Barbara Agnoli zu Grigat über Johannes Agnoli

Barbara Agnoli 07.04.2004 00:35 Themen: Bildung Kultur Medien
Zur Veröffentlichung des Textes: Johannes Agnoli, "Zur Verhärtung der politischen Form / das Kapital und die Zukunft des Faschismus am Ende der liberaldemokratischen Epoche", im jüngst erschienenen Buch von: Stephan Grigat "Transformation des Postnazismus", 2003, ca-ira verlag, Freiburg
Der gedruckte Text basiert auf einem Vortrag im April 2001 in Wien. Er wurde transkribiert, redigiert und ohne Agnolis Genehmigung publiziert. Für eine derartige Veröffentlichung hätte er niemals seine Zustimmung gegeben. Seine Argumentation ist bei der Überarbeitung verzerrt worden, um ihn für den politischen Kontext des Buches zu vereinnahmen. Denn:

1 Der Titel "Transformation des Postnazismus" stellt eine Verbindung her zu Agnolis Schrift "Die Transformation der Demokratie" (1) Diese bestand für Agnoli darin, daß eine freiheitliche, eben "demokratische" Staatsform zu einem Herrschaftsinstrument umfunktioniert worden ist.

2 Die Überschrift seines "Beitrags" wurde von den Herausgebern frei erfunden und entspricht nicht dem Inhalt des Gesagten. In seinem Vortrag sollte Agnoli (laut Vorschlag der Veranstalter) "Zur Zukunft von Staat und Kapital im Postfaschismus" sprechen. Seine Ausführungen bezogen sich dann auf das Ende der Epoche des "Nationalstaats", die "Weltmarktgesellschaft", den "'wilden Kapitalismus', , .... der keine Fesseln mehr kennt", und die Möglichkeit einer "härteren politischen Form", die u.a. "die Reproduktion des Kapitals weltweit garantiert": "Wir haben also ein Problem, .... das uns zum Nachdenken zwingt. Es geht nicht nur darum, daß man offenen Faschismus oder historischen Faschismus verhindert. Es geht darum, sich zu überlegen, was wir zu tun haben angesichts einer Wirklichkeit, die wir gar nicht kennen, die wir nur irgendwie in den Umrissen erkennen können. Es wird eine politische Form geben, in der selbst freie Wahlen keinen Sinn mehr haben, in der freie Diskussion keinen Sinn mehr haben, und dagegen sich zu wappnen, dagegen sich zu organisieren, das scheint mir die Aufgabe, die heute uns ins Haus steht. (2) Und damit bin ich am Schluß." - Agnoli ging es um das differenzierte Begreifen der Formveränderung und nicht um eine plakative Etikettierung der Gegenwart als "Faschismus", "Postfaschismus" oder gar "Postnazismus".

3 Der Kontext, auf den der Vortrag in diesem Buchprojekt zurechtgestutzt wurde, entspricht nicht Agnolis politischem Denken und Handeln: Der Beitrag von Clemens Nachtmann weiß von einem "von Deutschland und Europa gesponserten Islamfaschismus der Gegenwart" (S. 46) zu berichten. Der scheint sich wohl in dem der palästinensischen Bevölkerung zugeschriebenen "Kollektiv der Selbstmordattentäter und Moslemfaschisten" (S. 81) zu verwirklichen. Nachtmann glaubt zu wissen, dass "eine 'Friedenslösung'" in der dortigen Region nur "die "Verewigung des perspektivlosen Mordens von Seiten der Palästinenser" bedeuten kann. (S. 82) - Wer den Irak-Krieg-Gegner Agnoli kennt, weiß, daß er diese Problematik in einem ganz anderen politischen Sinne beurteilte.

4 Zu dem Beitrag von Stephan Grigat und Co-Autorin, in dem hinsichtlich der Parole "Wir sind das Volk" behauptet wird: "Das Volk ist nichts anderes als der sich selbst zum Maßstab setzende nationalistische Mob." (S. 159, Hervorhebung B. A.) - Agnoli war damals von der Parole begeistert, weil das (DDR-)Volk für sich Souveränität in Anspruch nahm. Im übrigen zählte er sich selbst immer zum "Volk", gehörte nach dieser Definition folglich zum "Mob". (Wozu zählt sich denn Herr Grigat?)

Insgesamt gesehen, zeugt das alles von Dummheit und Fanatismus. Agnoli war weder dumm, noch Fanatiker. Und das nach seinem Tod er zu einem "Werbeträger" für solche herrschaftsbewussten Schmähschriften "transformiert" werden soll, kann nicht in seinem radikal emanzipatorischen Sinne sein. - Johannes Agnoli war kein "Antideutscher" und hätte er all diese (und andere ) von "Antideutschen" verfassten Texte gelesen, wäre ihm gegenüber dieser geballten Unvernunft das "Gruseln" gekommen - oder er hätte Hegels Satz über das "in der Vorstellung bleibende Bewusstsein" zitiert.

Barbara Agnoli
Berlin, Anfang April 2004

1 "Die Transformation der Demokratie" ist z.Zt. vergriffen, wird aber demnächst, und zwar möglichst als kommentierte Ausgabe von einem anderen Verlag neu aufgelegt werden.

