20. Juli 1944: Lehren für breiteste Bündnisse

Eberhard Czichon 21.07.2004 12:10
Nach der Niederlage von Stalingrad - Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen, Arbeiter, Angestellte, Beamte, Offiziere und Intellektuelle bildeten das Umfeld, auf dem sich im Juli 1944 der Anschlag auf Hitler entwickelte.
"Wir Kommunisten reichen jedem Hitler-Gegner die Hand"

Wie alte Denkweisen und traditionelle Gewohnheiten überwunden wurden



Als sich im Juli 1944 deutsche Offiziere zu dem Versuch entschlossen, mit einem Anschlag auf Hitler den Krieg zu beenden, kam darin bereits eine ernste Krise der deutschen Bourgeoisie zum Ausdruck. Auch wenn diese Anti-Hitler-Kräfte, zu denen selbst Gruppen der bürgerlichen Schichten gehörten, wie u. a. der Kreisauer Kreis um Helmuth von Moltke, grundsätzlich keinen Bruch mit dem kapitalistischen System anstrebten, waren doch kommunistische Widerstandsgruppen bereit, mit ihnen gegen den gemeinsamen Gegner zusammen in einer Front zu arbeiten.

Kommunisten gehörten und gehören zu den entschiedensten Gegnern des Faschismus. Als Ernst Thälmann im März 1931 dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) vorschlug, auf der Grundlage der Einheitsfront der Arbeiterklasse, einen Schritt weiterzugehen, zur Schaffung einer Volksfront, ging es ihm darum, auch die Mittelschichten für den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus zu gewinnen. Doch es gelang Thälmann nicht, sich durchzusetzen. Er scheiterte vor allem daran, dass in der Komintern der qualitative Unterschied zwischen bürgerlich-parlamentarischer und faschistischer Herrschaftsmethoden des Kapitals nicht unterschieden wurde und gegenüber den Bündnispartnern der Arbeiterklasse sektiererische Vorstellungen dominierten.

Diese dogmatische Schranke in der kommunistischen Bündnispolitik konnte im Wesentlichen erst nach dem 30. Januar 1933 schrittweise überwunden werden. Es waren im Politbüro des ZK der KPD vorwiegend Wilhelm Pieck, Franz Dahlem und Walter Ulbricht, die den Gedanken Thälmanns zu einer breiten Volksfront aufgriffen und ihn auf der Grundlage der Analyse des Faschismus - die das XIII. Plenum des Exekutivkomitees der KI vom Dezember 1933 erarbeitete - weiterentwickelten. Doch der Weg zu einer neuen Orientierung blieb schwierig.

Das Bündniskonzept "Volksfront"

Obgleich sich in Nazideutschland nach 1933 trotz des Gestapo-Terrors viele kommunistische und sozialdemokratische Widerstandsgruppen bildeten und im praktischen antifaschistischen Kampf auch die Zusammenarbeit zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Organisationen entwickelte, dauerten in der Führung der KPD ebenso wie in der SPD die Auseinandersetzungen um ein Zusammengehen der beiden Parteien gegen die Hitler-Diktatur weiter an. Das gegenseitige Misstrauen, das vor 1933 entstanden war, belastete schwer die notwendigen politischen Entscheidungen. Die Diskussionen im EKKI wie in der KPD-Führung zogen sich auch nach dem XIII. EKKI-Plenum 1934 in der Vorbereitung des VII. KI-Kongresses weiter hin, der wegen dieser Meinungsverschiedenheiten schließlich auf den Juli 1935 vertagt werden musste.

Es erwies sich als nicht leicht, alte Denkweisen und traditionelle Gewohnheiten zu überwinden. Teile der Beschlüsse des VI. KI-Kongresses 1928 hatten sich als unrealistisch erwiesen, vor allem aber die starre Losung Stalins "Klasse gegen Klasse" und die politisch falsche Orientierung auf ein Sowjetdeutschland als unmittelbares Kampfziel standen jeder antifaschistischen Bündnispolitik entgegen. Sich von diesen Beschlüssen zu trennen und eine Einheitsfront mit sozialdemokratischen Organisationen und Leitungen anzustreben und dafür zu kämpfen war - angesichts der Haltung vieler sozialdemokratischen Funktionäre - für manchen Kommunisten schwer nachvollziehbar. Eine Zusammenarbeit mit nicht zur Arbeiterklasse gehörigen Anti-Hitler-Gegnern schien ihnen zudem als eine Abkehr von den Interessen der Arbeiterklasse.

