Arbeit und DDR- beides ziemliche Sch...

Anne 24.02.2004 19:25 Themen: Soziale Kämpfe
Proletariar aller Länder vereinigt Euch und hört auf zu arbeiten
und
DDR-was war sozialistisch, was nur repressiv-eine Bestandsaufnahme
Proletarier aller Länder vereinigt Euch und hört auf zu arbeiten

Ich gebe es zu, ein Teil der Linken ist für mich ein Horrorszenario. Immer wieder treffe ich auf arbeiterbewegte ML-Kader oder GewerkschafterInnen, die das Hohelied auf die Arbeit singen. Ich bin es leid, über das Wort Arbeitszwang diskutieren zu müssen, das Wort ist für mich selbstverständlich und auch der Kampf dagegen. Wo liegen die Wurzeln dafür? Wahrscheinlich bereits in einer abweichenden Biographie in der DDR.

Arbeitszwang und Arbeitsverweigerung in der DDR

Die Abgrenzung war klar, dort die Funktionäre und die angepaßte Normalbevölkerung, die die Arbeit verehrten, aber oftmals nur Arbeit simulierten, und dort die AußenseiterInnen, für die der größte Protestakt (neben dem Ausreiseantrag) die Arbeitsverweigerung war, wenn auch meistens nur vorübergehend, denn Arbeitsfähige erhielten keine Lohnersatzleistungen. Ja, es gab Arbeitslosigkeit in der DDR und Arbeitsverweigerung gehörte zum subkulturellen Leben. Das hatte mehrere Gründe:
- Wer in der DDR abweichendes Verhalten zeigte, hatte schlechte Bildungs- und Karriere-chancen. Es waren häufig Arbeiterkinder, die in den 80er Jahren kaum Studienchancen hatten (10% der StudentInnen waren Arbeiterkinder, jede/r 2. StudentIn war 1989 Akademikerkind), und/oder StudienabbrecherInnen, die sich in diesen abweichenden Zusammenhängen bewegten. Entsprechend sahen auch die Beschäftigungsfelder aus, in der fordistischen Industriegesellschaft DDR war die Arbeit oftmals entfremdet, Alternativprojekte gab es dort kaum. Unzufriedenheit mit dem Ausbildungsberuf und der Arbeit waren bei den AußenseiterInnen die Regel.
- Ein weiterer Grund war die Zwangskollektivierung in der DDR. Die Arbeitskollektive wirkten nicht nur integrierend, sie waren auch Kontrollinstanzen. Sich der Integration in Arbeitskollektiven in der DDR zu entziehen, bedeutete, sich der sozialen Kontrolle im Arbeitssystem zu verweigern. Die Verweigerungspraxis, insbesondere von einer Minderheit der großstädtischen Jugend in den 80er Jahren, erfolgte durch den Wechsel der Arbeitsverhältnisse im unteren Beschäftigungssegment, durch individualisierte Arbeitsplätze (z.B. Pförtner, Heizer), durch Tätigkeiten im 2. Arbeitssystem ("Pauschalarbeiten" ohne Arbeitsvertrag) und durch Herstellung und Verkauf von Schmuck, Keramik, Kleidung etc. auf Märkten und sonstwo illegal.
- Und es war ein Kampf für Freiräume, ähnlich wie heimlich Wohnungen besetzt wurden, versuchte man gegen die Arbeitspflicht zu verstoßen. Das war ein Drahtseilakt, denn es gab in der DDR ein "Asozialen"gesetz. Dabei hatten die Herrschenden in der DDR haargenau aus einem Gesetzentwurf gegen gemeinschaftswidriges Verhalten von 1944 abgeschrieben, das "Asozialen"gesetz wurde 1968 eingeführt und Langhaarige wanderten scharenweise in die Knäste. Im § 249 "Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten" hieß es u.a.: "Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft." In den 80er Jahren erfolgte die Kriminalisierung von Nichtarbeit zumeist "nur" noch schichtspezifisch, betroffen waren vor allem Heimkinder, AlkoholikerInnen und SchuldnerInnen. Aber auch Punks waren gefährdet.
In der DDR von Arbeitszwang zu reden, war also nicht schwer.

Und immer noch fordern sie Arbeitszwang

Um so gruseliger wird es, wenn sogenannte heutige Sozialisten den Arbeitszwang fordern. Ich zitiere stellvertretend: "Eine Übergangsgesellschaft zum kommunistischen Gemeinwesen wird nicht an der Notwendigkeit vorbeikommen, dass zu Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens gearbeitet werden muss. Es besteht, um dieses schreckliche Wort zu verwenden, allgemeiner 'Arbeitszwang'." (Arbeitermacht)
Anstatt an Arbeitszwang zu denken und mittels Repression diesen durchzusetzen, sollte man sich Gedanken machen, wie man Arbeit von den Zwängen befreit und die Menschen im Sozialismus oder Kommunismus gern an ihre Arbeit oder besser Tätigkeiten gehen. Befreiung in und von der Arbeit sollten das Ziel sein, eine gerechte Verteilung unangenehmer schwerer gesellschaftlich notwendiger Arbeit und eine gerechte Entlohnung.

Und dann auch noch das Hohelied der Arbeit im Kapitalismus zu singen, erscheint mir höchst gefährlich. Warum?

Erpressbarkeit der Erwerbslosen - Ausgrenzung oder Erwerbsarbeit
Wir leben in einer Überflußgesellschaft, permanent werden überflüssige Produkte hergestellt und überflüssige Arbeitskräfte aussortiert. Obwohl Vollbeschäftigung Illusion ist, wird den Arbeitslosen Faulheit vorgeworfen. Das Kapital kritisiert die Arbeitslosen, sie seien nicht rentabel genug, sie passen sich nicht dem technischen Fortschritt an, sie hätten ein zu hohes Besitzstandsdenken und eine zu hohe Anspruchsmentalität. All das ist irrsinnig, denn jede/r weiß, es gibt nicht genügend Arbeitsplätze. Was wird damit bezweckt? Die Erwerbslosen sollen die Schuld bei sich selbst suchen, sie sollen der Arbeit nachlaufen und sich zu geringen Löhnen verkaufen, auch wenn sie damit ihrer Existenz schaden. Das Betteln um neue Arbeitsplätze, wie es Gewerkschafter und einige Linke tun, ist erniedrigend und kläglich.

