Innenministerkonferenz in Kiel beendet

Jens Steiner 10.07.2004 14:45 Themen: Repression
  • Polizei und Nachrichtendienste bleiben vorerst dezentral.
  • Index-Datei für Systemgegner und Islamisten wird eingeführt.
  • Zentrales Analyse- und Lagezentrum wird in Berlin aufgebaut.
  • Rechtliche Grundlagen für genetischen Fingerabdruck bei polizeilicher EKD-Behandlung geschaffen. Richterlicher Erlass oder schwerer Tatverdacht künftig nicht mehr nötig.
  • DNA-Daten werden 20 statt 10 Jahre gespeichert.
  • KUNO-System (Polizei Sachsen) soll Internet- und Kreditkartenbetrug eindämmen.
  • EC-Kartenzahlung nur noch mit Online-Bonitätsprüfung.
  • Eindämmung von Einzugslastschriften.
  • Lauschangriff wird vorerst nicht ausgeweitet. (update)
  • Transformation Rechtsstaat zu Präventivstaat.
  • Pressefreiheit in Deutschland gefährdet.
  • Abschiebung afghanischer Flüchtlinge nicht vor Frühjahr 2005: Keine Einigung erzielt.
  • 500 Demonstrierende anlässlich der Konferenz gegen Abschiebung afghanischer Flüchtlinge.(Fotos: 1 | 2)
siehe auch: Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat | Datenschutz im Präventionsstaat
Inhalt:
- Indexdatei und Analyse- und Lagezentrum kommen noch 2004 nach Berlin
- Abbau der Gewaltenteilung bei Nachrichtendiensten und Polizei
- Genetischer Fingerabdruck bald Standard bei EKD-Behandlung
- KUNO: System der sächsischen Polizei gegen Kreditkartenbetrug
- Keine Einigung über Abschiebung von 2000 Hamburger Flüchtlingen aus Afghanistan


Am Donnerstag ging die Innenministerkonferenz in Kiel zuende. Diese findet zweimal jährlich mit wechselndem Austragungsort und Vorsitz statt. Am Mittwoch und Donnerstag trafen sich Innenminister der Bundesländer auf dem Segelschiff Gorch Fock. [Foto hier]
Der Hafenbereich wurde für die zweitägige Sitzung in einen Hochsicherheitsbereich verwandelt. Schwerbewaffnete Bundeswehrsoldaten bewachten das mit Stacheldraht abgesicherte Hafengelände.
Ein zentrales Analyse- und Lagezentrum für die sogenannte "Islamistendatei" soll noch 2004 in Berlin geschaffen werden. Lediglich die FDP sprach sich gegen ein Aufweichen der Gewaltenteilung von Polizei und Geheimdiensten und die Ausweitung des Grossen Lauschangriffs aus. Dies sei ein Verstoss gegen die Verfassung und rechtsstaatliche Prinzipien. Der rechtliche Rahmen für den genetischen Fingerabdruck ist geschaffen. Jetzt kann bei der erkennungsdienstlichen Behandlung neben Fingerabdruck und Foto auch eine routinemässige DNA-Analyse von Blut und Speichel vorgenommen werden, auch von Unschuldigen und ohne richterlichen Beschluss. Diese Daten werden nun 20 statt zehn Jahre gespeichert. Die Justizminister sollen dies bei Gesetzesinitiativen berücksichtigen. Weiterhin wurden die Themen Internet- und Kreditkartenkriminalität behandelt. Die Nutzung des Einzuglastschriftverfahrens soll eingedämmt werden. Das Zahlen mit EC-Karte soll nur noch mit Online-Überprüfung der Zahlungsfähigkeit möglich sein.
Dabei soll das KUNO-Bekämpfungssystem der sächsischen Polizei zum Einsatz kommen.
500 Menschen demonstrierten während der Innenministerkonferenz in Kiel gegen die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge. Zu diesem Thema konnten sich die Innenminister von Bund und Ländern nicht einigen. Nach positiv verlaufenden Gesprächen zwischen Schily und dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsei im August könnte die Abschiebung von 2000 Afghanen im Frühjahr 2005 beginnen.Indexdatei und Analyse- und Lagezentrum kommen noch 2004 nach BerlinEin Themenschwerpunkt der Innenministerkonferenz war die Neuordnung, Effizienzsteigerung und Ausweitung der Befugnisse des Bundeskriminalamts, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie die Einführung einer zentralen Index-Datenbank zur Erfassung und Verwertung von Informationen über staatsfeindliche Personen und Handlungen. Ein Analyse- und Lagezentrum soll noch 2004 in Berlin eingerichtet werden.