2 Im Buch lautet dieser Text (S. 25, 26): "Es geht nicht nur darum, den offenen Faschismus oder die Wiederkehr des histori­schen Faschismus zu verhindern, sondern darum, was wir zu tun haben im Angesicht einer neuen Form des Politischen, in der sowohl die Freiheit der Wahl als auch das Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Sinn mehr haben". - Der korrekt transkribierte Text wird demnächst von einem anderen Verlag in einem Agnoli-Kontext veröffentlicht werden.



P.S. Hinweis für die Mods: dieser Text wurde hier schon mal veröffentlicht, aber leider fehlte Punkt 3, deshalb hier der 2. Versuch.
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Ergänzungen

Stefan Grigat

Hammelsprung 07.04.2004 - 12:05

zur info

der kleine antideutsche 07.04.2004 - 12:48
das hier beanstandete buch ist im wesentlichen eine dokumention des kongresses "transformation des postnazismus", auf dem grigat, scheit und eben auch agnoli referate gehalten haben. agnoli wusste sehr wohl, in welchem zusammenhang er seinen vortrag hält - er wusste also auch, in welchem zusammenhang er in einem buch über den kongress auftauchen würde. schließlich war er da.

dass agnoli selbst ein antideutscher war, wurde nie behauptet. sehr wohl meinen viele antideutsche - ich auch - von seiner staatskritik eine menge gelernt zu haben.

ob das posting tatsächlich von seiner witwe hier gepostet wurde, wage ich zu bezweifeln. falls sie es war, möchte ich das nicht kommentieren. es wäre ihr gutes recht als witwe. falls sie es nicht war, ist es eine unverschämtheit. dann wird nämlich im namen agnolis - der sich nicht mehr wehren kann - und auf dem rücken seiner witwe politik gegen die antideutschen betrieben. peinlich.

Angolis Fehler

Ex-Antideutscher 07.04.2004 - 14:03
Also ich habe von Agnoli eher wenig gelernt, seine Staatskritik ist teilweise stark mangelhaft, besonders sein Demokratieidealismus, der auch in dem Buch dokumentiert ist. Und der übrigens mit dem, was hier steht, gut übereinstimmen würde, von daher denke ich, dass an der Authentizität des Schreibens nichts zu zweifeln wäre...

Agnoli hat nämlich das Demokratieideal der Volkssouveränität durchaus ernst genommen und dabei Volk nicht als durch Herrschaft konstituiert gesehen. Vielmehr scheint es mir, dass Agnoli "Volk" als einen abtrakten Begriff, der irgendwie nur so Menschen im allgemeinen meint, gesehen hat.

"Die Transformation der Demokratie" enthält richtige Bestimmungen, ist aber stark von politikwissenschaftlichem Stil geprägt; es wird eher ein Prozess dargestellt, als der bürgerliche Staat bestimmt.

Eine gute Staatskritik gibt's hier

 http://www.gegenstandpunkt.com/vlg/staat/staat_i.htm

Korrekturen zu Barbara Agnoli

Joachim Bruhn 07.04.2004 - 18:47
Vielleicht sind die folgenden Informationen sogar für eingefleischte Anti-Antideutsche von Belang:
1. Am 1. April scheiterte Frau Agnoli mit dem Versuch, mit den o.a. angeführten Argumentationen beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen das von Stephan Grigat herausgegebene Buch zu erwirken. "Klassenjustiz"?
2. Der Ca ira-Verlag veröffentlicht seit fast 15 Jahren die Gesammelten Schriften Agnolis in bislang sechs Bänden. Für wie dumm muß man einen Autor halten, der sich so lange hat hinters Licht führen lassen? "Manipulation"?
3. Ca ira hat seinem Autor zwei Festschriften gewidmet - "Geduld und Ironie" 1995 und "Kritik der Politik" 2000. "Bestechung"?
4. Gegen Frau Agnoli wird eine Verleumdungsklage erhoben werden. Gemein?

Ein Widerspruch muß präzise sein

Roger Withmann 08.04.2004 - 01:43
Zu den Statements vom "kleinen Antideutschen" und Herrn Bruhn hier auf dieser Seite

Die von Herrn Bruhn nachgereichte Information das Barbara Agnoli einen Gerichtsprozeß gegen den Ca ira- Verlag wegen der unautorisierten Publikation eines Textes von Johannes Agnoli in einem dummen Gammelband in Berlin in der Eilentscheidung verloren
hat, ist richtig. Die anti-deutschen Textunternehmer war es gelungen aus ihren eigenen Reihen in vier eidestaatliche Versicherungen die Behauptung aufstellen, das Johannes angeblich "am Bücherstand" in Wien mit einer Publikation
einverstanden gewesen sein soll. Sowohl Herr Grigat wie Herr Bruhn werden gewußt haben, warum sie Johannes Agnoli
diesen Text erstens niemals vorgelegt haben, und ihn zweitens mit der Publikation seines teilweise dreist von ihnen redigierten Textes ( Statt
"Errungenschaften der bürgerlichen Revolution" - Agnoli - haben sie ihm einfach "Segnungen der bürgerlichen Revolution" untergeschoben) bis nachseinem Tod gewartet haben.
An zwei Punkten hat Babara Agnoli in ihrer Erklärung ja auch bezugnehmend auf die zitierten filigranen Überlegungen des Herrn Grigat
und des Herrn Nachtmann direkt politisch argumentiert. Glaubt jemand im Ernst, der gewitzte Johannes Agnoli wäre bereit gewesen, sich unautorisiert und ungeprüft mit dem bekannten Moslemfaschismusexperten Herrn Nachtmann und den "Deutschen Mob"-Theoretiker Herrn Grigat in ein gemeinsames Publikationsprojekt zu stellen?
In diesem Sinne macht auch der Apell an den "kleinen Antideutschen" Sinn, ihn darum zu bitten, wenigstens in Zukunft hier auf Indymedia doch bitte einmal etwas präziser zu argumentieren: Wozu soll bitte schön die Nebelkerze mit dem tückischen Allgemeinplatz dienen, alle wüßten doch das Johannes Agnoli kein Anti-Deutscher gewesen sei? Barbara Agnoli hat hat diesen komplexen Zusammenhang in ihrer Erklärung wirklich treffender formuliert: Eine Reihe von Beiträgen in dem vorliegenden Gammelband zeugen "von Dummheit und Fanatismus. Agnoli war weder dumm, noch Fanatiker."
Schön das Barbara Agnoli mit ihrer präzisen Erklärung den Anti-Deutschen Erbschleichern öffentlich in die Suppe gespuckt hat. Das ein Herr Bruhn darob - wie er selber schreibt - nur noch "gemein" werden kann, sagt alles über die Unfähigkeit von Antideutschen substantiellen Widerspruch zu ertragen.
Mit freundlichen Grüüsen
Roger Withmann
hat.