Erpressbarkeit der Erwerbstätigen - Prekarisierung und Flexibilisierung der Erwerbsarbeit

Nicht nur die Erwerbslosigkeit nimmt zu, sondern auch die Erwerbsarbeit verändert sich. Normalarbeitsplätze werden in prekäre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt, Minijobs, Scheinselbständigkeit, Leiharbeit. Der Druck auf die Normalarbeitsverhältnisse wächst und auch der Streß in der Arbeit nimmt zu. Soziologen sprechen von Entgrenzung der Arbeit, die sich in zweierlei ausdrückt, in der Flexibilisierung und Selbstorganisation (oftmals pure Selbstausbeutung). Das alte Kommandosystem wird durch neue Managementmethoden ersetzt. Der Manager tritt zur Seite und konfrontiert die Beschäftigten direkt mit dem Markt. Das Prinzip lautet: "Macht was ihr wollt, aber seid profitabel." Nicht nur der Konkurrenzkampf um Arbeit, sondern auch in der Arbeit nimmt zu. Und nicht nur die Arbeitsbedingungen sind zu hinterfragen, sondern auch die Arbeitsinhalte. "Der Kapitalismus lebt davon, dass Menschen unzufrieden bleiben und z.T. sehr unsinnige Arbeiten tun, die nicht vernünftig begründbar sind. Das ist ein Teufelskreis: Je weniger die Arbeit befriedigt, desto mehr muß konsumniert werden, und je mehr konsumiert werden muss, um so mehr unsinnige Arbeit muss getan werden." (Anne Reichmann) Nicht der Sinn, die Befriedrigung menschlicher Bedürfnisse oder die gesellschaftliche Notwendigkeit stehen dabei im Mittelpunkt, sondern meistens der Profit. Der Mensch wird zur Ware Arbeitskraft, die gekauft und verkauft wird. Im Buch "Feierabend" wird daher vereinfacht: "Ohne Arbeit kein Kapital...Wer gegen das Kapital ist, muß gegen die Arbeit sein."

Arbeitslosigkeit und Arbeitseifer sind 2 Seiten einer Medaille.

"Die Angehörigen der Arbeitselite können sich nicht mehr allgemein für gesellschaftlich nützlich halten. Denn sie erzeugen Reichtum und Arbeitslosigkeit in ein und demselben Akt. Je größer ihre Produktivität und ihr Arbeitseifer, desto stärker wachsen die Arbeitslosigkeit, die Armut, die Ungleichheit, die soziale Ausgrenzung und die Profitrate." (Andre Gorz) Sie verfestigen ihre eigene Unterwerfung, erhöhen Konkurrenz- und Leistungsdruck, machen die Beschäftigungsverhältnisse immer prekärer und "...die Herrschaft des Kapitals über die Arbeiter und über die Gesellschaft immer unwiderstehlicher." (Andre Gorz)

Drangsalierung durch den Staat

Aber nicht nur die Arbeitslosigkeit und das Verhältnis Kapital - Arbeit sind das Problem, sondern auch der Staat, der die Erwerbslosen mit den unsinnigsten Maßnahmen drangsaliert. "Heute scheut der Staat keine Kosten, damit Hunderttausende in absonderlichen 'Trainingswerkstätten' oder 'Beschäftigungsfirmen' die verschwundene Arbeit simulieren und sich fit für reguläre 'Arbeitsplätze' machen, die sie nie erhalten werden. Immer neue und dümmere 'Maßnahmen' werden erfunden, nur um den Schein zu wahren, daß die leerlaufende gesellschaftliche Tretmühle bis in alle Ewigkeit in Gang bleiben kann." (Manifest gegen die Arbeit)

Was hat das nun aber alles mit der Arbeiterbewegung zu tun?

Dazu zitiere ich noch einige schlaue Leute, denn es ist bereits alles gesagt. Schon Paul Lafargue schrieb "Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder...Es ist die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht." Und Erich Ribolts : "Der endgültige Schritt zur Installierung der 'Ideologie der Arbeit' wurde allerdings durch die Arbeiterbewegung vollzogen. Sie hat- in einer beispiellosen Überhöhung der Ideologie ihrer Unterdrücker - den geknechteten und unterdrückten Arbeiter zum Heroen der Geschichte und die entfremdete Arbeit zum Hohelied des Industriezeitalters umgedeutet." Und Franz Schandl :"Die Arbeit ist zur Religion der Arbeiterbewegung geworden... Für einen sicheren Job, ja für eine Stelle überhaupt, ja selbst schon für die Taglöhnerei ist man bereit, unzählige Demütigungen hinzunehmen. Hauptsache Arbeit. Die Arbeiterbewegung wurde so zur Bewegung zum Kampf für die Arbeit. Das ist sie heute noch - zumindest was von ihr übrig geblieben ist." Und Andre Gorz : "Jede Massenkundgebung, jedes Plakat, die proklamieren 'Wir wollen Arbeit', verkünden zugleich den Sieg des Kapitals über eine Menschheit von unterworfenen Arbeitnehmern, die keine mehr sind, jedoch auch nichts anderes zu sein vermögen."

Was kann die Linke aber tun?

Wie wäre es als Ausweg mit dem Recht auf Faulheit? Aber selbst die Glücklichen Arbeitslosen geben zu: "Genießen kann die Faulheit nur, wer durch Kapital abgesichert ist." (Guillaume Paoli) Und trotzdem, im "Manifest gegen die Arbeit" heißt es: "Eine Wiedergeburt radikaler Kapitalismuskritik setzt den kategorialen Bruch mit der Arbeit voraus." Nicht um Arbeitsplätze sollte gekämpft werden, sondern um die Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. "Politisches Ziel kann es nicht sein, um neue Lohnarbeitsverhältnisse zu kämpfen, sondern Bedingungen des Lebens, die freies, nicht entfremdetes Tun ermöglichen."(Ribolts)

Weg mit dem Arbeitsgötzen!

Ich gebe es zu, ich bin 41 und habe das erste Mal in meinem Leben eine selbstbestimmte Erwerbsarbeit, die mir Spaß macht und das nur für ein Jahr befristet. Sollte ich deshalb ein Hohelied auf die Arbeit singen? Ich denke nicht dran, es gibt keinen Grund. Der Arbeitsgötze hat ausgedient. Ich brauche keine Erwerbsarbeit, um sinnvoll tätig zu sein. Durch das Nadelöhr der Verwertung will ich nicht gehen und es ist genug zu tun, um eine lebenswerte Gesellschaft zu gestalten. Aber ich brauche mehr Geld, denn die Zukunft verheißt: Armut mit oder ohne Job. Für eine Entkopplung von Arbeit und Einkommen! Laßt uns für eine Umverteilung von oben nach unten kämpfen! Weg mit dem Kapitalismus, denn solange er existiert, lassen sich die Probleme nicht lösen!

Andre Gorz, Arbeit zwischen Misere und Utopie, Suhrkamp 2000
Robert Kurz, Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hg.), Feierabend, Konkret Verlag 1999
Gruppe Krisis, Manifest gegen die Arbeit, Eigenverlag 1999
Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit
Guillaume Paoli (Hg.), Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche, Edition Tiamat 2002
Erich Ribolits, Arbeit macht nicht frei,  http://coforum.de/index.php4?Arbeit%20macht%20nicht%20frei!
Claudia Lenz, Waltraud Waidelich, Elisabeth von Dücker, Anne Reichmann (Hg.) Hauptsache Arbeit? Was wird..., VSA Verlag Hamburg 2001
(Aus dem Themenschwerpunkt Anders arbeiten der Contraste Februar 2004)

Weitere Infos zum Thema Arbeit und Sozialabbau: www.andersarbeiten.de
Terminhinweise:

Wochenendseminar am 27./28.2. im Mehringhof

Planschmiede gemeinsam gegen Sozialkahlschlag:

Wir, die Initiative Anders Arbeiten oder gar nicht, planen ein Wochenendseminar zur Vernetzung von AktivistInnen, die sich mit der aktuellen Entwicklung der Arbeitsgesellschaft und dem Widerstand gegen den Sozialabbau beschäftigen.
Die Massenerwerbslosigkeit wird für die Betroffenen immer bedrohlicher.
Der aktivierende Sozialstaat führt vor allem zu einem verstärkten Druck auf die Erwerbslosen bis hin zu massiven Eingriffen in individuelle Lebensentwürfe.
Dieser harte und in Wirklichkeit eben gerade nicht aktivierende sondern ausgrenzende Umgang mit den Erwerbslosen hat Auswirkungen auf die Beschäftigten: sie werden immer erpressbarer und verzichten auf Rechte und Freiheiten.

