Zweierlei Völkerrecht

frbrgr 16.06.2004 19:44
Franz Neumann schreibt im "Behemoth": "Das deutsche Wort für das internationale Recht lautet Völkerrecht. Die neue nationalsozialistische Theorie nimmt das Völkerrecht in seiner wörtlichen Bedeutung, als "Recht der Völker". Den Begriff verwerfend, dass Staaten die Subjekte des internationalen Rechts sind, behaupten die Nationalsozialisten, nur die Völker könnten Völkerrechtssubjekte sein."

Freilich, am Anfang dieser neuen großdeutschen Geschichte regte sich noch ein "Nie wieder Deutschland"-Widerstand. Doch bald sollte sich herausstellen, dass auch ein Großteil der deutschen Linken den Herausforderungen eines Widerstandes gegen die deutsche Ideologie nicht mehr gewachsen war und ist.
Zweierlei Narrative (Völkerrecht)

Zum 8. Mai, der in der DDR als Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus gefeiert wurde und in Frankreich heute noch gefeiert wird, strahlte der öffentlich-rechtliche Nachrichtensender "phoenix" eine große Dokumentation im Guido-Knopp-Stil mit dem Titel "Die große Flucht" aus. Was dem einen ein Feiertag, wurde anderen zu einem Tage des Beginns ihrer "Tragödie". Hier treffen zweierlei historische Sichtweisen aufeinander, zwei Narrative entgegen gesetzter Wahrnehmung des gleichen Ereignisses: Was für den Großteil der europäischen Bevölkerungen die Befreiung von der mörderischsten Diktatur, die es jemals gegeben hatte, war, wurde für eine "Minderheit", die doch nichts anderes wollte, als "Heim ins Reich" geholt zu werden, nun plötzlich der Beginn ihrer Vertreibung und ihres tausendfachen Todes.


Die Bundesrepublik, die sich so vorbildlich in der Aufklärung über die Verbrechen ihres Rechtsvorgängers gibt und endlich die Freiheitlich Demokratische Grundnordung bei sich hatte einführen lassen, scheint sich zu schämen, dass sie die Ansprüche dieser eigenen "Minderheit" lange Zeit zu sehr ignoriert hatte. Dieses "Unrecht" kleinen "Volksgruppen" gegenüber, gemeint sind die sudetendeutschen Vertriebenen, schlesischen Landsmannen und -frauen und ihre sich stetig vermehrenden Hinterbliebenen, immer noch ihres Rechts auf Heimat beraubt, will das neue Deutschland wieder gut machen. Um dem Geschichtsverständnis auch dieser Gruppen einen gebührenden Platz im öffentlichen Raum des Neuen Europa zu schaffen, unterstützt die Bundesregierung die Errichtung eines europäischen "Zentrums gegen Vertreibung", auch Vertriebenen-Zentrum genannt.

Überhaupt hat das Neue Deutschland und das von ihm geleitete Neue Europa seit dem Ende der "Besatzung durch Ost- und Westmächte" Anfang der neunziger Jahre erst richtig begonnen, die Lehren aus seiner Geschichte zu ziehen. Auch die antiimperialistische Linke. Antifaschistische Lehre und Antirassismus bedeuteten nicht mehr allein, jene Verhältnisse zu bekämpfen, die Auschwitz ermöglichten und alles zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederhole! Bald schon konnte ein Sozialdemokrat an der Regierung im Namen der Lehre aus Auschwitz Bomben auf Belgrad rechtfertigen. Im Vorlauf dieser Entwicklung konnte sich auch fast ungehindert die emanzipatorische Forderung nach einem Zustand, in dem kein Mensch mehr über einen anderen Menschen herrscht, in sein völkisches Pendant verwandeln: Nie wieder darf ein Volk durch ein anderes Volk beherrscht und unterdrückt werden! Fast zur gleichen Zeit, als das "deutsche Volk" so glücklich sein durfte, seine zwar selbstverschuldete aber für viele als unnatürlich empfundene Trennung zu überwinden und wieder zusammen wachsen durfte, was zusammen gehörte, ächzte immer noch der freie "Selbstbestimmungswille der Völker" im "Völkergefängnis" Jugoslawien. Deutschland, damals "das glücklichste Volk der Erde", leistete der Welt, oder fürs erste einigen Völkern Europas, für sein unverdientes Glück einen von niemanden eingeklagten freiwilligen Tribut, in dem es nun seinerseits des Selbstbestimmungswillen des Kroatischen und des Slowenischen "Volkes", aus dem jugoslawischen Joch auszubrechen, anerkannte.

Freilich, am Anfang dieser Geschichte regte sich noch ein "Nie wieder Deutschland"-Widerstand. Doch bald sollte sich herausstellen, dass auch ein Großteil der deutschen Linken den Herausforderungen eines Widerstandes gegen die deutsche Ideologie nicht gewachsen war und ist.