Ach, Jochen

Junge Frau 08.04.2004 - 12:39
Du verbleibst letztendlich in der Kategorie des Erbschleichers wie übrigens auch der Roger, weil ihr beide den besseren Agnoli-Vertretungs-Anspruch erheben wollt. Ich will gar nicht bestreiten, dass der alte Mann Euch wohlgesonnen war, aber auch er wusste in seinen weit gekommenen Jahren desöfteren zu sagen, dass er nicht recht verstünde, was die Freiburger (Du und Deine Kindergartenbande) so an ihm fänden.

Fakt ist doch:

1. Dass Agnoli und seine (Staats-)kritik mit dem, was Antideutsche erklären, nichts gemein hat. Die paar Äußerungen zu den faschistischen Kontinuitäten (Agnoli nannte es in "Transformation der Demokratie" die "Übernahme der 'Lehren' des Faschismus") haben Euren Postfaschismus/-nazismus Thesen nüscht zu tun.

2. sind die Zeiten, in denen Clemens Nachtmann und Stefan Grigat richtige Sätze gesagt haben, schon lange vorbei. Stattdessen wird sich die Welt zurechgelegt und dabei jeglicher Empirie getrotzt. Überall Nationalsozialismus ("Antisemitische Internationale") der mit den vollen Rohren der Zivilisation (In Gestalt der USA + Verbündeter) zusammengepustet werden muss.

3. Hätte der Agnoli davon in seinen alten Jahren nun noch so viel mitbekommen bzw. wäre er 20 Jahre jünger gewesen, hätte der Eure "Kritik" gnadenlos als bürgerlichen Antifaschismus denunziert. Aber in der Toscana macht man sich mit 79 bestimmt andere Sorgen, als über den Szenestreit in der (meinetwegen auch deutschen) Linken...

p.s. Mir ist übrigens egal, ob ihr den alten Mann "betrogen" habt oder nicht...

Erklärung des ca ira-Verlages

Joachim Bruhn 19.04.2004 - 02:51
ça ira - verlag der initiative sozialistisches forum
Wilhelmstr. 15 - 79098 Freiburg
Tel.: 0761 / 379 39 - Fax.: 379 49
eMail: ca-ira @ t-online.de - web: www. isf-freiburg.org

Was bislang geschah

Vor einem Jahr starb nahe Lucca Johannes Agnoli, emeritierter Professor der Politikwissenschaft in Berlin und Autor u.a. des Buches „Die Transformation der Demokratie“, das als die „Bibel der ApO“ (taz) weithin bekannt wurde. Fast 15 Jahre lang, seit 1990, hatte der Freiburger ça ira-Verlag seine „Gesammelten Schriften“ in sechs Bänden publiziert, dazu, zu Geburtstagen, zwei Festschriften, außerdem den Text des Interview-Films: „Das negative Potential“ von Christoph Burgmer. Kaum war der Autor, unser Freund und Genosse, tot, da hatte die Witwe das Sagen und das Kommando. Also befand sie, einer der letzten Vorträge Agnolis – gehalten 2001 in Wien und gedruckt im Oktober 2003 in dem von Stephan Grigat herausgegeben Buch „Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weh zum demokratischen Faschismus“ (ça ira), mit Beiträgen von Ulrich Enderwitz, Uli Krug, Clemens Nachtmann, Heribert Schiedel, Simone Dinah Hartmann und Florian Markl – sei „nicht autorisiert“ und politisch dort fehl am Platze, außerdem gäbe es nicht genug oder gar kein Geld dafür. Sie versuchte, Agnolis Verlag einen Verstoß gegen das Urheberrecht nachzuweisen. Sie sprach von „Raub“ und „Betrug“, von „Leichenfledderei“ und „politischer Instrumentalisierung“ durch sog. Antideutsche, d.h. durch die Kommunisten. Sie versuchte, ihren Insinuationen eine juristische Qualität zu verleihen. Sie beantragte einen Erlaß auf Einstweilige Verfügung, um das Buch zu verbieten und aus dem Handel zu ziehen. Sie konnte damit am 1. April 2004 vor dem Landgericht Berlin nicht durchdringen und sah sich genötigt, ihren Antrag zurückzuziehen. Sie versucht seitdem, das, was sie nicht beweisen kann, in solchen für ihre journalistische Qualität bekannten Medien wie „linkeseite“ oder „indymedia“ glaubhaft zu machen. Sie verlegt sich aufs Politische, in der Hoffnung, dem ça ira-Verlag an den Karren fahren und ihn in jeder Hinsicht schädigen zu können.