"Schon die Bildung eines solchen Lagezentrums birgt die Gefahr, dass die Grenzen zwischen Geheimdienstarbeit und der der Polizei verwischen."
Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamts gegenüber AP

Presseversion des aktuellen Verfassungsschutzberichts wurden 2003 insgesamt 57.000 Ausländer vom VS als verfassungsfeindlich eingestuft. 31.000 Personen sollen islamistischen Organisationen angehören. Auch Deutsche, die Islamisten unterstützen sollen, sind vom Verfassungsschutz erfasst. In der Datei werden auch Personen erfasst, die keine Straftaten begangen haben.

"Wir stimmen darin überein, dass es einen umfassenden Informationsaustausch geben muss."
Otto Schily nach der Innenministerkonferenz in Kiel

Über Details einigte man sich während der Innenministerkonferenz in Kiel nicht. Otto Schily schlug jedoch vor, in der Index-Datei nur zu vermerken, welche Behörde welche Art der Information speichert.

"Der Kampf gegen den Terrorismus wird auf den Islam reduziert.(...) Wer kontrolliert, dass nicht auch Unbeteiligte erfasst werden?"
Hakkan Keksi, Vorsitzender der türkischen Gemeinde in Deutschland (Quelle: BLZ)

Welcher Behörde die sogenannte Islamisten-Zentraldatei unterstellt werden soll, blieb offen.
Lediglich der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, sprach sich gegen das Auflösen verfassungsrechtlicher und rechtsstaatlicher Prinzipien aus.
Damit ist die F.D.P. die einizige Partei im Bundestag, die sich nicht vollständig konform mit den Beschlüssen der Innenminister positioniert.

"Wenn die Polizei von vorne herein Einblick in alle Geheimdienstdaten hätte, dann wären ja die Polizeigesetze über Telefonabhören, über Lauschangriffe völlig überflüssig."
Max Stadler, Innenpolitischer Sprecher der F.D.P.Abbau der Gewaltenteilung bei Nachrichtendiensten und PolizeiOtto Schily bestand ursprünglich auf eine Zurückstufung der Landesverfassungsschutzämter zu Filialen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Bundeskriminalamt sollte nach Plänen von Otto Schily den Charakter einer Zentralstelle bekommen. Diese sollte gegenüber den Landeskriminalämtern weisungsberechtig, also übergeordnet sein. Er argumentierte, die Zentralisierung dieser Behörden würde zur Effizienzerhöhung bei der Bekämpfung des Terrorismus beitragen. Die bisherige Weitergabe von Informationen zwischen den Verfassungsschutzämtern in Bund und Ländern bezeichnete Schily als unbefriedigend.

Alle sind sich darüber im Klaren, dass wir in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern Veränderungen herbei führen müssen, auch in der Stärkung der Zentralstellenfunktion.(...)Wir sollten das strikt gesetzlich festlegen, damit absolute Klarheit herrscht."
Otto Schily gegenüber AFP, AP vor der Innenministerkonferenz

Später wies Schily jedoch zurück, dass er die Landeskriminalämter dem BKA unterordnen wolle.

"Wir haben mit der dezentralen Kriminalitätsbekämpfung sehr gute Erfahrungen gemacht."

