40 Jahre Piratensender in England (Audio)

Jenz Steiner 07.03.2004 00:00 Themen: Freiräume Kultur Medien Netactivism
Piratensender haben in England eine vierzigjährige Geschichte. Diese beginnt mit Seesendern wie Radio Caroline. Anfang der Achtziger Jahre gründeten sich in den Schwarzenvierteln Londons illegale Reggae-Sender. Diesen Folgten Sender wie Kiss FM, der 1990 zu einer kommerziellen, internationalen Black-Music-Radiokette mutierte. Durch House, Techno und HipHop gab es in den späten 80ern einen neuen Schub der Radopiratierie in London. Ein Weiterer folgte 1992/93 mit vielen kleinen Drum 'n' Bass, Garage-, Hardcore- und Hip Hop-Sendern.
Audiobeitrag (weiterer Link zum Audio, falls der Obige nicht funktioniert)
Länge: 3 min
Format: mp3
Grösse: 1,5 MB
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Dieser Audiobeitrag wird in der kommenden Woche auch im (temporären) berliner freien Radio reboot.fm gesendet: bei Ready 2 Rock am Dienstag ab 16.00 und bei Indymedia-Radio am Mittwoch ab 12.00 Uhr.


Piratensender gehören zu England wie Fish'n'Chips.Der Begriff Piratensender wurde in den Sechzigern durch die Offshore Seesender auf Schiffen geprägt, die in der neutralen Zone vor der Atlantikküste vor Anker lagen. Die Programme waren werbefinanziert und spielten in erster Linie Rock. Musiksendungen mit harter Rock Musik hatten keinen Platz im Londoner Bush-House, dem Hauptsitz der öffentlich- rechtlichen, konservativen BBC. Musiker wie die Rolling Stones hatten eigene Sendungen und gaben Konzerte auf den Seepiratensendern. Das erste Seeradio für England war Radio Caroline. Dessen Programm startete vor genau 40 Jahren, zu Ostern 1964. Einer der Radio DJ's die diesen Seesender mitgeprägt hatten, war Tony Blackburn. Der damals 21jährige hatte noch gar keine Radioerfahrung und wollte ursprünglich Sänger werden.



Tony Blackburn im schwimmenden Studio von Radio Caroline

O-Töne von Tony Blackburn hier.

Radio Caroline war ein voller Erfolg. Es folgten verschiedene Nachahmer:
Radio London,
Radio City (Fotos vom Sender),
Radio Scotland und
Radio England.



Von dieser künstlichen Insel vor der britischen Küste sendete Radio City

Bis in die frühen siebziger Jahre lagen die Radioschiffe in einer rechtlichen Grauzone vor Anker. Doch neue, härtere Rundfunkgesetze trieben die Seesender in den Tod. Das Hauptanliegen der Radiomatrosen war Redefreiheit und in erster Linie die Freiheit, die Musik im Radio zu hören, die man mag.



Studio von JFM

Nach einer langen Pause bildeten sich in den Schwarzenvierteln englischer Grossstädte wie London kleine Sender wie LWR, Solar und JFM.

"We are from the streets.
We know exactly what the people want.
People talk to us and
we communicate with them."
Zitat von DJ Herbie von Radio Invicta
aus dem Jahr 1982.



Aufkleber von Radio Invicta

1985 gründete George Eracleous den Piratensender Kiss FM (Real Audio). Die bekannteste Sendung war The Original Rare Groove Show von Norman Jay. Mehr als eine halbe Millionen Meschen hörten jedes Wochenende Kiss.



Altes Logo vom Piratensender Kiss FM

Nachdem Kiss FM anfang der Neunziger legalisiert wurde und zu einer internationalen Radiokette im Black Music Format mutierte, kehrten DJs wie Trevor Nelson, Norman Jay, Steve Jackson und Danny Rampling Kiss FM den Rücken und gingen zu anderen Radiopiraten oder zu Radio One, der Heimat vom Tim Westwood.
1988 wurde ein Gesetz erlassen, dass alle Piratensender zwang, den Betrieb einzustellen. Doch weiter ging es trotzdem, ob mit oder ohne Gesetz.

