Atommüllendlager Morsleben

GK 07.03.2004 23:50 Themen: Atom
Neuer Widerstand gegen die Lagerung von Atommüll im früheren DDR-Endlager Morsleben ist am keimen. Mitte März findet ein erstes Informations- und Vernetzungstreffen statt. Recherchen zu Hintergründen, Einlagerungen etc. laufen bereits seit einiger Zeit. Dieser Artikel soll vor allem einen kurzen Überblick zum ERAM - Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben - geben und am Ende kurz über das bevorstehende Seminar informieren.
Auf dem Weg zum Atommüll-Endlager
Mit der Inbetriebnahme des ersten Leistungsreaktors der DDR 1966 entstand der Bedarf für eine langfristige Entsorgung des entstehenden Atommülls. Das umso mehr, als in der "Deutschen Demokratischen Republik" bis 1975 fünfzehn Atomkraftwerke fertiggestellt werden sollten. Die Staatliche Zentrale für Strahlenschutz (SZS), später in Staatliches Amt für Atomsicherheit (SAAS) umbenannt, führte seit 1965 Untersuchungen, "um die für die DDR günstigste Lösung für die Endlagerung aller entstehendenn Abfälle zu ermitteln" [1]. Kriterien für die Bewertung von zehn für die Atommüll-Endlagerung betrachteter Schachtanlagen waren dem früheren Direktor der Anlage, Klaus Ebel, zufolge u.a. sicherheitstechnische Aspekte, die Verkehrslage, der Zustand der oberirdischen Anlagen, der Zeitpunkt einer möglichen Nutzung und die entstehenden Kosten.
In der Auswahl waren folgende Anlagen: Salzungen (Werra), Springen 1 bis 3 (Werra), Alexanderhall (Werra), Gebra-Lohra (Südharz), Glückauf I bis VIII (Südharz) Sonderhausen, Halle und Saale (Südharz) Angersdorf/Teutschenthal, Neuwerk I/II (Bernburg), Brefeld-Tarthun II (Staßfurt, SW), Neustaßfurt VI/VII (Staßfurt, NO), Bartensleben und Marie (Aller). Wie in vielen anderen Ländern auch, waren die verantwortlichen DDR-WissenschaftlerInnen der Meinung, dass die Endlagerung von Atommüll in Salzformationen die besten Sicherheitsbedingungen bieten würde. Für die DDR war auch entscheidend, dass die Kosten für die Entsorgung in einem ausgedienten Salzbergwerk niedriger waren als andere Varianten.1969 wurde der Schacht Bartensleben bei Morsleben als Standort für das "Zentrale Endlager für radioaktive Abfälle" bestimmt. Es läuft zunächst unter dem Titel "Zentrales Endlager Grube Bartensleben" (ZEGB), nach mehreren Umbenennungen heißt es zuletzt ERAM. Seit 1970 wurde am Aufbau des ZEGB gearbeitet, Ende 1971 wurde die Investitionsvorentscheidung bestätigt und erste Investitionen getätigt [2]. Erste Einlagerungen gab es im Dezember 1971/Januar 1972, bis 1981 läuft die "Einlagerungsversuchsphase" ohne Sicherheitsnachweise. Die offizielle Betriebsaufnahme erfolgte 1981, eine Dauerbetriebsgenehmigung erteilte das SAAS jedoch erst am 22. April 1986 - wenige Tage vor dem Super-GAU in Tschernobyl.