Allerdings solle die Zentralstellenfunktion des BKA gestärkt werden, wo es geboten ist. Ein Ankommen gegen eine Bedrohung wie den Terrorismus mit geteilten Gewalten diskreditierte er als realitätsfremd.Genetischer Fingerabdruck bald Standard bei EKD-BehandlungBei der Innenministerkonferenz wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den genetischen Fingerabdruck erweitert. DNA-Analysen können bald standardmässig im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung erfolgen.

Die Vorgeschichte

Vor einem halben Jahrhundert entwickelten die Cambridge-Wissenschaftler Francis Crick und James Watson das Modell der DNA.In den Achtzigern schuf Kerry Mullis die Grundlagen für den genetischen Fingerabdruck.
Laut CNN begann das FBI bereits vor einigen Jahren in den USA eine Gen-Datenbank von den gefangenen Taliban- und al-Qaida-Kämpfern einzurichten, um so Terroristen angeblich schneller identifizieren zu können.

"Ob eine Leiche oder ein Gefangener tatsächlich Usama bin Laden ist oder nicht, kann mit hundertprozentiger Sicherheit nur mit Hilfe eines DNA-Tests festgestellt werden."
Victor Weedn, Gerichtsmediziner

In den USA wurden die rechtlichen Grundlagen für erweiterte DNA-Datenbanken im Oktober 2001 mit dem Patriot Act HR 3162 geschaffen. Genetische Fingerabdrücke sind in den USA seit mehr als zehn Jahren als Beweismittel zugelassen.
Die Zielgruppe sind nicht nur Sexualstraftäter. "So sieht die SEC. 503 des HR 3162 einen Ausbau von Gen-Datenbanken für Terroristen und andere Gewalttäter vor. Da der Terrorismusbegriff unter dem Eindruck der Anschläge in den USA ebenso wie später in Europa ausgesprochen schwammig definiert wurde, haben diverse Bürgerrechtsgruppen aber zurecht gegen die Gefahren erweiterter DNA-Datenbanken protestiert."
(Telepolis.de, 05.03.02)
Jedoch scheinen die Berührungsängste der US-Bürger gegenüber dem genetischen Fingerabdruck nicht sonderlich gross zu sein. Eltern können zu Hause mit einem kostenlosen Analyse-Kästchen die genetische Identität ihres Kindes sichern und aufbewahren.

In England wurde die National Data Base des Forensic Science Service schon Mitte der Neunziger ins Leben gerufen. Derzeit umfasst sie die Daten von einer halben Million Menschen zwischen 45 und 69 Jahren. Seit 1998 gibt es dort polizeiliche Bestrebungen, durch genetische Fingerabdrücke die gesamte Bevölkerung zu erfassen. Archiviert werden nicht nur Blut- und Gewebeproben, sondern auch der genetische Fingerabdruck und sogar Daten über den Lebensstil der Probanden. Auch von Verdächtigen, deren Unschuld erwiesen wurde, sollen die genetischen Fingerabdrücke behalten werden dürfen.

In Frankreich werden seit 2002 Zeugen, Opfer und Verdächtige elektronisch erfasst. Bereits 1998 wurde dort die Gen-Datenbank FNAEG (Fichier national automatisé des empreintes génétiques) geschaffen. Wer sich der DNA-Probe verweigert, zahlt 7500,- Euro Strafe und geht sechs Monate ins Gefängnis.

In Island wurde bereits die gesamte Bevölkerung für ein wissenschaftlich-kommerzielles Projekt genetisch erfasst.

In Deutschland werden seit geraumer Zeit DNA-Speichelproben von Graffiti-Sprühern analysiert, um diese auch genetisch erkennungsdienstlich zu behandeln.
Das BKA in Wiesbaden führt ebenfalls seit 1998 die DNA-Datenbank AFIS mit über drei Millionen Fingerprints.
(Quelle: Joachim Käppner: "Die Spur der Gene", SDZ v. 10.07.04)
Nach Angaben der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ließ die Stadt Essen durch die Polizei genetische Fingerabdrücke von Asylbewerbern einsammeln. Anhand der DNA-Analyse überprüfte man Angaben der Flüchtlinge auf ihre Glaubhaftigkeit hin. Laut Bundesverfassungsgerichtsurteil durften bisher genetische Fingerabdrücke nur bei besonders schweren Straftaten erstellt werden.

