Oekonux: Nutzen von OrganisationHerrschaft

ratte 23.05.2004 10:21 Themen: Kultur Netactivism Soziale Kämpfe
Die Debatte um OrganisationHerrschaftAnarchismus (OHA) in Freien Projekten dauert im Projekt Oekonux schon seit geraumer Zeit an. Auch auf der 3. Oekonux Konferenz in Wien zog sich das Thema daher als einer der roten Fäden durch die einzelnen Veranstaltungen. Das Thema bietet dabei über die Arbeit von EntwicklerInnen freier Software hinaus auch Anschlussmöglichkeiten für die Analyse der Arbeit in politischen Gruppen.
Das Projekt Indymedia selbst ist ein schönes Beispiel an der Schnittstelle zwischen Freier Software, politischem Aktivismus und alternativen Medien. Gerade bei politischen Projekten werden dabei evidente Parallelen zur Entwicklung freier Software deutlich. Hier wie dort wird oftmals unentgeltlich gearbeitet, Selbstbestimmung (im Gegensatz zur Selbstverwirklichung) ist ein wichtiger Motivationsfaktor für die eigene Arbeit und hinter all dem steht oftmals die Vision einer "freieren" Gesellschaft. Um es mit Oekonux zu sagen, der GPL-Gesellschaft, deren Verwirklichung sich ein Stück weit schon im eigenen Handeln vorwegnehmen lassen soll.

Zwei wichtige Fragen drängen sich bei der Debatte um die GPL-Gesellschaft auf. Erstens, lassen sich Organisationsformen und Erfahrungen, die sich für die Entwicklung Freier Software als erfolgreich erwiesen haben, auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen? Und Zweitens was können politische Projekte von Freien Software-EntwicklerInnen lernen, wo treten ähnliche Probleme auf?

Diesen Fragen wurde auch am dritten Tag der Ökonux-Konferenz in der Podiumsdiskussion "Organisation - Herrschaft - Anarchismus" versucht auf die Spur zu kommen. Zu Beginn wurden Begriffe wie Organisation, Regeln, Herrschaft und Anarchismus in diesem Kontext beleuchten und versucht in einer entspannten, analytischen Haltung an die komplexe Frage heran zu gehen.

Wichtig ist gerade auch unter EntwicklerInnen freier Software das Konsensprinzip, da Arbeit hier ja weitgehend freiwillig und unbezahlt geleistet wird. Das Prinzip der (dem übrigens auch Indymedia verpflichtet ist) bedeutet dabei nicht, dass alle Mitglieder einer Gruppe Entscheidungen zustimmen müssen, sondern heisst, dass Entscheidungen lediglich nicht abgelehnt werden. Dies gibt den Beteiligten einerseits viel Macht, ermöglicht andererseits aber auch das Überdenken von Regeln.
Als Ergänzung zum Konsensprinzip, dessen Grenzen in seiner Unflexibilität auf Entscheidungen rasch zu reagieren liegen, gibt es in der Freien Software Entwicklung das "Maintainership". Hier wird mit reflektiert, dass einzelne Projekte oft von manchen Personen mehr abhängen, weil diese Beispielsweise oftmals eher bereit sind Arbeit als andere Beteiligte in ein Projekt hineinzustecken oder kompetenter sind und in eine Rolle hineinwachsen in der sie maßgebliche Verantwortung für die Gruppe übernehmen müssen. Der/Die MaintainerIn trifft daher auch manchmal Entscheidungen, die in der Gruppe vorher nicht basisdemokratisch verabschiedet wurden, zu denen ein Konsens in absehbarer Zeit nicht möglich ist und durch die Arbeit in der Gruppe sonst stillstehen würde.
Wichtig ist hier wiederum, dass auch solche Entscheidungsstrukturen transparent sind, weil nur diese Transparenz gewährleistet, dass alle AktivistInnen den Entscheidungsprozess nachvollziehen können und sich von ihrem Projekt nicht entfremdet fühlen. Im Falle einer MaintainerInnenentscheidung kann es dabei natürlich in letzter Konsequenz zum Bruch (="Fork") kommen, wenn dadurch die Arbeit in der Gruppe wiederaufgenommen werden kann.
Der ?Fork?, der für alle Beteiligten jeder Zeit möglich ist, bietet dabei einerseits immer eine reale Alternative unter EntwicklerInnen Freier Software, da diese ja weitgehend mit imateriellen Produktionsmitteln zu tun haben und auch weiter den freien Quellcode benutzen können, andererseits ist der "Fork" auch immer eine entscheidende Schwächung der Ressourcen des Projekts und wird nur relativ selten (anders als in linken Gruppen?) vollzogen. Falls es eben nich möglich ist eine Konsensentscheidung in einem akzeptablen Zeitraum herbeizuführen und die Arbeit in der Gruppe daher eben nicht mehr möglich ist.

Vor allem der Spaltungen vorausgehende oder begleitende Prozess des Maintainerships als Ergänzung zum Konsensprinzip, den es in linken Gruppen, mit all seinen positiven wie negativen Effekten, wohl auch gibt, wird aber gerade hier besonders wenig thematisiert und bleibt intransparent. Meistens bleibt nur der "Forg" als Abschluss einer solchen Entwicklung über. Diese Intransparenz im Vorfeld führt wohl oftmals eher zu Frustration vieler Beteiligter.

Fraglich ist auch, ob dieses Modell des Maintainerships, sich so ohne weiteres auf die Gesellschaft an übertragen lässt. Wer will schon eine übergroße MaintainerIn an der Spitze seiner Stadt stehen haben? Ausserdem wäre es zumindest wichtig neben dieser stark abstrahierenden (eher anarchistischen?) "Nahaufnahme" der Abläufe von Kleingruppenstrukturen nicht zu vergessen, dass diese in eine (eher neo-marxistische?) "Großansicht" einer linken Gesellschaftsanalyse eingebettet gehört. Denn schliesslich haben antirassistische und feministische Theorien gezeigt, dass konkrete Inhalte nicht von deren ProtagonistInnen getrennt werden können und es daher eben nicht egal ist welche Personen welche Gruppenfunktionen übernehmen, sondern daraus andere strukturelle Herrschaftsformen herausgelesen werden können.

Soweit erste Eindrücke von der 3. Oekonux-Konferenz in Wien.
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Ergänzungen

Ein weiteres Beispiel...

boral 23.05.2004 - 19:14
...für Projekte außerhalb von Profitgier und Kommerzwahn stellt das Unternehmen Wikipedia da.