"Fuck and Awe" -- A ThinkTank goes Public

harmloser parlaments-praktikant (25) 14.03.2004 14:16 Themen: Weltweit
Spätestens seit dem Amtsantritt George W. Bushs haben "Think Tanks" in Europa einen schlechten Ruf. Eine Ausnahme stellt der elitäre "Piatigorsky Music Circle" dar, der vor über 70 Jahren aus dem Vermögen einer musikfanatischen Industriellenwitwe gegründet wurde. Sein besonderes Kennzeichen ist die Verbindung einer elitären Lebenshaltung (die Residenz "Christine's Manor" ist traumhaft gelegen an einem See in den Apalachen) mit geistiger Offenheit und einer zutiefst demokratischen Grundhaltung. Obwohl der Tank nicht direkt konspirativ arbeitet, wird auf Diskretion dennoch großer Wert gelegt. Er tritt kaum öffentlich in Erscheinung und seine Kuratoren sind stolz darauf, keine Webseite zu haben. Zur letzten Tagung, die Anfang März unter dem Stichwort "Fuck and Awe" stattfand, wurden auch einige sorgfältig ausgewählte Teilnehmer aus europäischen Universitäten eingeladen, darunter auch ich.
1. Carl Schmitt, Herbert Marcuse und der Irakische Partisan. (M. S. Cockburne)

Schon der brillante Einleitungsvortrag übertraf die hochgesteckten Erwartungen. Michael S. Cockburne (Gründer des Lehrstuhls für genderspezifische Wirtschaftsanthropologie und Pharmakologie am Bostoner Massachussetts Institute of Technology) sprach über heimliche konzeptionelle Konvergenzen der Ideen des Nazi-Staatsrechtlers Carl Schmitt und des marxistischen Philosophen Herbert Marcuse (Neue Frankfurter Schule) in der neokonservativen Bewußtseinserweiterung der amerikanischen Außenpolitik. Bekanntlich warnte der katholische Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt seit den 20er Jahren vor der harmonieseligen kantianischen "Weltrepublik" "in der er eine obszöne Schreckensvision erblickte" und forderte dagegen den "Aufstand des Politischen". Schmitt beharrte darauf, daß alle politischen Begriffe zwangsläufig aus dem essentiellen Freund-Feind Gegensatz polemisch abzuleiten seien, weshalb er sich in den 60er Jahren der "Theorie des Partisanen" zuwandte.
Laut Cockburne hatten so unterschiedliche Denker wie Richard Perle, Henry Kissinger und Jesse Jackson um 1976 die Anregung des Chicagoer Philosophen Leo Strauss aufgegriffen, das illuminatorische Projekt einer all-integrativen "Weltrepublik" operativ mit dem agressiven (und expliziten) schmittianischen Freund-Feind-Denken zu verknüpfen.
Cockburne fordert nun auch die marxistische Linke dazu auf, Schmitts rabiate Polemik im Marcuse'schen Sinne zu einem "revolutionären Katalysator" umzuformen und in den Sinn einer "aufgeklärten Demokratie der Zukunft" zu stellen. Auch wer die Weltrepublik (im Unterschied zu Schmitt) bejahe, dürfe diese nicht als "Schicksal" betrachten, sondern als ein bewußt gewähltes Ordnungsprinzip, das geistig-militärisch-diskursiv erkämpft und dessen emanzipatorische Ausdehnung gegebenenfalls auch gewaltsam verteidigt werden müsse. Insbesondere an die europäische Linke richtete Cockburne den Apell, "endlich zur Kenntnis zu nehmen", dass "der Fortschritt auch Feinde hat". Diese gelte es eindeutig zu benennen und zu isolieren.
Diese Schlußfolgerung wollten sich freilich nicht alle zu eigen machen. Im Publikum war zustimmendes Räuspern zu hören, als ein notebookbewehrter Punk mit texanischem Akzent zwischen seinen Platin-Piercings die etwas platte Frage herausnuschelte, ob nicht auch Robespierre und Stalin bereits Ähnliches versucht hätten.


2. "Fuck and Awe" Konjekturen kollateraler Kommunikation (H. Schneider)

Zur Entspannung folgte gleich nach der Kaffepause der launige Vortrag von Helge Schneider: "Fuck and Awe" Konjekturen kollateraler Kommunikation. Es störte keinen, dass Helge wenig Neues mitzuteilen hatte. Im Unterschied zur deutschen Öffentlichkeit, die Schneider als Entertainer schätzt ("Katzenklo", "Doc Snyder", etc.) war der größte Teil der elitären Zuhörerschaft über Helges "geheime" Nebentätigkeit als Kommunikationsberater und politischer Analytiker des Weißen Hauses von 1999 bis 2002 längst informiert. Da Schneider vertragsgemäß noch bis 2014 über alle Interna Stillschweigen bewahren muß, bestand sein Vortrag (auch mit Rücksicht auf Spitzel im Publikum) im Wesentlichen aus augenzwinkernden Andeutungen, rechtzeitig abgebogenen Vermutungen und nachhaltigem Kopfkratzen. (Der etwas steife Herr auf dem Podium war nach Meinung von Insidern Helges Anwalt, der darauf achteten mußte, daß er nicht zuviel ausplauderte.) Zum Schluß gab es das Deutschlandlied und die US-Hymne zum Mitklatschen.