Erst die Auswertung der internationalen Kampferfahrungen nach 1934 vor allem in Frankreich, Österreich und Spanien durch das EKKI und die ausführliche Diskussion der Meinungsdifferenzen Anfang Januar 1935 zwischen der Politischen Kommission des EKKI und der KPD-Führung sowie am 26. 1. 1935 im EKKI-Präsidium führten dann auch in der deutschen Parteiführung zu einer knappen Mehrheit für eine politische Neuorientierung. Von sieben Politbüro-Mitgliedern stimmten vier einer Resolution zur Überwindung der sektiererischen Fehler zu und ebneten damit den Weg zur Ausarbeitung des Bündniskonzepts der Volksfront zum Kampf gegen den Faschismus als den Hauptfeind des deutschen Volkes. Die knappe Mehrheit im Politbüro zeigt die Kompliziertheit der Entscheidung, die zudem den Beschluss enthielt, dass die Kommunisten wieder bemüht sein sollen, die Freien Gewerkschaften aufzubauen, aus denen viele von ihnen einst ausgeschlossen worden waren. Es wäre jedoch oberflächlich zu urteilen, wenn wir die Diskussionen nur als Fraktionskämpfe bewerten würden. Sie waren angesichts der dogmatischen Vorbelastungen vielmehr ein ernstes Ringen, um die Hinweise Lenins zur kommunistischen Strategie und Taktik auf die schweren Klassenkampfbedingungen unter dem faschistischen Terror anzuwenden und neue Wege und Formen des gemeinsamen Kampfes für die Gewinnung von Bundesgenossen gegen den Faschismus zu suchen.

Wenn auch auf dem VII. KI-Kongress 1935 Dimitroff, ebenso wie die anderen Redner, der Analyse der Ursachen, die zur Niederlage von 1933 führten, auswichen, vermochten doch die Kongress-Beschlüsse eine entschiedene Rückkehr zur Leninschen Strategie und Taktik des Klassenkampfes einzuleiten. Mit ihnen wurden die Grundsätze kommunistischer Bündnis- und Einheitsfrontpolitik weitgehend wiederhergestellt.

Kommunistische Bündnispolitik orientiert vor allem auf die Aktionseinheit der Arbeiterklasse, muss aber über sie hinausreichen. Das hatte Thälmann mit seinem Volksfront-Gedanken gegen den Faschismus 1931 deutlich machen wollen. Mit einem solchen Bündnis werden zweifellos die Interessen der Arbeiterklasse mit denen anderer Schichten und Bevölkerungsgruppen zu einer gemeinsamen Zielstellung verbunden. Dabei sind politische Widersprüche unter den Herrschenden auszunutzen und folglich ist eine gemeinsame Plattform auszuarbeiten, die allen Interessen der Bündniskräfte entspricht. Das wird für Kommunisten stets nur eine Teillösung sein, doch eine Teillösung kann zugleich einen politischen oder/und sozialen Fortschritt darstellen. Solche Bündnisse können selbst mit Teilen der Bourgeoisie notwendig werden. Die Voraussetzungen dafür ergeben sich jeweils aus den konkret-historischen Bedingungen. Das hatten Marx und Engels im Kommunistischen Manifest dargelegt, und darüber sprach Lenin auf dem III. KI-Kongress. In der Volksfrontpolitik nach 1933 war dies der gemeinsame Kampf gegen den Faschismus, die Verteidigung demokratischer und sozialer Rechte gegen die reaktionärsten Teile des Kapitals, die Bannung der Kriegsgefahr. Von der KP Chinas war beispielweise ein solches zeitweiliges Bündnis mit der Guomindang gegen die japanischen Aggressoren eingegangen worden.

