LEIPZIG am 1. Mai: Nazidemo und Gegenaktionen

imc_le 01.05.2004 21:02 Themen: Antifa
Ein Resümee des durchweg sonnigen Tags der Arbeit in Leipzig:
kämpferische Gewerkschaftsdemo / Widerstand gegen Naziaufmarsch / lächerlicher Worch-Aufzug
* am Vormittag: Demonstration der Gewerkschaften

Um 10 Uhr begann eine von Gewerkschaften (IGM) und PDS organisierte Demonstration. Um die tausend Menschen versammelten sich am Connewitzer Kreuz und zogen in Richtung Innenstadt. Zentraler Gegenstand war die Kritik am Sozialabbau und der rot-grünen Bundespolitik allgemein. Eine relativ große Zahl verschiedener kommunistischer und anarchistischer Gruppen beteiligte sich an der Demo. Auf Transparenten und Flugblättern wurde wiederholt ein "soziales Europa" gefordert - lediglich das Fronttransparent setzte Akzente mit der eindeutigen Forderung "Kommunismus statt Europa". Die Polizeipräsenz war marginal, die Stimmung dafür sehr gelockert bis kämpferisch durch die Beschallung mit Kampfliedern der Arbeiterklasse. Redebeiträge und eine tatsächliche Kundgebung gab es leider nicht. Auf dem Weg schlossen sich eine Reihe von Bürgern dem Demozug an.

Zielpunkt war der Augustusplatz. Dort begann um 11 Uhr die Kundgebung von DGB und Ver.di, rundherum staffiert mit zahlreichen Infotischen diverser Gruppen und Parteien. "Starredner" war neben regionalen Funktionären (u.a. Bernd Günther, DGB-Vorsitzender der Region Leipzig) der Ver.di-Bundesvorsitzende Frank Bsirske. Die Redebeiträge waren aus meiner Sicht recht dürftig und alles andere als programmatisch, dafür wurde keine Chance ausgelassen, an die "Tradition von '89" zu erinnern, Olympia zu preisen und die osterweiterte EU als "Chance für Deutschland" darzustellen. Immerhin waren an die 6000 Menschen anwesend.


* ...währenddessen bei den Nasen

Parallel versammelten sich am Hauptbahnhof (Ostseite) die Teilnehmer des Aufmarschs von Christian Worch unter dem Slogan "Deutsch bleibt das Land - Für Volksgemeinschaft & Sozialstaat", der 12 Uhr offiziell begann und bis 20 Uhr angemeldet war. Allerdings ist diese Volksgemeinschaft (im Vergleich zur deutschen) trotz bundesweiter Mobilisierung ziemlich bescheiden ausgefallen: nach Polizeiangaben sind 900 Nasen erschienen, ich halte diese Zahl allerdings für erheblich übertrieben. Erst seit gestern Abend war klar, dass die Nazis dank Verwaltungsgericht über Georgiring und Gerichtsweg zur Prager Straße und weiter zum Völkerschlachtdenkmal laufen dürften.

Gegen 12 Uhr sollte sich von der Nikolaikirche aus ein Protestzug in Richtung Hauptbahnhof in Bewegung setzen, was dieser erst mit reichlicher Verspätung, fast einer Stunde, und etwa 500 Teilnehmern tat. Die Inhalte waren eher unpolitisch: so forderte ein Transparent dazu auf, den Geschlechtsverkehr mit Nazis zu vermeiden ("Kein Sex mit Nazis" - wer tut denn sowas?). Der Hauptbahnhof wurde mit lautstarken "Nazis raus"-Rufen und passender Musik erreicht. Aus der Ferne konnte die Versammlung der Nazis beobachtet und ihren Reden gelauscht werden. Leider war es Antiantifas möglich, nicht nur aus der Ferne Bilder zu schießen, sondern quer durch unsere Reihen zu marschieren und Leute aus nächster Nähe abzulichten. Daneben wurde auch ein recht hohes Aufkommen an Zivilbullen (immer die gleichen Gesichter) deutlich.

* Bummeln gegen rechts

Nach einigen Sprechchören begab sich der Demozug zum Augustusplatz, der bereits großzügig von Polizeikräften umstellt worden war. Doch statt, wie vorgesehen, Halt zu machen, besetzen eine Reihe von Demonstranten kurzerhand den Augustusplatz - sehr zum Widerwillen der vornehmlich brandenburgischen Polizei und Gestalten wie Nikolaipfarrer Führer. Dieser warnte zuvor in seiner Andacht vor einem Imageschaden für die Leipziger Olympiabewerbung durch die Präsenz von Nazis. Seine mahnenden Worte, doch bitte den Anweisungen der Polizei Folge zu leisten und damit Platz für den Naziaufmarsch zu machen, wurde nicht Folge geleistet - aus Anlass des Tages, denn wer braucht schon "Führer"... Dafür richteten mehrere ältere Menschen lautstark und unter Beifall der Menge ihren Protest an die anwesenden Bullen. Selbige filmten ausgiebig.