3. "Business Terror" (R.L. Oswald)

Nach dem Mittagessen "über das gesondert berichtet werden müsste!" und lockerem Spaziergang durch die traumhafte Parkanlage (einige Teilehmer hingen schon wieder im Internet, andere probten Golfabschläge, einige Nikotinsüchtige hatten sich zum Müllcontainer verdrückt) gab es einen echten Schocker: Ruby Lee Oswald, Assisstant Professor für allgemeine Volkswirtschaftstheorie und Halbleitertechnik an der Columbia University (New York) sprach über das Verhältnis von Terrorbekämpfung, Urheberrecht und Börsenkursen. Es ist längst eine Binsenweisheit, daß Medien, Patentanwälte und Investment-Bänker bei allen kriegerischen Ereignisssen Trittbrett fahren wollen. Oswalds haarsträubende Entdeckung besteht darin, daß Kriege demnächst auch eigens zur "Wertschöpfung" in diesem Sinne geplant, angezettelt und am Laufen gehalten werden könnten. Der Vortragende verwies auf eine Studie, die Donald S. Rumsfeld (ein enger Vertrauter von Rupert Murdoch!) schon drei Monate vor den New Yorker Anschlägen in Auftrag gegeben haben soll. Es sollte geprüft werden, wer im Kriegsfall die Urheber- und Verwertungsrechte des anfallenden Bild- Ton- und Filmmaterials besitzt. In einer postindustriellen Gesellschaft, in der die "Aufmerksamkeit der Kaufkräftigen die letzte profitträchtige Goldmine" sei, so führte Oswald aus, könnte das kommerzielle Monopol dieser Urheberrechte der Weltpolitik bald einen agressiveren Stil aufzwingen. Besonders perfide dabei: Die Medien-Tycoons würden umso mehr von einem Krieg profitieren, je größer die dort verübten Grausamkeiten seien. Waren CNN und Fox TV bisher dafür bekannt, einen "sauberen Krieg" zu präsentieren, so könnte bald das Gegenteil eintreten: Der News-Channel der Zukunft würden den Krieg bewußt grausam zeichnen, um "das scheue Reh der Zuschaueraufmerksamkeit anzulocken" und die Werbeeinnahmen entsprechend zu steigern.


Danach gab es Abendessen.


4. Bio-Macht und die Geburt Gottes. (Frank N. Steiner)

Den eigentlichen "Hammer" der Veranstaltung hatten sich die Verantwortlichen jedoch bis zum Schluß aufgespart: Abends sprach der kanadische Nobelpreisträger Frank N. Steiner (Leiter des Instituts für Bio-Technologie und reproduktive Ethik der Ulysses Grant University oft the US Air Force, Arizona) im festlichen Ambiente der "Royal Lounge" über die Möglichkeiten, den "alten Menschheitstraum des Jüngsten Gerichts" endlich wahr zu machen. Statt die Möglichkeiten der "Lebens-Technik" den Schönheitschirurgen zu überlassen, müsse die Zivilgesellschaft darum kämpfen, das "repressive Prinzip der Sterblichkeit zu dekonstruieren". Der Tod könne heute nicht mehr als "Schicksal" gelten, sondern nur noch als eine "bewußt gewählte Disposition". Es sei nicht zu früh, sich der "Herausforderung des ewigen Lebens" zu stellen und die Konsequenzen zu bedenken, die sich aus dieser "neuen Konstellation" ergäben. Insbesondere sei "Steiner bezog sich explizit auf Immanuel Kant!" an die zivilgesellschaftliche Herstellung einer zentralverwalteten "ausgleichenden Gerechtigkeit" zu denken. Bald sei es möglich Menschen nicht nur anhand ihrer DNA-Information zu klonen, sondern ihnen "mit Hilfe eines neuronalelektrischen Hirnscans" auch ihr Gedächtnis, ihr Bewußtsein und ihre "Identität" zurückzugeben. Steiner malte aus, welchen Fortschritt es bedeuten würde, wenn die Menschheit künftig die Möglichkeit hätte, beipielsweise Adolf Hitler doch noch der "verdienten Strafe" zuzuführen, der sich dieser durch Kopfschuß entzogen zu haben glaubte. "Wir könnten Hitler klonen, auf seinem Hirn seine Menschenverachtung re-installieren und ihn anschließend in der Weise foltern, in der er selbst seine Opfer folterte", führte Steiner aus.
Diese Vorstellung gefiel jedoch nicht allen Teilnehmern gleichermaßen. Insbesondere den europäischen Gästen war ein gewisses Unbehagen und die Befürchtung anzumerken, daß diese Möglichkeiten auch "mißbraucht" werden könnten. Die amerikanischen Teilnehmer zeigten sich dagegen wesentlich offener und neugieriger und große Bereitschaft, die Herausforderung der Zukunft anzunehmen. Halb im Scherz diskutierte man darüber, welche Unternehmenssparte von einer solchen Entwicklung am meisten profitieren könnte.

