aktion fuer den nordosten antioquias, kolumbien

Gudrun Kern 11.03.2004 15:23 Themen: Militarismus Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Vom 23. bis 29. Februar besuchten Delegationen verschiedener NROs zwei Gemeinden im Nordosten Antioquias, um aus erster Hand die schwierigen Lebensbedingungen und die staatliche Repression kennenzulernen und diese sichtbar zu machen. Hierzu einige Beobachtungen.
BERICHT UEBER DIE HUMANITAERE AKTION FUER DEN NORDOSTEN ANTIOQUIAS
23. bis 29. Februar 2004

Am 23. Februar trafen sich in Barrancabermeja 96 Vertreter von 31 nationalen und internationalen Organisationen mit dem Ziel, die oekonomische und Informationsblockade zu durchbrechen und die ernste soziale Situation sowie die Verletzungen der Menschenrechte und des Humanitaeren Voelkerrechtes sichtbar zu machen, die die Bewohner des Nordostens des Departamentes Antioquia erleben, insbesondere in den Landkreisen Remedios und Segovia.

In vier Bussen (ein Pullman und drei pistengaengigere) und einem Kleinlaster fuer die Lebensmittel und Medikamente brachen wir am folgenden Tag in die Region auf. Wir kamen bis Puerto Araujo, im Magdalena Medio, als mehrere Soldaten auf Motorraedern darauf bestanden, uns bis in die Siedlungen zu begleiten.
Wir hatten zwar die Regierungsbehoerden sowohl in Bogotá als auch in Medellín und Barranca ueber die Aktion informiert und sie eingeladen daran teilzunehmen, um sich aus erster Hand ueber die schwierigen Lebensbedingungen in der Region zu informieren; und keine war bereit uns zu begleiten, unter verschiedenen Vorwaenden, und alle zeigten viel Interesse fuer den Bericht, den wir schreiben wuerden. Aber als wir sie um Sicherheitsgarantien baten, hatten wir nicht gerade an Polizei- oder Militaerbegleitung fuer diese rein humanitaere Aktion gedacht. So verloren wir wertvolle Zeit in Puerto Berrío, um der XIV. Brigade unsere Mission zu erklaeren und den ?Schutz? der Armee abzulehnen, obwohl diese darauf bestand, in der Region waeren die Sicherheitsbedingungen nicht gegeben. Schliesslich kamen wir darin ueberein, die Soldaten wuerden uns mit 3 km Abstand begleiten, und nur bis dorthin, wo die Schotterpiste anfaengt.

Auf dem Weg in die Siedlung El Porvenir fielen die vielen abgeholzten Flaechen auf, die fuer extensive Rinderhaltung genutzt werden. In den fuenf Tagen in der Region sahen wir nicht eine Parzelle mit Mais, Yuca, Bohnen oder aehnlichem. Die Bauern leben vom Verkauf von Holz, von Gold (in Minen oder im Fluss) und Rindern. Weiter innen werden Reis und andere Subsistenzkulturen angebaut. Weiter innen wird auch Coca angebaut, in kleinen Mengen und gemischt mit Subsistenzkulturen. Die FARC kontrollieren mehr Anbauflaechen als die Paramilitaers, aber diese zahlen besser. Die Bauern bekommen die fuer die Herstellung der Cocapaste notwendigen Chemikalien auf dem Schwarzmarkt, der trotz Blockade funktioniert, oder indem sie die Soldaten bezahlen, damit sie diese Produktionsmittel durchlassen.

Insgesamt brauchten wir 24 Stunden, um in der Siedlung anzukommen, wegen des miserablen Zustandes der Strasse. Das Wort Strasse ist ein Euphemismus fuer diese Piste, die tatsaechlich eine Aneinanderreihung von Loechern, Staub und Pfuetzen ist. Den Pullman-Bus mussten wir auf dem Weg zuruecklassen, da fuer ihn ein Weiterkommen unmoeglich war. Die anderen drei Busse mussten wir immer wieder aus Loechern heben, oder diese auffuellen, um die Piste passierbar zu machen ? auf diese Weise ersetzten wir den Staat in seiner Verantwortung, die Strassen und Wege passierbar zu halten.

Aber es war die Muehe wert, denn die rund 300 Bauern, die aus verschiedenen Siedlungen gekommen waren, erwarteten uns immer noch. Sie waren in langen Wanderungen gekommen, einige waren mehrere Tage unterwegs gewesen, trotz der Militaerpraesenz in der Region.

