Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat
Viel hat sich in Deutschland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verändert. Die Innenministerkonferenz am Mittwoch und Donnerstag in Kiel hatte Möglichkeiten der Prävention terroristischer Bedrohungen zum Hauptthema erhoben. Das Treffen fand unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Inhaltlich knüpfte man an den eingeleiteten Massnahmenkatalog zur Terrorismusabwehr der Bundesregierung und des Bundesinnenministeriums an.
Zum 01. Januar 2002 trat das neue Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft.
Ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Transformation der Bundesrepublik vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat.
Hier ein kurzer Überblick über Beschlüsse, Massnahmen, Gesetzentwürfe und Entwicklungen nach dem 11. September 2001.
Zum 01. Januar 2002 trat das neue Terrorismusbekämpfungsgesetz in Kraft.
Ein wichtiger Schritt auf dem Wege der Transformation der Bundesrepublik vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat.
Hier ein kurzer Überblick über Beschlüsse, Massnahmen, Gesetzentwürfe und Entwicklungen nach dem 11. September 2001.
- Kleiner und Grosser Lauschangriff mehr Infos auch hier
- Grosser Lauschangriff
- EU-weite elektronische Rasterfahndung mit Einbeziehung von Sozialdaten
- Schleierfahndung
- Enfopol
- Ausbau von Europol
- die Sicherheitspakete I (§ 129b StgB) und II
- Überwachung des gesamten Festnetztelefon- und Mobilfunkverkehrs
- Videoüberwachung
- die Änderung des Vereinsgesetzes
- die Abschaffung des Religionsprivilegs
- härtere Einreisebestimmungen
- Einführung biometrischer Pässe
- engere Zusammenarbeit der Polizei mit privaten Sicherheitsunternehmen
- verschärfte Kontrolle ausländischer Vereine
- bewaffnete Flugbegleiter
- vollständige Gepäckkontrollen
- Aufrechterhaltung der Terrorismusbekämpfung als zentrales, politisches Thema
- Aufstockung des Budgets für Zivil- und Katastrohenschutz von 186.190 Millionen Euro (2002) auf 189.467 Mill. Euro (2003) für THW und Zivilschutz
- Gründung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
- Ausgestaltung der Deutschen Zentralstelle für Verdachtsanzeigen (FIU Financial Intelligence Unit)
- Pläne zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren neben Art. 35 GG
- Pläne zur Ausstattung der Bundeswehr mit Wasserwerfern, vorerst für Auslandseinsätze
- Einschränkung der Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit (§§ 3 und 4 Vereinsgesetz)
- Geldwäschebekämpfungsgesetz, Kontrolle elektronischer Finanzströme und Ausbau der Arbeit des Zolls
- Einführung von Computer Emergency Response Teams (CERT) durch Bund und Telekom
- Einführung des europäischen Haftbefehls
- Öffnung der EURODAC- Datenbank für polizeiliche Zwecke
- Verwendung von Erkenntnissen aus Visa-Konsultationsverfahren
- Neubeschaffung von ABC-Erkundungswagen, Krankentransportwagen und Katastrophenschutzfahrzeugen
- Bestellung von 35 Millionen Dosen Pockenimpfstoff als nationale Notreserve durch das BMI
- Einrichtung gemeinsamer Visa-Dateien für Drittstaatenangehörige
- Gründung der Spezialeinheit Besondere Aufbauorganisation USA (BOA USA) am 11.09.01 im BKA in Meckenheim und Hamburg
- Errichtung von Eurojust, Aufbau internationaler Ermittlungsgruppen
- Einführung der grenzüberschreitenden Nacheile
- Aufbewahrung von Verkehrsdaten durch private Dienstanbieter
- Einführung eines Zuverlässigkeitsprüfungstests für Flugschüler und Luftfahrer
- Einführung eines Luftsicherheitsprogramms, Abschuss ziviler Maschinen im Notfall
- Einrichtung der Projektgruppe Biometrie im Bundesinnenministerium
- Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen
- Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems
- Anschaffung moderner Ermittlungstechnik und Logistik, Personalaufbau im Inneren
- Erhöhung des Budgets für BGS, Bereitschaftspolizei, Zivilschutz, THW, BSI und BKA trotz Haushaltskonsolidierung
- Einfühhrung des Themas Folter in den öffentlichen und politischen Diskurs
- Einführung einer EU-Grenzschutzagentur
- Verbot des Besitzes bestimmter Waffen
All diese Faktoren verkörpern das neue Sicherheitsdenken. Die Grundlagen und Wurzeln dieser Neuerungen liegen auch in den juristischen Folgen der Anschläge der RAF und dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992.