Dieser Entwicklung wollen wir etwas entgegensetzen. Aktionen und Projekte sollen entwickelt werden.


Freitag, d.27.2. 19-22 Uhr im Versammlungsraum Mehringhof

Analyse der Arbeitsgesellschaft
mit Inputs
Kritik der autoritären Arbeitsgesellschaft
Veränderungen durch Hartz und Agenda 2010
Berichte aus der Beratungspraxis

Samstag, d. 28.2. 11-18 Uhr in der SFE Mehringhof

Projekte, Alternativen, Widerstand-wie weiter in Berlin?

Am Samstag nutzen wir die Dialogform des "Open Space".
Hier kommen Menschen und Ideen zusammen, um reale Projekte entstehen zu lassen oder weiter zu entwicklen. Kreativität, Spontaneität und Engagement der TeilnehmerInnen sind gefragt und können sich entfalten. Ihr selbst bestimmt den Verlauf und die Ergebnisse des Tages.

mit ersten Aktionsvorschlägen
Alternativen zur Repressanda
Stadtteilgenossenschaft Schöneberg
Erwerbsloseninitiative Piquetero

Interessierte sind herzlich eingeladen !!!

Nächstes Plenum von Anders arbeiten oder gar nicht:
am Dienstag, d. 9.3. um 19.30 Uhr in der SFE im Mehringhof, Gneisenaustr.2a, Berlin-Kreuzberg
Referat : Das Konzept der "kiezbezogenen politischen Selbsthilfe" als mögliche Antwort der GeringverdienerInnen und Erwerblosen auf die Zumutungen der rotgrün- und rotrot-regierten Ausgrenzungsprozesse.
Das obige Konzept, das derzeit ein wenig in die Treffen einer Selbsthilfegruppe im Crelle-Kiez einfließt, will unter dem Gesichtspunkt der Selbstbehauptung der Armen drei Orientierungen vereinigen:
Erstens die Orientierung auf wirtschaftliche Selbsthilfe; d.h. auf das tagtägliche Überleben der Armen nach dem Tag X (1.1.2005/ Zusammenlegung von Sozial-und Arbeitslosenhilfe)
Zweitens die Orientierung auf die unmittelbaren umwelträumlichen Rahmenbedingungen dieses alltäglichen Überlebenskampfes.
Drittens die Orientierung auf eine grundstürzende Änderung der Spielregeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und -arbeitens.


"Die DDR - was war sozialistisch, was nur repressiv"- eine Bestandsaufnahme
Das Referat wurde auszugsweise am 22.1.04 in einem autonomen Seminar an der Humboldt-Uni gehalten.

Es begann m.E. in der SBZ und DDR mit den richtigen Schritten, der Entnazifizierung und der Enteignung von Naziverbrechern und Großkonzernen, der Bodenreform. Die DDR hat es gewagt, das Prinzip der Heiligkeit des Privateigentums anzutasten. Natürlich ist auch dabei einiges schiefgelaufen, eine wirkliche Aneignung fand nicht statt, statt einer Vergesellschaftung wurde eine Verstaatlichung durchgeführt, aber die 40er und 50er Jahre sollen nicht mein Thema sein. Ich kenne die 80er Jahre in der DDR und möchte mich auch darauf beziehen. Es gibt natürlich viel Negatives zu berichten, die Repression und Staatsgewalt waren allumfassend, die positiven Dinge sind oftmals zu differenzieren.

Beginnen möchte ich mit der Sozialpolitik. Fragt man DDR-BürgerInnen nach den sozialen Errungenschaften der DDR, so wird man folgendes hören:
das Recht auf Arbeit, kostenloser Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem, niedrige subventionierte Warenpreise des täglichen Lebens, der Miete und der Preise von öffentlichen Verkehrsmitteln, Erwerbstätigkeit der Frauen, Familienförderung, Recht auf Wohnraum, Sozialpolitik in den Betrieben: Die Betriebe erfüllten auf zahlreichen Gebieten von Kindergärten und -krippen über die Altenbetreuung und das Wohnungswesen bis zu den betrieblichen Polikliniken und Ferieneinrichtungen eine wichtige Dienstleistungsfunktion.

Natürlich muß man aber die Sozialpolitik in der DDR differenzieren.
Neben einem Recht auf Arbeit gab es auch eine Pflicht zur Arbeit und eine Kriminalisierung von sogenannten Arbeitsscheuen. Die Sozialpolitik war stark auf Arbeit ausgerichtet, die DDR Wohlfahrts-und Arbeitsstaat zugleich, Sozialpolitik häufig an die Arbeit in Betrieben gekoppelt. Arbeitsfähige erhielten keine Lohnersatzleistungen. Neben der leistungsunabhängigen Grundversorgung waren weite Teile des Sozialrechts in die Sphäre der Erwerbsarbeit verlagert. Es gab zwar eine Vollbeschäftigungspolitik in der DDR, aber auch verdeckte Arbeitslosigkeit in den Betrieben. "Schlechte Arbeitsmoral" und "Schlamperei" waren häufig an der Tagesordnung, "Schlendrian" wird von Westseite den DDR-ArbeiterInnen vorgeworfen. Ein Leistungsprinzip existierte nicht. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung. (Bakunin) Oder. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. (Kropotkin) Das ist hier die Frage. Für mich ein "Knackpunkt" in der DDR. Kropotkins Motto ist mir zwar sympathischer, aber der Wunsch war in der DDR unmöglich. Gleichzeitig wirkte das fehlende Leistungsprinzip und der damit einhergehende fehlende Konkurrenzdruck befreiend, zugleich wurde aber alles von oben verordnet. Postiv war die Verbindung von Arbeit und Leben, Arbeit war in das normale Leben integriert, man ging einkaufen, machte zusammen einen Kaffeeklatsch, verbrachte auch seine Freizeit mit Arbeitskollegen. Streß in der Arbeit kam selten vor, Arbeits-und Pausenzeiten wurden häufig selbst bestimmt. Der Umgang der Chefs mit ihren ArbeiterInnen war oft locker. Die DDR-FachbearbeiterInnen erschienen selbstbewußt, Angst vor Arbeitslosigkeit kannten sie nicht. Jeder/m DDR-BürgerIn wurde der Respekt vor körperlicher Arbeit anerzogen. Schwere körperliche Arbeit in der Großbetrieben war häufig besser bezahlt als geistige Arbeit, die Lohndifferenzen insgesamt gering. 1988 soll das durchschnittliche monatliche Bruttoeinkommen der vollbeschäftigten ArbeiterInnen und Angestellten der sozialistischen Wirtschaft bei 1269 Mark gelegen haben. (Das erscheint mir sehr viel.) Die Betriebe hatten im Leben der einzelnen Arbeitnehmer in der DDR einen großen Stellenwert. Zu nennen sind ein Betriebsgesundheitswesen, Werksverpflegung, Kinderbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten und sonstige Dienstleistungen. Die Arbeitskollektive spielten eine große Rolle, sie wirkten nicht nur integrierend, sondern auch kontrollierend. Immer mehr abweichende Jugendliche versuchten, sich diesem Kontrollsystem zu entziehen. Es gab Arbeitslose in der DDR und wenn auch nur vorübergehend.

