Die private Hauptstadtsicherheit

Thomas Brunst 23.07.2004 21:49 Themen: Repression Soziale Kämpfe
Wie eine milliardenschwere Sicherheitsindustrie an Einfluß gewinnt und ihre Macht die Grundrechte gefährdet.
Die private Hauptstadtsicherheit

Thomas Brunst, SAFERCITY.DE (Juli 2004)

Während der Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Bereich mehr und mehr ausgeweitet wird, steigt auch die Anzahl der Beschwerden. So sorgte im August 2003 das mit dem „QUIP Award“ prämierte Gütesiegel-Unternehmen GSE (Gesellschaft für Sicherheit und Eigentumsschutz), das im Auftrag der Berliner Verkehrbetriebe Fahrgastkontrollen durchführt, für einen handfesten Skandal: Fahrgäste beklagten sich über rüde Fahrscheinkontrollen und Übergriffe von GSE-KontrolleurInnen. Übergriffe und andere Verfehlungen von MitarbeiterInnen privater Sicherheitsdienste sind – nicht nur im Bereich der Verkehrsbetriebe - an der Tagesordnung. Trotz der lauter werdenden allgemeinen Privatisierungskritik erwartet der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) e.V. für die Branche in den kommenden Jahren vermehrte Auftragsvergaben durch die Kommunen. BDWS-Hauptgeschäftsführer Harald Olschok rechnet damit, dass Wach- und Sicherheitsunternehmen bundesweit weiterhin vom Trend zur so genannten Fremdvergabe etwa von Überwachungsaufgaben profitieren werden. Zudem erwartet Olschok, dass auch die öffentliche Hand Sicherheitsaufgaben weiterhin zunehmend an private Anbieter vergeben wird. Dazu würden klamme Kassen viele Städte und Gemeinden förmlich zwingen, so Olschok im Artikel „Mit Sicherheit Wachstum - Wachdienste wollen weiter zulegen“ (Yahoo! Nachrichten vom 06.07.04). Branchenlobbyist Dr. Eckart Werthebach, früherer Innensenator von Berlin und ehemaliger Präsident des Verfassungsschutzes, spricht sich gar für einen „arbeitsteiligen Sicherheitsverbund zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten“ aus: Er wünscht sich die Privaten als „Verwaltunghelfer" oder - nach Möglichkeit - als „beliehene Hoheitsträger“.