Doch auch bei politisch aktiven Menschen werden Speichelproben zu DNA-Analysezwecken entnommen. Ein Beispiel dafür ist der vierzigjährige Buchautor und Polit-Aktivist Jörg Bergstedt aus Sassen bei Gießen.
Seit Januar 2004 beabsichtigt auch die Hessische Landesregierung, eine umfassende DNA-Datenbank anzulegen. In der Berichterstattung der Medien häufen sich Meldungen von Sexualdelikten und Terrorwarnungen. Der Protest von engagierten Datenschützern geht unter. Von wirklicher Ablehnung des genetischen Fingerabdrucks zur regulären erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizei kann nicht die Rede sein.

Die Grundlagen für die Beschlüsse der Innenministerkonferenz schuf Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) bereits im vergangenen Jahr.
Sie ermöglichte eine Lockerung der Gesetze, die die DNA-Tests regeln. Jedoch äusserte sie auch Bedenken bei der Umsetzung dieses Projektes. Ihre Vorgängerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), sprach sich ganz gegen die Schaffung einer Gen-Datenbank aus.

"Soweit es um die Aufklärung einer begangenen Straftat geht, ist die DNA-Analyse schon heute grundsätzlich bei allen Straftaten zulässig. Die Forderung der Unionsinnenminister nach einer routinemäßigen Erfassung des genetischen Fingerabdrucks enthält daher nichts Neues. [...] Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich die Unionsländer konstruktiv an den Beratungen zum Koalitionsentwurf beteiligten. Opferschutz und die Aufklärung von Sexualstraftaten würden von einer Zusammenarbeit profitieren."
Justizminsterin Brigitte Zypries (SPD) im Sommer 2003

Das bislang geltende Recht schloss den Missbrauch genetischer Informationen aus, weil nur das aus einem Zahlencode bestehende DNA-Identifizierungsmuster erhoben wurde. Die bisherige Rechtssprechung ermöglichte eine darüber hinaus gehende vorsorgliche DNA-Analyse für den Fall, dass weitere Straftaten von dem Beschuldigten zu erwarten sind. Der DNA-Code enthält keine Aussagen über genetische Veranlagungen wie z. B. Erbkrankheiten.
Eine Anknüpfung an die Lehren und Methoden der Nationalsozialisten ist damit ausgeschlossen.

"Auch Personen, die in irgendeiner Hinsicht mit linkem Terrorismus in Verbindung gebracht werden können, gelten hierzulande traditionell und in einem engen Sinne als nicht gesellschaftsfähig. Bekanntlich durften während des Deutschen Herbstes machtbefugte Staatsmänner auch ungestraft darüber räsonieren, ob man gefangene Terroristen nicht einfach an die Wand stellen sollte."
Ralf Schröder, Jungle World, 2001

"Eine Anfrage an die Bundesregierung der innenpolitischen Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, ergab im Frühjahr, dass sich seit Aufbau der Gen-Datenbank in Wiesbaden unter den bis dahin fast 120.000 gespeicherten Datensätzen 74 befinden, die im Zusammenhang mit Verfahren nach § 129 und § 129a standen - betroffen, so Jelpke, "fast nur Linke". Hierzu gehört etwa das früheren RAF-Mitglied Gisela Dutzi, der man im Januar in Frankfurt zwangsweise eine Blutprobe entnahm. Eine Berlinerin wurde zum Zweck der Abgabe einer Speichelprobe von BKA-Beamten auf dem Weg zur Arbeit "abgefangen" (Quelle: TP).