5.
Damit war der offizielle Teil der Konferenz vorüber. In den nächsten beiden Tagen wurden zahlreiche Unternehmungen in die Umgebung angeboten, wo sich die Teilnehmer erkennbar zu Gruppen formierten. Auch dem naiven Beobachter wurde rasch klar, daß viele von ihnen die Vorträge mehr als "schmückendes Beiwerk" und das nun folgende "lockere Freizeitprogramm" als die eigentliche Herausforderung betrachteten. Ging es doch gerade hier darum, Kontakte und Netzwerke zu knüpfen, Bekanntschaften herzustellen, Visitenkarten zu plazieren. Bei aller amerikanischen Fröhlichkeit und Ungezwungenheit spürte man deutlich, unter welchem Karrieredruck sich bereits die 24-jährigen Absolventen von Yale oder Cambridge gesetzt fühlen. Die Mehrheit von ihnen ist längst verheiratet und hat einen Kredit abzubezahlen. Als mein Freund, der mehr durch Zufall nach Christine's gelangte Tiroler Zivildienstleistende Gustl, um sich als "geistreich" zu präsentieren, gegenüber seiner hochintelligenten und überaus attraktiven Gesprächspartnerin den Verdacht äußerte, der kurzhaarige Typ mit Ohrring könnte ein Privatdetektiv sein, der Material für laufende Scheidungsprozesse sammeln wolle, verdarb er ihr gründlich die Laune. Was er für einen Witz gehalten hatte, war für die junge Referentin des demokratischen US-Senators Burne C. Donalds eine völlig plausible Version, durch die sie sich an all jene Probleme ihres 16-Stunden-Arbeitsalltags erinnert fühlte, denen sie für dieses Wochenende doch hatte entkommen wollen.
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Ergänzungen

Durchaus realistisch

Friederike 14.03.2004 - 22:04
Die Akademien der Studienstiftung des deutschen Volkes liefen ähnlich ab.
Vielleicht nicht ganz so hochgestochen - aber in demselben Stil.
Gruß Friederike
P.S. Der Unterschied ist, daß es eine Frau organisiert, die offenbar ein Interesse an demokratischem Austausch hat.Auf ihrer Stufe der Gesellschaft. Das bedeutet, daß sie an den Fragen dran sind aber nicht an der Lösung.
Gruß Friederike

Um Mißverständnissen vorzubeugen

Friederike 15.03.2004 - 16:22
Nicht die Gedankenspiele halte ich für realistisch, hier teile ich eher die Erstauntheit des Schreibers. Realistisch ist die Darstellung des Vorgangs, was ja bezweifelt wurde.

Neue Frankfurter Schule

titan 15.03.2004 - 19:07
Herbert Marcuse gehörte also zur Neuen Frankfurter Schule. Das dürfte Robert Gernhardt und die ganzen Macher der Titanic sehr interessieren.
Sehr lustiger satirischer Text, eine Erfrischung hier auf de.indymedia.org, und beim oberflächlichen Lesen... Helge Schneider als Präsidentenberater, alles klar, eine halbe Minute lang habe ichs geglaubt!

Satire pur

Friederike 15.03.2004 - 23:23
an titan,

du hast recht, es ist Satire pur, aber es verarscht genau das, was sich auf solchen Akademien abspielt.
Die Apalachen könnten auch Alpach sein.
Gruß Friederike

An die Mods

Friederike 16.03.2004 - 00:12
Wenn ihr ein bißchen googelt, seht ihrs selber.
Es wäre schön, wenn der Autor sein Motiv etwas näher erläutern würde,
das ich gut verstehen kann.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

Gefakter Spam — wer glaubt so nen scheiss

Cooler Text — Luther B.

Aha — Friederike

Tja ja, die Studienstiftler! — salz der nation