Erklärung zu den Auseinandersetzungen mit der Erbengemeinschaft Johannes Agnoli

Seit 1990 veröffentlichte Johannes Agnoli seine Gesammelten Schriften (sie umfassen mittlerweile sechs Bände mit ca. 1.400 Seiten) im ça ira-Verlag, der, wie jeder wissen kann (und wie schon ein Blick auf die WebSite www. isf-freiburg.org zeigt), auf das engste mit der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) in Freiburg verbunden ist. Diese Zusammenarbeit mit ça ira ist von Johannes Agnoli zeitlebens nie infragegestellt worden. Sie hat seinerseits nie zu Klagen Anlaß gegeben, die über die üblichen Querelen – etwa bei Verzögerungen im Erscheinen einzelner Bücher – hinausgegangen wären. Nachdem sich beide Seiten im Verlauf der erweiterten Neuauflage von „Transformation der Demokratie“ kennen und schätzen gelernt hatten, wurden alle Absprachen zur Veröffentlichungspraxis, zur Finanzierung, zur Autorisierung der Texte usw. mündlich und informell getroffen. Dies keineswegs, weil eine Seite die andere in strittigen Fragen zu übervorteilen gedachte, sondern weil ein – nicht nur auf persönlicher Wertschätzung beruhendes, sondern auch politisch fundiertes – Vertrauensverhältnis bestand, das schon die Denkmöglichkeit juristischer Auseinandersetzungen völlig absurd erscheinen ließ. Daher hat sich Johannes Agnoli niemals über die Arbeit des Verlags oder über das Lektorat beschwert – ganz im Gegenteil, wie schon sein Vorwort zu „Subversive Theorie. Die Sache selbst und ihre Geschichte“ von 1996 zeigt.
Das Verhältnis seiner Ehefrau Barbara Agnoli zu ça ira dagegen war stets konfliktgeladen, insbesondere, nachdem der Verlag ein Manuskript von ihr abgelehnt hatte. Sie fühlte sich verkannt und, wie sie sagte, als „blöde Tippse“ in den Schatten gestellt. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Meist ging es um ihre Unterstellung, der Verlag würde sich an den Schriften Agnolis bereichern, der Familie Honorare vorenthalten oder verhindern, daß Agnolis Schriften jene Verbreitung fänden, die sie zweifellos verdienen. Der Vorwurf des Betrugs indes zeugt nicht nur von Unkenntnis, sondern, da ça ira seinem Autor selbstverständlich ökonomische Transparenz gewährte, von Bösartigkeit. Nebenbei verhält es sich nachweislich und im Gegenteil so, daß die ISF die Edition der Gesammelten Schriften massiv subventioniert hat. Jedem, der die Konjunkturen der Linken seit 1968 verfolgt hat, wird die vollendete Haltlosigkeit dieser Vorwürfe offensichtlich sein. Auch Johannes Agnoli wußte, daß seine Bücher, spätestens seit der Etablierung der grünen Partei, „am Bedarf vorbei“ (FAZ) produziert wurden. Jederzeit aber wäre es ihm, aus welchen Gründen auch immer, möglich gewesen, dem Verlag zu kündigen und zu Bertelsmann oder Suhrkamp zu gehen. Ça ira hätte dagegen keine Einwände erhoben. Autoren, die sich im politischen (oder menschlichen) Umfeld des Verlags nicht zuhause fühlen, werden schon aus Prinzip keine Steine in den Weg gelegt – eben deswegen konnte auf Verträge etc. pp. weitgehend verzichten werden. Er hat es nicht getan, auch nie damit gedroht. Er hat sich von uns zu Vorträgen einladen lassen, nach Wien, oder auch, 1998, nach Freiburg.
Wir werden uns in der Öffentlichkeit zu den persönlichen Motiven, die Frau Barbara Agnoli angetrieben haben mögen, nach dem Tode ihres Mannes im Mai 2003, gegen ça ira, gegen die ISF und gegen ihren Freundeskreis derart massiv vorzugehen, weder jetzt noch in Zukunft weiter äußern. Wir haben versucht, uns bisher jedweder Stellungnahme zu diesem seit Dezember 2003 inszenierten Schlamassel zu enthalten – zum einen, weil wir glaubten, es handle sich nur um persönliche Animositäten, zum anderen, weil wir davon ausgingen, die Angelegenheit sich selbst überlassen zu können, indem der Verlag Frau Agnoli in allem entgegenkam, was irgendwie zumutbar war, etwa in Urheberrechtsfragen oder in den Modalitäten der Abrechnung.
Doch mittlerweile hat sogar Frau Agnoli davon Kenntnis erlangt, daß man in der deutschen Linken unschwer Anerkennung und Zuspruch findet, wenn man deren Bedürfnis befriedigt, sich für die ihr von sogenannten „Antideutschen“, „Bellizisten“ und „prozionistischen Grüppchen“ um die Redaktion der Zeitschrift „Bahamas“ und die ISF zugefügten intellektuellen Blamagen zu rächen. Daher hebt sie die Auseinandersetzung ins Politische. Zwar sind diese „Antideutschen“ weiter nichts als kommunistische Individuen und Gruppen, die versuchen, der Tradition der Kritischen Theorie auch in der Gegenwart gerecht zu werden – egal. Ging es Frau Agnoli anfangs, wie sie wiederholt erklärte, „nur“ darum, den Verlag in den Bankrott zu treiben und seine Mitarbeiter in die Sozialhilfe – gegenwärtig führt sie Prozesse bzw. anwaltliche Auseinandersetzungen an gleich drei Fronten, denen nur das eine gemein ist, daß sie dermaßen hanebüchen sind, daß selbst Frau Agnoli zuweilen den Überblick verliert –, oder darum, seine sehr bescheidenen Arbeitsressourcen allein für Unfug zu vergeuden (unter anderem mit unendlichen Telefon- und Faxbombardements, die sich auf den kompletten Freundeskreis des Verlags ausdehnten und die Qualität von Telefonterror annahmen), so geht sie nun zunehmend dazu über, zwischen dem Verlag und der ISF einerseits, Johannes Agnoli andererseits einen politischen Antagonismus zu halluzinieren – eine aus der Luft gegriffene Agitation beginnt, die mittlerweile den Spielplatz „Indymedia“ verlassen hat und bereits im „Neuen Deutschland“ (16.4.2004) und der „Frankfurter Rundschau“ (17.04.2004) angekommen ist.
Weder die ISF noch ça ira werden in diese „Debatte“ eintreten. Was Johannes Agnoli zu Staat und Kapital, zu Souveränität und Demokratie zu sagen hatte, das steht in seinen Büchern; was die ISF dazu zu sagen hat, in den unseren. Diese Ausführungen erfordern weder unsere Interpretation noch die seiner Witwe oder ihrer Pressesprecher. Diese Gesellschaftskritik bedarf nicht der Beglaubigung durch Autoritäten – hießen sie auch Marx, Freud, Adorno. Wir haben es auch nicht nötig, irgendwen für irgendetwas zu „instrumentalisieren“, schon gar nicht, wie die FR schreibt, als „Zugpferd“. Wir sind nämlich motorisiert. Und ça ira verfolgt ein Verlagsprogramm, dessen Tendenz und Perspektive für sich selbst spricht: das Programm, die Etablierung der staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft zu befördern, d.h. die Intentionen der Kritischen Theorie verwirklichen zu helfen, auch und gerade gegen Deutschland.
Wir setzen uns jedoch entschieden gegen den Versuch zur Wehr setzen, Johannes Agnolis Werk dazu zu verfremden, die materialistische Kritik an Deutschland, dem Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten, und seinem geopolitischen Bündnispartner, dem Islamfaschismus, ins Zwielicht zu setzen. Der wesentliche Grund, warum Johannes Agnoli 15 Jahre lang am ça ira-Verlag festgehalten hat, dürfte darin gelegen haben, daß niemand dem anderen nach dem Munde geredet hat, daß politische Differenzen im Hinblick auf ihren Vernunftgehalt, nicht im Hinblick auf ihr Machtpotential ausgetragen wurden.
An einer Debatte über die „richtige“ Interpretation der Werke Johannes Agnolis werden wir uns schon deshalb nicht beteiligen, weil das auf nichts anderes hinausliefe als auf die „Transformation“ dieses Staatsfeindes in einen Volksfreund. Seit Karl Marx sind derlei Volksfreunde der vornehmste Gegenstand jeder Kritik gewesen, die der herrschaftsfreien Gesellschaft, keineswegs aber der Gemeinschaft des repressiven Konsenses verpflichtet ist.
Und wer hätte den herrschaftlichen Konsens mehr verachtet und strikter kritisiert als eben – Johannes Agnoli?