Auch das Gesundheitswesen muß differenziert betrachtet werden. Dem kostenlosen Zugang zum staatlichen Gesundheitswesens stand eine schlechte medizinische Ausstattung entgegen. Auch der Gleichheitsgrundsatz wurde durchbrochen, es gab 14 privilegierte Systeme. Die Präventionspolitik funktionierte mit Kontrollen und Androhung von Strafen, dem "Bummelantentum" wurde der Kampf angesagt. Auch die Gesundheitspolitik war arbeitszentriert. Die Beiträge zur Sozialversicherung fielen so gering aus, daß die Mehrausgaben des Gesundheitswesens den Staatshaushalt belasteten.

Unproduktive Alte, die zwar Reisefreiheit hatten, lebten in der DDR häufig in Armut, meistens Frauen. Die Mindestrente betrug 300-370 Mark. Neben der Einheitsversicherung gab es eine Freiwillige Zusatzrentenversicherung. Es gab 4 Sonder- und 27 Zusatzsysteme, damit wurden vor allem Funktionäre und qualifizierte Erwerbstätige umworben.

Dagegen wurde in der DDR die Familie gefördert. Die DDR-Familienpolitik seit Beginn der Honecker-Ära war mütterzentriert, Alleinerziehende unterstützte man besonders. Am Ende der DDR hatte jedes 3. neugeborene Kind eine unverheiratete Mutter. Scheidung war in der DDR leicht möglich, aufgrund der Arbeitspflicht gab es kaum gegenseitige Unterhaltszahlungen. Die Frauen-und Familienförderung beschränkte sich auf Mütterförderung. Eine Freiheit der Wahl zwischen Mutterschaft und Erwerbstätigkeit bestand in der Regel nicht. 90% der Frauen hatten mindestens 1 Kind, ca.91% der Frauen waren erwerbstätig.

Jeder DDR-Bürger hatte das Recht auf Wohnraum. Offiziell gab es keine Obdachlosen, einige kurzzeitige Fälle waren mir aber bekannt. Selbst Straffällige und Alkoholiker hatten in der DDR eine Wohnung. Die Mieten waren billig, der bürokratische Aufwand gering und die Anforderungen der zumeist kommunalen Vermieter niedrig. Mit Honecker setzte eine neue Ära der Wohnungsbaupolitik ein. Das war ein Kernstück der Sozialpolitik. Während Plattenbausiedlungen wuchsen, verfiel der Altbaubestand. Die Mieten der Altbauwohnungen wurden in der DDR auf dem Niveau von 1936 eingefroren. Viele bezahlten nicht einmal die billigen Mieten, die die Kosten nicht abdeckten und so war der Zustand der Häuser zumeist schlecht. Und auch die staatliche Wohnraumlenkung war ein schwerfälliger Apparat, viele warteten jahrelang auf eine Wohnung. Die Wohnungssubstanz verfiel, die DDR saß auf einem Pulverfaß, denn eine Wohnungsnot kündigte sich an bzw. war schon da. Aufgrund der Wohnungsnot besetzten gerade Jugendliche in Großstädten, vor allem in Ostberlin, heimlich Wohnungen. Das wurde vom Staat geduldet, solange es nicht eine konspirative Stasiwohnung war. (Später kamen die großen HausbesetzerInnen aus dem Westen...Und der Kampf ums Eigentum begann.)

Durch die hohe Erwerbsquote und die Preissubventionen der Grundbedürfnisse wurde die Zahl der Empfänger materieller Fürsorge niedrig gehalten. In den 80er Jahren stiegen die Fälle von Gefährdung Jugendlicher, durch die Zunahme der Ehescheidungen, der Alleinerziehenden und des Alkoholmißbrauches.

Die Sozialpolitik der DDR hatte einen ambivalenten Charakter, einerseits gab es eine Grundversorgung, wozu sogar Bildung und Kultur gehörten, andererseits ein ausgefeiltes Belohnungssystem, wie Prämien, Feiern, Orden etc. Mit Honecker beschleunigte sich die Sozialpolitik, mit der sozialen Sicherheit begann auch der Rückzug ins Private, die Konsumorientierung wuchs. Soziale Sicherheit und Konsumgesellschaft waren in diesem Wirtschaftssystem nicht realisierbar, bei dieser geringen Arbeitsproduktivität und dem schlechten technischen Stand. Aber die soziale Sicherheit in der DDR hatte ein befreiendes Moment.

Was mich in der DDR störte, war 1. die eingefahrene Normalbiograpie, alles war vorstrukturiert von der Wiege bis zur Barre, und 2. die Spießigkeit und Kleinbürgerlichkeit, die 50er Jahre der BRD waren hier konserviert, der kleine Wohlstand stellte sich ein.

In der typischen DDR-Familie mittleren Alters von 1989 hatten beide Eltern eine abgeschlossene Berufsausbildung, beide waren vollzeiterwerbstätig, die Fünftagewoche zählte 43 3/4 Arbeitsstunden (für Frauen von 2 Kindern unter 16 Jahren 40 Stunden). Die Familie bewohnte eine kleine Wohnung mit geringem Komfort, mit Warmwasserversorgung, ohne Telefon. Die Einrichtung war mit einem zinsbaren Ehekredit von maximal 7000 Mark finanziert worden. Von diesem Kredit wurden bei der Geburt des ersten Kindes 1000 Mark erlassen- das entsprach 1989 einem durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienst. Beim 2. Kind waren es 1500 Mark und beim dritten 2500 Mark. Damit hatte man die Wohnungseinrichtung bald "abgekindert". Ein weiteres Motiv, Kinder zu bekommen, war, daß bei der Wohnraumvergabe Familien mit Kindern bevorzugt wurden.