Als der deutsche Außenminister Genscher vorpreschte mit der Anerkennung der Abspaltung der Slowenischen und Kroatischen Republiken aus dem Jugoslawischen Staatsverbund, hat sich das souveräne Deutschland schneller als erwartet als ein eigenwilliger Mitgestalter der Weltgeschichte zurückgemeldet. Nur zögerlich folgten die überrumpelten europäischen Staaten und die USA dem Dogma der bundesdeutschen Außenpolitik. Ein Dissens in dieser Frage hätte das Projekt der Europäischen Union zu Fall bringen können. Einen Sonderweg Deutschlands wollte man auf jeden Fall verhindern (Später mahnte der Kanzler Kohl um des lieben europäischen Frieden willen seine Nachbarn an, Deutschland ja nicht zu isolieren und wieder in einen Sonderweg zu treiben). Mit knirschenden Zähnen schlugen Frankreich, Großbritannien und die anderen Staaten den von Deutschland vorgegebenen Weg der Anerkennung der Teilrepubliken ein und zündelten so mit an der Lunte des jugoslawischen Bürgerkrieges. Das war nichts anderes als Agreement-Politik. Nachdem während der Wiedervereinigung US-amerikanische Unterstützung gegen die europäischen Bedenkenträger notwendig und hilfreich, somit erwünscht, war, ging man sehr schnell, auch was die Neuordnung Europas betrifft, zu den USA in Konkurrenz. Jetzt schwadronieren sogar einstige Kritiker der deutschen Jugoslawienpolitik von einer Achse Paris-Berlin-Moskau: "Der Bruch mit Amerika ist Gebot der Stunde. Das Land zwischen Rhein und Oder kann nur zur Ruhe kommen im Ausgleich mit seinen Nachbarn in West und Ost. Ein friedliches Europa ist nötig. Eine andere Welt ist möglich." (Jürgen Elsässer, Der deutsche Sonderweg, 2003).

Selbständige deutsche Weltpolitik setzte sich somit genau in der Art fort, wie sie als selbständige aufgehört hatte: mit dem Bruch des bis dahin geltenden Völkerrechts. In der UN-Charta Artikel 2/4 steht: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt." Mit der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens wurde das geltende UN-Völkerrecht gebrochen und das eigene, deutsche, Verständnis von Völkerrecht wieder durchgesetzt.

Für das bundesdeutsche Verständnis von Völkerrecht möchte ich als Beispiel den Freiburger Völkerrechtler Dietrich Murswiek sprechen lassen. In "Das Verhältnis des Minderheitenschutzes zum Selbstbestimmungsrecht der Völker" (2002) leitet Murswiek aus dem individuellen Selbstbestimmungsrecht ein Volksselbstbestimmungsrecht her. In je mehr Volk der Einzelne eingebunden ist, umso mehr kann er sich selbst bestimmen: "Wer sich in dem ihm vertrauten Umfeld seines eigenen Volkes bewegen kann, in der Kultur, in der er aufgewachsen ist und durch deren Eigenheiten, Traditionen und Gewohnheiten auch die Angehörigen dieses Volkes geprägt sind, hat andere Entfaltungsmöglichkeiten als derjenige, der sich in einer fremden Kultur zurechtfinden muss." Eine wahre Demokratie ist nur in einem homogenen Volksganzen verwirklichbar: "Denn je größer der über die Parteigrenzen und politischen Gruppierungen hinausreichende Grundkonsens, desto weniger ist die politische Herrschaft, die von der Mehrheitspartei ausgeübt wird....." Ich habe den Satz nicht zu Ende zitiert: "...die Freiheit des Einzelnen einzuschränken." Es wird also behauptet, dass die Homogenität einer Gesellschaft - und nicht deren demokratische Verfasstheit - die Freiheit des Einzelnen garantiert. Die Folgerung, die Murswiek aus dieser Behauptung zieht, ist konsequent: : "Das Selbstbestimmungsrecht der Völker dient dazu, die Voraussetzungen der Selbstbestimmung der einzelnen Menschen zu sichern."

Die Murswieksche Herleitung eines Selbstbestimmungsrechtes für Völker unterscheidet sich von der des Minderheitenschutzes dadurch, dass es sich eben nicht wie dieses auf das Individuum, das den Schutz genießt, sondern eben auf "das Volk" als Rechtssubjekt bezieht. Dieses ethnische Subjekt, nicht der einzelne Mensch als solcher, genießt den Rechtsanspruch auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmungsrecht heißt letztendlich, den Anspruch einer Ethnie eo ipso auf einen eigenen Staat, auf Abspaltung von einem Staat usw.:

"Das Subjekt des Selbstbestimmungsrechtes ist also entweder als Staatsvolk durch den Staat, durch die Staatsgewalt und die Staatsgrenzen bestimmt, oder als Volk im ethnischen Sinne durch ethnische Kriterien wie Abstammung, Sprache, gemeinsame Geschichte und Kultur.

Beide Subjekte haben verschiedene Rechte. Das Staatsvolk kann nur Subjekt des "defensiven Selbstbestimmungsrechts" sein, das auf die Verteidigung des bestehenden Territorialstatus gerichtet ist. Das Volk im ethnischen Sinne dagegen ist Subjekt des "offensiven Selbstbestimmungsrechts". Dies kann gegenüber dem Staat geltend gemacht werden, der über das Volk herrscht; es kann auf Änderung des Territorialstatus gerichtet sein."