Freiburg, den 18. April 2004

Korrekturen zu Herrn Bruhn

Roger Withmann 21.04.2004 - 13:02
"Wie sich dann leider herausstellte, noch zu Lebzeiten des Autors"
Korrekturen zu der Stellungnahme von Herrn Bruhn hier auf Indymedia vom 8.4.2004, 02:34

Ich habe keinen Zweifel daran, dass Herr Bruhn das Deutsche besser beherrscht als viele andere in diesem Land. Ist "das Deutsche" doch gleichzeitig Bedingung und Grenze seiner intellektuellen Existenz. Das traurige an Bruhns Kritik ist ja doch, dass sie - in ihren Gegenstand gebannt - ganz unfähig ist irgend etwas zu antizipieren, was über diesen Gegenstand hinausgehen würde.
Bekanntlich ist diese ganze Angelegenheit zwischenzeitlich auf Betreiben von Frau Agnoli vor Gericht gekommen. Ob ihre Entscheidung, diese Auseinandersetzung zunächst einmal juristisch und nicht gleich politisch zu führen, der Weisheit letzter Schluss war, soll an dieser Stelle offen gelassen werden. Es ist sicher richtig, den Umstand, dass nun die Gerichte über die Auslegung der Texte von Johannes Agnoli befinden sollen, als einen "Treppenwitze linker Publikationsgeschichte" zu bezeichnen. Dass Herr Bruhn nach seinem vorläufigen Sieg in diesem juristischen Streit Barbara Agnoli nun auch noch eine Verleumdungsklage angekündigt hat, zeigt die ganze Erbärmlichkeit seines Zugriffs. Bruhns Äußerungen und Aktivitäten in dieser Auseinandersetzung machen mutlos und müde. Man möchte sich am liebsten einfach abwenden und seine Aufmerksamkeit auf andere, lohnendere Auseinandersetzungen richten. Jedoch hält mich die Sympathie für Barbara Agnolis Versuch, ihren verstorbenen Ehemann vor der Vereinnahmung durch die Antideutschen zu bewahren. Ich würde gern die politische Dimension ihrer respektablen und höchst persönlichen Motive herausstreichen: die Berechtigung des Denkens - und Agnolis allemal -, über einen reflexhaft am Opfermotiv zappelnden und gewaltsam identifizierenden Lagerdiskurs hinaus, frei und ungebunden quer und widerständig in Bewegung zu bleiben.