Wie sah aber nun die Zukunft der Kinder aus? Seit 1986 gab es auch für das 1. Kind ein Babyjahr, die Mütter durften zu Hause bleiben. 90% der Frauen hatten mindestens 1 Kind. Frühe Berufstätigkeit, Heirat und Elternschaft waren Normalität in der DDR. Das Heiratsalter lag Ende der 80er Jahre bei 22,7 (Frauen) bzw. 24,8 Jahren (Männer). Die generative Phase der Frauen war zwischen dem 19. und 25. Lebensjahr.

ische Staat sorgte dafür, daß jeder seinen Platz im Sozialismus finden werde. Kinder und Jugendliche in der DDR sollten eine bewußte Berufswahl treffen, d.h. das Ziel war die Übereinstimmung von Berufswunsch und gesellschaftlichen Erfordernissen (Arbeitskräftebedarf). Diese Art der Berufslenkung führte oft zur Arbeitsunzufriedenheit und einer schlechten Arbeitsmoral. Seit Ende der 70er Jahre bestand ein Widerspruch zwischen den Arbeitsinhalten in der Produktion und dem wachsenden Qualifikationsniveau der ArbeiterInnen. 1988 hätten 40% der Tätigkeiten in der Produktion lediglich ungelernte ArbeiterInnen erfordert, es gab aber nur noch 10% ohne Berufsabschluß. Die Bedeutung der Arbeitskollektive stieg in de 80er Jahren und wurde zum wesentlichen Faktor für die Arbeitsorientierung der DDR-Bevölkerung. Die Mobilität der Berufstätigen war gering. Und so ging es mit sozialistischem Gang bis zur Rente.

Aber nicht alle hatten in der DDR diese Normalbiograpie, es gab auch Randgruppen. Da waren einmal die Altersarmen, meistens Frauen, die am Rande der Gesellschaft lebten. Dann existierte eine soziale Randschicht. Die Randständigkeit verfestigte sich durch Heimerziehung, Kriminalisierung, Alkoholismus etc. Diese soziale Unterschicht stand unter permanenter Kontrolle, war ständigen Auflagen, Arbeitsplatzbindung etc. ausgesetzt. Schließlich existierte auch eine Subkultur, sie war Ausdruck der freiwilligen Verweigerung von Jugendlichen. Und AusreiseantragstellerInnen waren potentielle Staatsfeinde. Problemgruppen waren Psychiatriebetroffene und AlkoholikerInnen.

Obwohl diese Randschichten existierten, waren doch die Einkommensunterschiede zur Normalbevölkerung nicht so groß. Der Unterschied zur heutigen Gesellschaft bestand in der DDR natürlich in einer viel geringeren Spaltung der Gesellschaft.

Durch die geringen Miet-und Lebenshaltungskosten, die sich am unteren Einkommensniveau orientierten, kannten DDR-BürgerInnen keinen Existenzdruck. Um diese Sozialpolitik zu finanzieren, wurden aber Kredite im nichtsozialistischen Ausland aufgenommen, denn die Ausgaben für die Sozialpolitik deckte sich nicht mit der Wirtschaftskraft und Arbeitsproduktivität. Und auch mit dem Bewußtsein der Menschen stand es nicht zum Besten. So wurden Lebensmittel verschwendet, Brot z.B. an Tiere verfüttert. Oft sah die Umwelt ziemlich "verwahrlost" aus, denn die DDR war ein autoritärer Staat, in dem die "sozialistischen" Menschen nicht die Verantwortung für das Volkseigentum, das ihnen ja auch nicht wirklich gehörte, übernahmen. Kaum traten viele DDR-BürgerInnen vor ihre Haustür, endete das Verantwortungsbewußtsein. Das Erscheinungsbild der DDR sah ziemlich ärmlich aus. (Im blitzblanken Kontrast zu manchen westdeutschen Gegenden ließ es sich aber in der DDR besser "durchatmen". Nicht alles ordentlich und sauber, aalglatt, nicht so perfektionistisch, alles das hatte auch Scham.)

Es gab zwar Armut, aber nicht diesen unermeßlichen Reichtum. Die Einkommensspanne war nicht groß, Lohnunterschiede gering. Auch der sozial-psychische Abstand zwischen den verschiedenen sozialen Schichten war viel kleiner.

Westliche Kritik an der DDR ist oft die Gleichmacherei, denn Menschen sind verschieden. M.E. sollte es auch nicht um Gleichheit im Sinne von Unterdrückung der Individualität und Zwangskollektivierung gehen, sondern um Chancengleichheit, keine Unterdrückung der Chancen anderer, freie Entfaltung der Persönlichkeit und ähnlichem. Mit den Entfaltungsmöglichkeiten sah es auch in der DDR häufig schlecht aus. Im Realsozialismus ging es um Machtgefälle, und heute zweitens um Ausbeutungsverhältnisse. Auch hier ist für mich ein "Knackpunkt". Was ist eigentlich soziale Gleichheit?

Auch in der DDR bestand keine wirkliche soziale Gleichheit. Es bestanden soziale Differenzierungen, die möchte ich am Konsum, Geld, der Bildung und Milieus /Schichten darstellen.

Grundsatz in der DDR war die Preisstabilität. Auch das Preissystem stellte sich als Ausdruck der Sozialpolitik dar. Aber auch bei den Preisen gab es eine soziale Differenzierung. Während bestimmte Warengruppen hochsubventioniert waren, wurden andere künstlich verteuert und als Luxusgüter angesehen. Lobenswert war, daß sich viele Preise an den Bedarfen der einkommensschwächtsten Bevölkerungsgruppen orientierten. Wohnen, Ernährung, Verkehr, Kultur und Bildung wurden durch staatliche Subventionen niedrig gehalten. Für wenig Geld war viel zu haben. Aber gerade bei den gehobenen Konsumgütern kann von einer schleichenden Preiserhöhung gesprochen werden, Autos, Waschmaschinen, Fernseher, Kühlschränke, überhaupt technische Geräte etc. waren teuer. Auch ansonsten war eine Zwei-Klassen-Struktur von Waren zu beobachten. In den 60er Jahren wurden die Läden Exquisit und Delikat eröffnet. Dort gab es modische Kleidung und hochwertige Lebensmittel zu hohen Preisen. Der Kaufkraftüberhang sollte abgeschöpft werden. Das Geld war so in der DDR im Umlauf, Sparguthaben wurden aufgebraucht. Durch die unterschiedlichen Konsummöglichkeiten bildeten sich in der DDR sozio-kulturelle Unterschiede heraus.

Die DDR begann sich aber auch nach dem Besitz von Westgeld sozial zu unterscheiden. Es bildete sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft heraus. In der Ladenkette Intershop und dem Versandhandel Genex konnte man in der DDR besonders attraktive Waren für Westgeld kaufen. Legitimiert wurde das durch die Devisennot der DDR.