Den Fall Jugoslawien interpretiert er in diesem Sinne so: "Ein Rechtsanspruch auf Selbstbestimmung kann aber nur dann gegeben sein, wenn sich die Bevölkerung in dem durch Verwaltungsgrenzen bestimmten Gebiet in ihrer Mehrheit von der Mehrheitsbevölkerung des Gesamtstaates ethnisch unterscheidet. Es gibt kein Selbstbestimmungsrecht von Republiken, Teilrepubliken, Verwaltungseinheiten innerhalb eines Staates. ... Republiken als Organisationseinheiten eines Bundesstaates haben nur dort unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht bzw. in praktischer Ausübung der Selbstbestimmungsidee ihre Unabhängigkeit erlangt, wo es sich um einen multiethnischen Staat handelte und die Republiken als von einem Volk im ethnischen Sinne dominierte (und im Republiknamen nach ihm benannte) Teilstaaten organisiert waren, z.B. Kroatien und Slowenien. Die Anknüpfung der staatlichen Neuorganisation an die vorhandenen Republikgrenzen bedeutet eine Abschwächung der Selbstbestimmungsidee im Hinblick auf praktische politische Bedürfnisse. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass allein die vorgegebenen Grenzen eines Staates bzw. einer Republik innerhalb eines Bundesstaates für die Bestimmung des Subjekts der Selbstbestimmung maßgeblich sind. Hinzukommen muss das Element der ethnischen Differenz."

Dass es dem Murswiek vorrangig um das Rechtssubjekt der Ethnie geht, und er den Rechts- und Schutzanspruch des Einzelnen dem hintanstellt, hat er auf eine Weise unmissverständlich gemacht, die ihn, obwohl schwarz, als einen rot-grünen (rot plus grün gleich braun!) Vordenker ausweist: "Wer die Forderung erhebt, die Grenzen für alle Asylbewerber und für alle anderen Ausländer zu öffnen, untergräbt damit die umweltpolitischen Ziele, die er angeblich verfolgt, und vernichtet die ökologische Chance, die in der Stagnation bzw. im Rückgang des Bevölkerungswachstums liegt. Wir können immer mehr Ausländer nur bei immer mehr Industrieproduktion und immer mehr Ressourcenverbrauch unterbringen und versorgen. Außerdem haben die Ausländer, die in die Bundesrepublik strömen, sicherlich kein existentielles Interesse, unser Land in einen ökologisch akzeptablen Zustand zu bringen." ("CRITICON" 100/101)

Willkommen im "Behemoth"! Staatliche Transparenz und Minderheitenschutz werden zugunsten eines undurchsichtigen, ethnisch definierten, Organums aufgegeben. Damit befindet sich Murswiek als repräsentativer Interpret neudeutschen Völkerrechtsverständnisses ideologisch auf dem Boden des im Nationalsozialismus entwickelten Rechtsverständnisses, welches Franz Neumann in seiner großen Analyse sehr genau beschrieben hat (Franz Neumann, "Behemoth").

Franz Neumann schreibt: "Das deutsche Wort für das internationale Recht lautet Völkerrecht. Die neue nationalsozialistische Theorie nimmt das Völkerrecht in seiner wörtlichen Bedeutung, als "Recht der Völker". Den Begriff verwerfend, dass Staaten die Subjekte des internationalen Rechts sind, behaupten die Nationalsozialisten, nur die Völker könnten Völkerrechtssubjekte sein."

Er lässt dieser These eine Begründung zur Verteidigung des Staatsgedankens im internationalen Recht folgen, die zu verstehen unbedingt notwendig für alle Antifaschisten und Antinationalen ist: "Es ist nach wie vor zweckmäßig, wenn auch tautologisch, Souveränität als die höchste Gewalt zu definieren. Da höchste Gewalt und höchstes Recht nicht miteinander vereinbar sind, liegen die Grenzen der Souveränität nicht im Recht, sondern in den Grundpfeilern, auf dem die Souveränität beruht: in dem Gebiet, für das sie Geltung besitzt, und in dem Volk, von dem der Staat Gehorsam verlangen kann. Souveränität ist ein polemischer Begriff, der sich gegen andere, ebenfalls souveräne Mächte richtet. Eine vollständige Definition wäre daher: Souveränität ist die potentiell höchste Gewalt über ein bestimmtes Gebiet und eine bestimmte Kategorie von Menschen. So verstanden, ist der Begriff der Souveränität heute ein progressiver, und zwar aus zwei negativen Gründen: der juristischen Gleichheit aller Staaten und der daraus folgenden Rationalität der internationalen Beziehungen. Wenn jeder Staat souverän ist, sind alle Staaten gleich. Als juristische Kategorie ist Gleichheit natürlich unvollkommen und unbefriedigend. Dennoch verhindert sie den Missbrauch des Völkerrechts zur imperialistischen Expansion. Die Souveränität stellt somit formale Rationalität in einer anarchischen Welt her, schafft eine klare Abgrenzung der Machtsphären und unterwirft der Gewalt des Staates nur diejenigen, die innerhalb und einige wenige (Staatsbürger), die außerhalb seines Territoriums leben. Sie errichtet sozusagen die Barriere, die, obwohl sie den Aufbau einer gerechten internationalen Ordnung hemmt, zugleich die Reichweite der Staatsgewalt bedeutend einschränkt.