Der genetische Fingerabdruck nach der Innenministerkonferenz

In der deutschen Öffentlichkeit stösst der genetische Fingerabdruck auf grosse Akzeptanz. Schliesslich kann er zur Überführung von Sexualstraftätern führen. Die Dauerpräsenz von Sexualdelikten in der Berichterstattung der Medien senisbilisiert die Bevölkerung für dieses Thema.
Die DNA-Beweisstücke haben Zukunft. Jedoch muss sich die Polizei auch an bestimmte Regeln halten.Trotzdem wird der "Fingerabdruck aus Blut und Speichel" bald öfter den Weg in die Gerichtssäle finden. Die Innenminister der Länder schufen während der vergangenen zwei Tage die rechtlichen Grundlagen für eine Durchführung von DNA-Tests bei jeder normalen erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizei. Damit ergänzen und ersetzen sie die Fotos und herkömmliche Fingerabdrücke und die schriftlich erfassten Angaben zur Person. DNA-Proben können auch von Personen abgenommen werden, denen keine Straftat nachgewiesen wurde. Somit können auch ohne richterlichen Beschluss Phantombilder erstellt werden. Das Bundesverfassungsgericht erlaubt den genetischen Fingerabdruck nur bei besonders schweren Straftaten. Die Bundesinnenministerkonferenz setzt sich damit über die oberste Verfassungsbehörde hinweg.
Der Biometrie-Markt in Deutschland und Europa boomt. Neuester Trend: der RFID-Chip, der persönliche Daten speichert, GPS-fähig ist und direkt unter der Haut implantiert wird.KUNO: System der sächsischen Polizei gegen KreditkartenbetrugKUNO kommt aus Dresden und steht für "Kriminalitätsbekämpfung im unbaren Zahlungsverkehr unter Nutzung nicht polizeilicher Organisationsstrukturen". KUNO wurde von der sächsischen Landespolizei entwickelt. KUNO ist ein System zur Verhütung von Kreditkarten- und Lastschriftverfahrens-Misbrauch. Sobald der Polizei ein Kartenverlust gemeldet wurde, meldet das System dem Einzelhandel den Verlust. Danach ist die Karte vorerst an allen vernetzten Kassen und Lesegeräten gesperrt. Das Tool ist seit dem 1. April 2004 im Einsatz. Die bundesweite Verwendung von KUNO wurde auch bei der Innenministerkonferenz thematisiert.Keine Einigung über Abschiebung von 2000 Hamburger Flüchtlingen aus AfghanistanHamburg hat neben Nordrhein-Westfalen bundesweit die größte afghanische Gemeinde. 2000 Afghanen zwischen 18 und sechzig Jahren droht die Abschiebung. Über ihr Schicksal wurden sie in den letzten Monaten im Unklaren gelassen. Zunächst sollen 500 allein stehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren in ihre Heimat gebracht werden, sagte ein Sprecher der Innenbehörde am Dienstag und bestätigte damit einen Bericht der Bild-Zeitung. Die Hansestadt Hamburg wollte auf der Innenministerkonferenz beantragen, den zum 31. Juli 2004 auslaufenden Abschiebestopp nicht zu verlängern.
Man wolle mit der Ausweisung nicht allein beginnen, sondern erst abschieben, wenn vom Bundesinnenministerium bestätigt werde, dass es die politische Lage in Afghanistan zulasse. Rund 2.000 Afghanen sind ausreisepflichtig, da ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Bei weiteren 3.000 laufen noch die Asylanträge, diese hätten aber wenig Aussicht auf Erfolg, erklärte die Behörde. In Hamburg leben außerdem 10.000 Afghanen, denen ein Bleiberecht zugebilligt wurde. Unter dem Vorwand einer "restriktiven Altfallregelung" versuchte Senator Nagel eine Abschiebung der 2000 Menschen zu forcieren. Die Grünen warfen dem Senator vor, keine Aufenthaltsperspektive zu schaffen. Das UN-Flüchtlingskommissariat lehnte Abschiebungen nach Afghanistan wegen der schlechten Menschenrechts- und Sicherheitslage strikt ab. Es verwies auf das Auswärtige Amt. Dort bestätigte man, dass sich die Gefahrenlage in Afghanistan weiter erhöht hat. Ausschließlich eine freiwillige Rückkehr mit der Möglichkeit, wieder nach Deutschland einreisen zu können, sei ein gangbarer Weg.

