Gespräche zwischen Polizei und PolitaktivistI

AbwehrspielerIn der Ordnung 05.06.2004 13:14 Themen: Repression
Seit zwei Jahren gibt es in und um Gießen eine bemerkenswert hohe Dichte an subversiven, kreativen oder militanten Aktionen – während der Wahlkämpfe, gegen Militär und Repressionsapparate, für offene Grenzen und gegen Abschiebung, gegen Schulzwang, formalisierte Zweierbeziehungen und etliches mehr. Mit der Eskalation rund um die neue Gießener Gefahrenabwehrverordnung griff die Gießener Justiz und Polizei immer durchgeknallter gegen politische Gruppen durch. Nach dem Übergriff gegen einen Aktiven der Humanistischen Union wurde das Ganze öffentlich. In der Folge vereinbarten HU, einige politische Gruppen und die Polizei einen Gesprächsversuch ...
Das ganze Unterfangen ist umstritten und kompliziert. Vereinbart wurde eine hohe Transparenz auch gegenüber politischen Gruppen, die mit guten Gründen an der Gesprächsrunde nicht teilnehmen wollen. Die, die sich jetzt zur Teilnahme entschlossen haben, haben unserschiedliche Ziele – von der Entschärfung der teilweise aggressiven Lage in Gießen bis zu klaren Forderungen an die Polizei, die diese auch nicht einfach in den Papierkorb schmeißen und ansonsten einfach so weitermachen kann. Ob solche Hoffnungen überhaupt erfüllt werden können, ist völlig unklar. Für solche Gespräche gibt es kaum Vorbilder. Von Seiten der Polizei ist eine sehr hochkarätige Besetzung angekündigt.

Pressemitteilung 04.06.2004
Humanistische Union e.V.
Landesverband Hessen
Furthstr. 6
35037 Marburg
Tel. 06421/6 66 16
Fax: 06421/6 66 17
e-Mail: hu-hessen@hu-marburg.de

Deeskalation: Gießener Gespräch
In gemeinsamen Gesprächen möchten Vertreter verschiedener Gießener Gruppen und Vertreter des Polizeipräsidiums Mittelhessen akzeptable Möglichkeiten eines Umgangs miteinander ausloten. Ziel soll der Abbau von Vorbehalten gegeneinander und ein besseres Verständnis füreinander sein. Die Gespräche sollen am Montag (7. Juni) in Gießen beginnen. Das gaben die Humanistische Union (HU) und das Polizeipräsidium Mittelhessen am Freitag (4. Juni) bekannt.
Teilnehmen an den Gesprächen werden neben Vertretern der Polizei und der HU auch Aktivistinnen und Aktivisten der Jungsozialisten in der SPD, der Demokratischen Linken (DL) im AStA Gießen, der Gießener PDS und der Projektwerkstatt Reiskirchen Saasen.
Die Gespräche finden an einem neutralen Ort in Gießen statt. Um Schaukämpfe zwischen den Beteiligten zu vermeiden, ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Franz-Josef Hanke
(HU-Landessprecher)

Vorgeschichte und weitere Informationen:
 http://www.hu-marburg.de/hupm0504.shtml
 http://www.hu-marburg.de/hupm0604.shtml

Zudem direkt bei den beteiligten Gruppen:
- HU (siehe oben)
- Projektwerkstatt: 06401/903283,  saasen@projektwerkstatt.de

Vielfach wird in „linken“ Kreisen die Position vertreten, dass Gespräche mit der Polizei prinzipiell abzulehnen sind. Zwar ist das oft nur ein Slogan und Funktionseliten, die solche Slogans verbreiten, kooperieren sogar ständig mit der Polizei und anderen Ordnungsbehörden, wenn sie z.B. Demos organisieren. Unabhängig davon würde die Gegenposition lauten: Selbstverständlich – keine Aussagen. Aber ansonsten eine Politik, die emanzipatorische Möglichkeiten erweitert oder selbst eine Form emanzipatorischer Aktion sein kann. Ob dass im konkreten Fall so ist, muss kritisch diskutiert werden. Eine grundsätzliche Ablehnung jeglichen Kontaktes, also auch politisch-widerständiger bis kreativ-frecher, würde aber eine Selbstverregelung bedeuten, die wie ein Gesetz, d.h. auch ohne Begründung im Einzelfall, wirkt. Gerade die Auseinandersetzung mit den Repressionsorganen kann Chancen bieten, visionäre oder mit konkreten Vorschlägen für eine andere Gesellschaft einzutreten. Denn ohne Stiefel-Nazis, Castor-Transporte oder IWF-Treffen ist diese Welt und dieses Deutschland sehr gut unverändert vorstellbar. Ohne Knäste, gottesähnliche RichterInnen und die deren allmächtigen Schergen dagegen nicht. So entsteht hier viel schneller die Debatte um das Ganze (siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression).


