Erster Bericht: Aktionswoche in Gießen

AbwehrspielerIn der Ordnung 11.03.2004 11:47 Themen: Repression
Am Montag, den 8. März begann in Gießen eine Serie von Veranstaltungen, Aktionen, Infoständen und Demos, mit der das Prinzip von Strafe sowie die Existenz von Polizei, Justiz und Knästen kritisiert werden sollte – also ein exotisches Thema. Inzwischen sind die ersten drei Tage rum – geprägt von Veranstaltungen und dem Infostand am Marktplatz. Noch sieht es mau aus mit der Beteiligung von mehr Gruppen und Menschen ... aber die Diskussionen verliefen oft intensiv.
1. Kurzübersicht der ersten drei Tage der Aktionswoche gegen Knäste und Repression
Strafe und Knast ... das ist ein breiter Konsens in der Gesellschaft. Auch fast alle Linken fordern Strafen für Nazis, VergewaltigerInnen usw. Nachgedacht über den Sinn und die Wirkung von Strafe wird selten. Entsprechend schwierig verläuft die Aktionswoche. Außer den vorbereitenden Gruppen in Gießen (Bildungssyndikat, begrenzt, Projektwerkstatt und Umfeld) haben sich bislang kaum Menschen beteiligt. Einige Demos und Workshops fielen aus. Offenbar verstehen nur wenige: Knast und Polizei ist der Krieg der Herrschenden nach innen – weniger blutig als die Bombenflüge über unerwünschte Nationen (wobei die Abschaffung der Nationen nicht das Ziel ist, sondern nur die Installation anderer Herrschaft) sind sie vor allem, weil die Kontrolle ohnehin fast total, die Übermacht der Innen-Streitkräfte riesig und der grundlegende Protest gegen staatliche Gewalt winzig ist. Darum aber genau ist die Aktionswoche wichtig. Sie schwimmt nicht auf dem mainstream – getragen davon, dass irgendwie ja (fast) alle gegen Nazis, Atomkraft usw. sind. Positionen jenseits des Populismus sind selten. Und so sieht es diese Tage in Gießen aus – jeden Nachmittag am Marktplatz wird diskutiert um Sinn und Unsinn von Strafe, Staat und Knästen. Die Debatten aber sind intensiv. Knäste sind nicht wegdenkbar ohne Kritik am Ganzen – das macht die Aktionswoche reizvoll. Politischer Protest muß mehr sein als die Kritik an Details. Deutschland ohne Atomkraftwerke oder Nazis wäre zwar besser, aber nicht gut! Ohne Polizei und Knäste aber wäre ein guter Ausgangspunkt, viel zu ändern. Nötig wär’s! Die aktuellen Termine sind rechts zu finden – noch mehr stehen auf www.antirepression. de.vu. Diskutiert mit, macht mit, kommt zu Demo am Samstag, 12 Uhr, ab Kirchenplatz. Infotelefon während der Aktionen: 0171/8348430.


2. Einzelne Veranstaltungen
Intensive Gespräche lockt der Infostand hervor. Viele Menschen fragen ungläubig, ob das stimmen würde, dass wir gegen Knäste und Polizei sind. Dann kommen meist die klassischen Argumente von Kinderschändern usw. Daraus entstehen Gespräche oft mit vielen Teilen zu herrschaftsfreien Utopien. Dass der Protest gegen Knäste und Polizei solche Gespräche am stärksten hervorruft, zeigte sich deutlich. In der FußgängerInnenzone verteilt stehen einige Schilder mit Fragen zu Knast und Alltag, Hauptblickfang ist ein Fahrradanhänger mit Käfigaufbau, in dem Teddybären, eine Sonne usw. gefangen sind und einige Plakate Thesen gegen Knast und Polizei vermitteln.
Am Montag abend gab es einen Introabend mit Lesungen von Texten aus Gefängnissen und Psychiatrie. Anschließend wurde die Dokumentation über Polizeiwillkür usw. in Gießen vorgestellt (siehe  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu).
Am Dienstagabend führte eine Projektgruppe ein in Workshops entstandenes Theaterstück auf.
Am Mittwochabend folgte eine Veranstaltung in Marburg. Ca. 30 Personen kamen zu einer Veranstaltung über Polizeiwillkür und die Dokumentation zu Fälschungen und Erfindungen in Gießen in die Milchbar der Mensa in Marburg. Eine rege Diskussion ergab sich – und am Ende bestand der Plan, auch für Marburg eine ähnliche Dokumentation zu erstellen sowie weitere Aktivitäten zu starten. Viele Gruppen von Bunter Hilfe bis zu HU und Attac waren auf dem Treffen vertreten – vielleicht ein guter Ausgangspunkt für eine breit getragene Initiative.




3. Veröffentlichungen
Zwei Ausgaben des bunten.nachrichten.dienst (Gegenöffentlichkeit in Gießen) sind zum Thema und mit News erschienen und verteilt. Hinzu kommen thematische Heft, eines wird während der Woche erstellt mit vielen Originaltexten aus Knästen, Psychiatrie und anderen Zwangsverhältnissen.