Die „Staatsaufgabenkritik“ der sogenannten „Scholz-Kommission“

Das Vorrechnen von Einsparungspotenzialen in Bezug auf die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand gehört zur Strategie der Sicherheitsbrache den Unternehmen mehr Aufträge zu verschaffen. Nach Aussage des deutschen Städte- und Gemeindebundes vergeben die Kommunen bereits heute mehr als 50% ihrer Aufgaben fremd.
In der Vergangenheit hatten die Leitungen von BDWS und Mitgliedsunternehmen Securitas stets betont, dass sie von sich aus keine Übernahme von Polizeiaufgaben anstreben, allerdings die Möglichkeit hierfür prüfen, wenn die Ministerien derlei Aufgaben von sich aus den Unternehmen anbieten. Nach Aussage von Branchenprimus Securitas Deutschland (517 Mio. Euro Umsatz 2001) kommen derartige Überlegungen nicht von Seiten der Sicherheitswirtschaft.
Ausgerechnet der frühere Brandenburgischer Staatsminister und jetzige Aufsichtsratsvorsitzende von Securitas, Dr. Jürgen Linde, hatte in der sogenannte „Scholz-Kommission“, die im März 2001 von der Diepgen-Regierung beauftragt wurde, für den hochverschuldeten Stadtstaat Berlin eine „Staatsaufgabenkritik“ zu verfassen, mitgearbeitet. In diesem Papier schlägt die Kommission vor, Berliner Polizeibehörden teilweise zu privatisieren und als Arbeitsbereich für private Sicherheitsdienste zu öffnen. Unter anderem sollen nach Kommissionsmeinung das Beschaffungs- und Instandhaltungswesen, sowie die Aus- und Fortbildung der BehördenmitarbeiterInnen „privatwirtschaftlich“ betrieben werden.
Die Kommission empfiehlt auch, private Sicherheitsdienste direkt in die Verwaltung der Polizei einzubinden und mit Sicherheits- und Ordnungsaufgaben im öffentlichen Raum zu betrauen. Die Übernahme von Objektschutzaufgaben und die (Sach)Bearbeitung von Verkehrsangelegenheiten durch Private werden als wesentliche Entlastungen der Polizei erachtet.
Übernahme von öffentlichen Objektschutzaufgaben, Aufnahme von Verkehrunfällen, Zwangsentstempelungen von Kfz-Kennzeichen und Einziehung des Kfz-Scheins, Einziehung von Fahrtenbüchern und Führerscheinen, Ermittlungen bei Verkehrs- und Ordnungswidrigkeiten, Anschriften- und Aufenthaltsermittlungen, Unterstützung der Justizverwaltungen, Rückführungen von Asylbewerbern (in Hamburg bereits seit 2001 Realität), Überwachung des ruhenden und fließenden Verkehrs werden als neue Aufgaben in „teilprivatisierten“ Behördenstrukturen von privaten Sicherheitsdiensten seit längerem eingefordert.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) lehnt naturgemäß jegliche Privatisierungspläne der Berliner Polizeibehörden ab. Das Konzept liefere die „Bürger Berlins der Willkür und dem Profitstreben schlecht ausgebildeter privater Sicherheitsdienste aus und beseitigt das staatliche Gewaltmonopol“, sagte der Vorsitzende der Berliner GdP, Eberhard Schönberg, der Berliner Zeitung (Lokales, 22.06.01).
Größere Unternehmen wie Securitas und Kötter Services (BDWS-Unternehmen) sind auf Grund ihrer vielfältigen Dienstleistungsangebote im Stande, die meisten von einer Polizeibehörde „outgesoursten“ Aufgaben zu übernehmen.
Securitas betreibt ein eigenes Schulungscenter, das für Aus- und Fortbildung „auch von externen Kräften aus Behörden, Institutionen und Unternehmen der Wirtschaft genutzt“ wird. Ähnliches geschieht bei Kötter im Rahmen des „Kötter Consulting Plus“ („Beratung-Konzepte-Durchführung“) für KundInnen und deren MitarbeiterInnen. „Kötter Consulting Plus ermittelt im Kundenauftrag umfassend Schwachstellen und erarbeitet und realisiert Optimierungspotenziale in Prozessen und Risikostrukturen“, heißt es in der Kötter-Werbung hierzu.
Beide Sicherheitsunternehmen sind bereits mit verschiedenen größeren (öffentlichen) Aufträgen betraut: Hierzu zählen beispielsweise Einsätze auf Flughäfen und in Verkehrsbetrieben sowie der Schutz von Kernkraftwerken. Kötter Services stellt zudem „Justizfachkräfte“ in der JVA Büren.
Die Branche blickt in puncto Fremdvergabe positiv in die Zukunft: „Die Aufträge an private Sicherheitsdienste seitens der öffentlichen Hand werden steigen, nicht nur in JVA’s.“, meint Kötter-Firmensprecher Schulte-Fischediek.