In den internationalen Beziehungen kann nur dem Staat an sich, dem Staat als einer rechtlichen Einheit, nie seinen einzelnen Organen Souveränität zugeschrieben werden. Es ist logisch unmöglich, von der Souveränität des Monarchen oder der Regierung zu sprechen. Dieser Ansatz ist ebenfalls auf eine negative Weise progressiv, progressiver als die institutionellen, soziologischen und pluralistischen Theorien, die den Begriff der Staatssouveränität ablehnen und nur einzelnen Organen oder gesellschaftlichen Gruppen im Staat Macht zuschreiben. Zwar ist es richtig, dass die Rede vom Staat an sich die Funktion hat, die Herrschaft bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu verschleiern. Aber das hindert uns nicht, die wahren Träger der Macht hinter seiner Maske zu erkennen, während die Auflösung des souveränen Staates dies gerade verhindert. Wenn der Staat keine abstrakte rechtliche Einheit mehr ist, sondern lediglich das Gebäude von Volkstum oder Rasse, und wenn die Souveränität nicht mehr beim Staat, sondern in Rasse oder Volkstum liegt, wie das in der nationalsozialistischen Theorie der Fall ist, dann ergeben sich daraus zwei offenkundige Konsequenzen. Zunächst einmal wird der negativ progressive Charakter der Staatssouveränität zerstört. Die souveräne Rasse kennt keine territorialen Grenzen, und dann gibt es keine Schranke für die höchste Gewalt. Die Souveränität der germanischen Rasse existiert überall, wo es germanische Rassenangehörige gibt. Das juristische Faktum der Staatsangehörigkeit kann das biologische Faktum der Rassenzugehörigkeit nicht beseitigen. Die Souveränität der Rasse ist die ideologische Grundlage für die Fünfte Kolonne und den Imperialismus."

Weiter: "Ferner können wir, wenn wir die Maske des Staates entfernen, das politische Zentrum der politischen Macht nicht mehr erkennen. Natürlich herrscht weder die Rasse, noch hat das Volk irgendwelche politische Macht. Wer also herrscht (...)? Es ist schwer genug, die Antworten auf diese Fragen im Rahmen der traditionellen Jurisprudenz zu finden. Noch schwerer ist es, sie in der nationalsozialistischen Ideologie zu finden, und gerade diese Schwierigkeit ist der eigentliche Zweck der Doktrin. Ihr Ziel ist die Verschleierung der Tatsache, dass der neue deutsche Staat eine gewaltige politische und gesellschaftliche Macht aufgehäuft hat, die den traditionell der Staatsgewalt auferlegten Schranken nicht unterliegt.

Ebenso lehnt der Nationalsozialismus den Staat als Subjekt des Völkerrechts ab und setzt an seine Stelle das souveräne Volkstum. Diese Entwicklung wurde stufenweise vorbereitet und nahm in dem Maße an Dreistigkeit zu, wie Deutschlands Macht sich ausdehnte."

Franz Neumann, in vielerlei Hinsicht ein Liberaler und als solcher zu kritisieren, hat ganz klar erkannt, worauf die Ersetzung des Rechtssubjekt Individuum durch das Rechtssubjekt Volk abhebt. Er hat diesem Thema ein eigenes Kapitel unter dem Titel "Volksgruppenrecht gegen Minderheitenschutz" gewidmet. In diesem stellt er die Positionen deutschen Völkerrechts dem Verständnis des Völkerbundes gegenüber:

"Internationaler Minderheitenschutz (Min):

1) Zielt auf die Gleichstellung aller Minderheitenangehörigen mit den übrigen Staatsbürgern ab

"Volksgruppenrecht" (Vol)

1) Zielt auf die Differenzierung des politischen und rechtlichen Status’ jeder einzelnen Gruppe nach deren spezifischer Eigenart ab.

Min

2) Schützt Minderheiten durch internationale Garantie

Vol

2) Verankert den Schutz lediglich im Mutterland

Min

3) Ist individualistisch, insofern er Minderheiten nicht als rechtliche Einheit, sondern nur die individuellen Rechte der Gruppenmitglieder anerkennt

Vol

3) Anerkennt die Gruppe als Einheit, nicht aber individuelle Rechte der Gruppenmitglieder

Min

4) Sieht den bestimmenden Charakter einer Minderheit in einem objektiven Faktor (Rasse, Religion, Sprache) oder in dem subjektiven Faktor der bewussten Zugehörigkeit von Individuen zu einer Gruppe

Vol

4) Sieht den bestimmenden Charakter der Volksgruppe in dem objektiven Faktor der Rasse, oder in dem subjektiven Faktor und in der Anerkennung eines Mitglieds durch die Gruppe"

Die Ableitung des Volksgruppenrechts aus dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, wie sie Murswiek vollzieht, zeigt diesen eindeutig als einen Epigonen der Schule von Carl Schmitt. Franz Neumann beschreibt sehr überzeugend die Methode dieses nationalsozialistischen Chefdenkers, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen auf das eines ethnischen Kollektivs zu übertragen:

"Die führende Stimme im revisionistischen Chor der Nationalsozialisten ist die Carl Schmitts ("Nationalsozialismus und Völkerrecht", Berlin 1936). Als Leitmotiv führt er das Naturrecht ein, eine Konzeption, die die Nationalsozialisten aus dem inländischen Recht rigoros ausschlossen. "Nicht Menschenwille und Menschensatzung formt die Welt", so schrieb ein Kollege Schmitts, "sondern die Natur ist das Gesetz des Menschen und die Schranke seiner Macht." Der Terminus "Naturrecht" wird aus ziemlich einleuchtenden Gründen allgemein vermieden, doch das Beharren auf Gerechtigkeit und Sittlichkeit, ebenso wie schon die bloße Form der Argumentation, sind nichts anderes als rationalistisches Naturrecht, wie es auf Grotius zurückgeht.