Roger Withmann

Interview der Sozialistischen Zeitung

Ernst Callen 29.04.2004 - 19:52
SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2004, Seite 5

Barbara Agnoli über Johannes Agnoli, den Liebhaber des Deutschen und seine antideutschen
Jünger

›Beinahe in Ohnmacht gefallen‹

Vor einem Jahr, am 4.Mai 2003, starb mit dem gebürtigen Italiener Johannes Agnoli eine der Vordenker der
(west-)deutschen Linken (siehe SoZ 6/03). Anfang April kam es zum Rechtsstreit zwischen seiner Witwe Barbara
Agnoli und dem Freiburger ça ira-Verlag, der bisher die Gesammelten Schriften Agnolis herausgegeben hat. Über
diesen Rechtsstreit und seine Hintergründe sprach Christoph Jünke mit Barbara Agnoli in Berlin.

Worum ging es bei Ihrem Rechtsstreit mit dem ça ira-Verlag?

Der ça ira-Verlag hat jüngst einen von Stephan Grigat herausgegebenen Band veröffentlicht, in dem auch ein Aufsatz von
Johannes Agnoli enthalten ist — der erste nach seinem Tod erschienene Aufsatz. Dass dieses Buch existiert, habe ich aber nur
durch Zufall erfahren. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten hat uns der ça ira-Verlag kein Belegexemplar zugeschickt. Das hat
eine Vorgeschichte. ça ira hatte mich im letzten Sommer zu einer Filmvorführung des Johannes-Agnoli-Films von Christoph
Burgmer eingeladen. Am Ende der Veranstaltung hatte Joachim Bruhn die Anwesenden dazu aufgerufen, Tonbandprotokolle
Agnolis oder ähnliches dem Verlag zuzuschicken. Er wollte zu diesem Zweck auch noch Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften
schalten. Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass dies rausgeschmissenes Geld sei, da ich nicht die Genehmigung dazu geben würde,
dass von Johannes Agnoli nichtautorisierte Texte erscheinen.
Ende letzten Jahres habe ich schließlich durch einen Verlagsprospekt von dem erschienenen Grigat-Buch
Transformation des Postnazismus erfahren. Bei dem Titel bin ich schon beinahe in Ohnmacht gefallen, und auch beim Titel des
Agnoli-Aufsatzes »Die Verhärtung der politischen Form. Das Kapital und die Zukunft des Faschismus am Ende der
liberaldemokratischen Epoche«. Ich habe dann beim Verlag angerufen und, zunächst ohne Erfolg, ein Belegexemplar verlangt. Per
Internet habe ich dann von deren Angriffen auf »Moslemfaschisten«, also auf Leute, die wie mein Mann und ich gegen den
Irakkrieg waren, und von der »Kontinuität des nazistisch präformierten Subjekts« erfahren. Ich habe also vom Verlag nicht nur ein
Belegexemplar verlangt, sondern auch den Verlagsvertrag dazu und die Tonbandaufnahme des Agnoli-Vortrags, den dieser in
Wien im Frühjahr 2001 gehalten hatte.
Ich habe diesen Vortrag noch mal selbst transskribiert und gesehen, wie gewaltig die Unterschiede sind zwischen
dem, was Agnoli sagte, und dem, was ein Joachim Bruhn als sein Lektor daraus gemacht hat. Wenn bspw. Agnoli von
»Errungenschaften des Kapitals« spricht, dann macht Herr Bruhn daraus »Segnungen des Kapitals«. Dabei hat Agnoli das mit den
Errungenschaften bekanntlich wirklich sehr ernst gemeint. In einem Vortrag wenige Tage vor dem Betreffenden in Wien hat er
heftig gegen die dortigen Naturfreunde angeredet. Einem der Vortragenden hat er vorgehalten, er sei doch von Flensburg nach
Graz nicht mit dem Pferde geritten, und er sei froh, dass man fliegen könne. Überlegt euch das doch mal, sagte er: wenn in der
Dritten Welt die ganzen Maschinen, auch dies Errungenschaften des Kapitals, eingesetzt werden würden, dann gäbe es dort
keinen Hunger mehr. Die mittelalterlichen Fürsten hätten unbequemer gelebt als jeder Arbeiter heute. Und dies alles hätte
natürlich etwas mit dem Kapital und dem Kapitalismus zu tun.
Anderes Beispiel: Agnoli sagt, den Nationalisten sei mit der heutigen Entwicklung zum Weltmarkt ihr Gegenstand
abhanden gekommen, und Bruhn macht daraus: ihnen sei »das Objekt ihrer Begierde« abhanden gekommen. Bei einem solchen
psychoanalytisch verbrämten Ausdruck, hätte er ihn gelesen, wäre Agnoli in die Luft gegangen. Der ganze Text, so wie er da
steht, ist relativ unverständlich und ich habe ihn erst verstanden, als ich den Tonbandmitschnitt hörte. Was der Bruhn da an
eigenen Vorurteilen reingeschrieben hat, ist schon bemerkenswert.
Entscheidend ist aber schließlich, dass bis auf Agnolis Beitrag und den bei der Wiener Veranstaltung bereits
vorliegenden Text von Ulrich Enderwitz, alle anderen Beiträge, wie im Buch selber zu lesen ist, nach dem 11.September 2001
stark überarbeitet und verändert wurden. Agnolis Beitrag erscheint nun also nicht mehr in dem damals zur Diskussion stehenden
Kontext, sondern in einem nunmehr rabiat »antideutschen«. So schreibt Clemens Nachtmann in seinem Buchbeitrag von einem
»von Deutschland und Europa gesponserten Islamfaschismus der Gegenwart«, von der palästinensischen Bevölkerung als einem
»Kollektiv der Selbstmordattentäter und Moslemfaschisten«. Stephan Grigat schreibt über die — von Johannes Agnoli begeistert
aufgenommene — Parole »Wir sind das Volk«: »Das Volk ist nichts anderes als der sich selbst zum Maßstab setzende
nationalistische Mob.« Usw.usf.