Lobbyismus

Im Februar 2002 fand in Berlin das erste „Berliner rechtspolitische Gespräch“ statt. Dieses „Gespräch“ wurde von der Forschungsstelle Sicherheitsgewerbe (FORSI), der Universität Hamburg, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), in Berlin veranstaltet. Nebenbei: Die FORSI wird offiziell von Securitas gesponsert!
Dr. Jürgen Linde trat bei dieser Veranstaltung als Aufsichtsratsvorsitzender von Securitas Deutschland auf und warb für die Umsetzung der Empfehlungen seiner „Scholz-Kommission“ im Bereich Hauptstadtpolizei. „Die derzeitige Sicherheitslage, deren prognostizierte Verschärfung sowie die Leistungsgrenzen staatlich und kommunal gewährter Sicherheit erfordern eine sicherheitspolitische Bestandsaufnahme“ so Linde. Der Securitas-Vertreter führte weiter aus, dass die steigende Kriminalitätsbelastung die Polizeien des Bundes und der Länder an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringe. Diese Rahmenbedingungen, sowie die gleichzeitig notwendigen Investitionen in Milliardenhöhe in die Kommunikationstechnik der Polizei, erzwingen eine neue Ordnung staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Wie die Sicherheitsverantwortung aufzuteilen sei, wie viel Durchführungsverantwortung Private nach welchem Prinzip bekommen dürften oder nach dem Subsidiaritätsprinzip sogar bekommen sollten, dabei jedoch die Gewährleistungsverantwortung beim Staat zu verbleiben habe, diese Fragen, so Linde, gehörten dringend auf die Agenda der sicherheitspolitischen Diskussion. Es sei desweiteren zu prüfen, welche Aufgaben zur Entlastung staatlicher Organe auf private Sicherheitsdienste übertragen werden könnten.
Als offizielle „Partner der Polizei“, Stifter- und Kuratoriumsmitglieder im Deutschen Forum für Kriminalprävention (DKF), TeilnehmerInnen der Innenministerkonferenz (IMK) sowie durch Kontakte zu VertreternInnen höchster politischen Ämter, vertritt der BDWS „geldwerte“ Interessen und Ziele der Branche.


Gute Freunde ...

Bundesinnenminister Otto Schily, der am 24.11.01 zum Vorsitzenden des DFK-Kuratoriums gewählt wurde, macht als Freund privater Sicherheitsdienste kein Geheimnis daraus, welche Rolle den SpitzenvertreterInnen der Sicherheitswirtschaft im DFK zukommt: „Das Kuratorium beschließt unter anderem über die Schwerpunkte der Arbeit des DFK; die Kuratoriumsmitglieder haben somit Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der Präventionspolitik – also auch das private Sicherheitsgewerbe über seine Vertreter im Kuratorium“, so Schily hierzu.
Schily hatte außerdem vor der Bundestagswahl 2002 öffentlich erklärt: „Alles in allem ist festzustellen, dass die letzten Jahre in außergewöhnlicher Weise dazu genutzt worden sind, um die Grundlagen dafür zu schaffen, dass das private Sicherheitsgewerbe seine Aufgaben mit stets wachsendem Erfolg erfüllen kann. Für mich besteht daher aller Anlass für die Prognose, dass die Bedeutung der Branche in Zukunft weiter zunehmen wird!“ .
Schily möchte diese Kooperationen zwischen staatlichen und privaten OrdnungshüterInnen „optimieren“, mit dem Ziel, dass „sich hierdurch auch mögliche Vorbehalte auf der einen oder anderen Seite abbauen. (...) So sollte insbesondere der Informationsaustausch zwischen der Polizei und den an der Sicherheitskooperation teilnehmenden privaten Sicherheitsunternehmen intensiviert und vor allem in beide Richtungen praktiziert werden. Noch bestehende technische und organisatorische Probleme bei der Informationsweiterleitung an die Polizei müssen weiter abgebaut werden“, verkündete der Bundesinnenminister.