Das rationalistische Element wird dabei in die Terminologie des Irrationalen gekleidet. Nicht der Einzelmensch, sondern die Gemeinschaft wird in den Mittelpunkt des Systems gestellt. Da es das Wesen der Gemeinschaft ist, zu verhindern, dass ein Mitglied die Oberhand über ein anderes gewinnt, und da die internationale Gesellschaft eine Gemeinschaft ist - so lautet das Argument - verstößt die internationale Ungleichheit gegen das Wesen des Völkerrechts. Deutschland hat also einen Anspruch auf Gleichheit. Der Trick und falsche Schein des Arguments liegt in dem Wort "Gleichheit". Es lässt sich nicht darüber streiten, dass alle Staaten schon aufgrund ihrer Souveränität gleich sind. Ohne Anerkennung dieses Grundsatzes könnte es kein Völkerrecht geben, vorausgesetzt, Gleichheit wird als eine juristische Kategorie verstanden. In der selben Weise bedeutet die Gleichheit aller Menschen in unserem Rechtssystem Gleichheit vor dem Gesetz, das heißt Ungesetzlichkeit der Sklaverei und so fort. Die Nationalsozialisten begnügen sich jedoch nicht mit diesem formalen Begriff. Für sie bedeutet Gleichheit auch das Recht jedes Staates auf angemessenem Lebensraum. Das hat alle möglichen moralischen und politischen Implikationen. Carl Schmitt zählt einen ganzen Katalog von Rechten auf, wie das ewige Recht auf Leben, Selbstbestimmung, Verteidigung und so weiter. (...) Das traditionelle Völkerrecht wird als Schöpfung der Juden (Schmitt) und Deckmantel des britischen Imperialismus verdammt. Wichtigste Grundlage der internationalen Ordnung soll fortan der Raum sein - mit anderen Worten: eine Rückkehr zu regionalistischen Vorstellungen. Der nationalsozialistische Regionalismus stellt sich gegen das universalistische internationale Recht des britischen Imperialismus und den Interventionismus. Hinter der Fassade der allgemeinen Normen (des internationalen Rechts) stehe in Wirklichkeit das System des angelsächsischen Weltimperialismus, sagt Carl Schmitt. Der Universalismus beruht auf der Annahme, dass schon im Begriff der Souveränität selbst die Gleichheit aller enthalten ist. Da die Staaten nicht mehr im Mittelpunkt des Völkerrechts stehen, müssen die Begriffe staatliche Souveränität und Gleichheit verschwinden. An die Stelle des Universalismus muss das Denken in "konkreten Ordnungen" treten, die konkreteste aller bestehenden Ordnungen ist das "Großdeutsche Reich"."

Die rechtliche Gleichheit der Individuen in der Bürgerlichen Verfassung verhindern zwar nicht, dass der eine seine Arbeitskraft verkaufen muss und ein anderer diese kauft und ausbeutet. Neumann: "Dass die Nationalsozialisten den Gleichheitsgrundsatz ablehnten, ist zweifellos ein Rückschritt, eine Verneinung gerade jenes Prinzips, das die Zivilisation der westlichen Welt von früheren Gesellschaften unterscheidet. Die Nationalsozialisten berufen sich auf die offenkundige Unzulänglichkeit der bloßen rechtlichen und verfassungsmäßigen Gleichheit und beklagen, dass die formale Gleichheit lediglich dazu führt, sozioökonomische Privilegien und Ausbeutung zu verschleiern. (...) Hier jedoch liegt der charakteristische Trick aller nationalsozialistischen Kritik traditioneller westlicher Vorstellungen. Denn die Nationalsozialisten versuchen in keiner Weise, die sozioökonomische Struktur so umzugestalten, dass aus der formalen Gleichheit eine reale wird. Vielmehr benutzen sie eine berechtigte Kritik zur Beseitigung der rechtlichen Gleichheit selbst. Diese Technik kennzeichnet den gesamten Begriffs- und Denkapparat des Nationalsozialismus. In seinen Händen bedeutet die "konkrete Persönlichkeit" der Volksgruppe in Wirklichkeit die Sonderung der einzelnen Gruppen, um so die eine gegen die andere auszuspielen. Der Eroberer verhängt eine Hierarchie der Rassen. Der Volksgruppengedanke ist nichts anderes als ein Kniff, einige Gruppen zu unterdrücken und andere einzuladen, an der Beute der Eroberung teilzuhaben."

"Die Abwertung des Staates im deutschen wie im internationalen Recht ist nicht bloße Ideologie, sondern bringt eine praktische Entwicklung zum Ausdruck. Wir haben bereits gesehen, dass Carl Schmitt und seine Anhänger es ablehnen, die rechtlichen Beziehungen zwischen den rivalisierenden Reichen als Völkerrecht zu bezeichnen und den Begriff statt dessen auf das Recht der innerhalb eines Reiches lebenden Volksgruppen zu beschränken. Diese Theorie nimmt, mit anderen Worten, die Verneinung des Staates und der Staatssouveränität ernst. Das ideologische Ziel besteht offensichtlich darin, die deutsche Lösung des Problems rassischer Minderheiten völkerrechtlich zu sanktionieren. Die wichtigste politische Konsequenz ist die Aufgabe des Minderheitenschutzprinzips zugunsten des sogenannten Volksgruppenrechts."