Standort
Die Atommüll-Lagerung erfolgte im Schacht Bartensleben, einem ehemaligen Salzbergwerk, der in direkter Verbindung zum Schacht "Marie" steht. In letzterem wurde bis in die 1990er Jahre cyanidhaltiger Giftmüll zwischengelagert. Es bestand die Gefahr, das ausströmende Gase den Korrosionsprozess (die langsame Zerstörung der Atommüllfässer, die in der Atomtechnik auch als Schutz vor einem Kontakt der radioaktiven Stoffe mit der Umwelt gehandelt werden) beschleunigen könnten. Das Bergwerk liegt im "Oberen Allertal", in Sachsen-Anhalt nahe Helmstedt. Morsleben ist ein Dorf der Verwaltungsgemeinschaft Beverspring und gehört zum Landkreis Ohrekreis mit der Kreisstadt Haldensleben.
Die Erschließung der 40 bis 50 Kilometer langen und durchschnittlich 2 Kilometer breiten Salzlagerstätte begann vor über 100 Jahren. Zunächst wurde Kali- später Steinsalz gefördert. Dementsprechend durchlöchert ist der Salzstock - mit entsprechend negativen Folgen für die Stabilität des Bergwerks für seine Wasserdichtheit. Das Grubengebäude ist 5,6 Kilometer lang und bis zu 1,4 Kilometer breit. Im Schacht Bartensleben wurden sieben Bergwerksetagen ("Sohlen") bis in 524 m Tiefe abgeteuft. Die durch den Salzabbau entstandenen Kammern sind bis zu 120 m lang und 40 m breit. Der Schacht "Marie" diente ausschließlich als zweiter Ausgang und Wetterschacht. [3]

Einlagerungen
Bis 1991 - solange unterstand das ERAM dem SAAS - wurden in Morsleben etwa 14.430 Kubikmeter Abfälle mit einer Gesamtaktivität von 9,5 x 10³ Becquerel eingelagert. Bis zum endgültigen Einlagerungsende 1998 tat die Bundesregierung - das ERAM ist nun dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) unterstellt - noch einmal ca. 22.320 Kubikmeter obendrauf. Der größte Teil des im DDR-Endlager befindlichen Atommülls hatte also die Bundesregierung zu verantworten, die sich immer mit den angeblich so hohen bundesdeutschen Sicherheitsstandards brüstet. Neben diesen Abfällen lagern laut Greenpeace noch 885 "zwischengelagerte" - de facto endgelagerte - Strahlenquellen, für die es noch nicht mal eine Endlagerungsgenehmigung gibt [3].
In Morsleben wurden mehrere - skandalöse - Einlagerungstechniken verwendet, zum Teil auch noch zu Zeiten nach der "Vereinigung". Da wurden flüssige Abfälle (8.258 m³ mit 8.1 E 13 Becquerel Aktivität) einfach versprüht und mit Aktivkohlestaub und ähnlichem Material bedeckt ("In-situ-Verfestigung"). 26.476 m³ feste Abfälle mit einer Beta-/Gamma-Aktivität von 9.6 E 13 Becquerel und 1.2 E 11 Becquerel Alpha-Aktivität wurden in Gebinden (z.B. Fässern) gestapelt; 2.018 m³ feste Abfälle wurden aus den Behältern heraus in Bergwerksstollen verschüttet (Beta-/Gamma-Aktivität 1.6 E 14, Alpha-Aktivität 1.1 E 11).
Schon vor den eigentlichen Vorbereitungsarbeiten in Morsleben wurden bereits erste atomare Abfälle eingelagert, aus rein pragmatischen Gründen: "Das für die Aufnahme von radioaktiven Abfällen aus dem Bereich außerhalb der Kernkraftwerke, d.h. aus der Anwendung und Produktion von Radionukliden (APR), existierende Zwischenlager Lohmen war 1970 gefüllt und der Bau einer neuen Lagerhalle stand an. Das KKW und die SZS kamen überein, eine vergleichsweise geringe Menge von 500 m³ niedrigaktiven festen Abfalls ini 200-l-Fässern mit insgesamt 1,85 TBq Aktivität Ende 1971/Anfang 1972, d.h. vor den Umbauarbeiten der Grube Bartensleben zum Endlager, dort einzubringen. Damit wurde der Erweiterungsbau in Lohmen nicht notwendig und gleichzeitig dort soviel Lagervolumen geschaffen, daß das Zwischenlager bis zur endgültigen Fertigstellung des Endlagers aufnahmefähig blieb." [4]