Überwindung sektiererischer Tendenzen

Wieweit in einem Aktionsbündnis die jeweiligen Interessen gleichberechtigt sind oder welche Kraft die Hegemonie in ihm ausübt und auf welchen Zeitraum eine solche Kampfgemeinschaft angelegt ist, entscheidet sich, das beweisen die historischen Erfahrungen, immer durch die innere Dynamik solcher Bündnisse, bestimmt durch das Kräfteverhältnis der Bündnispartner in ihnen und ihr politisches Verhalten.

Zugleich wird der Zeithorizont eines solchen Bündnisses getragen und begrenzt durch die Aktivität seiner Massenbasis. Auch das lehrt uns die Geschichte. Der Vorwurf, dass in einem Volksfrontbündnis vielfach die Interessen der Arbeiterklasse aufgegeben werden, greift nicht. Ihr Verzicht auf es würde zur Isolation der Kommunisten führen und auf die Fehler des VI. Komintern-Kongresses zurückfallen.

Die Beschlüsse des VII. KI-Kongresses 1935 befähigten dann auch die Kommunistischen Parteien Westeuropas, gegen jene Teile ihrer nationalen Bourgeoisie, die mit dem deutschen Faschismus sympathisierten, in die Offensive zu gehen und die faschistischen Gefahren in Frankreich und zunächst auch in Spanien zu bannen. Zugleich konnte der Faschismus in der Weltöffentlichkeit weitgehend geächtet werden.

Mit der Kritik an den taktischen wie strategischen Fehlern der KPD vor 1933 durch Pieck auf der - dem VII. KI-Kongress - nachfolgenden Reichskonferenz, konnten weitgehend die sektiererischen Tendenzen in der Partei überwunden werden. Die Konferenz orientierte die illegalen Parteiorganisationen auf die neuen Aufgaben in der Gewerkschafts- und Bündnispolitik zur Schaffung einer Volksfront zur Verteidigung der demokratischen Grundrechte und Freiheiten und gegen den Hitlerfaschismus als Hauptkriegstreiber in Europa.

Wenn es auch der KPD und der mit ihr in der Volksfront verbündeten Kräfte nach 1935 nicht gelang, die Bedingungen zu schaffen, um Hitler zu stürzen, schufen sie mit ihrer Unterstützung aller Hitler-Gegner doch Voraussetzungen für eine breit gefächerte Widerstandsfront gegen das faschistische Regime, die zunehmend bis in das Bürgertum reichte. Im Ergebnis kam es nach 1940 zur Neuformierung von antifaschistischen Widerstandsgruppen auf der Grundlage der Volksfrontkonzeption.

Widerstandsfront bis ins Bürgertum

Unter den verschiedenen antifaschistischen Widerstandsgruppen soll hier vor allem auf die Gruppe um Schulze-Boysen und Arvid von Harnack und auf die Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe verwiesen werden, als jene Widerstandsformationen, in denen Kommunisten mit Sozialdemokraten, Angehörigen der Intelligenz, der Beamtenschaft und der Wehrmacht zusammenarbeiteten und die weit verzweigt in vielen Rüstungsbetrieben verankert waren. Ihre Verbindungen reichten bis zu demokratisch gesinnten Kreisen der Organisatoren der Verschwörung gegen Hitler.

Wenn auch viele Kommunisten wussten, dass die bürgerliche Opposition keinen antifaschistischen Charakter hatte, bemühten sie sich dennoch, mit allen Anti-Hitler-Gegnern zusammenzuarbeiten, wie die Gruppe um Robert Uhrig und Beppo Römer, die Verbindungen zum Solz-Kreis unterhielt. Auch die Widerstandsgruppe um Georg Schumann in Leipzig suchte Verbindung zu Hitler-Gegnern in verschiedenen Bevölkerungsschichten. Georg Schumann nahm Verhandlungen mit Carl Gördeler auf, die jedoch scheiterten. Gördeler lehnte die Zusammenarbeit mit Kommunisten auch dann ab, als das von Stauffenberg vorschlug.