Aktuelle News zur Repression, zu den Aktivitäten dagegen und zur umfangreichen Dokumentation der Strategien von Polizei und Justiz siehe  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu. Dort gibt es weitere Links zu speziellen Fällen.

Und: Vor der Tür steht auch der große Berufungsprozeß gegen zwei Projektwerkstättler (Verurteilung in erster Instanz dank vieler Bullen-Lügen, Vorverurteilung & Co.: 9 Monate ohne Bewährung). Termin ist 23.-25. Juni, je ab 9 Uhr im Landgericht Giessen, Raum 15. Rundherum:
-Trainings zu kreativer Antirepression: 18.-20.6. in der Projektwerkstatt
-Aktionstage als Dauerdemo mit Workshops, Aktionen, Theater, Gratisessen usw.: 21.-26.6. am Kirchenplatz Gießen
-Mehr:  http://www.projektwerkstatt.de/prozess
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Ergänzungen

Kolaboration mit der Polizei/ VS/BKA/etc.

rr 06.06.2004 - 05:53
"Eine grundsätzliche Ablehnung jeglichen Kontaktes, also auch politisch-widerständiger bis kreativ-frecher, würde aber eine Selbstverregelung bedeuten, die wie ein Gesetz, d.h. auch ohne Begründung im Einzelfall, wirkt. Gerade die Auseinandersetzung mit den Repressionsorganen kann Chancen bieten, visionäre oder mit konkreten Vorschlägen für eine andere Gesellschaft einzutreten."

Bitte was?
Direkte Auseinandersetzung mit den "Repressionsorganen" mag ja für Kleinsastadt-Möchtegernguerillieros ganz reizvoll und tolles Abenteuer sein.
Aber vergess bitte ein par wichtige Dinge nicht:

1. Die Cops haben von sich aus sogut wie keine Möglichkeit individuell auf eure "kreativ-freche" Aktionen zu reagieren. Die haben ihre Dienstanweisungen und Befehle von oben. Und die richten sich nach folgenden Prinzipien:

- Ordnung schaffen, wenn nötig mit physischer und psychischer Gewalt.
- Ordnung bewahren, wenn nötig mit physischer und psychischer Gewalt.

Im Detail heist das: Schutz der kapitalistischen und neoliberalen Gesellschaft vor Einflüssen von außen um jeden Preis. Wenns sein muss, dann machen "linksradikale Terroristen eben im Hochsicherheitstrakt Selbstmord".

Ob ihr irgendwelche persönlichen Probleme und Anliegen habt, das ist den Cops als Institution egal. Für die steht der Staat an erster Stelle, dann kommt die Regierung, dann die Cops selbst und irgendwann ganz am Ende
kommen die Untertanen, das gemeine Volk, ihr. Ihr habt zu gehorchen, das Maul zu halten und alle par Jahre düft ihr ein kleines Kreuzchen machen und zwischen "schlecht" und "auch schlecht" wählen. An der Art der Herrschaft und an den Herrschenden ändert sich im Prinzip nix, der Gott heißt Geld und seine Priester heißen Unternehmen.