Wir verbrachten den ganzen Mittwoch mit ihnen, hoerten ihre Zeugnisse (darueber wird es einen gemeinsamen Bericht geben) und boten zahn- und paramedizinische Betreuung ? eine weitere nicht wahrgenommene Verantwortung des Staates.

Aus erster Hand erlebten wir die Armut und die absolute staatliche Vernachlaessigung dieser Gemeinden. Die einzige Form staatlicher Praesenz sind die Militaeroperationen und die paramilitaerischen Uebergriffe gegen die Zivilbevoelkerung, aus dem einzigen Grund in einer Region zu leben, in der die Guerrilla praesent ist, gemaess der Militaerlogik ?dem Fisch das Wasser abzugraben?. Dieselbe Logik ?rechtfertigt? die paramilitaerische Blockade, unter der rund 30 Siedlungen der Landkreise Remedios und Segovia leiden. Ein Familienvorstand darf nicht mehr als 120.000 pesos (ca. 40 Euros) mit sich tragen. Die Paramilitaers verbieten, Lebensmittel in Dosen oder Grundnahrungsmittel wie Reis, Oel, Zucker oder Linsen in die Zone zu bringen, ebenso Gummistiefel.
In der Region gibt es keine Gesundheitsversorgung, und den wenigen Gesundheitspromotoren ist es verboten, Medikamente bei sich zu tragen, obwohl es in den laendlichen Gegenden der beiden Landkreise jaehrlich ca. 4.500 Faelle von Malaria gibt.
In einigen wenigen Siedlungen funktionieren Schulen, die meisten Kinder jedoch bleiben ohne Unterricht, weil sowohl Lehrer als auch Ausstattung der Schulen fehlen.
Angesichts dieser Situation ist es nicht verwunderlich, dass in der Region nur noch ein Fuenftel der Bevoelkerung von vor drei Jahren lebt.

Am Donnerstag setzten wir unseren Weg nach Segovia fort, um von dort in die Siedlung Cañaveral weiterzufahren. Informationen aus der Region, dass just am Vortag, als sich die Delegationen der verschiedenen Siedlungen Segovias treffen wollten, um zusammen in die Siedlung Cañaveral zu wandern, die Armee die Siedlung El Piñal, wo sich die Delegationen treffen wollten, aus der Luft bombardierte und unter Maschinengewehrbeschuss nahm, zwangen uns jedoch, diesen Tag in Segovia zu bleiben. Dank unserer Ankuendigung der Aktion hatte die Armee genuegend Zeit, diese Militaeroperation zu planen, um zu verhindern, dass sich die verschiedenen Gemeinden treffen und uns ihre Zeugnisse abgeben koennten.
Wir waren uns zwar des moeglichen Risikos bewusst, aber ebenso der moralischen Verpflichtung den Gemeinden gegenueber, und so entschieden wir am naechsten Tag nach Cañaveral zu fahren.

Cañaveral bietet ein duesteres Bild: das halbe Dorf niedergebrannt von den Paramilitaers vor einem Jahr, die umgebenden Huegel abgebrannt vor zwei Monaten.
Trotz der Militaeroperation kamen am zweiten Tag 50 Bauern aus verschiedenen Siedlungen. Sie erzaehlten, dass sie mit vielen Leuten aufbrachen, dass sich die meisten jedoch in die Berge fluechteten, wo sie ohne Nahrung und schutzlos warten wuerden, bis die Armee wieder abzieht.
Auch dort hoerten wir Zeugenaussagen und leisteten medizinische Betreuung.

In Segovia sieht die Blockade anders aus als in Remedios. Die Bauern muessen eine Liste der Gueter erstellen, die sie einkaufen wollen, und diese in einem Geschaeft mit Preisen versehen lassen. Mit dieser Liste muessen sie dann zum Sitz der Armee gehen. Ist der Militaer einverstanden, stempelt er die Liste ab und der Bauer kann einkaufen. Anderenfalls gibt es weder Stempel noch Einkauf. Auf dem Weg in die Siedlungen unterhaelt die Armee feste und spontane Kontrollposten, wo der Einkauf mit der Liste verglichen wird. Was ihnen zuviel erscheint, nehmen sie weg oder kaufen es den Bauern ab, jedoch zu von ihnen festgelegten Preisen.

Trotz des Uebereinkommens in Puerto Berrío tauchte die Armee dreimal auf, was unter den Bauern Unruhe ausloeste.

Jetzt bleibt uns die Verpflichtung zu ueberlegen, wie die begonnene Aktion weitergehen kann, sozial und politisch. Sie haette keinen Sinn, wuerde sie als punktuelle Hilfsaktion stehenbleiben.
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