Eine Zensur findet nicht statt

Jenz Steiner 04.05.2004 20:15 Themen: Medien Repression Weltweit
Auch in Deutschland gilt der 3. Mai als Tag der Pressefreiheit. In den deutschen Medien dominierten an diesem Tag Schlagzeilen über den Staatsbesuch des chinesischen (1) Ministerpräsidenten Wen Jiabao und die "erfolgreiche" Strategie der ausgestreckten Hand der Berliner Polizei am ersten Mai. Allein in diesem Jahr sind weltweit bereits 27 Journalisten bei der Ausübung ihrer Arbeit ums Leben gekommen. 64 waren es 2003, 54 im Jahr 2002 und 55 im Jahr zuvor. Die wenigen Artikel deutschsprachiger Tageszeitungen berufen sich in erster Linie auf Beschränkungen der Presse- und Informationsfreiheit (pdf) in anderen Ländern. In den Beiträgen wird meist die von der Organisation Reporter ohne Grenzen erstellte Bilanz zitiert. Doch auch in Deutschland haben professionelle Journalisten und Medienaktivisten unter staatlichen und privaten Repressalien zu leiden. Und das trotz Artikel 5 des Grundgesetzes.
Telefonüberwachung, Durchsuchungen von Journalistenbüros und unabhängigen Radiosendern (weitere Artikel hier und hier), Tränengas-Angriffe von Polizisten (2) und Nichtanerkennung von Presseausweisen (3) durch Sicherheitskräfte - journalistischer Alltag in Deutschland. Wer für kritische Berichterstattung nicht mit staatlichen Institutionen oder Konzernen in Konflikt gerät, läuft Gefahr, von Klagewellen von Organisationen und Privatpersonen und durch Rufmordkampagnen mundtot gemacht zu werden. Die Ermittlungsbehörden konstruieren Verdachtsmomente gegen Journalisten, um so, bei einer Durchsuchung, an Informationsmaterial heranzukommen, bestätigt ein Bericht auf der deutschen Website der Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen. Zugang zu Verwaltungsakten und transparente Behörden sind kein Bestandteil der politischen Kultur in Deutschland.

"Das Magazin voice hatte im Oktober 2002 nach monatelangen Recherchen über die Strukturen, Lehren sowie wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen der Sekte Universelles Leben berichtet. Seitdem überzieht diese den 27-jährigen Herausgeber mit zahlreichen Klagen und verursachte Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe von über 20.000 Euro. "Das sind rund 1.100 Euro pro Monat - existenzbedrohend und ruinierend für einen Angestellten, der weniger als 2.000 Euro im Monat verdient."
Quelle: Tag der Pressefreiheit Günter Wallraff: Presse- und Meinungsfreiheit verkommt zum Luxusartikel.
Artikel vom 01.05.04 auf de.indymedia.org

Internationale Journalisten, die sich im Verein der ausländischen Presse in Deutschland zusammengefunden haben, beklagen sich darüber, besonders bei Gesprächsterminen mit deutschen Politikern vernachlässigt zu werden. Diese würden sich aus wahlkampftaktischen Gründen zuerst auf die einheimische Presse stürzen.

Michael Konken, Bundesvorsitzender des deutschen Journalistenverbandes prangert in einer Pressemitteilung zum Tag der Pressefreiheit neben ständigen Durchsuchungen auch die steigende Überwachung von Telefonen und die mangelnde Transparenz deutscher Behörden an. Bürger können in deutschen Behörden keine Akten einsehen. Noch immer herrscht das Amtsgeheimnis (pdf) vor dem Öffentlichkeitsprinzip. Wegen eines Berichtes über Aktenvernichtung im Bundeskanzleramt mussten sich im Oktober 2003 Redakteure der Zeit vor Gericht verantworten.Bereits 1998 war ein Informationsfreiheitsgesetz auf Bundesebene geplant, aber immer wieder von den Ministerien blockiert worden.In den vier Bundesländern Berlin (pdf), NRW, Schleswig-Holstein und Brandenburg gibt es bereits ein solches Gesetz. Die Rot-Grüne Koalition wollte das Gesetz bis zum Ende der Legislaturperiode 2002 verabschiedet haben. Eilig hatte man es mit der Umsetzung im Bundesministerium des Inneren nicht.

Der Druck der NGO's blieb konstant. Im April legten diese einem eigenen Gesetzentwurf vor. Dieser umfasst eine Vereinfachung der Auskunftspflicht der Behörden gegenüber Journalisten und einfachen Bürgern.
Das Erlangen von Auskünften, ohne das eigene Interesse daran begründen zu müssen, ist in anderen Ländern, beispielsweise in den USA, eine Selbstverständlichkeit.
Dies beruht auf der natürlichen Skepsis der Bürger gegenüber Machtmonopolen und Institutionen.