Der Apparat von Polizei, Innenverwaltung, Militär, Nachrichtendiensten, Sozialverwaltung und Justiz wurde nicht nur umgestellt und reformiert, sondern auch erweitert. Galt es bisher, in erster Linie direkte, sichtbare Gefahren abzuwenden, begann man nun auch mit der Abwehr unsichtbarer Gefahren. Dies bringt das Verhältnis von Mittel und Nutzen aus dem Gleichgeswicht.
Das Prinzip der Gesetzmässigkeit,
eine Polizei ohne richterliche Befugnisse und
eine klare Trennung von Polizei und Geheimdiensten
sind wesentliche Säulen eines Rechtsstaates.
Durch diese Trennung von Exekutive und Legislative unterscheidet sich das politische System der Bundesrepublik von dem des NS-Staates. Eine Unterstellung der Landeskriminalämter unter das BKA und eine Eingliederung der VS-Landesstellen unter das Bundesamt für Verfassungsschutz werden von vielen Bürgerinnen und Bürgern als massiver Einschnitt in das rechtsstaatliche System gewertet.
Dies hatte Innenminister Otto Schily (SPD) jedoch im Vorfeld der Innenministerkonferenz in Kiel vorgeschlagen.
Zwar sahen die Innenminister der Länder eine Notwendigkeit für die Zentralisierung der Datensammlung ein, jedoch lehnten sie eine sofortige Aufhebung der Abgrenzung der Ermittlungsbehörden ab.
Die Bezeichnung Rechtsstaat tauchte erstmals in Robert von Mohls Buch Die deutsche Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates (1832-1834) auf, und wird dort als Gegensatzbegriff zum aristokratischen Polizeistaat verwendet.
"Grundrechte sind nicht nur eine Schranke gesetzlicher Entscheidungen, sondern zugleich auch Zielbestimmung aller Staatstätigkeit. Das materielle Grundprinzip des Rechtsstaates ist die Garantie der Menschenwürde, aus der sich wesentliche inhatliche Festlegungen für die Staatstätigkeit ergeben.
Zu den Elementen des Rechtsstaatsprinzips (...) gehören insbesondere:
die Bindung aller Staatstätigkeit an die Verfassung als die ranghöchste Norm,
die Rechtsbindung der Gewalten in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtssprechung,
die Trennung und Ausbalancierung der Gewalten (auch im Verhältnis des Bundes zu den Ländern (Föderalismus),
der Grundrechtsschutz als materielle Seite des Rechtsstaats,
die Garantie des effektiven Rechtsschutzes des einzelnen gegenüber jeglicher ihn betreffenden Staatstätigkeit."
Ernst Benda, in: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik, München 1996. S.133-134.
"Ein Mißbrauch der der Herrschaftsgewalt soll auch dadurch möglichst eingeschränkt werden, dass nicht alle Entscheidungskompetenzen bei einer Person oder Institution konzentriert, sondern auf verschiedene verteilt sind. Diese Kompetenzverteilung, die oft auch mit dem auf Montesquieu zurückgehenden Begriff der "Gewaltenteilung" bezeichnet wird, soll nicht nur Machtmißbrauch durch ein Herrschaftsmonopol verhindern, sondern durch die Beteiligung mehrerer Institutionen an der Entscheidungsfindung auch für eine möglichst ausgewogene Machtbalance sorgen."
Ludwig Helbig: Politik im Aufriß, Frankfurt am Main, 1993. S.17.
Die Gefahr der Schaffung eines sogenannten Überwachungs- oder Polizeistaates wird seit den Anschlägen vom 11. September 2001 immer öfter in den gesellschaftlichen Diskurs gerückt.