2. Wenn ihr antikapitalistisch oder sonstwie kritisch politisch aktiv seid, und wenn ihr dazu noch eine andere Meinung als die Herrschenden habt, dann seid ihr für die im Endeffekt über "Lobbyarbeit und Spendengelder" herrschenden Kapitalisten und Neoliberalen zunächst mal direkter politischer Feind.
Das heißt: Die versuchen euren Einfluss kleinzukriegen. Mit allen Mitteln, die von der Bevölkerung noch akzeptiert werden, also auch Observation durch Verfassungsschutz und Staatsschutz, etc. und dann in Folge gezielte Sabotage euerer Aktionen von innen. Demos weden wenn nötig mit Gewalt beendet und sabotiert.

3. Die Cops/die Staatsschergen/die VS-SS-Schnüffler werden dir keine genauen Infos über ihre internen Strukturen, ihre Arbeitsweise und ihre Pläne geben. Stattdessen werden sie versuchen so viel wie möglich über dich und dein Umfeld rauszubekommen. Und so kann es passieren, dass sie eines Tages bei deinem Arbeitgeber Details aus deiner Freizeit ausplaudern, solltest du politisch aktiv werden.
Möglicherweise bieten sie dir An "Infos für die Antifa" zu liefern. Dann kriegst du aber im allgemeinen nur was Sinnvolles, wenn du "Infos über die Antifa" zurücklieferst. Bewusst oder unbewusst.


Eine Demo anzumelden ist nebenbei noch lange keine "kooperation mit der Polizei". Eine Demo anzumelden bedeutet einfach, dass man die bestehenden Gesetze für seine eigenen Zwecke nutzt. Eine angemeldete Demo ist leichter zu organisieren und weniger stressig. Aber ob man auf dir Straße geht, das darf nicht abhängig von der Erlaubnis der Polizei(bzw. der Stadt) sein, das darf einzig und allein von den Umständen abhängen, die zu der Demo geführt haben.
Eine Verbotene Demo ist noch kein Grund nicht einfach mal so in die Stadt zu fahren.
Eine Polizeivorladung ist noch lange kein Grund zum Revier zu gehen und eine Aussage zu machen.

Das, was zwischen der Polizei/dem Verfassungsschutz/dem Staatsschutz/den Oligarchen im Parlament und zwischen kritischen Gruppen abläuft ist alles andere als "Friede Freude Eierkuchen", das was da abläuft ist nicht anderes als ein kalter Krieg.

Deshalb gilt auch heute noch das, was schon vor 20 Jahren gegolten hat:
ANNA UND ARTHUR HALTENS MAUL!
Keine Zusammenarbeit mit den Bullen!
Know your enemy!

Bullenkontakte?

Anti-Repressiva 06.06.2004 - 13:05
Danke für die Entgegnung ... das ist schon mal angenehm, überhaupt mit Argumenten konfrontiert zu sein und nicht mit Beschimpfungen. Da lassen sich also auch Entgegnungen schreiben:

1. Die Hinweise auf die Gefahren solcher Kontakte sind sinnvoll und ja auch schon im Haupttext erwähnt.

2. Das aus Gefahren zwangsläufig Nicht-Kontakt folgt, kann ich nicht erkennen. Emanzipation heißt ja Befreiung aus Zwängen. Dogmen sind aber Zwänge. Also muß jedes Mal geguckt werden.

3. Aus 2. ergibt sich nun auch nicht das Gegenteil. Im konkreten Fall ist recht genau diskutiert worden und eine Entscheidung getroffen worden, die unter etlichen Vorbehalten steht. Intensive Transparenz ist eine der Voraussetzungen gewesen, das überhaupt zu machen - zumindest für einen Teil der teilnehmenden Gruppen.

4. Dein Hinweis auf Demoanmeldung ist zwar richtig, nur steht im Haupttext nichts von "Anmeldung", sondern es wird darauf verwiesen, dass bei der Organisierung einer Demo fast alle Linken mit der Polizei kooperieren - nämlich in Form des Vorbereitungsgesprächs, von Rückklärungen usw. Der Hinweis, Demo sei etwas anderes, zeugt davon, dass Du auch kein Dogma hast (auch wenn es unter Deinem Text mal wieder steht). Allerdings teile ich Deine Auffassungen nicht, wann Kontakt sinnvoll ist und wann nicht.

