Stuttgarter Neonazi-Prozess

prozessbeobachter 28.04.2004 01:14 Themen: Antifa
Vier Neonazis aus dem Raum Backnang (Rems-Murr-Kreis) wurden heute am 27.4. von einer Jugendstrafkammer am Landgericht Stuttgart zu Freiheits- bzw. Jugendstrafen zwischen 2 ½ und 6 Jahren verurteilt. Die Täter im Alter von 17 bis 23 Jahren hatten im vergangenen Jahr eine Serie von über 40 rechtsextremen Straftaten begangen, darunter drei rassistische Brandanschläge. Die Strafen im einzelnen: Jochen Stephan 6 Jahre (dazu kommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Bewährungswiderruf einer früheren Strafe von 2 Jahren), Patrick Jokschas 4 Jahre, John-Paul Schwarz 3 ½ Jahre Jugendstrafe, Sebastian Burkhardt 2 ½ Jahre Jugendstrafe. Die Staatsanwältin hatte für alle wesentlich höhere Strafen gefordert. Sie nannte das Vorgehen der Vier "gewissenlos, brutal und niederträchtig", da sie versucht hätten "das Zuhause von Menschen zu zerstören, die sowieso schon auf der Flucht waren."
Als Jochen Stephan (23), John-Paul Schwarz (18) und Sebastian Burkhardt (17) sich am 15.7.2003 der Flüchtlingsunterkunft in Marbach-Rielinghausen (Kreis Ludwigsburg) nähern sind sie sich ihrer Sache sicher. Schließlich haben sie bereits einige Tage vorher getestet, ob die Scheiben der Wohncontainer brechen wenn sie mit Steinen beworfen werden. Auch das Anfertigen und Werfen von Molotow-Cocktails haben sie nachts auf einer Wiese geübt. Da sie die Eingangstür zu den Containern offen vorfinden schleudern sie den ersten Brandsatz direkt in den Flur. Ein Fenster wird mit einem Knochenstein zerstört dann ein zweiter Brandbeschleuniger ins Innere geworfen und schließlich noch eine mit Benzin gefüllte Plastikflache in den Flur.

Dass der Brand relativ schnell erlosch bzw. zum Teil von einem Bewohner gelöscht werden konnte war reiner Zufall. Laut dem Brandsachverständigen des LKA hätte es lediglich brennbaren Materials wie z.B. einem Vorhang oder einem Stapel Zeitungen bedurft um ein viel größeres Feuer zu entfachen. Somit war es pures Glück dass der Pakistani Mohammed Akram beim Löschen des Brandes mit leichten Verletzungen und einer Rauchgasvergiftung, die Chinesin Nun Yiang (34) und ihr 2 ½ jähriger Sohn lediglich mit dem Schrecken davonkamen.
Aufgrund dieser Tat lautete der Vorwurf zunächst auf gemeinschaftlichen versuchten Mord. Diesen musste die Staatsanwältin jedoch zu ihrem Bedauern aufgrund eines umstrittenen BGH-Urteils von 1994 zurücknehmen. Da die Täter nicht ausdrücklich planten die BewohnerInnen umzubringen begingen sie ? juristisch gesehen ? "nur" versuchte gefährliche Körperverletzung.
Dies galt auch für den Anschlag gegen den "Türkischen Jugend und Kulturverein" in Murrhardt (Rems-Murr-Kreis). Dort hatten Stephan, Schwarz und der vierte Angeklagte Patrick Jokschas am 17.10.2003 Fenster eingeschlagen und zwei Brandsätze in den Eingangsbereich geworfen. Auch hier haben sie damit gerechnet Menschen direkt zu treffen, da in dem Gebäude noch Licht brannte, um potentielle Einbrecher abzuschrecken.