Nun zu den Bildungsunterschieden. Trotz staatlicher Kindererziehung blieb der schichtspezifische Einfluß der Familie groß. Es bestand ein Zusammenhang zwischen familiärer Herkunft und Bildungschancen. Die Schule erfüllte auch in der DDR Selektionsfunktionen. Einerseits gab es Bildungsbarrieren. Der Zugang zu weiterführenden Schulen war beschränkt. 10-12% eines Schülerjahrganges durfte diese besuchen. Jeweils 2 Schüler einer Klasse wurden zur EOS delegiert. Andererseits verließen 1988 48% der Abiturienten die Schule mit dem Prädikat "Auszeichnung" und "Sehr gut". 78% aller Abgänger der 10.Klasse Auszeichnung bis gut. Danach wurde weiter selektiert und gelenkt. Die Aufstiegschancen für Kinder aus unteren Schichten sahen nach 40 Jahren DDR schlecht aus. Waren noch 1958 53% der Studenten Arbeiterkinder, so sind es 1989 ganze 7-10%. Während ca.10% der Schulkinder die 8.Klasse der POS beendeten, machten 90% den Abschluß der 10.Klasse. 1985 besuchten ca.10% eine EOS, 10% eine Fachschule, 5% absolvierten eine Berufsausbildung mit Abitur und ca. 65% eine Lehre. Gerade das Bildungssystem der DDR muß man generationsspezifisch betrachten. In der Nachkriegsphase setzte in der ehemaligen DDR eine Phase hoher sozialer Mobilität ein, große Bevölkerungsteile stiegen sozial auf. Es erfolgte eine "Umschichtung nach oben" durch die Öffnung der Hochschulen für die Kinder der Arbeiterschaft. 1958 waren 53% der Studenten Arbeiterkinder. Ab den 60er Jahren nahm die soziale Ungleichheit der Bildungschancen wieder kontinuierlich zu. 1960 studierten nur 19% der Kinder aus der Intelligenz, 1989 war dagegen jeder 2.Student ein Akademikerkind. Es wird von Erstarrungs-und Schließungstendenzen in den letzten 2 Jahrzehnten des Bestehens der DDR gesprochen. Der Mobilisierung der Arbeiterkinder folgte die Selbstrekrutierung der sozialistischen Dienstklassen. Wer im 60er Jahrgang eine berechtigte Chance auf eine Berufskarriere in einer Dienstklasse haben wollte, der mußte die Herkunft aus der Dienstklasse vorweisen und sich vor allem systemloyal zeigen.

Systemloyalität wurde zur wichtigen Bedingung sozialer Mobilität in der DDR. Die politischen Ressourcen wurden "weitervererbt".

Soziologen entdeckten Milieus und Schichten in der DDR. Wurde zunächst von einer Arbeiter-und Bauernklasse sowie der Intelligenz gesprochen, so kam es in den 80er Jahren in der DDR zu einem Wertewandel und einer Differenzierung von Lebenslagen. Es bildeten sich auch in der DDR moderne Lebenswelten, trotzdem dominierten die traditionellen Lebenswelten. 2/3 gehörten diesen Milieus an. Mit 27% war das traditions-verwurzelte Arbeiter-und Bauernmilieu die größte Lebenswelt in Ostdeutschland.
Das kleinbürgerlich-materialistische Milieu stellte mit 23% das zweitgrößte Milieu. Außerdem existierte das hedoistische Arbeitermilieu, das subkulturelle Milieu, das links-intellektuell-alterative Milieu (die letzten beide zusammen 12%, betraf m.E. höchstens die Großstädte), das bürgerlich-humanistische Milieu, das status-und karriereorientierte Milieu, das rationalistisch-technokratische Milieu und das traditionslose Arbeitermilieu. Geißler differenziert die ehemalige DDR-Bevölkerung nach Schichten. Die Machtelite, die Selbständigen, Dienstleistungsschicht (untere und mittlere Angestellte, sozialistische Intelligenz, sozialistische Dienstklasse), Arbeiterschicht, Randschicht seien Mindestrentner gewesen. Und er vergißt die unterste soziale Schicht in der DDR.

Aber selbst diese Unterschiede waren nicht das Gravierende in der DDR, denn es gab für keine Bevölkerungsgruppe einen Existenz- oder Konkurrenzdruck. Geld war kein bzw. kaum ein Thema. Es herrschte kein Konsumterror. Die DDR war keine Wegwerfgesellschaft, die Produkte wurden gehegt und gepflegt. Aber es herrschte Mangel.

Dem Mangel standen andererseits Ladenhüter entgegen, z.B. unmodische Kleidung. Mangel gab es bei Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, 1000 kleinen Dingen, für Autos gab es Bestellisten usw. Diese Mangelwirtschaft war ein wichtiger Grund, warum der Sozialismus in der DDR scheiterte. Wichtigste Ursache dafür ist die Zentralisierung. Aber auch hier ist für mich ein wichtiger "Knackpunkt". Schuld am Scheitern des Realsozialismus wird fast immer dem Versagen der Planwirtschaft gegeben. Aber mit was für einem Wirtschaftssystem soll der Sozialismus aufgebaut werden? Im Markt wird es immer Konkurrenz und Profitstreben geben, das ist tödlich für jede freie Gesellschaft. Positiv in der DDR war ja gerade, daß es keine Marktwirtschaft gab. Statt Zentralisierung hätten es dezentrale Strukturen sein müssen. Selbstverwaltung, Selbstorganisation, dezentrale Bedürfnisproduktion. Produzenten und Konsumenten bestimmen selbst, was sie produzieren, wie sie produzieren und wie sie die Produkte verteilen. Es würde nur hergestellt, was gebraucht wird. Viele Dinge würden wegfallen, wie Rüstung, Werbung etc. Die Menschen könnten weniger arbeiten. Aber in dem politischen System, zudem ich jetzt komme, waren autonome Betriebe nicht möglich.

Denn nicht nur der Dauermangel war erdrückend, sondern auch die staatliche Repression.