Weniger pauschalisierend und oberflächlich ist der politikwissenschaftliche Begriff Präventionsstaat.Dieser soll im zweiten Teil dieses Textes anhand von Beispielen aus der Bundespolitik erläutert werden.
Ein besonderer Augenmerk soll auf der Einschränkung des Datenschutzes liegen.
Dabei soll auf die Formen präventionsstaatlicher Aktivitäten eingegangen werden.
Weiterhin wird der Wandel der Funktion des Staates und der Verwaltung verglichen mit dem Wandel der Funktion des Datenschutzes. Dabei wird auch Bezug auf die Rolle des Datenschutzes in der DDR genommen. Weiterhin wird die Entstehung einer Risikogesellschaft erörtert und die Gefahren, die ein Präventionsstaat in sich birgt, herausgearbeitet.
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Ergänzungen
zu Paragraf 129b
(zwar komplett staatstragende argumentation, aber schlüssig)
http://www.cilip.de/terror/orgbuero.htm
Telekommunikationsgesetz
Ergänzend noch ein Verweis auf die Verschärfung des Telekommunikationsgesetzes. Die frühere "Telekommunikationsüberwachungsverordnung" wurde in stark verschärfter Form Bestandteil des Telekommunikationsgesetzes.
Mit diesen Verschärfungen spielt es keine Rolle mehr, ob Dein Internetprovider t-online oder BKA heißt und ob Deine Mail-Adresse xyz@web.de heißt oder xyz@verfassungsschutz.de.
Der technische Aufwand zum Überwachen ist gleich hoch.
küsschen
Noch ein paar Ergänzungen
- CAPPS II, das die Weitergabe von Daten der Flugpassagiere an US-Behörden vorschreibt
- Nicht nur die Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems (SIS) zum SIS II, sondern auch die Erweiterung der Zugriffsrechte auf Banken und große Firmen sowie auf Staaten außerhalb des SIS
- Der letztes Jahr im August/September vollzogene Umstieg der deutschen Polizei auf Inpol-Neu, das mit seiner bundesweiten Einheitlichkeit die Voraussetzung für die jetzt ins Gespräch kommende Entmachtung der Länderpolizeien durch die Bundespolizei war.
küsschen
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Warum Epochenwechsel?
Artikel dieser Art, verfasst von linken JuristInnen, BürgerrechtlerInnen etc. gibt es seit Jahrzehnten und irgendwie fragt mensch sich: Waren die Prognosen eigentlich bisher immer falsch, eventuell gar weil die Widerstandbewegungen "breiter gesellschaftlicher Gruppen" permanent gesiegt haben? Oder hat das Rechtssystem soetwas wie einen Resetschalter, der nach jeder Verwandlung des Rechtsstaates in einen Obrigkeits-, Sicherheits-, Präventions-, Polizei- und sonstwas-Staat diesen wieder in einen Rechtsstaat zurückverwandelt damit die Gefahr von neuem drohen kann?
Beispielsweise steht die Aufhebung der Trennung von Polizei- und Geheimdienst nun schon zum x-ten Mal bevor und nie kommt wer auf die Idee, dass das Verhältnis von Polizei und Geheimdienst sich schon immer bzw. seit 1945 ganz anders gestaltet hat, als die Bewahrer der vermeintlichen Grundrechte des Rechtsstaates es sich immer vorstellen.
Wäre der gesellschaftliche Skandal nicht viel größer - sprich nötigte die Realität nicht zu wesentlich schärferer Gesellschaftskritik - wenn die Kommentare der Sicherheitsorgane zuträfen? Wenn es sich bei den meisten Maßnahmen, Gesetzesänderungen etc. wirklich nur um die Anpassung der Repressionsinstrumente an neue Gegebenheiten handelte? Wenn es also um nichts als die simple Fortsetzung des Rechtsstaates ginge?
Das am laufenden Band prophezeite Umkippen des Rechts in Unrecht ergibt sich erst aus dem Ideal, das sich die RechtsstaatsfanatikerInnen von ihrem Objekt machen. Der Restschalter ist deren eigene Ideologie.
vom rechtsStaat zu was?
Diese Leute bräuchten etwas was sie vor sich selbst schützt.
Vom Schutz der Anderen ganz zu schweigen.
Fröhliches Weiterfälschen, wertes Establishment!