Doch dies nahmen die Neonazis zumindest in Kauf oder es war ihnen wahrscheinlich sogar recht. Ebenso wie die Tatsache, dass sie einer griechischen Familie durch ihre Aktion am 25.8.2003 nicht nur die Existenzgrundlage nahmen, sondern sie dadurch auch aus Backnang vertrieben. In dieser Nacht sprühten Stephan und Schwarz vor dem Imbisswagen besagter Familie zunächst die Parolen "Der Terror geht weiter, Hass kann man nicht stoppen". Anschließend überschütteten sie den Wagen mit Benzin - das im übrigen von Burkhardt geliefert wurde - und setzten ihn in Brand, woraufhin der Wagen völlig ausbrannte. Gesprüht wurde bei dieser Gelegenheit auch "C18". Dieses Kürzel wurde bewusst bei den meisten der zahlreichen Sachbeschädigungen und auch bei Drohbriefen gegen die Polizei hinterlassen um klarzumachen, dass die Taten immer von der selben Gruppe ausgingen. "C18" wurde in Anlehnung an die britische Nazi-Terrororganisation "Combat 18" (Kampftruppe Adolf Hitler) ausgewählt.

Die Anschläge der Möchtegern-Terroristen richteten sich in erster Linie gegen MigrantInnen. Mehrere einschlägige Lokale, Firmen und Fahrzeuge wurden mit fremdenfeindlichen Parolen besprüht und deren Scheiben eingeworfen. Das Flüchtlingsheim in Weissach im Tal wurde gleich dreimal angegriffen und die BewohnerInnen mit Schmierereien wie "Asülheim brenn" (Fehler im Original), "Blut muss fliessen" oder "Wir kriegen euch alle" terrorisiert. Auffällig oft wurden auch Kirchen als Ziel gewählt, dies war wohl einem schwammigen Bekenntnis zu einer nordisch-völkischen Ideologie, zumindest von Jokschas und Stephan, geschuldet. In Parolen wie "Odin statt Jesus", "Jesus das alte Judenschwein" und "Juden raus" zeigt sich diese wirre Mischung aus Wikingerkult und Antisemitismus. Vor allem Stephan bekannte sich offen zu letzterem. Er sah das Judentum als Gefahr an und wollte in Murrhardt eigentlich "was jüdisches anzünden". Dies scheiterte lediglich an der Ermangelung eines geeigneten Zieles.
Des weiteren griffen sie in Wort und Tat staatliche Institutionen ? Schulen, Polizeireviere und das Amtsgericht? und die sie verfolgenden Staatsschützer an. Jokschas hängte beispielsweise eine Hakenkreuzfahne mit Drohungen gegen die Beamten Kappel und Lindauer an einer vielbefahrenen Strasse auf. Die Idee dazu hatte ein gewisser Jörg Seibold, der als wichtiger Organisator in der Szene benannt wurde. Die beiden Ermittler wurden auch mit einem Drohbrief bedacht, der so ernstgenommen wurde, dass eine zeitlang ihre Wohnungen bewacht und ihre Kinder von Polizeibeamten in die Schule gebracht wurden.

Jokschas lud sich zudem eine Datei mit Bombenbauanleitungen aus dem Internet, die er auch weiterverschickte z.B. an seinen Nazi-Kumpel Rainer Blessing. Er sprach auch davon "Terroraktionen" zu planen und es spricht viel dafür, dass er diese einzig und allein nicht ausführen konnte, da der Versuch die benötigten Chemikalien im Netz zu bestellen erfolglos blieb.

Mehrfach wurden von den Angeklagten auch Fahrzeuge tatsächlicher oder vermeintlicher Aktivisten des linksalternativen Jugendzentrum Backnang beschädigt und am 13.7.2003 am Juze Fensterscheiben eingeschlagen sowie neofaschistische Symbole gesprüht weil dies "ein Treffpunkt für Punker" sei.
An den Sachbeschädigungsdelikten war auch hin und wieder der erst 14-jährige Marco Hagenmüller beteiligt. Beim Ausspähen des Flüchtlingsheims halfen der Naziskin Daniel Stroh (19) und Hermann "Hemme" Weller (24). Letzterer ist nach Angaben des Angeklagten Burkhardt Anführer der "White Warriors" einer Art rechter Jugendbande, der auch Burkhardts Freund Matthias Riedel angehört. Er hat sich auch am Verfassen eines Bekennerschreibens beteiligt und falsche Alibis gegeben. Später hat er allerdings "unter Tränen" bei der Polizei Aussagen über seine "Kameraden" gemacht.