Die Kinder der zumeist jungen Eltern wurden in der Regel nach dem 1.Lebensjahr wieder in staatlichen Institutionen betreut. Ca. 80% aller Kinder zwischen dem 1.und 3. Lebensjahr besuchten die Kinderkrippe, so daß beide Elternteile einer Berufstätigkeit nachgehen konnte, und der Staat sich gleichzeitig Einflußmöglichkeiten der frühkindlichen Erziehung sicherte. Die Normalbiographie von Kindern in der DDR war durch öffentliche Institutionen geprägt. 84% der Kinder unter 3 Jahren besuchten durchschnittlich 9 Stunden täglich eine Krippe, 95% der Kinder ganztags einen Kindergarten, 80% nach der Schule den Hort. Man schätzt, daß in der DDR 75% der mit dem Aufziehen von Kindern verbundenen Arbeiten und Kosten vom Staat getragen wurden. Für die Bundesrepublik veranschlagt man dafür weniger als 30%. Die Eltern wurden durch den Staat zum großen Teil ihrer Elternschaft entmündigt, die Kinder wurden frühzeitig an das Leben in staatlichen Kollektiven gewöhnt. In der Schule wurden die Kinder dann organisiert. 90% aller Kinder waren zunächst Jungpioniere, mit 10 Jahren Thälmannpioniere und mit 14 FDJ-Mitglieder. Kinder, die sich nicht einordnen konnten und überforderte Eltern hatten, liefen Gefahr, in Heimen untergebracht zu werden. Die "Normalfamilie", jede 3. Ehe wurde geschieden, 1/3 aller Kinder waren unehelich, entzog sich dagegen in den 80er Jahren zunehmend dem Einfluß des Staates, es erfolgte ein Rückzug ins Private. Man spricht auch von der Entwicklung einer Nischengesellschaft. Und kaum waren die Kinder erwachsen, gingen sie einer Arbeit nach, gründeten eine Familie, bekamen Kinder. Sie "marschierten im Gleichschritt" durch die staatliche Berufs-und Studienlenkung, durch die staatliche Wohnraumlenkung, die staatliche Lenkung der Betriebe usw. Der Staat breitete sich unerträglich in allen Winkeln aus. Die Normalbiographie in der DDR war vollkommen institutionalisiert, das zeitliche Timing und die chronologische Abfolge der Lebensverläufe waren stark normiert. Man kann von einem beschleunigten Lebenslauf sprechen, auffallend ist insbesondere die Beschleunigung der Übergänge vor allem für Hineinwachsende ins Erwachsenenleben. Der sozialistVon dieser Repression in der DDR hat jeder schon genügend gehört, denn von den Westmedien wurde dieses Thema genüßlich ausgebreitet. Interessant wird es an der Stelle, wenn man erkennt, wie Vergangenheitsaufarbeitung in Deutschland funktioniert. Die Stasi und SED wurden als Sündenböcke dargestellt, denn sie existieren in dieser Form nicht mehr. In dem Mammutwerk "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" finden sich 4 Bände zum SED-Staat, 3 zur Ideologie, 1 zum MfS und z.B. ganze 12 Seiten zur Volkspolizei in den 70er und 80er Jahren, zum Strafvollzug 11 Seiten und zur "Asozialen"politik nichts. Allein das Seitenzählen verrät die Ideologie, die dahintersteckt und welcher Repressionsapparat auch im Westen legitim ist. Vor allen Dingen sollte die DDR als Unrechtsstaat dargestellt werden, damit der "Rechtsstaat" mit sauberer Weste dasteht. Polizei, Abt.Inneres, Justiz, Strafvollzug- alle arbeiteten zu vollster Zufriedenheit der Herrschenden in der DDR. Und sie sollten zum größten Teil wieder integriert werden. Jene, die in der Abt. Inneres Ausreisewillige und "Asoziale" "betreut" hatten, wanderten oft in die Arbeitsämter ab. Die Volkspolizei wusch sich nach der Wende in Unschuld. Der personelle Bestand der Volkspolizei ist beinahe vollständig in den Beamtenstatus der bundesdeutschen Polizei übernommen worden. Nur die Berliner Polizei ist ein Ausnahmefall. Von 28000 Polizisten im Dienst gehörten 6000 einst der Volkspolizei an, die anderen wurden meistens nicht aus politischen Gründen, sondern wegen fachlicher Nichteignung nicht übernommen. Bei den BGSlern war der Grund für die Nichtübernahme häufig Fettleibigkeit. Bei der Justiz traten zwar hochrangige Funktionäre zurück, aber Staatsanwälte und Richter, die ausschieden, ließen sich oftmals als Rechtsanwälte nieder. DDR-BürgerInnen, die die besten Beziehungen hatten und wer hatte das schon, "flüchteten" in den öffentlichen Dienst. Während die ältere Genertion in den Vorruhestand abwanderte, besetzten ihre Kinder (Bildungsprivilegien!) die Posten, natürlich oftmals unter Westvorgesetzten. Und auch in den entstehenden sozialen Diensten fanden viele Unterschlupf.
Als ich Mitte der 90er Jahre in der Straffälligenhilfe in Ostberlin mein Praktikum machte, mußte ich feststellen, daß viele aus der Abt. Inneres kamen, die Leiterin Knastpsychologin in Brandenburg gewesen war, und mir schließlich anhören: "Asoziale seien selber schuld." Aufarbeitung gleich Null, sie wuschen ihre Hände in Unschuld.

Um die Repression darzustellen, möchte ich die beiden Gruppen Ausreisewillige und Opposition herausgreifen. (Wobei die Trennung so oftmals nicht möglich ist.)

Es ist schon seltsam, in der Ära Honecker erfolgte ein massiver Ausbau des Repressionsapparates und das politische Strafrecht wurde verschärft, aber die Härte der Repression ließ nach. Die Strafmaße und Haftzeiten der politischen Gefangenen wurden immer kürzer, aber die Repression immer allumfassender. Immer weniger Flüchtlinge wurden an der Grenze festgenommen, immer mehr an den Heimatorten. Zu den Überwachungs-und Kontrollorganen zählten neben dem Politbüro und dem Nationalen Verteidigungsrat, die Räte der Bezirke und Kreise, die Deutsche Volkspolizei, die Transportpolizei, das MfS, die freiwilligen Polizeihelfer und Hausbuchbeauftragten. Der MfS-Apparat wurde massiv ausgebaut. Waren es 1971 noch 45 000 hauptamtliche Beschäftigte, so 1989 ca. 91 000 Mitarbeiter. Dazu kamen noch 174 000 Spitzel. Was taten diese Leute eigentlich?

1. Die Zersetzung und Überwachung der sogenannten DDR-Opposition.
2. Kriminalisierung von Ausreisewilligen

Zu 1. Die Gesprächsgruppen in den Kirchen wurden ausspioniert, Aktenberge erwuchsen daraus. Opposition in der DDR gab es vor allem vor den Westkameras. Einzig im Winter 1983/84 erfolgte eine Verhaftungswelle, um die Friedensbewegung zu unterdrücken. 1984 entledigte man sich durch eine Ausreisewelle des kritischen Potentials. Danach nahm die strafrechtliche Verfolgung von sogenannten Oppositionellen rapide ab. Was tat die sogenannte Opposition eigentlich? In kirchlichen Räumen wurde geschwätzt, wohlwissend daß diese Kreise mit Spitzeln durchsetzt waren. Die Opposition bediente sich legalistischer Methoden, sie beriefen sich auf internationale Rechtsnormen. Und auch die Themen waren nicht geeignet, um Widerstand in der DDR zu befördern. Frieden war schon durch die DDR-Führung besetzt, Umweltschutz, von den Grünen abgekupfert, war in der DDR eigentlich kein Thema. So konnten sie in der DDR keine Massen mobilisieren. Zudem wurde versucht, die Oppositionellen über den innerkirchlichen Einfluß zu entpolitisieren. Stichwort Theologisierung der Oppositionellen. Viele kamen allerdings auch aus einem kirchlichen Milieu, auffallend viele Pfarrerskinder wurden sogenannte Oppositionelle. Während der eigentliche Widerstand der Oppositionellen gering war, wuchs die eigene Bedeutung durch die dicken Akten. Durch "systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufs", "die systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge" und das "Erzeugen von Mißtrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen" wurde die Opposition zersetzt.
Das Ergebnis ist, daß kaum "Oppostionelle" im Knast saßen, andererseits aber über dicke Stasiakten verfügten, obwohl sie kaum Widerstand geleistet haben. Von ihnen ist auch heute nichts mehr zu hören.