"Jetzt lässt Senator Nagel die Katze aus dem Sack! Die angebliche Unterstützung einer Bleiberechtsregelung kaschiert tatsächlich eine massenhafte Abschiebung."
Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg

Die Hamburger Praxis, in den letzten Jahren nur Duldungen und keine Befugnisse zu erteilen, obwohl das Ausländerrecht diese Möglichkeit bietet, hat viele Menschen in die Abhängigkeit von Sozialhilfe getrieben. Mit einer Duldung dürfen sie nicht mehr als 2 Stunden pro Tag arbeiten. Damit lassen sich Familien kaum ernähren, heisst es in einer Stellungnahme der GAL-Fraktion. Die Innenministerkonferenz in Kiel hatte über eine Bleiberechtsregelung beim Nachweis geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zu urteilen.
Amnesty International forderte von den Innenministern einen besseren Abschiebungsschutz für Flüchtlinge aus instabilen Staaten. Weiterhin verlangte die Organisation ein strikteres Vorgehen gegen exzessive Polizeigewalt in Deutschland. Dazu seien landesweite Statistiken über Ausmaß, Art, Opfer und Ahndung dieser Fälle in Deutschland nötig. Von besonderer Wichtigkeit wäre eine externe, unabhängige Kontrollstelle für Vorwürfe polizeilicher Misshandlungen.

"Insbesondere bei Afghanen, Irakern, Tschetschenen sowie Minderheiten aus dem Kosovo ist es nötig, dass diese Personen ihren sicheren Aufenthaltsstatus behalten. In Afghanistan beispielsweise hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert"
Wolfgang Grenz, Flüchtlingsexperte von ai

Der Widerstand der Bundesländer gegen die Umsetzung des Zusatzprotokolls schade der Glaubwürdigkeit Deutschlands und der Vorbeugung von Menschenrechtsverletzungen, erklärte Grenz weiter.
Bereits in der ersten Jahreshälfte 2003 sprach sich Innenminister Otto Schily für eine Rückführung von 68.000 in Deutschland lebenden Afghanen mit Fördergeldern des Bundes aus.


500 Menschen bei Protesten in Kiel gegen die Innenministerkonferenz und die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat. Foto: BJ/Indymedia

Auf der Bundesinnenministerkonferenz konnte keine Einigung zum Thema "Abschiebung von Afghanen" erzielt werden. Wie diese Problematik weiter behandelt wird, hängt von Gesprächen zwischen Schily und dem aghanischen Präsidenten Hamid Karsei im August ab. Verständigen sich die Regierungen, können voraussichtlich im kommenden Frühjahr die Abschiebungen beginnen. In Hamburg wären davon rund 2.000 Menschen betroffen. Gäbe es keine Einigung, dann werde Hamburg nicht auf eigene Faust in ein Krisengebiet abschieben, heißt es nach Informationen von NDR 90,3 in der Behörde.

[Mehr dazu hier: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10]a
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Ergänzungen

Presselinks

BJ 10.07.2004 - 18:29
Hier noch ein paar Links zu einigen Medienberichten:


beim NDR:  http://www1.ndr.de/ndr_pages_newsdetail/0,2984,NID20040707122718_NTBNDR_SPM886,00.html

Dort findet Ihr auch den Bericht aus dem Schleswig-Holsteinmagazin als im "real media" Format:
 http://stream.ndr.de/bb/redirect.lsc?stream=ndr/video/vs/20040707_192950_tv_s_h_magazin__1930_innenminister.rm&content=content&media=rm

und bei den Kieler Nachrichten:
 http://www.kn-online.de/news/archiv/?id=1439259&dbci=2&search=innenministerkonferenz

Weitere Bilder finden sich hier:
 http://de.indymedia.org/2004/07/87174.shtml

Update zu Pressefreiheit und Lauschangriff

Updater 10.07.2004 - 21:44
Die SPD-Justizministerin scheiterte mit ihrem Entwurf für eine Neufassung des "Großen Lauschangriffs" am Widerstand der eigenen Partei und der Grünen
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/17849/1.html