Das Thema "Verrat" ist im Zusammenhang mit diesem Prozess besonders interessant. Ihre "rechte Einstellung" habe sie geeint wurde von den Angeklagten mehrfach formuliert. Auf die Frage was damit gemeint sei gaben die Angeklagten vor allem "Kameradschaft" an. Diese war aber bereits vor ihrer Inhaftierung im Oktober 2003 nicht wirklich intakt. So hatte Stephan wohl den Behörden verraten dass Jokschas bei "Patriot Flags" in den USA Hakenkreuzfahnen bestellt und diese aufgehängt hatte. Daraufhin rächte sich Jokschas, bezichtigte Monate später Stephan der Täterschaft bei den beiden ersten Brandanschlägen und gab des weiteren Schwarz und Burkhardt als mögliche Täter an. Er hatte jedoch keine hinreichenden Beweise für die Ermittler und sollte deshalb wieder Kontakt zu seinem alten Kumpel Stephan aufnehmen, dem er für ca. ein halbes Jahr aus dem Weg gegangen war. Dies tat er umgehend, um sich sogleich - entgegen den Ansprachen mit der Polizei ? wieder an Straftaten zu beteiligen. Sobald alle Angeklagten in Haft waren, zerplatzten schließlich die letzten Seifenblasen des Zusammenhalts und ein Hauen und Stechen setzte ein. In Aussagen bei der Polizei und auch im Gerichtssaal versuchten die Angeklagten ausnahmslos ihre eigene Rolle herunterzuspielen und die anderen zu belasten. Die Teilnahme am Aussteigerprogramm des LKA (Schwarz und Burkhardt) bzw. des Landratsamtes Waiblingen (Jokschas) deutet darüber hinaus darauf hin, dass sie sich in Zukunft von der rechten Szene verabschieden werden. Für einen Sinneswandel spricht es freilich nicht unbedingt.

Die Gruppe ging laut dem Richter konspirativ vor und plante ihre Aktionen sorgfältig. Als Motive nannte er "Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und eine vage, diffuse aber verfestigte rechte Einstellung". Die Mitglieder fühlten sich "bandenartig verbunden", waren sonst aber eher lose strukturiert. Gleiches gilt wohl auch für die "Autonomen Nationalisten Backnang". Diese Gruppierung hat sich aus dem rechten Milieu heraus als Kameradschaft gegründet und zwar in Abgrenzung zur NPD, wo "zu viel geredet wird". Anführer der ANB war neben den Gebrüdern Jochen und Markus Lack auch Jochen Stephan. Der Skinhead hatte laut Richter eine "herausragende Position und grossen Einfluss" in der Backnanger Szene. In der Kneipe "Musiktreff Point" in der Stuttgarter Strasse in Backnang führte er neue "Kameraden" ein, verkaufte Naziskin-CDs und organisierte Fahrten zu Konzerten.

Das "Point" ist seit drei Jahren ein regional bekannter Treffpunkt von Neonazis. Jedes Wochenende versammeln sich dort immer noch regelmäßig bis zu 40 Faschoskins. Am aktuellen Beispiel wird einmal mehr deutlich, wie wichtig solche Treffpunkte für die Nazi-Szene sind. Hier konnten sie sich in Ruhe ausbreiten, Diskussionen führen, neue Mitglieder werben und nicht zuletzt Anschläge planen. Die Kneipe ist daher auch schon länger im Visier von Antifa-Gruppen. Im Rahmen der "Antifaschistischen Kehrwochen" im November und Dezember 2003 fanden neben zahlreichen anderen Aktionen im Rems-Murr-Kreis eine Kundgebung und eine unangemeldete Demo zum "Point" statt.
Mehr Infos zur Kampagne unter www.antifa-kehrwochen.tk
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