Hamburg: Proteste gegen den Naziaufmarsch

Mister X 27.03.2004 21:29 Themen: Antifa
Heute demonstrierten etwa 350 Nazis gegen die heute endgültig schließende Wehrmachtausstellung in Hamburg. Geschützt wurden sie dabei durch 4385 schwarze und grüne Roboter aus 11 verschiedenen Bundesländern vor den 2000-3000 zum großen Teil jugendlichen Gegendemonstranten. Insgesamt meldete der Ermittlungsausschuß 14 Ingewahrsamnahmen.
Die Gegenkundgebung zum Naziaufmarsch startete schon um 10:30 vom Barmbeker Bahnhof aus Richtung Kampnagel, dem Ausstellungsort der Wehrmachtausstellung. Der Beginn der Nazidemo war für 12:00 angesetzt, der Startpunkt nur 500m entfernt.

Ein Versuch des Bundes der Verfolgten des Naziregimes (VVN), durch eine einstweilige Verfügung den Naziaufmarsch verbieten zu lassen, wies das im Eilverfahren angerufene Bundesverfassungsgericht zurück. Als Begründung wurde der formale Grund genannt, daß die Klägerin, die Auschwitzüberlebende Esther Bejarano, als eine Einzelperson keinen Antrag auf Demonstrationsverbot stellen könne.

So konnten die nach Radio FSK- Berichten etwa 350 Nazis, von über 4000 Polizeibeamten geschützt, durch die Jarrestadt ziehen. Sie bekamen zu ihrem Schutz sogar einen Extrazug des ÖPNV, der sie von ihrem Treffpunkt im Stadtteil Farmsen zum Demoauftakt in der Saarlandstraße brachte.
Die Gegendemonstration war jedoch mit einer Vielzahl von Auflagen belegt worden. Pro 50 Teilnehmer mußte ein mit weißer Armbinde gekennzeichneter Ordner bereitgestellt werden, und Seitentransparente waren nur in sehr kurzen Ausführungen erlaubt. Die Gefahrenprognose der Polizei, die Gewalttätigkeiten voraussah, stützte sich auf den Cowboy auf dem Plakat, der ja Pistolen in der Hand hält, auf das kleine Symbol „goodbye white pride“ auf eben diesem Plakat, und auf einen Flyer, der in Berlin sichergestellt worden ist und der einen kleinen Jungen zeigte, der eine obszöne Geste macht, und mit „Opa halts Maul“ überschriftet war.

Bis zum Endkundgebungsplatz verlief die antifaschistische Demo ohne besondere Vorkommnisse. Die Polizei hielt sich laut Durchsagen des Lautsprecherwagens allerdings nicht an ihre Abmachung, nicht zu filmen und nicht ständig Spalier zu laufen. Statt dessen wude die Demospitze von Anfang an flankiert, und etwa ab der Hälfte der Strecke fanden sich die Demonstranten in einem Wanderkessel wieder. Ein Mal wurde der Demozug wegen eines angeblich zu langen Seitentransparents gestoppt. Es wurden massiv Videoaufnahmen gemacht, auch später am Endkundgebungsplatz, auf dem die meisten friedlich auf dem Boden saßen und sich über die Sonne freuten.