Mit jener Aktion konnte ein Zugeständnis der Polizei erzwungen werden, dass nämlich die Antifademo weiterlaufen darf bis zum Ostplatz. Klar war, dass dies auch die Route der Nazis war, die sich gegen halb drei in Bewegung setzten. Daher wurde unser Marsch zu einer Bummeldemo im Schneckentempo mit zahlreichen Zwischenstopps zum Entspannen und Ausruhen. Diese wurden zum Tanzen zu netter Musik und Frisbee-Spielen verwendet, um den Nazis genügend Zeit zu geben, aufzurücken. Auf die Straße wurden mit Kreide Parolen wie "Nazis raus" gemalt und auch eine Warnung an den Hamburger Neonazi und Immobilienmillionär verewigt: "Christian Worch, aus der Traum, bald liegst du im Kofferraum."

* Polizei prügelt Route frei

Nach der Passage des Ostplatzes kamen die Nazis erstmals in Sichtweite. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits viele Personen der Demo angeschlossen, deren Teilnehmerzahl um die 2000 gelegen haben mag. Auch hier gab es leider wenige politische Inhalte; ein Transparent wies darauf hin, dass Nazis verkürzte Genitalien besitzen würden (weiß Gott, woher die das wissen wollen). Auf jedenfall kam es zur direkten Konfrontation mit der Polizei kurz nach dem Ostplatz, an dem die Nazis ihre Zwischenkundgebung abhielten. Während sich der vordere Demoteil absetzte - peinlicherweise ausgestattet mit einer EU-Fahne -, blieben hunderte Leute in Höhe Prager Straße/Riebeckstraße einfach stehen und machten ihre Ablehnung des Naziaufmarschs deutlich, der sich in Sicht-, Hör- und Rufweite befand.

Sofort fuhren Wasserwerfer und ein Räumpanzer auf, Polizeipferde trabten an und versuchten, die Leute zum Weitergehen zu bewegen. Es bildete sich eine Sitzblockade, später eine mehrreihige Kette. Leider hielten sich die meisten Demonstranten konsequent im Hintergrund. Fast eine volle Stunde verstrich, dann griff die Polizei an (etwa halb fünf). Die Demonstrationsteilnehmer blieben zu jedem Zeitpunkt friedlich. Zum Zeitpunkt des Zugriffs befand sich die Kette bereits im langsamen und geordneten Rückzug von der Kreuzung, leistete also den Anweisungen der Polizei Folge. Dennoch kam eine reichliche Hundertschaft zum Einsatz, griff sich wahllos Demonstranten aus der Menge und empfing diese mit Schlägen, während es einigen Polizisten sichtlich Spaß machte, in die Menge hineinzutreten. Es gab mehrere Verletzte und augenscheinlich eine ganze Reihe von Ingewahrsamnahmen. "BRD, Bullenstaat..." schallte es laut auf der Straße.

Die Ketten ließen sich erst nach wiederholten Bullenangriffen ab- bzw. zurückdrängen. Schließlich zog der Demozug, getrieben von knüppelnder Polizei, am Alten Messegelände vorbei, wo die Nazis ihren Aufmarsch leider, leider beenden mussten. Die Bullen zwangen die Protestierenden unter Gewaltanwendung bis zum Völkerschlachtdenkmal und sperrten dahinter durch mehrere Hundert Einsatzkräfte ab, um die Nazis ungestört ihre Abschlusskundgebung durchführen zu lassen. Einige Leute begaben sich dann zum Jugendfestival vor dem Völki, andere zurück in Richtung Innenstadt. An beinahe jeder Ecke hatten sich Zivibullen im Auto postiert.

* Resümee und Lageeinschätzung

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gingen am diesjährigen 1. Mai mehr Menschen auf die Straße. Allerdings waren die Demonstrationen bürgerlich dominiert, es fehlten also, abgesehen von einer Hand voll Punks, die szenetypischen Antifakreise fast völlig. Trotzdem ist der Tag als Erfolg für uns zu werten: viele Menschen auf den Beinen und ein erheblich sabotierter Nasenaufzug. Worch schaffte den Marsch zum Völkerschlachtdenkmal zum wiederholten Male nicht - wie schade. Sein nächster Anlauf in Leipzig startet am 5. Juni.

* Presseschau (Stand: 20 Uhr)

 http://de.news.yahoo.com/040501/336/40ewx.html
 http://de.news.yahoo.com/040501/12/40et0.html
 http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1083394410390&openMenu=1013016724320&calledPageId=1013016724320&listid=1018881578370
 http://www.lvz-online.de/aktuell/content/109947.html

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Ergänzungen

Kein Tag der Arbeit

BesserwisserIn 02.05.2004 - 00:24
Natuerlich ist der erste Mai kein "Tag der Arbeit", sondern der "Kampftag der internationalen Arbeiter(Innen)klasse". Als solcher wurde er ins Leben gerufen und von Millionen jaehrlich kaempferisch begangen.