1992/93 explodierte die Radiopiratenszene in London mit dem Aufkommen von Drum 'n' Bass, Jungle und Garage. Zu den bekanntesten Vertretern aus dieser Zeit gehören Rush 92.6 FM, Kool, Dream und Freek FM. Viele Klubs streamen die Sets der DJs über die Sender live on air und mittlerweile auch über das Internet.
Die neue House-, Techno- und Hip-Hop-Welle brachte auch neue Stationen mit sich. Diese neuen Hardcore- Garage- und HipHop-Sender trugen Namen wie Centre force, Dance FM oder fantasy 98.1.Zwischen 80 und 100 Stationen sind allein in London zu jeder Tageszeit in Betrieb. Über 1000 Ermittlungsverfahren liefen allein im Jahr 2002 gegen Piratensender. 39 Stationen flogen auf. Meist wurde deren Equipment beschlagnahmt. In der Regel wird eine Strafe von 430 Pfund erhoben. (Stand 2001). Die Rundfunküberwachung in England übernimmt die RA, eine Abteilung des Department of Trade and Industry (DTI). Diese propagiert, dass die Piratensender eine Gefahr für die Sicherheit darstellen würden und bezieht sich dabei auf ein Beispiel aus dem Jahr 2002. Ein Sender soll sechs Stunden lang den Funkverkehr des Flughafens Heathrow gestört haben.
Die Zukunft der Radiopiraten ist ungewiss. Ein Live on air-Programm, dass man im Autoradio hören kann, ist noch immer genauso attraktiv wie ein Internetstream. Über die Zukunft von Digitalradio kann man nur Prognosen wagen. Weitergehen wird es auf jeden Fall. Ein Bedarf für freie Radios und freie Radiomacher besteht.



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Ergänzungen

Film über Piratensender in Glasgow

ab 07.03.2004 - 00:23
"Bedroom Radio" ist ein 42 min langer Dokumentar- Film über einen Piratensender in Glasgow und das soziale Umfeld.

Für mehr Informationen:
 http://www.indymedia.org.uk/en/regions/scotland/2004/02/285959.html

oder contact Autonomi TV, die auch eine kurze 7 min Zusammenfassung über sehr diverse Piratenradios für Channel4 gemacht haben.
Der Film ist gerade erst raus, also wenn ihr Filmshows verantstaltet etc. würden sich die Filmemacher sehr freuen, wenn ihr an dem Film interessiert seid.

 http://www.autonomi.tv

Italien: Piraten-TV

Mac 07.03.2004 - 04:39
In Italien gibt es eine sehr fetten Piraten-Szene. Neben unzähligen Piratenradios gibt es eine große Piraten-TV-Szene. Da die Medien in Italien fast alle in der Hand der Rechten sind und die dortigen Aktivisten wesentlich offener, undogmatischer, experimentierfreudiger, moderner, usw als hierzulande sind, gibt es dort sehr viele Medienaktivisten. Auch in Italien gibt es immer strengere Gesetze gegen freie Medien. Dennoch ist diese Medienbewegung auch dort nicht totzukriegen... und schliesslich kostet die Technik für einen TV-Sender nicht mehr als 100 Euro. :-)

priatenradio london

fat 07.03.2004 - 12:31
es ist natürlich eine attraktive sache, mit verhältnismässig geringer sendeleistung eine region mit rund 10 millionen einwohnern abzudecken.
dies hat natürlich auch dazu geführt, das heute hinter gewissen musiksendern weniger die lust aufs freie senden als handfeste komerzielle interessen stehen, wobei klubs und plattenfirmen oftmals einen sehr guten draht zu den betreibern haben.

wie auch immer: bei einem londonbesuch lohnt es sich, vor allem abends, mal am sendenknopf zu drehen.

sehr empfehlenswert, quasi die deutschsprachige bibel des priatenradios: "was sie schon immer über priatenradios wissen wollten, aber nie zu fragen wagten". leider ist dieses buch schon lange vergriffen. wer es trotzdem in die hände kriegt erfährt vor allem zu den politischen piratenradios in europa einiges. dazu gibts noch eine sendebauanleitung.
$beschreibung:
aus webarchive org (leider ist diese seite nicht mehr online)
 http://web.archive.org/web/20020803020901/www.senderbau.de/start.html

eine sehr umfangreiche linkliste zum thema priatenradio gibts hier:
 http://members.tripod.com/~transmitters/links.htm