Erstaunlich war, daß die Gegendemo den Endkundgebungsplatz zu einem Zeitpunkt erreichte, an dem der Großteil der Nazis noch an ihrem Sammelpunkt Farmsen steckengeblieben war, und zwar aus organisatorischen Gründen. Sie trafen erst um 15:30, also mit 3 ½ stündiger Verspätung, in der Saarlandstraße ein.
Deshalb war es vielen Gegendemonstranten zu langweilig, stundenlang auf dem von massiven Einsatzkräften abgeriegelten Endkundgebungsplatz auf die Nazis zu warten. Statt dessen zogen viele in Kleingruppen los, ohne daß es jedoch möglich gewesen wäre, in die Nähe der Nazi-Demoroute zu gelangen, die weiträumigst abgesperrt war.
Nur diejenigen hatten Glück, die sich früh morgens am Bahnhof Borgweg trafen. Dort sammelten sich etwa 100 Personen, die nach Passieren eines Polizei-Checkpoints einen Shuttlebus zum Kampnagelgelände nehmen durften, um die Ausstellung zu besuchen. Die Idee für den Shuttelbus stammte von der VVN. Diese hatte beklagt, daß beim letzten Naziaufmarsch vor einem Monat die Ausstellung menschnleer geblieben war, und für den heutigen Tag ein besonderes Programm vorbereitet. Unter anderem las der Schauspieler Rolf Becker antifaschistische Texte in der Ausstellung.
Nur diejenigen konnten die Polizeikontrolle passieren, die ihren Ausweis vorzeigten und eine Eintrittskarte für die Ausstellung besaßen. Ansonsten sorgte vor allem der Nasenfaktor für eine Selektion.

Nachdem bereits 2 Shuttlebusse gefahren waren, stellte die Polizei den Betrieb ein. Ein Teil der Verbliebenen schaffte es jedoch auch zu Fuß, mit der Eintrittskarte ausgestattet, das Ausstellungsgelände zu erreichen.
Der verdächtigere Teil der etwa 100 Leute konnten sich z.T. nur mit Polizeibegleitung auf dem Gelände bewegen, die jedoch ziemlich schnell abgezogen wurde. Daraufhin konnten die Besucher auch die Jarrestraße betreten. Zivilpolizisten, die Platzverweise verteilten, gaben recht rasch auf. So konnten einige an die Route gelangen und sorgten im Bereich Jarrestraße, Gertigstraße und in Teilen des Mühlenkamps dafür, daß die Nazis akkustisch keinen Spaß an ihrer Veranstaltung hatten.
Laut Polizeipresse konnten trotz aller Einschränkungen etwa 500-600 Personen die Veranstaltung besuchen, auch sämtliche angemeldeten Gruppen.

Im Gegensatz zum letzten Aufmarsch hatten vorbereitende Anwohnertreffen stattgefunden, und somit gab es viele Bewohner der Jarrestadt, die ihren Protest zum Ausdruck brachten.
Laut Radio FSK hingen in vielen Fenstern Transpis und Plakate, auf einem Balkon spielte eine Sambagruppe, und Leute begleiteten die Nazidemo seitlich mit Trillerpfeifen und Ghettoblastern. Die Straße war schon hunderte Meter vor Eintreffen der Nazidemo von 4 Ketten Polizei geräumt worden, die Leute in Seitenstraßen abgedrängt und zum Teil eingekesselt. Schlagstockeinsätze bleiben jedoch weitgehend aus, auch die Ghettoblaster wurden geduldet. Im Bereich der Gertigstraße ereignete sich lokal über der Nazidemo ein Wolkenbruch, und einige übten auch schon das Verstecken von Ostereiern im Luftraum.
Unbekannte richteten mit einem Tretboot einen Fährdienst ein, um Gegendemonstranten den Zugang zur von Kanälen umgebenen Jarrestadt zu ermöglichen. Diese besondere Dienstleistung wurde leider bald behördlicherseits unterbunden, denn ein Polizeiboot war auch unterwegs.