Der Name "Tag der Arbeit" ruehrt von 1933 als der 1. Mai von den Nazis zum offizieller Feiertag der "Nationalen Arbeit" erklaert wurde.

Korrektur

Martin 02.05.2004 - 10:21
die Zahl 900 Nasen ist durch aus realistich
ich würde sogar höher gehen...
das Problem der Bullen an Kreuzung vor der Messe war einfach die geringe anzahl der Beamtinnen...
deswegen haben die uns auch nicht nur von der Kreuzung gejagt sondern noch ein Stück weiter bis es enger und für die Bullen leichter zu schubbsen war...
die Absprache mit dem Polizeieinsatzleiter bezog sich aber nur auf das Räumen der Kreuzung nicht aber, auf das räumen der gesammten Strecke...
Scheiße war auch, dass Menschen wie der (Pfarrer) Führer und Toralf Herschel dazu aufriefen weiter zu laufen...
so dass sich die Demo teilte und nur ein kleiner Teil Menschenrest auf der Kreuzung zurück blieb...
gerade Toralf und andere wollten, dass die menschen zu dem komischen ver.di Kinderfest gehen...
wie öde!!!
im übrigen kam es bei der zweiten Blockade am Ostplatz zu brutalen VerhaFTUNGEN und Knüppeleinsatz...

Ergänzung: ZDF-Bericht

imc_le 02.05.2004 - 13:18

Bilder?

revolution 02.05.2004 - 16:56
gibt es irgendwo bilder der nasen?

Ergänzung: ddp-Artikel

imc_le 02.05.2004 - 22:09
* gefunden auf:  http://de.news.yahoo.com/040502/336/40fg4.html
* Schlüsselsatz: "Die Polizei resümmierte einen gewaltfreien Ablauf aller Veranstaltungen. Zwei Sitzblockaden von Gegendemonstranten auf dem Zugweg der Rechten seien friedlich aufgelöst worden."

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Leipziger Freiheit gegen braune Gewalt - Proteste bei Neonazi-Aufmarsch - Großaufgebot der Polizei verhindert Zwischenfälle

Leipzig (ddp-lsc). Mit Konzerten, Demonstrationen und einem «anDenken» in der Nikolaikirche haben sich die Leipziger am 1. Mai gegen einen Aufmarsch von Rechtsradikalen in ihrer Stadt gestellt. Nach Angaben der Stadtverwaltung schlossen sich am Samstag unter anderem bis zu 750 Menschen einem Demonstrationsaufruf des Bündnisses «Leipziger Freiheit gegen braune Gewalt» an. Zuvor hatte Pfarrer Christian Führer in der Nikolaikirche Wachsamkeit gegenüber braunem Gedankengut angemahnt. Nach Polizeiangaben waren rund 900 Rechtsradikale dem Aufruf des Hamburger Neonazis Christian Worch gefolgt. Etwa 1000 Beamte aus mehreren Bundesländern verhinderten Zwischenfälle.

Bereits am Vorabend des 1. Mai waren mehrere tausend Menschen zum traditionellen Musikfestival «Leipzig zeigt Courage» vor das Völkerschlachtdenkmal gekommen. Auch die Mai-Kundgebung auf dem Augustusplatz wurde von den Gewerkschaften zum Protest gegen Rechts genutzt.

Die Polizei resümmierte einen gewaltfreien Ablauf aller Veranstaltungen. Zwei Sitzblockaden von Gegendemonstranten auf dem Zugweg der Rechten seien friedlich aufgelöst worden. Es seien Platzverweise ausgesprochen worden. Zwei rechte Demonstranten hätten gegen Auflagen des Leipziger Ordnungsamtes verstoßen, indem sie Springerstiefel trugen.

Worch hatte wie bei mehreren Aufmärschen in den Jahren zuvor eine Demonstration vom Hauptbahhof bis vor das Völkerschlachtdenkmal angemeldet. Mit der Begründung einer früher angemeldeten Veranstaltung von Gewerkschaften auf dem Platz vor dem Denkmal hatte die Stadt dafür die Genehmigung verweigert. Diese Entscheidung wurde erst am Freitagabend vom Oberverwaltungsgericht Bautzen gegen den Einspruch der Rechten bestätigt. Der Demonstrationsweg endete somit an der Alten Messe, einige hundert Meter vor dem Denkmal. Für das laufende Jahr hat Worch bereits vier weitere Aufmärsche in Leipzig angemeldet.

Ergänzung: LVZ-Artikel

imc_le 03.05.2004 - 18:29
...vom 3. Mai (Montag):
"[...] Unterdessen hat der Hamburger Neonazi außer vier weiteren Aufmärschen in diesem Jahr bereits bis 2014 jeweils für den 1. Mai und 3. Oktober Rechten-Kundgebungen in Leipzig angemeldet."
*  http://www.lvz.de/aktuell/content/110555.html

Fotos vom Aufmarsch (Nasen und Antifaaktionen):
*  http://www.lvz-online.de/partner/fg.html?p=/slideshow/rechte_maidemo.html

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