Um den grundsätzlich anderen Charakter des nationalsozialistischen Völkerrechts im Gegensatz zu dem des Völkerbunds, ist es wichtig zu verstehen, dass natürlich auch die Standarts des Völkerbundes nur einen Minimalkonsens in einer kriegerischen und auf Ausbeutung und Unterdrückung basierenden Welt darstellen:

"Die Art und Weise, wie religiöse, nationale, rassische und kulturelle Minderheiten behandelt werden, kann uns Auskunft über das moralische und kulturelle Niveaus eines Staates geben. Im Laufe der Pariser Friedenskonferenz stellte sich augenscheinlich heraus, dass der Wilsonsche Grundsatz der Selbstbestimmung an sich nicht ausreichte, um dieses dringlichste aller europäischen Probleme zu lösen. Militärische, ökonomische, geographische und historische Erwägungen prallten aufeinander. Die Minderheiten blieben. Ihr Schutz konnte nicht dem Ermessen des jeweiligen Staates, in dem sie lebten, überlassen werden. Die Architekten des Versailler Vertrages und der Völkerbundsverfassung stellten deshalb ein System internationaler Bestimmungen auf, über deren Einhaltung der Völkerbund wachen sollte. Tatsächlich tauchte die Vorschrift über internationalen Minderheitenschutz erstmals in dem von den alliierten und assoziierten Mächten mit Polen geschlossenen Vertrag auf, und dieses Abkommen diente allen anderen osteuropäischen Staaten, die ähnliche Verpflichtungen eingehen mussten, ehe sie in den Völkerbund aufgenommen werden konnten, als Modell.
Der Gedanke des Minderheitenschutzes gehört zum besten Erbe des Liberalismus. Die rechtliche und politische Gleichheit aller Bürger ist "ohne Unterschied der Abstammung, Volkszugehörigkeit, Sprache, Rasse oder des Glaubens" garantiert. Der uneingeschränkte Gebrauch jeder Sprache im Privatleben soll gewährleistet sein, bei den Gerichten sollen angemessene Möglichkeiten zu ihrem Gebrauch geschaffen werden. Wo immer eine Minderheit "einen beträchtlichen Anteil an der Bevölkerung" stellt, ist der Staat verpflichtet, für die Grundausbildung in der Sprache der Minderheit zu sorgen und die Kosten von Bildungs-, Religions- und Wohlfahrtseinrichtungen zu tragen. Auf eigene Kosten können die Minderheiten eigene Schulen sowie andere soziale und kulturelle Institutionen errichten und betreiben. Die freie Religionsausübung muss uneingeschränkt gelten. Streitigkeiten können vor dem Völkerbund und in letzter Instanz vor dem internationalen Gerichtshof im Haag gebracht werden.

Die Minderheitenschutzverträge zielten mithin in erster Linie auf die Gleichstellung und erst in zweiter Linie auf den Schutz des besonderen nationalen Charakters und der besonderen Kultur. Die größte praktische Schwierigkeit bei der Ausführung ihrer Bestimmungen lag darin, dass die Minderheiten keine kollektiven Rechte besaßen und nicht als Hüter ihrer eigenen Interessen auftreten konnten. Der internationale Schutz bedeutete also nicht wirklich den Schutz einer nationalen Minderheit als solcher, sondern bestenfalls ihrer einzelnen Angehörigen."

Diese Völkerbund-Formel diente auch als Grundlage für die Etablierung demokratisch verfasster bürgerlicher Staaten im Osten Europas, förderte in jener Region die Ablösung von halbfeudalen Ordnungen und stärkte mit dem Minderheitenschutz insgesamt die Individualrechte. Nach nationalsozialistischem Verständnis war dies eine imperialistische Einmischung in die Volkssouveränität.

"Der Standpunkt, (...) jede Volksgruppe sei eine rechtliche Einheit, eine - wie die Deutschen es nennen - "autonome Einheit", die nach einem ihrer spezifischen Eigenart angepassten Recht lebe, hat das wenige an Schutz, was durch die internationalen Minderheitenschutzverträge garantiert worden war, gänzlich zunichte gemacht."


Wenn die ethnische Bestimmung maßgeblich ist und nicht die Staatlichkeit als politische Einheit anerkannt ist, wird statt der Territorialität die überregionale Bindung zum Mutterland entscheidend. Diese Bestimmung des Völkerrechts basiert auf keiner rationalen Rechtmäßigkeit mehr, sondern führt zur reinen Willkür: "Damit wird die Führung der Gruppe zum Schiedsrichter, und über ihre Zusammensetzung entscheidet letztendlich das Mutterland, das durch Führerprinzip, Geld, Propaganda und Terror eine lückenlose Kontrolle über die Volksgruppe ausübt. So ist es möglich, jede abweichende politische Meinung in den Reihen der deutschen Volksgruppen im Keim zu ersticken, und so lassen sich die Gruppen zu einem gefügigen Werkzeug des Mutterlandes umformen."

"Mutterland" ließe sich auch einfach durch "Führung" ersetzen. Es braucht nicht unbedingt ein Mutterland, es genügt auch schon, wenn sich die selbsternannte Führung einer völkischen Gesellschaft von selbst etabliert. Finanzielle Unterstützung muss diesen nicht unbedingt von einem "ethnischen Mutterland" zufließen. Es genügt schon, dass bestimmte Institutionen oder Staaten dieses völkische Gesellschaftsprinzip ideologisch und finanziell fördern und unterstützen, ohne direkt ein "Mutterland" zu sein. Eine solche "mutterländische" Fürsorge übernimmt die EU zum Beispiel gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde, der sie einerseits viel Geld herüberreicht, sie anderseits ideologisch als Repräsentanten des palästinensisches Volks etabliert.