Auch wenn Zypries erst einmnal deswegen scheiterte, weil sie ihre Angriffe auf den Rechtsstaat etwas zu schnell machte (grundsätzlich wollen ja alle Parteien die Freiheiten abschaffen), ist die Verschärfung erst einmal verschoben.
Falls es interessiert: "Wer nun glaubt, dass solche Vorstöße nur von Innenminister Otto Schily kommen könnten, liegt so falsch nicht: Vor Amtsantritt arbeitete Brigitte Zypries als Staatssekretären im Innenressort. Skepsis war also angebracht." (aus dem telepolis-Text)

fast zu spät

maimai 11.07.2004 - 15:18
Schade, schade, dass sich diese 500 menschen gefunden haben um
"nur" gegen abschiebung zu demonstrieren und die Brückenschläge zur innerenSicherheit kaum vorhanden waren...na ja Innenministerkonferenz ist einmal im halben jahr und die Beschlüsse sind (teilweise)im Netz zu finden.Sie drehen sich seit 1956 um so lustige Themata wie Terrorismusbekämpfung, Geschwindigkeitsbeschränkungen für Kleintransporter, Abschiebungen, Kampfhunde...
Bleibt zu hoffen dass die Linke die sich noch vor relativ kurzer Zeit zu Gipfeln getroffen haben sich mal wieder finden und dieses gar nicht so neue Thema endlich mal mit kreativen Aktionen angehen.
Inhaltliche Ausarbeitung folgt bald, wenn irgendein mensch noch linxradikale Infos zu früheren Konferenzen und Antiaktionen hat bitte an  infoladenrostock@gmx.de, danke:)

revolutionary times!

Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat

VerLinker 12.07.2004 - 12:43

bin ich mehr als meine gene?

s.a.t.h. 12.07.2004 - 15:16
---------schnipp-----------------------------
Nach Angaben der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ließ die Stadt Essen durch die Polizei genetische Fingerabdrücke von Asylbewerbern einsammeln. Anhand der DNA-Analyse überprüfte man Angaben der Flüchtlinge auf ihre Glaubhaftigkeit hin.
---schnapp-----------------------------------

was soll das denn heissen? hier geht es wohl nicht um die verwendung von dna als angeblich superindividuelles Identifikationsmerkmal sondern um das heraus- bzw. hereinlesen irgendwelcher eigenschaften aus/in diese mystifizierten molekülketten. immer wieder ist zu sehen, wie angeblich so wertfreie bio"wissenschaftliche" methoden gerade im rahmen rassistischer migrationskontrolle eingesetzt werden. so wurde in österreich sog. biometrie, also das vermessen von körpern zur einklassifizierung von alter und herkunft von migranten verwendet - die methodik, die rassentheoretiker in den 1930érn entwickelten und von einzelnen Prof´s immer noch zur Konstruktion von rassen verwendet werden.
dna´s dienen dem selben zweck, rasse wird jedoch überwiegend durch flexiblere kategorien wie "regionale diversität" ersetzt - daran, dass menschen aufgrund ihrer biologie irgendwohin gehören sollen und gewisse eigenschaften zugeschrieben wird, ändert sich nichts.

soviel als kleine anmerkung zu dem beispiel, dass m.e. insofern aus der obigen aufzählung heraussticht.

Datenschutz im Präventionsstaat

VerLinker 13.07.2004 - 13:00

Überwachungs-Chips einpflanzen

Unglaublich aber wahr 13.07.2004 - 17:27
168 Mitarbeiter eines neu gegründeten Informationszentrums und der Generalstaatsanwalt haben sich angeblich aus Sicherheitsgründen einen GPS-Chip implantieren lassen
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/17867/1.html

... Hitler oder Stalin hätten von dem nun anbrechenden Zeitalter geträumt.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@autorin — grete

super! — Desperado