Und dann haben Sie gegen den Verlag geklagt?

Ja. Zuerst hatte ich Bedenken gegenüber einer Klage. Dann habe ich erfahren, dass der Verlag, der die Gesammelten Schriften
Agnolis herausgibt und nur das Recht auf die erste Auflage hat, eine Neuauflage der Transformation der Demokratie für Februar
angekündigt hat, ohne dass ich gefragt worden wäre. Nachdem sie keinen meiner vielen (eingeschriebenen) Briefe beantwortet
haben, nachdem sie so taten, als ob es mich nicht gäbe, und sie alle meine Rechte ignoriert haben, habe ich mich dann zur
Kündigung der Verträge entschieden und verlangt, dass sie das Grigat-Buch vom Markt nehmen.

Sie sind mit dieser Klage aber gescheitert.

Weil hier Aussage gegen Aussage steht. Meine Tochter, die Johannes damals nach Wien begleitet hatte, konnte sich nicht mehr
an die Details der Verabredung zwischen den Veranstaltern und Agnoli selbst erinnern, und diese haben nun eidesstattliche
Erklärungen abgegeben, dass er damals einer Veröffentlichung mündlich zugestimmt hatte. Daraufhin hat mein Anwalt den
Antrag auf einstweilige Eilverfügung — das Buch sofort vom Markt zu nehmen — zurückgenommen.
Demnächst kommt es aber doch noch zum Prozess, denn ich werde darauf bestehen, dass die Zeugen vernommen
und Gutachter bestellt werden und klargelegt wird, dass sie nicht berechtigt waren, das Buch so herauszugeben.

Nun sollte man meinen, dass Bruhn und der ça ira-Verlag nicht zum ersten Mal Agnoli verlegt haben und wissen müssten,
wie man das macht.

Auch bei den anderen Büchern hat es ähnliche Fragwürdigkeiten gegeben, mindestens an dem Buch Subversive Theorie, das
ungeheuer schlecht lektoriert wurde. So wurden Agnoli-Texte verzerrt und beim Grigat-Buch zudem in einen politischen Kontext
gestellt, den Agnoli nicht akzeptiert hätte.

Sie meinen den antideutschen Kontext?

Ja, ich habe erst nach Agnolis Tod von den Antideutschen gehört. Auf meine Frage an Manfred Dahlmann, was denn die
Antideutschen seien, hat er nur gesagt, das sei kompliziert. Dann habe ich von den Methoden dieser Leute erfahren — wie
autoritär und ausgrenzend sie bspw. auf ihren Veranstaltungen gegen linke Andersdenkende vorgehen — und war erschreckt und
empört.

Aber Johannes Agnoli kannte doch die Leute. Er muss doch gewusst haben, um was es dort ging.

Nein, das ist ja der Witz. Er hat mir im Sommer 1994 erzählt, wie Bruhn, als dieser zu Besuch in Italien war, von seiner Mutter
berichtete, sie würde ihn immer auslachen und sinngemäß sagen: Joachim, du kannst dich anstellen wie du willst, du hast keinen
Juden unter deinen Vorfahren. Johannes hat dies einfach für einen Spleen von Bruhn gehalten. Ich habe ihn nie von Antideutschen
reden gehört und es gibt Berichte Dritter, wie sich Agnoli im Privaten ordentlich über sie ausgelassen hätte. Auf entsprechenden
Veranstaltungen mit Agnoli hätten diese aber immer vornehm geschwiegen und keine Widerworte gegeben.

Agnoli war es also nicht bewusst, dass er seit vielen Jahren als »Übervater« einer bestimmten Strömung deutscher Linker
herhalten muss?

Ich kann das nicht genau sagen, aber Probleme mit Bruhn und Konsorten gibt es nachweislich seit mindestens 1994/95, seit der
Schrift Der Staat des Kapitals und der Festschrift Geduld und Ironie.