Ein Kapitel in Franz Neumanns Buch lautet: "Die deutsche Monroe-Doktrin" und beschäftigt sich damit, wie die deutsche Außenpolitik nach dem Motto: was dem einen recht ist, muss dem anderen billig sein, versuchte, den amerikanischen Hegemonialanspruch für sich auszunutzen. Den Universalismus des Völkerrechts greifen die nationalsozialistischen Völkerrechtler mit der These der wirtschaftlichen und machtpolitischen Großräume an, und nehmen als Beispiel die US-amerikanische Monroe-Doktrin, in der auch die geopolitischen Interessen der USA zum Ausdruck kommen:

"Die Monroe-Doktrin wird so als das "erfolgreichste Beispiel eines völkerrechtlichen Großraumprinzips" betrachtet. Nach dem Motto: was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, machte sich Ribbentrop am 1. Juli 1940, in seiner Erwiderung auf die Warnung des amerikanischen Außenministers Hull, die USA könnten "sich mit keinem Versuch abfinden, irgendeine geographische Region der westlichen Hemisphäre aus einer nicht-amerikanischen Macht in eine andere nicht-amerikanische Macht zu verwandeln", die Monroe-Doktrin zunutze. Ribbentrop bestritt zunächst die Gültigkeit einer solchen Interpretation der Monroe-Doktrin und fügte dann hinzu, die Reichsregierung wolle diese Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen, dass die Nichteinmischung der europäischen Staaten in die Angelegenheiten des europäischen Kontinents prinzipiell nicht zu rechtfertigen sei, wenn sich die amerikanischen Staaten ihrerseits nicht ebenfalls der Einmischung in die Angelegenheiten des europäischen Kontinents enthielten."

Dieses Argument wurde aber nicht eingesetzt, um den Universalismus des Völkerrechts einzufordern, sondern um ihn abzuschaffen zugunsten der Politik der Durchsetzung eines eigenen Herrschaftsbereiches: "Niemand kann bestreiten, dass die Monroe-Doktrin einmal eine ideologische Grundlage für den amerikanischen Imperialismus war. In seiner Präsidentschaftsbotschaft von 1904 erhob Theodore Roosevelt für die USA Anspruch auf die Position des Schiedsrichters für den gesamten amerikanischen Kontinent. Zahlreiche Interventionen, besonders im karibischen Raum, haben die Doktrin in den lateinamerikanischen Ländern verhasst gemacht."

Die deutsche Reaktion war: "Als Präzedenzfälle ihres neuen Regionalismus geben die Deutschen solche räumlichen Konsequenzen moderner Kriegsführung wie den im amerikanische Neutralitätsgesetz formulierten Begriff der Gefahrenzone, oder den in der Erklärung von Panama vom 3. Oktober 1939 enthaltenen der Sicherheitszone an. In deutscher Sicht ist vor allem der erste besonders bedeutsam, weil er den Hauptgrundsatz des internationalen Universalismus, die Freiheit der Meere, aufgibt und das Zonenprinzip an seine Stelle setzt. Ähnlich wird die in der Panama-Konvention proklamierte 300-Meilen-Zone als notwendige Folge des der Monroe-Doktrin zugrundeliegenden Großraumgedankens betrachtet und damit als unvereinbar mit Neutralität angesehen. Die deutschen Theoretiker sind hocherfreut über die neue Entwicklung der Monroe-Doktrin zum Panamerikanismus. Dies ist "zu einem für die gesamte Welt verbindlichen Ordnungsprinzip erklärt" worden, bemerkt einer. "

“Seit der ersten Haager Friedenskonferenz im Jahre 1909 haben die Vereinigten Staaten stets darauf beharrt, daß der Monroe-Doktrin eine Ausnahmestellung zukomme. Amerikanische Juristen haben immer bezweifelt, ob sie überhaupt unter das Völkerrecht im genauen Sinn falle. Sie haben sie vorzugsweise als Ausdruck des Rechts auf Selbstverteidigung betrachtet, das zur Universalität des Völkerrechts in keiner Weise in Widerspruch steht. Jetzt gibt es nicht mehr das eine Völkerrecht, sondern genau so viele wie es Reiche, das heißt Großräume, gibt. Das "Großdeutsche Reich" ist der Schöpfer seines eigenen Völkerrechts für seinen eigenen Raum. Interventionisten sollen ihre Hände davon lassen.
Die Postulate der deutschen Monroe-Doktrin wirken auf den ersten Blick überzeugend. Kaum ein anderes ideologisches Element ist in unserer Zivilisation so sehr der Verachtung ausgesetzt wie das Völkerrecht. Jede Generation hat mit angesehen, wie es als Instrument zur Organisation des Friedens versagte; eine Theorie, die sich seiner universalistischen Ansprüche entledigt, hat den offenkundigen Vorzug, realistisch zu erscheinen. Dass dies ein Trugschluss ist, sollte jedoch nicht weniger offenkundig sein. Den Universalismus wegen seiner Mängel aufzugeben, wäre dasselbe, wie wenn man Bürgerrechte, weil sie die Klassenausbeutung legitimieren und verschleiern helfen, die Demokratie, weil sie die Herrschaft der Bosse vertuscht, oder das Christentum, weil die Kirchen die christliche Moral untergraben haben, verwerfen wollte. Wer vernünftig ist, fordert angesichts einer korrupten Rechtspflege nicht die Rückkehr zum Krieg aller gegen alle, sondern kämpft für ein rechtschaffenes System. Wenn wir gezeigt haben, dass das Völkerrecht für imperialistische Ziele missbraucht worden ist, ist unsere Aufgabe ebenfalls nicht beendet, sondern hat erst begonnen."

