EU-Wahlplakate und Arbeitsamt verschönert

antiwa(-hlaktion) giessen ;-) 08.05.2004 14:25 Themen: Soziale Kämpfe
Die Europawahl steht an, geplant als Akzeptanzbeschaffung für noch mehr Markt und Staat, Aufrüstung und Sozialabbau - denn genau dafür steht das projekt EU. In Giessen fanden sich erste Anzeichen dafür, dass die "mittelheschische Tradition" von Antiwahlaktionen aufrecht erhalten wird. Am Ende einer Ausfallstrasse wurden veränderte Wahlplakate gesichtet, deren Aussagen mit Spruchbändern verändert wurden. Im Mittelpunkt standen Bezüge zu Sozialabbau und Aufrüstung, die Kernelemente des EU-Projekts darstellen. Als "Bonustrack" gibt es noch ein paar größere Bilder des in der Nacht zum 1. Mai umfassend umgestylten Arbeitsamts in Wetzlar (weiterer Bericht: http://www.de.indymedia.org/2004/05/82418.shtml).
Veränderte WahlplakateIn Giessen nichts Neues: Der Anlagenring ist vollgestellt mit den Plakaten aller Parteien, die sich gegenseitig in Europa-Patriotismus und deutschen Machtphantasien. Alle wollen die Nase vor haben wenn es darum geht, sozialen Kahschlag, Aufrüstung usw. in Europa durchzusetzen. Sprüche wie "Armut europaweit verankern" oder "Sozialabbau in ganz Europa" auf einigen Wahlplakaten sollen vermutlich offen legen, für was die EU-Wahl eigentlich steht. Das SPD-Plakat "Friedensmacht" Europa wurde mit Spruch-Bomben bestückt ("Aufrüstung", "EU-Armee", "Sozialabbau" und "Friedliche Kriege"). Wer sein eigenes Wohnzimmer auch so gestalten will kann sich die Vorlagen unter http://www.wahlquark.de.vu downloaden - dieser Link dient selbstverständlich nur zur Dokumentation ... Wahlplakate verändern ist eine höchst verwerfliche Sache.

Gute Gründe für kreativen Widerstand gegen die EU-WahlEs darf mal wieder gewählt werden ? neben Landtagswahlen ist dieses Jahr ein neues Stimmfanggebiet erschlossen worden: Europa. Unter Führung von Deutschland, Frankreich und England soll eine neue Weltmacht geschaffen werden ? in mit allem, was eine moderne Herrschaftsstruktur braucht: Eine EU-Armee, Angriffskriege, erweiterte Rüstungsexporte, abgeschottete Grenzen, Sozialabbau und Europa-Patriotismus gehören zur Grundausstattung. In einer inzwischen von allen EU-Staaten verabschiedeten, verbindlichen Militärstrategie liest sich das so: "Eine aktive und handlungsfähige Europäische Union könnte Einfluss im Weltmaßstab ausüben."

Militarisierung der EUDie Militarisierung der EU ist nur ein Teilaspekt des Projekts ? aber einer, der überdeutlich zeigt, was hier eigentlich gespielt wird. In der EU-Militärstrategie ist zu lesen: "Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern." Auch Angriffskriege überall werden darin fest verankert: "Unser herkömmliches Konzept von Selbstverteidigung, dass bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen." Wenn der aktuelle Vorschlag zur EU-Verfassung können einzelne Staaten-Zusammenschlüsse innerhalb der EU sogar "autonom" für Menschrechte bomben ("strukturierte Zusammenarbeit") ... die konkrete Form für die "Kern"-Europaidee, die überaschenderweise vor allem von deutschen und französischen Eliten propagiert wird.

Deutschland hat die Nase vornMit 18.000 SoldatInnen stellt Deutschland das größte Kontingent für die EU-Interventionstruppe. Der Befehlshaber der EU-Armee wird ein deutscher General sein. Und sehr wahrscheinlich wird das "Operation Headquarter" das Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow werden. Auf der Webseite der Bundeswehr gibt mensch sich wenig Mühe, die Ziele zu verdecken: "Diese Kräfte in Form einer europäischen Eingreiftruppe sollen für gemeinsame Einsätze der EU unabhängig von der NATO zur Verfügung stehen."

EU-WahlquarkIm Kern des Projekts geht es um die Ausdehnung von Herrschaft und Verwertung ? die Wahl soll den Euro-Schäfchen das Gefühl geben, irgendwie dabei mitbestimmt zu haben. Demokratische Systeme leben davon, dass Unmut immer wieder neu kanalisiert wird. Die tatsächliche Fremdbestimmung wird mit Wahlen, runden Tischen und der Einbindung der "Zivilgesellschaft" verschleiert.

Wie immer sind auch jede Menge linker Partein, die auch ein Stück vom Kuchen haben wollen. Was überhaupt daran sinnvoll sein soll, neue staatliche Herrschaftsstrukturen zu schaffen, erklärt niemand. Denn etwas anderes als eine Machtstruktur kann bei dem Projekt EU gar nicht heraus kommen ? egal, ob sich die HardlinerInnen oder die "softeren" Herrschaften durchsetzen: Konkrete Menschen würden sich nie weder in Form von Nationen oder der EU organisieren ? das sind immer Projekt der wirtschaftlichen und politischen Eliten, die über die Diskurse und völkischer Identitäten ihre Interessen durchsetzten (Sozialabbau ist z.B. sicher nicht das, was die lohnabhängigen Menschen in Europa wollen ? die Lügen von notwendigen Reformen oder leeren Kassen sollen die Köpfe der Menschen vernebeln und die Zuspitzung von Ausbeutung verdecken). Die Beteiligung an der EU-Wahl ist bereits per se antiemanzipatorisch, weil ein Staatenbund überhaupt nichts anderes sein kann als eine Herrschaftsstruktur. Deshalb geht es nicht darum, Europa zu verhindern und am Nationalstaat festzuhalten, sondern für Alternativen jenseits von Staatlichkeit und völkischen Konstrukten zu kämpfen, in der Menschen tatsächlich selbstbestimmt und kooperativ zusammen leben können. Insbesondere linke Parteien sind aktiv daran beteiligt, dass diese Frage nicht gestellt wird: Sie kanalisieren Widerstand, indem Stimmabgabe als Protest verklärt wird oder zur Wahl des kleineren Haufen Scheiße aufgerufen wird. Sie verengen die Frage darauf, wer die Mega-Nation Europa regieren wird anstatt die sie dafür zu öffnen, wie eine Welt ohne Grenzen, Armeen, Markt und Staat aussehen könnte und wie wir damit anfangen könnten, erste Ansätze selbstbestimmten Lebens schon heute aufzubauen.

Ob Europa- oder Landtagswahl ? sie alle werden Werbeshows für Stellvertretung, Kapitalismus und die aktuellen Verschärfungen sein ... mit erhebliche Aufmerksamkeit durch Medien usw. Genau deshalb bieten all diese Wahlen auch Möglichkeiten, mit kreativen Aktionen Gegenbilder zu demokratischer Herrschaft, Sozialabbau und Militarismus öffentlich zu machen: Vom veränderten Wahlplakat über Jubel-Orgien bei Politikerbesuchen, gefälschte Parteipropaganda bis hin zu Utopiezonen vor Wahllokalen oder verstecktes Theater beim Urnengang ... ein bunter, vernetzter Widerstand, der Visionen einer ganz anderen Welt thematisiert, erscheint uns viel sinnvoller als das Mitmachen beim Wahlquark.

Stimme behalten - Herrschaft abwählen!

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