Gewinne und Verluste

Bei der Suche nach den GewinnerInnen dieser Entwicklung wird man schnell fündig. Natürlich haben die Unternehmen ein Interesse an einer Ausdehnung des Sicherheitsmarktes, andererseits bietet eine Kooperation zwischen Privaten und Behörden auch positive Perspektiven für VerfechterInnen einer restriktiven „Law and Order"-Politik mit Vertreibung von störenden Elementen aus dem sauberen Stadtbild. Bietet doch die rechtliche Grauzone einer solchen Kooperation die Möglichkeit einer Arbeitsteilung zwischen Polizei und Privaten, wobei die eine Seite jeweils die Aufgaben übernimmt die der anderen - und zwar aus gutem Grund - untersagt sind.
Zu wessen lasten die sogenannten Effizienzsteigerungen durch Privatisierung staatlicher Aufgaben gehen zeigt das Lohnniveau der Sicherheitsbranche. Im Juni 2003 war im Stelleninformationssystem auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit folgendes Stellenangebot zu finden: „Wachmann-/ frau, Objektschutz, 3,96 + Zuschläge, Vollzeit/ 72 Stunden“ Dieses Stellenangebot kam von der Sicherheitsfirma Securicor GmbH, einem BDWS-Unternehmen in Magdeburg. 4,12 Euro will die Hebold Sicherheitsdienst GmbH an ihre Ostbeschäftigten zahlen, in der Bundeshauptstadt versucht das Unternehmen es gar mit 3,65 Euro. Fakt ist: Schon heute müssen Beschäftigte im Sicherheitsgewerbe ergänzende Sozialhilfe beantragen, um sich und ihre Familien ernähren zu können. Von Kostensenkung für den Staat durch Outsourcing kann bei der damit verbundenen Ausweitung dieser prekären Beschäftigungsverhältnisse also auch nur bedingt gesprochen werden. Der niedrigste dokumentierte Bruttostundenlohn im Wachgewerbe beträgt derzeit 3,58 Euro - Ausbeutung mit Sicherheit.


Klartext von Kennern und Insidern

Die Urteile von Kennern und Insidern über die Sicherheitsbranche sind - auch außerhalb Berlins - vernichtend. „Da kraucht alles mögliche rum, es ist schlicht unseriös“, sagt Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Joachim Gutsche, Betriebsratsmitglied bei Securitas in Berlin, meint: „Wir sind wirklich die letzte Branche, darunter gibt es nichts mehr“, das Sicherheitsgewerbe sei ein „Auffangbecken für Unqualifizierte“. Das Betriebsratsmitglied eines anderen großen Sicherheitsunternehmens sagt: Es ist „Sodom und Gomorrha, da sind viele, die anderswo keine Arbeit mehr finden.“ Die Branche sei „das Schlimmste“ und „nicht mehr integer“.
Alle diese Aussagen stammen aus dem Artikel „Die Unsicherheitsdienste“, der am 10.09.03 in der Berliner Zeitung (Lokales) erschienen ist.



*Dieser Artikel ist ein zusammengefasster Auszug aus dem Text „Die private Stadtsicherheit - Wie in Deutschland eine milliardenschwere Sicherheitsindustrie an Einfluß gewinnt und ihre Macht die Grundrechte gefährdet.“

Im Internet unter:

Text:  http://www.workfare.ipn.de/buch/index.php?option=content&task=view&id=24&Itemid=2

PDF:  http://www.workfare.ipn.de/sic21204.pdf
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Unternehmen Krieg

B 24.07.2004 - 01:09
Interessant in diesem Zusammenhang auch wie Sicherheitsfirmen und -Konzerne mit Söldnern am Krieg verdienen. Ein großer Teil der Soldaten im Irak sind ja Angestellte privater Firmen. Allmählich verschwimmt die Grenze zwischen Kriegen nach innen und Kriegen nach aussen, sowie zwischen Miltär, Polizei und Privatarmeen. Unter dieser Sichtweise noch mal erheblich beunruhigenderer...

Buchtipp:
Dario Azzellini und Boris Kanzleiter: "Das Unternehmen Krieg"
Paramilitärs, Warlords und Privatarmeen als Akteure der neuen Kriegsordnung
 http://www.bo-alternativ.de/Das-Unternehmen-Krieg.htm

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

Tja — Der Resignierte

Fast alles richtig — Fehlerteufel