Wir müssen zum Schluss zu Murswiek zurück kommen, denn auch in seiner Kritik des Amerikanischen Hegemonialanspruches bewegt er sich im Geleise der nationalsozialistischen Chefdenker. Damit ich nicht missverstanden werde: es gibt großen Anlass, die Politik der USA zu kritisieren und ihr Widerstand zu leisten. Sie ist eine der bestimmenden Mächte des Kapitalismus. Den Kapitalismus gilt es zu bekämpfen und damit logischer Weise auch den US-amerikanischen. Hier geht es aber um den deutschen Imperialismus und die Ideologie des deutschen Imperialismus. Er ist der antikapitalistische Gegner vor Ort und damit unser wichtigster Gegner. Der Antiamerikanismus hat in der deutschen Ideologie eine wichtige Funktion, das gilt es zu begreifen. Warum, zum Beispiel, rechtfertigt die Murswiek’sche Völkerlehre die Zerschlagung Jugoslawiens, sieht aber erst in der Präventivkriegsstrategie der USA gegen den Irak den Bruch des UN-Völkerrechts? Murswiek gibt in diesem Aufsatz (Vortrag "Die Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht") eben genau zu Bedenken, dass jener Krieg zu entweder einem Sonderstatus der USA führt oder zu einer allgemeinen Auflösung des Gewaltverzichtsgebots im internationalen Recht. "Fast jeder Staat hätte Gründe, die ihm erlaubten, Kriege gegen andere Staaten zu führen." Nur fiel ihm dieses Argument noch nicht zum Jugoslawienkrieg ein! Und er ist einer jener, der den Paradigmenwechsel in Jugoslawien, eben jene Einmischung in die territoriale Souveränität eines Staates aus Gründen des Selbstbestimmungsrechts der Völker statt eines Minderheitenschutzes der Individuen, rechtfertigte.

Ich komme nicht umhin, ganz zum Schluss, Carl Schmitt noch zu zitieren, was er nämlich zum "Amerikanischen Imperialismus" zu sagen hatte: "Richtiger wäre zu sagen, dass nach wie vor die Politik das Schicksal bleibt und nur das eingetreten ist, dass die Wirtschaft ein Politikum und dadurch zum »Schicksal« wurde. Es war deshalb auch irrig zu glauben, eine mit Hilfe ökonomischer Überlegenheit errungene politische Position sei (wie Josef Schumpeter in seiner Soziologie des Imperialismus 1919 sagte) »essentiell unkriegerisch«. Essentiell unkriegerisch, und zwar aus der Essenz der liberalen Ideologie heraus, ist nur die Terminologie. Ein ökonomisch fundierter Imperialismus wird natürlich einen Zustand der Erde herbeizuführen suchen, in welchem er seine wirtschaftlichen Machtmittel, wie Kreditsperre, Rohstoffsperre, Zerstörung der fremden Währung usw., ungehindert anwenden kann und mit ihnen auskommt. Er wird es als »außerökonomische Gewalt« betrachten, wenn ein Volk oder eine andere Menschengruppe sich der Wirkung dieser »friedlichen« Methoden zu entziehen sucht. Er wird auch schärfere, aber immer noch »wirtschaftliche« und daher (nach dieser Terminologie) unpolitische, essentiell friedliche Zwangsmittel gebrauchen, wie sie z.B. der Genfer Völkerbund in den »Richtlinien« zur Ausführung des Art. 16 der Völkerbundsatzung (Ziffer 14 des Beschlusses der 2. Völkerbundversammlung 1921) aufgezählt hat: Unterbindung der Nahrungsmittelzufuhr an die Zivilbevölkerung und Hungerblockade. Schließlich verfügt er noch über technische Mittel gewaltsamer physischer Tötung, über technisch vollkommene moderne Waffen, die mit einem Aufgebot von Kapital und Intelligenz so unerhört brauchbar gemacht worden sind, damit sie nötigenfalls auch wirklich gebraucht werden. Für die Anwendung solcher Mittel bildet sich allerdings ein neues, essentiell pazifistisches Vokabularium heraus, das den Krieg nicht mehr kennt, sondern nur noch Exekutionen, Sanktionen, Strafexpeditionen, Pazifizierungen, Schutz der Verträge, internationale Polizei, Maßnahmen zur Sicherung des Friedens. Der Gegner heißt nicht mehr Feind, aber dafür wird er als Friedensbrecher und Friedensstörer hors-la-loi und hors l'humanité gesetzt, und ein zur Wahrung oder Erweiterung ökonomischer Machtpositionen geführter Krieg muss mit einem Aufgebot von Propaganda zum »Kreuzzug« und zum »letzten Krieg der Menschheit« gemacht werden. So verlangt es die Polarität von Ethik und Ökonomie. [78] In ihr zeigt sich allerdings eine erstaunliche Systematik und Konsequenz, aber auch dieses angeblich unpolitische und scheinbar sogar antipolitische System dient entweder bestehenden oder führt zu neuen Freund- und Feindgruppierungen und vermag der Konsequenz des Politischen nicht zu entrinnen." (Carl Schmitt, "Begriff des Politischen"

Die erwünschte Wiederkehr des "Politischen" im Schmitt‘schen Sinne war die Verneinung jeglicher Rationalität und Rechtlichkeit im Interessenkonflikt zugunsten einer Rückkehr zu einem archaischen Freund-Feind-Verhältnis nach innen und nach außen - der innere und äußere Feind par excellence war dann die (von Schmitt selbst zwar nie so ausgewiesene) Anti-Rasse, waren die Juden -, in dem jeder Anspruch auf soziale Emanzipation des Menschen im Keime erstickt werden konnte. In diesem Sinne ist er auch ein Prophet der heiligen Krieger von heute.
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vertane Liebesmüh` — Franz Neumann