4. Auseinandersetzung ums Demorecht
1. Akt: Im Rahmen der Aktionswoche gegen Knäste und Repression melden verschiedene Personen mehrere Demonstrationen an.
2. Akt: Das Ordnungsamt der Stadt Gießen erteilt Auflagen mit etlichen Schikanen. Auszüge eingescannt:
1. Akt: Die Betroffenen legen Widerspruch ein.
Auszüge: Punkt 1 (letzter Satz) und 3: Bei weniger als 20 TeilnehmerInnen soll nach Ihren Maßgaben sowohl der gesamte Demonstrationszug als auch die Abschlusskundgebung auf den Gehwegen stattfinden, da Ihrer Meinung nach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Benutzung der Straße nicht gewährleistet ist. Es würde mich jedoch interessieren, inwieweit das Bedürfnis der Fußgänger nach unbehelligter Benutzung der für sie vorgesehenen Wege dem der Autofahrer nachsteht.
Eine Gruppe von 19 Menschen (unter 20) kann einen Gehweg erheblich blockieren, vor allem an Hauptverkehrsstraßen wie z.B. dem Gießener Anlagenring, wo es kaum Möglichkeiten zum kurzfristigen Ausweichen auf die Straße gibt. Ein Hindurchschlängeln ist Fußgängern meines Erachtens weniger zuzumuten, vor allem nicht, wenn sie z.B. noch Kinderwagen, schweres Gepäck oder Tragetaschen mit sich führen und quer über den Weg Spruchbänder gespannt sind . Ein ständiges Auseinanderweichen der Versammlung bei jedem einzelnen Passanten würde jedoch auch die Aufmerksamkeit der DemonstrationsteilnehmerInnen gerade bei der Kundgebung erheblich stören. Außerdem wäre gerade auf dem Anlagenring, durch die jeweils zweispurige Verkehrsführung, die Behinderung des Straßenverkehrs durch z.B. eine einspurige Nutzung für einen Demonstrationszug minimal.
Punkt 5: Die Benutzung eines Megafons wird von Ihnen erst ab 50 teilnehmenden Personen zugelassen. Das greift ins verfassungsgarantierte Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein. Das Ziel einer Demonstration ist nicht die Artikulation von Meinungen mit der ausschließlichen Zielgruppe der TeilnehmerInnen, sondern vielmehr artikulieren die TeilnehmerInnen einer Demonstration (diese SIND die Demonstration) ihre Meinung öffentlich gegenüber den Umstehenden. Eine öffentliche Meinungskundgabe aber wäre nichtig, wenn sie keine Öffentlichkeit erreichen kann. Daher ist die Beschränkung des Megaphoneinsatzes in Abhängigkeit von der Zahl der DemonstrationsteilnehmerInnen eine abwegige und nicht gerechtfertigte Einschränkung des Demonstrationsrechts.
Punkt 10: Das Verbot jeglichen positiven Bezugs auf Gewalt ist in einer von Gewalt durchzogenen Gesellschaft absurd. Rechtsstaatlich wäre allein die Untersagung eines Werbens für nicht legale Gewalt zulässig. Mit Ihren Formulierungen untersagen Sie aber bereits jeglichen positiven Bezug auf die Existenz des Staates und seiner Organe, denn diese handeln immer mit (monopolisierter) Gewalt. Zwar ist es nicht in meinem Sinne, die staatliche Gewaltanwendung (Strafe, Erziehung, Schulzwang usw.) zu loben, mir das aber verbieten zu wollen, ist rechtlich nicht hinnehmbar. Hinzu kommt, dass staatliche Stellen selbst anders handeln, z.B. wenn der Widerstand im "Dritten Reich" von den ProfiteurInnen der Ausbeutung (den heute Mächtigen) zu einer nationalen Heldentat mythologisiert wird. Gewalt war es auch damals, sogar illegale. Insofern ist die undifferenzierte Untersagung jedes positiven Bezugs auf Gewalt nicht durch Recht und Gesetz gedeckt. Tatsächlich aber muß das grundgesetzliche Recht auf Meinungsfreiheit sogar so ausgelegt werden, dass die politische Analyse von Gewalt und seiner Motive im Einzelfall zulässig ist - zumindest wenn sie nicht mit einem Aufruf dazu verbunden ist.
Punkt 14: Ihre Auflagen hinsichtlich Verzögerungen und Ausfall der Demonstration sind angesichts des Verhaltens Giessener Repressionsbehörden nicht akzeptabel. In der Vergangenheit hat die Polizei mehrfach durch aufwendige Kontrollen bis hin zu Polizeikesseln immer wieder DemonstrationsteilnehmerInnen und sogar die AnmelderInnen daran gehindert, rechtzeitig zur Demonstration zu gelangen. Dieses dann gegen dieselben wenden zu wollen, schränkt das Demonstrationsrecht über die Maßen ein.
Punkt 15: Die Aufforderung, jemandem "unbedingt" Folge zu leisten, kann grundsätzlich nicht akzeptiert werden. Ein rechtsstaatlicher Rahmen dafür ist nicht mehr gegeben. In einem Rechtsstaat ist das Verhalten von Menschen sehr wohl an Bedingungen geknüpft und es kann von niemandem "unbedingter" Gehorsam eingefordert werden. Das käme nämlich einer Einschränkung der BürgerInnenrechte gleich. Hinzu kommt, dass gerade die mit rechtswidrigen Handlungen ständig operierenden Giessener Repressionsbehörden in der Vergangenheit des häufigeren schon Sprüche wie "Hauen Sie doch aus der Stadt ab!" oder sogar "Schmeißen Sie sich doch vor ein Auto!" abgelassen haben. Diesem unbedingte Folge zu leisten (also unabhängig von ihrem tatsächlichen Gehalt und ihrer Rechtmäßigkeit) kann nicht verlangt werden.
Punkt 16: Die anmeldende Person einer Versammlung kann in dieser Hinsicht nicht für das Verhalten der DemonstrationsteilnehmerInnen verantwortlich gemacht werden. Aus Ihrer konkreten Formulierung würde sich ergeben, dass genau überprüft werden muss, welcher Abfall vorher da war und welcher nicht. In der Begründung ist zusätzlich noch der Fall angedeutet, dass die DemonstrationsleiterInnen auch dafür verantwortlich sind, wenn Nicht-TeilnehmerInnen verteilte Flugblätter fallen lassen. Wer dafür eine Demonstration in Regreß nehmen will, schränkt das Demonstrationsrecht widerrechtlich ein.