Widerstand gegen die Atommüll-Lagerung
Bereits zu DDR-Zeiten gab es vereinzelte kritische Äußerungen zum ERAM. Die existierenden Umweltgruppen schienen Morsleben in seiner vollen Bedeutung jedoch nicht erkannt zu haben, wie heute AktivistInnen berichten. Die Geheimhaltung und überhaupt der Sonderstatus durch die Lage im Grenzstreifen ließen kaum Informationen durchsickern. Stattdessen setzten Gruppen wie die Energiewende Stendal ihren Schwerpunkt auf den AKW-Neubau in Stendal. In der BRD gab es bereits in den 1980er Jahren kritische Publikationen zu Morsleben. Die Stadt Helmstedt ließ sogar mehrere Gutachten anfertigen, weil sie befürchtete, der Atommüll könnte das Helmstedter Grundwasser gefährden.
Erst mit der "Wende" und dem Kontakt zu BRD-Umweltgruppen entstand eine breitere Widerstandsbewegung. Im Herbst 1990 gründete sich in Haldensleben eine Ost-West-BürgerInnen-Initiative, die noch viele Jahre aktiv gegen den Betrieb des Atommüllendlagers waren. Regelmäßig fanden z.B. in Magdeburg "Morsleben-Workshops" verschiedener Gruppen und Personen statt, die sich im Widerstand engagierten. Es gab diverse Blockaden, Demos, Veranstaltungen und Klageverfahren. Am 25. September 1998 gab das Oberverwaltungsgericht Magdeburg einer Klage von AnwohnerInnen, die von BUND/Greenpeace unterstützt worden war, die sich gegen die Erweiterung der Einlagerungsbereiche gerichtet hatte. Daraufhin erklärte das BfS, jegliche Einlagerungen im ERAM einzustellen.

Stillegungsverfahren
Seit 1997 läuft ein Planfeststellungsverfahren zur Stillegung des ERAM. Hintergrund ist, dass es bis heute keine gültige Genehmigung für die dauerhafte Lagerung des Atommülls gibt. Dazu müsste zunächst einmal die Langzeitsicherheit des Endlagers bewiesen werden. Dies wird auch eine der Hauptherausforderungen für das BfS werden. Denn wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass der Müll dort für Jahrtausende bis Jahrmillionen sicher gelagert werden kann - und das ist so gut wie unmöglich - muss er wieder raus. Da das politisch nicht gewollt ist, gibt es schon diverse Untersuchungen, wie der Müll behandelt werden kann, damit er trotz der Instabilität der Grube, der Wasserzuflüsse und der Unüberschaubarkeit des Bergwerks dort bleiben kann.
Jetzt geht es also ans Eingemachte. Die Anti-AKW-Bewegung forderte schon Anfang der 1990er Jahre nicht nur den Einlagerungsstopp, sondern auch die Rückholung des Atommülls aus der unsicheren Anlage. Doch gelang zeitweise die Befriedung des Widerstands, als auf weitere Einlagerungen verzichtet worden war. Jetzt ist es wichtig, für die Öffentlichkeit klar herauszustellen, dass die Konsequenz aus dem Wissen um die Gefahren des ERAM - nämlich den Müll wieder zu entfernen - gezogen werden muss. Das ist den meisten EntscheidungsträgerInnen gewiss sehr unlieb. Aber logisch: wieso sollte das ERAM für den bereits eingelagerten Atommüll sicherer sein, als für den, der aus Sicherheitsgründen nicht mehr eingelagert wird? Klar ist, dass die Rückholung des Atommülls jede Menge neue Probleme (denn auch außerhalb Morslebens gibt es keine sichere Entsorgung) bringen wird. Aber schlechtere Bedingungen als in dem sumpfenden Atomklo sind kaum noch vorstellbar.