Die Nazis begannen ihren Umzug um 15:30 am Bahnhof Saarlandstraße und marschierten dann durch die Jarrestraße direkt zum Kampnagel-Gelände. Organisator der Demo war nicht der Nazi Wulff wie bei der Demo letzten Monat, sondern Christian Worch. Beide führen einen gesonderten Faschistenflügel an, die sich gegenseitig nicht ganz grün sind. Während Wulff die Strategie fährt, durch eine Unzahl von Kleindemonstrationen (letztes Jahr 34) einen Gewöhnungseffekt in der Bevölkerung zu schaffen, behauptet Worch, die „Kameraden würden dadurch verheizt“, und bevorzugt wenige gut organisierte Großaufmärsche. Wulff arbeitet mit der NPD zusammenarbeitet, Worch tut das nicht. So ist vielleicht zu verstehen, warum im Gegensatz zur letzten Demo am 31. Januar mit ca. 600 Nazis diesmal nur ca. die Hälfte kam. Die in den vergangenen Wochen verübten Störaktionen gegen die Ausstellung (Stinkbombenanschläge, faschistisches Straßentheater in Bergedorf) stammen übrigens vom Wulff-Flügel.
An Kampnagel gab es eine kurze Kundgebung der Nazis, der von starkem Protest der Anwohner begleitet war. Dann zogen die Nazis in einer riesengroßen Schleife zurück zur Saarlandstraße und stiegen um 16:30 in den Sonderzug Richtung Heimat. Sie konnten, ungestört, die gesamte Strecke laufen.
Aus dem sehr lauten Lausprecherwagen drangen Parolen und „schaurige Musik“, und drei mit Tiermasken Vermummte (die Polizei tolerierte dies) führten den Umzug an. Zwei Schafe, ein Kamel. Das Kamel trug ein handgemaltes Pappschild mit der Aufschrift „ich bin ein dummes Kamel – Reemtsma lügt“ oder so ähnlich. Eine Anspielung auf einen Vorfall 1977, wo Worch und Kühn, mit Eselsmasken verkleidet, provozierten. Auf ihren Schildern stand damals „Ich Esel glaub immer noch, daß Juden vergast worden sind“.
Es wurde „Ruhm und Ehre der Wehrmacht“ gerufen, eine Analogie zu „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“. Und es gab langgezogene Fahnenehrungen: die Nationalfahne von „verbündeten“ europäischen Ländern wie Frankreich und Italien wurden hochgehalten und die entsprechende Nazionalhymne gespielt.


Die Anwohner waren zu einem großen Teil schockiert von den Ausmaßen des Polizeieinsatzes und kündigten Konsequenzen für den Senat an. Es wurden auch Vergleiche gezogen, wo während der Bambuledemonstrationen von den Behörden oft das „Recht auf Konsum“ höher gestellt wurde als das Demonstrationsrecht, während bei der Nazidemo ein ganzes Viertel quasi Hausarrest bekommt, damit 350 Nazis demonstrieren können. Besonders vor dem Hintergrund, daß die Jarrestadt, ein klassisches Arbeiterviertel, zur Nazizeit ein „Widerstandsnest“ war, ein untragbarer Zustand. Schon am Vorabend war es für die Bewohner unmöglich gewesen, ohne ständige Personalienkontrollen auf die Straßen zu gehen.


Die Informationen zum Verlauf der Gegendemonstration stammen von mir. Alle übrigen Berichte und Details habe ich der Tagesauswertung von Radio FSK entnommen, die ab 19:00 über den Äther ging. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Leute hinter den Mikrofonen des Senders und an den Telefonhörern des Ermittlungsausschusses. Und an alle anderen, die sich an lautem und kreativen Widerstand beteiligt haben.
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Ergänzungen

Ergänzung

Info 27.03.2004 - 22:31
"Während Wulff die Strategie fährt, durch eine Unzahl von Kleindemonstrationen (letztes Jahr 34) einen Gewöhnungseffekt in der Bevölkerung zu schaffen, behauptet Worch, die „Kameraden würden dadurch verheizt“, und bevorzugt wenige gut organisierte Großaufmärsche."

Ich glaube, dass du hier Wulff mit Worch verwechselts hast. Die Kleindemonstrationen werden von Worch veranstaltet (u.a. Leipzig) und nocht Wulff.

Noch eine kürze Ergänzung

Max 28.03.2004 - 04:06
Vergessen sind die Leute, die versucht haben den Fluß in Paddelboote zu überqueren, um an die Naziroute anzukommen und von polizeiboote vervolgt wurden. Und die Antideutschen, die die Naziaufmarsch mit Israelfahnen störten (Israelfahnen direkt vor den Nasen der Revisionisten in Bezug auf den Holokaust war eine gute Aktion, aber allgemein auf Antifa Demos sind sie eher provokant. Eine ganz andere Wirkung).

