde, weshalb attac eine „Organisation neuen Typs“ sei. Die Aktionen der Basis dienen dabei lediglich als Hintergrundbilder für deren Medienpräsenz.
Ohne sich mit den TeilnehmerInnen der Aktionen abzusprechen, würden die Medienprofis der Öffentlichkeit mitteilen, was diese mit ihr gewollt hätten, was instrumentelle Herrschaft ausmache. Dieses Vorgehen beschränke sich nicht nur auf attac-Basisgruppen, sondern die (internationalen) attac-Wichtigmenschen würden mitunter auch suggerieren, dass sie im Namen der gesamten Bewegung oder gar der ganzen Menschheit sprächen. Das ‚Konsensprinzip’ bei attac diene der Absicherung der instrumentellen Herrschaft – die Medienprofis würden ohne Rücksprache Positionen im Namen von attac veröffentlichen und um diese zurückzunehmen(!) ist eine 90-prozentige Zustimmung (‚Konsens’) dazu nötig, was selbstverständlich so gut wie nie erreicht wird.

2. Kampagnenorientierung und Populismus
Auch wenn attac nicht die ersten und auch nicht die einzigen sind, auf die diese Vorwürfe zutreffen, so seien Kampagnenorientierung und Populismus doch sehr prägend für sie. Dies zeige sich z.B. an der neuen ‚Vodaklau’-Kampagne, die suggeriere, dass Vodafone am momentanen ‚Sozialabbau’ schuld wäre, wobei deren Steuereinsparungen erst die nächsten Jahre betreffen. Außerdem sei fraglich, warum eine solche Kampagne ausgerechnet dann gestartet werde, wenn ein ‚ausländischer’ Konzern das mache, was ‚deutsche’ Konzerne schon seit Jahren praktizieren. Hiermit böte attac mindestens Anknüpfungspunkte für NationalistInnen. Wie wenig attac sich um Diskussionen in der (radikalen) Linken kümmere, zeige sich auch daran, dass die weinenden Leute auf allen drei Plakaten dieser Kampagne Frauen sind, was Geschlechterrollen fortschreibt. Es sei zu vermuten, dass dies geschehen sei, weil damit populistisch ein höherer Effekt zu erzielen sei – ähnlich, wie wenn sonst Frauen in der Werbung eingesetzt werden.

3. Inhaltliche Kritik
Attac konstruiere einen Gegensatz zwischen Markt und Staat („die Politik verliert an Einfluss“ etc.) und übersehe dabei, dass es ja die Staaten sind, die den Markt absichern. Aus dieser absurden Konstruktion leite sich ihr positiver Bezug auf eine Demokratisierung der Welt ab, welche mit einer Verklärung von Herrschaftsstrukturen wie der UNO und dem internationaler Strafgerichtshof oder gar einer zu installierenden Weltregierung verbunden wäre. Nicht bedacht würden die dabei aufkommenden Probleme. Wohin soll z.B. jemand fliehen, die/der politische Probleme mit einer Weltregierung hat (was selbstverständlich nicht heißt, dass die momentane Situation gut wäre)? Oder wer soll dem internationalen Gerichtshof denn bitte die Angeklagten zuführen? Dazu werden weltpolizeiliche Strukturen zu errichten sein, welche dann die dafür notwendigen Kriege führen.
Noch krasser sei die von attac vorgenommene Trennung zwischen Produktions- und Spekulationskapital, wobei Produktionskapital positiv bewertet wird. Allerdings seien Produktions- und Spekulationskapital nicht zu trennen, weil Kapital weltweit verschoben werden müsse, um die für es günstigsten Produktionsplätze (was seiner immanenten Logik entspricht) zu finden und außerdem Spekulationsgewinne auch wieder in die Produktion investiert werden. Zudem mache es dieser Gedankengang von attac Rechten leicht, daran mit ihrer Trennung von „raffenden“ und „schaffenden“ Kapital anzuknüpfen. Unbegründet bliebe auch, wieso es denn besser sein soll, wenn das Kapital, statt damit zu spekulieren, in die Produktion investiert werden würde – z.B. (polemisch gesagt) in die von Atomkraftwerken und Riesenstaudämmen.
Es sei attac zwar darin zuzustimmen, dass die Debatte nicht nach Reform vs. Revolution zu führen sei, aber mit ihrer Argumentation, dass die Revolution momentan nicht anstehe und daher Reformen gut seien, umgehe attac jedoch einer Bestimmung, ob den geforderten Reformen eine emanzipatorische Qualität zukomme. Diese sei daran zu bestimmen, ob durch sie mehr Handlungsmöglichkeiten für die Menschen entstünden – was wie gezeigt, auf viele Forderungen von attac nicht zuträfe.

In der anschließenden Diskussion wurden die anwesenden attac-Mitglieder (an dieser Stelle auch ein Danke an sie) über ihre Organisation und ihre Kritik an ihr ausgefragt, es wurde die Gründung attacs rekapituliert und nach den Gründen für den Erfolg dieser Organisation (der Medienhype?) gesucht, der Sinn und Unsinn dezentraler Aktionsgruppen wurde kontrovers diskutiert und vieles mehr. Insgesamt lässt sich also von einer gelungenen und inspirierenden Veranstaltung sprechen.
(online unter:  https://www.fau.org/ortsgruppen/leipzig/art_040803-224001)


Mehr Infos:
Attac-Kritik mit Zitaten und mehr:  http://www.attac-online.de.vu
Organisierung von unten:  http://www.projektwerkstatt.de/ovu
ReferentInnenkontakte:  http://www.vortragsangebote.de.vu
Kreativer Widerstand:  http://www.direct-action.de.vu

Weitere Termine:
Freitag, 8.10.2004, 19 Uhr in Berlin (Cafe Größenwahn oder Mehringhof): Diskussion zu „Macht, Partizipation und Instrumentalisierung in politischen Massenbewegungen“
Samstag, 9.10.2004, 10-18 Uhr in Berlin (Cafe Größenwahn, Kinzigstr. 9, F’hain): Tagesseminar zu „Mythos Attac? Organisierung und Strategien für mehr Bewegung von unten“
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Ergänzungen

wieso bashing?

JoeD 14.08.2004 - 20:16
ich empfinde das Buch als sehr konstruktiv. Es benennt sowohl positive Aspekte bei attac (z.B. lebendige Basisgruppen), wie es auch die Inhalte und die Hierarchien (wie die Selbstherrlichkeit eines Seven Giegold oder Peter Wahl und deren Instrumentalisierung der BAsisgruppen) kritisiert. "kritiker"'s Art und Weise jegliches kritische Herangehensweise gleich in die Ecke des Fundamentalbashings zu stecken, scheint mir da eher bashend.

Erste Rezension ...

social.net.leserin 14.08.2004 - 20:44
Eine erste Rezension hab ich entdeckt:
 http://www.socialnet.de/rezensionen/0408bergstedt_schnurer.html

Attac-Kritik...

Mende 15.08.2004 - 05:12
Satirische Kritik an Attac (und deren Gemeinsamkeiten mit Nazis)aus libertärer Sicht:  http://npd-attac.arcadepages.com)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

Attac — döring

witzig: @kritiker — anwesender

döring = nazi — ich

@ Kritiker — ein Überblick

pure Eigenwerbung — Jörg Bergstedt

Kritiker ist ein Troll — Indymedia Leserin