Neuer Widerstand
Dieses in der Öffentlichkeit bewusst zu machen, ist das Anliegen der Menschen, die sich jetzt wieder gegen die Atommüll-Lagerung in Morsleben engagieren. Die Greenkids Magdeburg recherchieren Hintergrundmaterialien, im März findet ein Seminar zum Atommüll-Endlager Morsleben statt, im September startet eine Wanderausstellung etc. Was es an Aktionen und gemeinsamer Arbeit geben kann, soll auf dem Vernetzungsseminar besprochen werden.
Das Morsleben-Seminar ist zweigeteilt: es gibt einen inhaltlichen Teil, der am Samstag, den 20. März läuft und in dessen Rahmen ein Vertreter des BfS, Bürgermeister der Region und VertreterInnen von Umweltgruppen und kritische Wissenschaftler ihre Einschätzungen zur Sicherheit, dem Sinn und Zweck der Beteiligung am Planfeststellungsverfahren, der Stimmung in der Region etc. ab. Von Samstag Abend bis Sonntag geht es dann um Ideensammlung für Aktivitäten, Vernetzung und Informationsaustausch. Das Seminar wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung bezahlt und die Teilnahme (vegane und ökologische Vollverpflegung, Übernachtung mit Schlafsäcken und Isomatten vor Ort) kostet daher nur 10 bzw. 5 Euro. Trotzdem ist eine vorherige Anmeldung unbedingt erforderlich. Am besten telefonisch unter bei dem Landesbüro der Stiftung unter 0391-568760.
Informationen zum Seminar, dem ERAM und den Aktivitäten in diesem Zusammenhang sind unter 01 62-860 89 49 oder per Mail an morsleben[at]greenkids.de zu bekommen.
Außerdem gibt es eine provisorische Internetseite unter http://www.morsleben.de.vu/ und einen E-Mail-Newsletter, der auf dieser Seite abonniert werden kann. Weitere Informationen zur Kampagne und zum ERAM folgen in den nächsten Wochen.

Quellen
1: Bundesarchiv DF10/258, Akte "Abfälle/Endlager": "Information über die Inbetriebnahme des zentralen Endlagers für radioaktive Abfälle der DDR"
2: Rep P13 SED-BL Magdeburg, Nr. IV/C-2/6/465, Blatt 8 und 9: "Information über das "Zentrale Endlager Grube Bartensleben" (ZEGB)" vom 1.11.1972
3: Greenpeace e.V., 09/2003: "Der Fall Morsleben. Ein Atommüll-Endlager bröckelt!"
4: Ebel, K.: "Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM)"
(Auch Grundlage für nicht extra gekennzeichnete Daten in diesem Artikel)

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Ergänzungen

http://de.indymedia.org//2003/12/70897.shtml

x 08.03.2004 - 09:31
Earlier report in English.

besuch im kernforschungsinstitut karlsruhe

ein gestern gestorbener 08.03.2004 - 23:22
letzten do und fr stattete ich o.g. institut einen besuch ab; basierend auf mitarbeiterinfos lagern in der dort ansäßigen waa noch immer 70 tonnen flüssiger, hochradioaktiver atommüll. die waa ist ua mit wällen und gräben gg (linke(sic)) panzer (auch sic) gesichert, die schleuse besitzt ein system aus drähten, um falls (zitat) "ein panzer durch den wald kommt", diesen in einem ring aus spanischen reitern einzukeilen, die sich über eben dieses drähtesystem aktivieren. kranke sachen gibts. angestellt sind dort sowohl gewöhnliche atomkraftgegner (die arbeiten an der kernfusion) als auch fundamentalistische befürworter, besonders die, die den ersten reaktor deutschlands, den fr2 von anfang an begleiten durften/mussten, der die keimzelle für die gesamte anlage war. inzwischen sind dort auch int. behörden aus dem bereich der strahlen"sicherheit" usw angesiedelt. nur mal so zur info.