Ich fand es interessant, dass unter den Fahnen der Nazis befanden sich auch der japanische Kriegsfahne, aber ob es echte Japaner auf der Demo waren zweifele ich.

Ausstellung am Sonntag, 28.03.04 bis 22h auf!

... 28.03.2004 - 10:00
Die Ausstellung kann auch noch am Sonntag, den 28.03.04 bis 22:00h besucht werden.

Weitere Infos:

 http://www.verbrechen-der-wehrmacht.de/

 http://www.ndr.de/ndr/kultur/medien/20040129_wehrmachtsausstellung_hamburg.html

Aktinstage: Demo am Donnerstag.

nn 28.03.2004 - 15:40
"Ole allein zuhaus..."

Umzug für Umstrukturierung in Rothenbaum
Donnerstag 1. April
Start 17 Uhr U-Bahn Haller Str.

Aufruf:
 http://www.de.indymedia.org/2004/03/78074.shtml

finsterlinge

lack 28.03.2004 - 22:22
erst hab ich bei dem foto mit der spd-fahne so gedacht:naja ist doch gut wenn son sozi ggn neonazis auf die strasse geht...

aber dann ist mir eingefallen, dass die spd mit der cdu zusammen nach hoyerswerda und solingen das asylrecht fast abgeschafft hat um den braunen die grundlage zu entziehen, damals haben reps und dvu ja enormen zulauf und stimmgewinne gehabt weil die bürger asylsuchende als gefahr für ihr schönes deutschland sahen.

also sind spd-fahnen auf antifa-veranstaltungen lachhaft und diese leute finsterlinge, weil sie im halbdunkel beschlüsse fassen die den rassisten die argumente entziehen sollen aber dabei dem rassismus vorschub leisten.

die asylpolitik der spd macht ausländerfeindlichkeit salonfähig !!!

fahnen der nazis

postit 29.03.2004 - 12:12
Bei den zahlreichen fahnen der nazis (schweiz, frankreich, norwegen, schweden, albanien...) handelte es sich um eine "ehrung", der aus diesen ländern stammenden ss-schergen.

"wir tun nur unsere Pflicht"

Zipfel 30.03.2004 - 02:44
Nachdem ich mich durch eine polizeiliche Gesichtskontrolle gemogelt hatte postierte ich mich mit ein paar AnwohnerInnen am Straßenrand.Als die braunen Dummköpfe dann in unsere nähe kamen, bildete die Schnittlauchkompanie (außen grün und innen hohl)ein Spalier, natürlich blickten alle Beamten mit grimmiger Miene in unsere Richtung. Nach dem hinweiß dass die bösen auf der Straße maschieren, wurden wir mit den üblichen Phrasen "Wir tun nur unsere Pflicht" vollgelabert.Eine Passantin wies die zuhörenden Einsatzkräfte darauf hin das jeder einen Gewissen Handlungsspielraum besäße und die Blickrichtung in diesem Falle ein politisches Statement wäre.Darauf drehte sich ein Beamter zur Straße hin um.
Später wurden dann zwei junge Mädchen von einer Beamtin sehr bestimmt aufgefordert ihre "Vermummung" abzunehmen(Die Nazis haben ihren Begleitchor sehr eifrig fotografiert).Daraufhin habe ich die selbe Beamtin auf verstöße seitens der Nazis hingewiesen.Mit belustigter Miene erwiwdert sie mir "Die da drinnen gehen UNS nichts an!",ich:"Dann weiß ich ja auf welcher Seite sie Stehen!" Sie hat blos abgewunken.

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aufwachen! — löschblatt

@banane — egal

Man man man — Rechts vor links

AN MAX — Rainer

... bullenschweine — ... brennt die .. ab