Pro Asyl zum Ageeb-Prozess

Pro Asyl 24.03.2004 17:32
Das Verfahren gegen BGS-Beamte um den Erstickungstod von Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung wurde an das Schwurgericht verwiesen. Pro Asyl: Dort hätte es von Anfang an hingehört
Das Verfahren um den Erstickungstod von Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung am 28. Mai 1999 in den Händen von Beamten des Bundesgrenzschutzes muss vor einem Schwurgericht neu aufgerollt werden. Nach dem Verlauf der Hauptverhandlung gebe es einen hinreichenden Tatverdacht, dass die Anklage nunmehr auf Körperverletzung mit Todesfolge lauten müsse, so das Amtsgericht Frankfurt am Main. Angeklagt war bisher nur fahrlässige Tötung. Die Mindeststrafe bei Körperverletzung mit Todesfolge liegt bei drei Jahren.

PRO ASYL begrüßt, dass das Verfahren mit erheblicher Verzögerung schließlich dort gelandet ist, wo es längst hingehört hätte. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits nach Abschluss der Ermittlungen die Möglichkeit, das Verfahren beim Landgericht anhängig zu machen. Aufgedrängt hätte sich dies nicht nur wegen der sich nach den Vorermittlungen durchaus festzustellenden Anhaltspunkte für eine Körperverletzung mit Todesfolge, sondern auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens. Es hatte bundesweit Aufsehen erregt, eine politische Diskussion um die Anwendung von Zwangsmitteln bei Flugabschiebungen ausgelöst und zu einer Vielzahl organisatorischer Änderungen beim BGS geführt. Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer erklärlich, warum derselbe Staatsanwalt, der im Fall Daschner (stellvertretender Frankfurter Polizeipräsident, der im Rahmen der Ermittlungen im Fall Jakob von Metzler dem Täter mit Folter gedroht hatte) vor dem Schwurgericht anklagt, im Fall der BGS-Beamten davon abgesehen hat.

Ein geduldig verhandelndes, aber zeitweilig sichtlich überfordertes Amtsgericht sah sich im Verfahren mit dem Ergebnis jahrelanger Verzögerungen während der Ermittlungen und selbstverschuldeten Zeitversäumnissen bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung konfrontiert: Große Erinnerungslücken bei den als Zeugen gehörten Passagieren, Lufthansabediensteten und Kripobeamten prägten die Hauptverhandlung. Als weiteres Verfahrenshindernis stellte sich die politische Verdunkelungsstrategie der BGS-Spitze - man darf wohl vermuten: mit Billigung des BMI ? heraus. Die Aussagegenehmigung für die Zeugen aus den Reihen des Bundesgrenzschutzes war auf die Sachverhalte bis zum Ende des Tattages beschränkt. Nicht darüber berichten durften die Zeugen, welche Konsequenzen von BGS-Spitze und Bundesinnenministerium aus dem Todesfall Ageeb für die Praxis gezogen wurden ? ein Politikum.

Herauskristallisiert hat sich im Verlauf des Verfahrens vor dem Amtsgericht das Zusammenwirken von chaotisch unklarer Weisungslage beim Bundesgrenzschutz und dem exzessiven Handeln der am Herunterdrücken des Oberkörpers von Ageeb direkt beteiligten Grenzschützer, die dessen Schreien unterbinden wollten, obwohl der an den Sitz gefesselte Ageeb zu die Flugsicherheit gefährdenden Widerstandshandlungen längst nicht mehr in der Lage war. PRO ASYL bedauert, dass im Verfahren die für die organisatorischen Missstände beim Bundesgrenzschutz politisch verantwortlichen ehemaligen und gegenwärtigen Bundesinnenminister, Manfred Kanther und Otto Schily, nicht als Zeugen geladen wurden. Im gleichgelagerten Verfahren um den Tod des Marcus Omofuma bei einer Abschiebung aus Österreich hatte es sich das dortige Gericht nicht nehmen lassen, drei ehemalige österreichische Innenminister als Zeugen zu laden. Es hatte dabei sachdienliche Erkenntnisse zum Ausmaß der politischen Unverantwortlichkeiten gewinnen können, die auch in die Urteilsbegründung eingingen.

Die Strategie der Verteidigung der drei BGS-Angeklagten, die selbst von ihrem prozessualen Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machten, zielte darauf ab, das Organisationsverschulden innerhalb des BGS herauszuarbeiten und vor diesem Hintergrund den eigenständigen Tatbeitrag der Angeklagten zu bagatellisieren. Die Angeklagten sind nicht nur passive Handlanger einer staatlichen Abschiebungspolitik, der die unklare Weisungslage über Jahre hinweg möglicherweise lieb war, sondern haben gehandelt, wo sie sich hätten weigern können. Sie befanden sich nicht in einer Art ?Befehlsnotstand?. Wie jeder Polizeibeamte hätten sie die Grenzen des Einsatzes körperlicher Gewalt bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges einschätzen müssen und erkennen können. Der Abbruch der massiven Gewalteinwirkung drängte sich spätestens auf, nachdem Ageeb erbärmlich schrie und äußerte, er bekomme keine Luft mehr. In einer solchen Situation darf kein deutscher Vollzugsbeamter mit dem Hinweis auf die unklare Weisungslage straflos davonkommen.

Die Verteidiger der BGS-Beamten haben mit ihrer von Beobachtern zum Teil als selbstgewiss bis überheblich empfundenen Verteidigungsstrategie ? etwa dem Versuch, die Sachkunde der medizinischen Sachverständigen pauschal in Zweifel zu ziehen ? hoch gepokert. Ob ihre auf Freispruch zielende Strategie beim Schwurgericht Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat durchaus Mängel der Vorermittlungen zutage gefördert, die jedoch nicht geeignet sind, das Kerngeschehen in Zweifel zu ziehen.

Den während der Tage der Hauptverhandlung eher gut gelaunten Angeklagten entgleisten jedenfalls zum ersten und einzigen Mal die Gesichtszüge, als das Amtsgericht die Überweisung an das Landgericht verkündete. Ein Satz des Bedauerns zum Tode von Ageeb abseits jedes Schuldeingeständnisses steht von ihrer Seite bislang auf jeden Fall aus.

PRO ASYL wird das Verfahren vor dem Schwurgericht ebenfalls beobachten.

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Ergänzungen

Dokumentationsseite Ageeb

res publica 24.03.2004 - 17:36

schlechter Scherz

Volljurist 25.03.2004 - 14:07
Offenbar habt Ihr nicht begriffen, daß das Verfahren - vom Staatsapparat -bis zum volljuristischen "Sanktnimmerleinstag" in die Länge gezogen werden soll, um eine Verurteilung der Polizisten - nebst Schadensersatzansprüchen gegen den Staat -zu verhindern.
5 Jahre sind seit der Ermordung Ageeds vergangen. Die neuen Ermittlungen werden wieder 5 Jahre dauern, und müssen nicht(!) zwangsweise vor dem Landgericht landen. das Landgericht kann auch eine Klage ablehnen. dann landet die klage wieder vom dem Amtsgericht. Das ist der Rechtsstaat!
Wie dämlich seit Ihr eigentlich!?