Im Jahre 1998 wurde der Artikel 13 des Grundgesetzes geändert. Damit wurde die sogenannte akustische Wohnraumüberwachung zu Zwecken der Strafverfolgung ermöglicht. Der "Grosse Lauschangriff" war geboren. Die Informationsfreiheit, der Informantenschutz und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wurden dagegen nahzu ausgehebelt. Der "kleine Lauschangriff" bezieht sich dabei nur auf die normale Wohnumgebung und eventuelle Büroräume. Der Presserat, Verlage und Journalisten mussten eine Ausnahmeregelung für die Presse erst erkämpfen.Der Gesetzestext, der das Abhören von Wohnungen zur Strafverfolgung ermöglichte, klammerte dann doch Journalisten hiervon aus, sofern sie nicht selbst zu den Tatverdächtigen zählen. In Deutschland darf ein Journalist keine rechtlichen Grenzen übertreten, um an Informationen zu gelangen. Auch nicht, wenn sie von öffentlichem Interesse sind. Damit ist investigativer Journalismus im herkömmlichen Sinne stark limitiert. Im März 2004 wurde das Gesetz durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts etwas entschärft.

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Telefonverkehr nicht mehr kontrolliert wird. Grundlage dafür ist das sogenannte Handy-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 2003. Aufhänger für die Gesetzesnovelle waren die Strafverfolgungen des RAFlers Hans-Joachim Klein und des Bauunternehmers Jürgen Schneider. Noch immer gibt es in der Strafprozessordnung keine klar festgelegten Grenzen, die besagen, inwiefern die Aufklärung der Öffentlichkeit (pdf) von höherer Wichtigkeit ist, als Strafverfolgung.Dies gefährdet den Schutz der Informanten und die Arbeit von Journalisten.
Eine weitere Hürde für eine freie publizistische Tätigkeit und investigativen Journalismus ist das Telekommunikationsgesetz. Eine Novelle dessen wurde im April 2004 durch den Bundesrat verhindert. Stattdessen forderte der Bundesrat eine Reihe von Änderungen des bisherigen Textes (pdf). Telekommunikationsprovider sind durch das Gesetz dazu verpflichtet, Rufnummer, Name, Anschrift, Geburtsdatum, Anschlusslage und Vertragsbeginn, Gesprächs- und Verbindungsdaten digital zu speichern und die Datensätze ermittelnden Behörden zu überspielen. Dies wurde mit der Gewährung der inneren Sicherheit begründet.

Auch eine Überarbeitung des Zeugnisverweigerungsrechts musste von Journalistenverbänden erst erkämpft werden. Das Durchsuchen von Redaktionsräumen ist seither offiziell nur statthaft, wenn eine richterlichen Erlaubnis vorhanden ist und die Durchsuchung der Aufklärung eines Verbrechens oder der Gefahrenabwehr dient. Freie Journalisten sind von dieser Regelung ausgeschlossen.

"Die Durchsuchung von Büros und Wohnungen freier Journalisten mit Beschlagnahme von Materialien beschäftigte innerhalb weniger Monate gleich zwei Mal die Öffentlichkeit. Am 3. Dezember 2003 wurden die Wohnung des Dortmunder Journalisten Ulrich Sandersowie die Räume der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Wuppertal, deren Landessprecher er ist, durchsucht. Der Vorwurf gegen ihn: Verdacht auf Amtsanmassung und Beleidigung. Das Landgericht Dortmund wies am 6. April 2004 eine Beschwerde Ulrich Sanders gegen die Durchsuchungen und die Beschlagnahme des Computers zurück. Es bestätigte stattdessen deren Verhältnismäßigkeit. Denn die Voraussetzungen für Hausdurchsuchungen seien weit gefasst, und Sander sei nach Auffassung des Gerichts hinreichend verdächtig gewesen. "Belastendes gegen mich wurde aber nicht gefunden", so Sander."
Quelle: DJV

Der freie Journalist Dr. Udo Ulfkotte, der auch an der Universität Lüneburg Vorlesungen zum Thema "Spionage- und Terrorismusabwehr" hält, wurde ebenfalls Opfer der limitierten Freiheit von Journalisten in Deutschland. Man beschlagnahmte bei ihm:

(...) drei Computer und sein komplettes Recherchematerial inklusive Terminkalender und Archiv. Der Vorwurf: Anstiftung zum Verrat von Dienstgeheimnissen und Bestechung. Ulfkottes Anwalt, der Strafrechtsexperte Edzhard Hild, beurteilt Aktionen wie diese aus einem anderen Blickwinkel: "Da konstruieren Staatsanwälte etwas, machen Journalisten zu Mitbeschuldigten, damit sie durchsuchen und so an die Informanten gelangen können." Denn Durchsuchungen nach Paragraf 102 Strafprozessordnung sind dann zulässig, wenn der Verdacht besteht, dass der Journalist selbst eine strafbare Handlung begangen hat. Ein Trick, mit dem das Zeugnisverweigerungsrecht durchbrochen wird? Die Vermutung liegt nahe, denn die Durchsuchungen der letzten Jahre haben nie zu einer Verurteilung von Journalisten geführt.
Die Informanten wurden dagegen immer aufgedeckt. (...)
Quelle: DJV

Auch der vor drei Monaten vorgelegte Gesetzentwurf zum Bildnisschutz kann mit zur Beschränkung der Pressefreiheit beitragen. Dies bezieht sich in erster Linie auf das unbefugte Fotografieren von Personen in geschützten Bereichen. Recherchen mit versteckter Kamera werden somit rechtlich ausgehebelt. Das Aufdecken von Missständen wird nun strafrechtlich verfolgt. Der selbstauferlegte Pressekodex von Journalisten schliesst den Missbrauch solcher Praktiken bereits im Vorfeld aus. Darauf nimmt die Justiz jedoch keine Rücksicht.

+++wird fortgesetzt+++

Anhang

Die Bundesrepublik Deutschland gewährt ihren Bürgerinnen und Bürgern die drei so genannten "Kommunikationsfreiheiten": Freiheit der Meinungsäußerung, Pressefreiheit und Informationsfreiheit. Und es gibt wohl keinen modernen, aufgeklärten Staat, der seinen Bürgern nicht diese oder ähnliche Rechte garantiert. "Eine Zensur findet nicht statt", heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Gemeint ist, dass es keine "Vorzensur", also keine staatliche oder sonstige Stelle geben soll, der Presseerzeugnisse, Briefe oder andere Formen der Kommunikation zur Genehmigung vorgelegt werden müssen, bevor sie ihren Adressaten zugeleitet werden. Gemeint ist jedoch nicht, dass in diesem Land jeder zu jeder Zeit alles sagen oder publizieren darf.

Denn die Grundrechte der Kommunikationsfreiheit werden gegen andere Rechtsgüter abgewogen und teilweise gesetzlich eingeschränkt. So heißt es im zweiten Abschnitt von Artikel 5 unseres Grundgesetzes: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."

Der Begriff der Zensur, intuitiv meist stark wertend verstanden als Unterdrückung missliebiger Meinungen, steht also in einem relativ komplexen rechtlichen Umfeld. Wenn im Folgenden von Zensur die Rede ist, so sollte das in einem weiten, weitgehend wertneutralen Sinn verstanden werden. Gemeint ist jede staatliche Beschränkung der Freiheit, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, sei sie demokratisch legitimiert oder nicht, egal auch, ob sie als vorherige Kontrolle oder nachträgliche Verfolgung daherkommt.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Fussnoten(1) In China sind 38 von den weltweit mindestens 49 inhaftierten Cyberdissidenten eingesperrt; in den vergangenen zwei Monaten wurden außerdem fast 9.000 Internetcafes in China geschlossen. Quelle: de.internet.com
(2) Quelle: "M - Menschen Machen Medien", April 2004)(3) ebd.

Links zum Thema Pressefreiheit
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Ergänzungen

Artikel bei Telepolis

Link 04.05.2004 - 20:36
Ein tödliches Jahr für die Pressefreiheit"
Die Ampel für die unabhängigen Medien steht auf Rot.
 http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17341/1.html

Ansonsten müssen sich deutsche Mainstream-Medien auch nicht die Mühe machen, sich zu fürchten. Die Masse der Medien hierzulande schaltet sich freiwillig gleich und reduziert sich auf Hofberichterstattung und Hetze gegen Oppositionelle.

Widerstand

Roter Senkel 05.05.2004 - 16:35
Dagegen hilft nur Widerstand gegen die Herrschenden. Das Magazin "CAMPO de Criptana" als unabhängiges Medium im Printbereich, wehrt sich jedenfall erfolgreich gegen Beeinflussungen. Es gibt sicher noch ein paar andere.
www.campodecriptana.de

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