5. In Gießen ist die Polizei aufgrund einer Vielzahl direkter Aktionen teilweise in Problemen, das ganze arbeitsmäßig (Überstunden) und von der Aufklärungsquote her für sie befriedigend in den Griff zu bekommen. Daher haben sie zusammen mit Justiz, Parteien und Presse (regional ausreichend verfilzt, dass da nix Unabgesprochenes passiert) massive Repression und Hetze aufgefahren (siehe  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu), die demnächst mit dem Prozeß gegen Projektwerkstättler (23.-35.6., siehe  http://www.projektwerkstatt.de/prozess) einen weiteren Höhepunkt hat. In diese Phase hinein haben die Bullen um Gespräche gebeten. Sie abzulehnen, ist keine Nullvariante, sondern ebenfalls mit politischen Folgen behaftet (wie Nix-Tun ja immer auch eine Entscheidung ist).

6. Entscheidend wird sein, wie die Risiken (Informationsweitergabe, Imagegewinn für die Polizei usw.) zu vermeiden und eine Öffentlichkeitswirkung für eine Gesellschaft ohne Staat, Repression, Polizei und Knast zu erreichen ist.

7. Den Gruppen das Gespräch und die Öffentlichkeitswirkung zu überlassen, die Polizei, Justiz und Rechtsstaat gar nicht abschaffen, sondern aufgrund fataler Fehlanalysen gesellschaftlicher Verhältnisse sogar noch ausbauen wollen, kann auch sehr dumm sein ...

Missverständnis ... und Bericht

Projektwerkstätti 07.06.2004 - 22:55
Die Sache mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit ist ein Mißverständnis. Es ging darum, dass das Treffen nicht offen angekündigt wurde. Alle Gruppen und interessierten Personen konnten teilnehmen, deshalb wurde das Ganze ja auch hier und anderswo beschrieben. Was nicht gewollt war, war dass es quasi einen Publikumsbereich, Presse u.ä. gab. Dann entstehen eher Podiumsdiskussionen. Das mag auch seinen Sinn haben, ist aber etwas anderes.

Allerdings hat es immer unterschiedliche Prioritäten gegeben. Von den Menschen rund um die Projektwerkstatt wurden immer alle möglichen Gruppen intensiv informiert, außerdem der Wunsch eingebracht, öffentliche Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit usw. mit allem zu verbinden. Zudem gab es Interesse, z.B. rund um den bevorstehenden Prozeß Aktionen zu machen. Das alles findet bei den meisten anderen Gruppen weniger Widerhall. Insofern ist die Neigung zu Transparenz und Öffentlichkeit nicht gleichermaßen gegeben.

Inzwischen ist das erste Gespräch ja vorbei. Es ist wenig spektakulär verlaufen. Nur ein kleiner Teil des Vorgenommenen wurde in den etwas mehr als 2 Stunden diskutiert. Anwesend waren von Seiten der Polizei der Polizeipräsident, der Einsatz- und Vollzugschef und ein Mitarbeiter des Staatsschutzes. Konkrete Ergebnisse gibt es nicht außer der Verabredung auf einen nächsten Termin (5.7.) und dass dort alle Beteiligten konkrete Forderungen an die jeweilige "andere Seite" einbringen sollen.

Einige überraschende Momente gab es heute - z.B. was von Seiten des Polizeipräsidenten als besonders änderungsbedürfig vorgebracht wurde: Die Polizei solle respektvoller behandelt werden, also z.B. nicht durch Straßentheater demaskiert oder lächerlich gemacht werden. Hmmm ... da hat es die Polizei in Gießen in der Tat nicht einfach - sie steht seltener Demo-Formationen gegenüber, sondern meist kreativ quirligen StraßenkünstlerInnen. Zum Glück besteht in der Herrschaftsstruktur Polizei nicht die Gefahr, dass dort auch Selbstbestimmung und Kreativität freigegeben werden ... das würde sich nämlich schnell gegen die Apparate selbst richten.

Und um es deutlich zu machen: Wer mitdiskutieren will, ist eingeladen, sollte sich aber melden. Oder kommen zu dem, was demnächst ansteht: Pro-EU-Armee-Straßentheater-Demo am 12. Juni oder die Aktionstage rund um den Prozess 21.-26.6. ( http://www.projektwerkstatt.de/prozess).

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