Schließlich entstand aus der Opposition in der deutschen Armee nach der Niederlage von Stalingrad das "Nationalkomitee Freies Deutschland" und der Bund der Offiziere. Sie alle, Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen, Arbeiter, Angestellte, Beamten, Offiziere und viele Intellektuelle bildeten das Umfeld, auf dem sich im Juli 1944 der Anschlag auf Hitler entwickelte.

Weil die Bündnispolitik der KPD oftmals vereinfacht wurde, weil heute ihre Fähigkeit mit bürgerlichen Kräften gegen einen gemeinsamen Feind zu kämpfen vielfach in Vergessenheit geraten ist und weil der Widerstandskampf der Kommunisten gegenwärtig nahezu völlig verdrängt wird, sollten wir uns anlässlich des 60. Jahrestag der Offiziersverschwörung gegen Hitler historische Tatsachen immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen.

Eberhard Czichon

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Ergänzungen

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der nestscheißer 21.07.2004 - 17:51

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der nestscheißer 21.07.2004 - 17:53

Thälmann und die Sozialfaschismusthese

Stephan 21.07.2004 - 17:54
In Czichons Sicht hat nur die KomIntern bezw. deren Exekutivkommitee (EKKI) Thälmann an der Schaffung einer Volksfront gegen den Faschismus gehindert. Diese Redution halte ich für historisch falsch. In dieser Sichtweise werden Thälmann und die KPD de facto zu Marionetten der sowjetischen Außen- und Innenpolitik (deren Einfluß hier nicht bestritten sondern nur relativiert werden soll)gemacht. Thälmann schwankte, wie die KPD insgesamt, zwischen kurzfristigen Revolutionshoffnungen und einer realistischen Einschätzung der faschistischen Gefahr. Dazu kamen die ablehenden Reaktionen von SPD und Gewerkschaften auf alle Angebote zur Zusammenarbeit und eine reaktionäre Politik der SPD-Führung, die den zuvor abgelehnten Panzerbau betrieb, die 1. Mai-Demonstration in Berlin 1929 auseinanderschießen ließ und kommunistische Organisationen wie den Rotrontkämpferbund verbot. Die Wut auf die Schweinereien der sozialdemokratischen Führung verdrängte da oft den Wunsch nach Einheit.
Thälmann selbst hatte auf dem von Czichon zitierten VI. Kongress der Kommunistischen Internationale keineswegs zu den Gegnern der Soialfaschismusthese gehört sondern "eine allgemeine Entwicklung des Reformismus zum Sozialfaschismus" behauptet. Gegen die Sozialfaschismusthese hatten sich hauptsächlich "rechte" Kommunisten wie THalheimer und Bucharin sowie die italienischen Delgierten Tasca und Togliatti ausgesprochen, die den Begriff Faschismus auf Italien beschränken wollten (und die später tatsächlich umschwenkten).
Wenn Thälmann in der Reichstagswahl 1930, in der die NSDAP ihren ersten großen Wahlerfolg hatte, einen "überwältigenden" Erfolg der KPD sieht und die Stimmenzuwächse der NSDAP nur für eine "Umgruppierung des bürgerlichen Lagers" hält, widerspricht dies schon dem Bild vom andauernden Mahner vor der faschistischen Gefahr.
Im Mai 1931 erklärte Thälmann zum wiederholten Male, dass der Hauptstoss gegen die SPD zu richten sei denn: "Ohne im Kampf gegen die SPD zu siegen, können wir nicht den Faschismus schlagen!"
Um nicht mißverstanden zu werden: Natürlich hat Thalheimer auch Bündnissangebote an die SPD gemacht. Da diese nie darauf einging, muß offen bleiben, wie ernst diese im Einzelnen gemein gewesen sind und ob die KPD tasächlich bereit gewesen wäre, zugunsten eines gemeinsamen antifashcistischen Widerstands auf eine offensive, in Richtung Revolution zielende, Politik zu verzichten. Denn dies wäre sicher der Preis für eine über Einzelaktionen hinausgehende Einheitsfront gewesen.

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@Stephan — keiner

@Keiner — Stephan