Hat aber Agnoli mit seiner gerade in den 80er und 90er Jahren wiederholten Theoretisierung der »Kraft der Negation«
diesen »Erben« nicht Vorschub geleistet?

Das mag sein, aber das ist doch noch was anderes, als wenn ich die Deutschen insgesamt mit den Nazis verwechsele. Das sind
zwei verschiedene paar Schuhe. Auch ich bekomme handfest mit, wie präsent der Antisemitismus noch ist. Da schlackern einem
die Ohren. Aber Agnoli war kein »Antideutscher«, im Gegenteil: er war sogar ursprünglich ein 999%iger Deutscher, wie ich in
meiner Biografie zeigen werde.

Aber worauf basierte dann das Verhältnis von Agnoli zum ça ira-Verlag?

Darauf, dass die Transformation der Demokratie mehrfach vergriffen war und sich Agnolis Studenten Manfred Dahlmann und
Clemens Nachtmann Ende der 80er Jahre bereit erklärten, es erneut herauszugeben. Und Bruhn war damals der Verleger von ça
ira, anfangs immer sehr höflich, bis sich dies Mitte der 90er wegen schlechter Übersetzungen und Druckverzögerungen abrupt
änderte und in ein Ausmaß an Unverschämtheit umschlug, das sich gewaschen hat. Agnoli hat immer auf Dahlmann gesetzt und
Bruhn nicht ernst genommen.
Hinzu kommt, dass der Verlag zwar viel Quatsch verlegt hat, aber eben auch ein paar gute Sachen, z.B. den Ulrich
Enderwitz, den Agnoli geschätzt hat, wenn er auch gegen einige seiner Positionen Bedenken hatte.
Ein Buch aber wie das von Grigat herausgegebene hätte Agnoli sicherlich nicht mehr mitgetragen. Er hat z.B. die
Veröffentlichung des anderen vorhin erwähnten Vortrags, des Grazer Vortrags, explizit abgelehnt. Ich glaube, weil er gerade auf
diesen Veranstaltungen, vor allem der in Wien, aus der das Grigat-Buch hervorgegangen ist, so irritiert war, dass er merkte, dass
er da nicht mehr hingehörte und nachweislich nur noch weg wollte.
Für ihn war wichtig, dass seine Schriften veröffentlicht wurden, und daran arbeite ich nun. So erscheinen im Herbst
im Konkret Literatur Verlag nun Agnolis Transformation der Demokratie sowie meine Biografie Agnolis.

Sie wissen über die Affinitäten des Konkret-Milieus zu den Antideutschen?

Ja, aber der Konkret Literatur-Verlag ist etwas anderes als Konkret. Das Verlagsprogramm ist seriös.

Dass eine Witwe eine Biografie über ihren Mann schreibt, ist ungewöhnlich. Wie kamen Sie dazu?

Ich habe mich anlässlich der vielen Nachrufe auf Agnoli wirklich gewundert, wie viele Märchen über sein Leben die Runde
machen, auch von Leuten, die ihn gut kannten. Und als dann einer von denen schrieb, man würde doch gerne mehr über die ersten
20, 30 Lebensjahre Agnolis erfahren, habe ich gedacht: Damit kann ich euch dienen… Ich habe also angefangen zu schreiben und
habe gemerkt, wie gut mir das getan hat, weil es mich davon abgehalten hat, in Depressionen zu versinken.
Als ich dann den Nachlass regeln wollte, bin ich über seine frühen Schriften während und kurz nach dem Krieg
gestoßen. Der junge Agnoli, gerade auch der während des Krieges, als er leitender Schülerzeitungsredakteur war, war ein
glühender Verehrer Deutschlands und seines Militärs. Wenn man das liest, kann man nur staunen. Ich werde das in meiner
Biografie im Anhang veröffentlichen: Der deutsche Soldat mag grausam, dumm oder was auch immer sein, aber niemals sei er
unanständig, so Agnoli damals. Das lag an seinem Ideal Preußen. Der Hintergrund ist natürlich, dass muss man verstehen, die
Erfahrung des italienischen Staates.

Der Staatskritiker Agnoli als Verehrer des preußischen Ordnungsstaats?

Genau. Das liegt natürlich auch an seiner entschiedenen Gegnerschaft zum Römisch-Katholischen. Antikapitalist und Marxist
wurde er ja früh, aber deutschlandkritisch erst mit der katholischen Adenauer-Zeit. Trotz öffentlicher Forderung nach
Anerkennung der DDR, für die er ja Anfang der 60er Jahre aus Köln vertrieben wurde, war und blieb Agnoli für
Gesamtdeutschland.
Das Ganze zeigt eben, dass die historische Wirklichkeit immer etwas komplizierter ist, als sich manche dies
zusammenreimen.

Und was werden wir erfahren vom späten, bekannteren Agnoli?

Wie er mit seinen Studenten umging und sich als Professor verstand, wie er mit den Frauen umging und wie die damalige Zeit
gerade auch in dieser Frage war. Und wie er im Ruhestand erneut, wie in seiner frühen Jugend, zum Gedichteschreiber wurde.
Auch davon gibt es Kostproben im Buch.

Was machte für Sie das Besondere des Johannes Agnoli aus?

(Pause & Tränen) Dass er wirklich nie aufgegeben hat.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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??? — weirdo

Korrekturen zu Withmann — Joachim Bruhn