4. Akt: Antrag ans Verwaltungsgericht: Zudem legen die Betroffenen Antrag auf aufschiebene Wirkung beim Verwaltungsgericht ein.

5. Erörterungstermin vor Gericht: Das Verfahren vor Gericht stellte sich als grauselig heraus ... die Richterin Zickendraht sympathisierte von Beginn an mit der Stadtverwaltung. Während die DemoanmelderInnen am Eingang scharf kontrolliert wurden ("Hier wird jeder kon-trolliert", sagte die Bedienstete noch), flutschten die StadtvertreterInnen einfach durch. Vor Gericht polterte der Rechtsamtsmitarbeiter Metz der Stadt Gießen mit ekligsten Law-and-Order-Sprüchen. Am umstrittendsten war die Auflage, der Polizei müsse "unbedingt" (als bedingungslos) Folge geleistet werden. Das hielt der Rechtstyp der Stadt auch für richtig, gerade bei dieser "Klientel". Fragen nach dem Warum polizeilicher Anweisungen dürften nicht geduldet werden usw.

6. Akt: Beschluß des Gerichtes. Die Richterin bekam ihren Vergleich nicht. Die DemoanmelderInnen hielten ihre Widersprüche aufrecht. Die Stadt hatte einige Dinge verbessert (z.B. Megafon jetzt immer erlaubt!!!). Daraufhin beschloss das Gericht und wies die meisten der Einsprüche zurück. Auch das Gericht ist damit der Meinung, daß Nachfragen an Polizei nicht erlaubt seien.

7. Akt: Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Ein Betroffener legte einen Befangenheitsantrag ein. Der ist auf der Internetseite zu den Demorechtsauseinandersetzungen auch zu lesen ( http://www.projektwerkstatt.de/demorecht).




4. Die Termine der nächsten Tage:

Workshop: Kreative Antirepression + Repressionsschutz
Wie schütze ich mich bei politischer Arbeit vor Repres-
sionen durch Polizei, Justiz & anderen Behörden? Wie
kann offensiv damit umgehen? Aber auch Fragen wie
was nehm ich zu einer Demo mit soll hier geklärt
werden...
Ort: begrenzt (Ostanlage 27, Hinterhaus, www.giessen-begrenzt.de.vu )
Zeit: Donnerstag, 10.03.04 - 17:00 Uhr



Bunte Demo fuer eine Gesellschaft ohne Knaeste
Eine bunte Demonstration mit Inspektion der Repressions-
behörden
Startpunkt: Kirchenplatz, Giessen
Zeit: Samstag, 13.03.04 - 12:00 Uhr



Knastinsassen und Aufseher berichten....
Bei einem netten Frühstücksbrunch berichten ehm. Knast-
insassen und Aufseher von ihren Erfahrungen mit Knast.
Mit anschließender Diskussion.
Ort: begrenzt
Zeit: Sonntag, 14.03.04 12:00


"Machtmissbrauch im Rechtsstaat"
Einladung zur Podiumsdiskussion, Referent ist u.a. Vor-
sitzender der Bürgerrechtsorganisation Humanistische
Union Reinhard Mokros....
Ort: Ludwigstr. 34 (gegenüber Unihauptgebäude) im
Margarete Bieber Saal
Zeit: Samstag, 15.03.04 - 19:00Uhr



Außerdem Infostand:
Bis zum 14. März befindet sich an der Bushaltestelle am
Marktplatz täglich von 14:00 - 16:00 Uhr ein Infostand
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Ergänzungen

"Machtmissbrauch im Rechtsstaat"

mupf 11.03.2004 - 15:37
Die Veranstaltung "Machtmissbrauch im Rechtsstaat" ist am Montag nicht am Samstag!!!!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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