Zu 2. Die Anfang der 70er Jahre einsetzende Entspannungspolitik mobilisierte die potentiell Widerständigen im Osten. Mit dem Bekanntwerden der KSZE-Schlußakte wuchs die Zahl der Ausreisewilligen um 70%. Zwischen 1977 und 1989 stieg die Zahl der Ausreisewilligen auf über 125000, obwohl 170 000 ausreisen konnten. Viele Antragsteller nahmen bewußt eine Haftstrafe in Kauf, um schneller in den Westen zu gelangen. Ab 1978 richteten sich jährlich 73 bis 87% aller MfS-Verfahren gegen Ausreiseantragsteller und Flüchtlinge. So entwickelte sich das Ganze zu einem Spiel. Die Ausreiseantragsteller verstießen gegen Gesetze (ungesetzlicher Grenzübertritt, öffentliche Herabwürdigung, staatsfeindliche Hetze, Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit etc.), um im Knast dann freigekauft zu werden. Der Verkauf war für die DDR ein lohnendes Geschäft, im Laufe der Jahre kamen so 3,5 Mrd. DM in die leeren Kassen. So wurde dieser individuelle politische Widerstand in der DDR durch den Freikauf der politischen Gefangenen oftmals erst provoziert. Die Ausreisewilligen wanderten in den harten Ostknast mit der Hoffnung der Übersiedlung, die DDR konnte durch die Devisen u.a. die Sozialpolitik finanzieren und der Westen stand als moralischer Gewinner da. Die Übersiedler paßten sich an oder gingen unter, auch von ihnen ist nicht mehr viel zu hören.

Repressiv war auch die Militarisierung in der DDR. Nach dem Mauerbau kam die Wehrpflicht. 1982 wurde ein neues Wehrdienstgesetz erlassen, das die Militarisierung der DDR forcierte. Neuer Bestandteil waren sog. vorbereitende Maßnahmen. In den 80er Jahren hatten viele Rekruten bereits vormilitärische Kenntnisse, es gab die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und es wurde der Wehrkundeunterricht in der Schule eingeführt. Aber auch das gesamte öffentliche Leben in der DDR unterlag einer umfassenden Militarisierung. Es begann mit Pionieruniformen und Fahnenappellen, bei der FDJ mit Blauhemden und Fakelumzügen, später bei der Arbeit mit Orden und Medaillen, bei Staatsfeiertagen mit militärischen Aufmärschen und Stechschritt. Das Repressivste und Militärischste in der DDR war allerdings die Mauer mit ihren Grenzanlagen. Stolz verkündeten DDR-Oppositionelle "Wir bleiben hier." Es gibt Knackies, die sich den Knast wieder wünschen, wegen der "sozialen Sicherheit". Aber wieweit muß der Freiheitsdrang unterdrückt sein, um sich lebenslang in Mauern einzurichten.

Um zu wissen, wie es in der DDR war, ist m.E. auch wichtig das Leben von Frauen und Ausländern in der DDR zu beleuchten.

Die Frauenfrage wurde in der DDR als Teil der sozialen Frage betrachtet. In den 70er und 80er Jahren rückte man die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in das Zentrum der Politik, die berufstätige Mutti wurde der Maßstab. Vieles ist auch im Nachhinein als positiv zu bewerten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft war möglich durch die genügend vorhandenen Kinderbetreuungseinrichtungen, die Frauen waren oft gut ausgebildet, sozial abgesichert und vom Mann wirtschaftlich unabhängig. Alleinerziehende genoßen Vergünstigungen. Es gab ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Trotz alledem würde ich nicht von Gleichberechtigung sprechen. Die Hauptverantwortung für die Reproduktionsarbeit lag bei den Müttern. Für Karrierefrauen gab es eine Dreifachbelastung, denn politische Arbeit war auch noch erforderlich. Aber Frauen saßen selten in den Zentralen der Macht, überall waren ihnen die 2. Plätze zugewiesen. Frauen verdienten ca. 25-30% weniger als Männer. Sie besetzen meistens traditionelle Frauenberufe, oftmals wurden sie unter ihrem Qualifikationsniveau eingesetzt. Die Strukturen der Arbeitswelt waren patriarchal, wie auch die gesamte Gesellschaft. Im Alter lebten Frauen häufig in Armut. Frauen übernahmen auch die traditionelle Rollenverteilung. Die Emanzipation wurde von oben verordnet, in der Realität sah es oftmals anders aus. Die geschlechtsspezifische Sozialisation bestand weiter fort. Auch die Qualität der staatlichen Kinderbetreuung, die zur Entlastung der Frauen führte, ist zu hinterfragen. Die Sozialpolitik war nur auf die Mütter und die Kernfamilie orientiert, nicht eheliche Lebensgemeinschaften wurden ignoriert. Die Illusion der Gleichberechtigung in der DDR wird immer noch von vielen Ostfrauen hochgehalten, angesichts ihrer heutigen Situation.

Zu den Ausländern. Ständig redeten die Funktionäre in der DDR von Internationalismus, aber es gab kaum Ausländer im Land. 1989 lebten in der DDR 192 000 Ausländer. Die DDR war nie ein offenes Aufnahmeland, besonders 1985/86 wurden Arbeitskräfte aus Afrika, Kuba, Vietnam angeworben. Die Arbeits-und Aufenthaltsdauer betrug 2-5 Jahre, eine Verlängerung war meistens nicht möglich, Familien wurden nicht zusammengeführt, Schwangere abgeschoben. Die Ausländer lebten oft ghettoisiert in Ausländerwohnheimen. Die Hausordnungen glichen Gefängnisordnungen. Zwischen 1985 und 1988 kam es zu einer Verdreifachung ausländischer Arbeitskräfte. Der Wirtschaftsfaktor Arbeitskraft bildete die einzige Grundlage der Ausländerpolitik der DDR. Der sogenannte Internationalismus und die inszenierten Freundschaftsrituale standen den Fremdheitserfahrungen der Bevölkerung gegenüber. Diese Fremdheitserfahrungen waren aber nur ein Grund für die rechtsextremen Progrome nach der Wende. Autoritäre Erfahrungen in der DDR, keine wirkliche Vergangenheitsaufarbeitung sondern verordneter Antifaschismus, Nationalismus, Antisemitismus, Militarisierung sind Ursachen für diese Tendenzen, die noch in der DDR zu suchen sind. Aber auch die sozio-ökonomischen Enttäuschungserfahrungen nach der "Wende" haben fremdenfeindliche Aggressionen geprägt. Doch hauptsächlich hat die westdeutsche Politik mit der mehrjährigen Asyldebatte Schuld an diesen rechtsextremen Tendenzen gehabt. Diese Asyldebatte wurde vor allem durch die Medien angestachelt. Das Boot ist voll, hieß es.

Zum Schluß noch etwas zur Rolle der Medien in der DDR.
Die Medien in der DDR waren Herrschaftsinstrument der SED. Tages-und Wochenzeitungen durften nur von Parteien oder den von der SED gelenkten Massenorganisationen herausgegeben werden durften. So die "Junge Welt" als Organ des Zentralrates der FDJ, die "Tribüne" als Organ des FDGB-Bundesvorstandes, das "Neue Deutschland" als SED-Zentralorgan. Es gab 39 Tageszeitungen, davon waren 17 Organe der SED. Das Zentralorgan "Neues Deutschland", die "Berliner Zeitung", die "BZ am Abend" und die 14 SED-Bezirkszeitungen unterlagen der direkten Anleitung durch den Parteiapparat. Persönliche Eingriffe der Generalsekretäre Ulbricht und Honecker beim ND waren keine Seltenheit. Unterstützt wurden sie dabei von dem jeweiligen ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda, der ZK-Abteilung Agitation und der Agitationskommission beim Politbüro. Das Ministerium für Staatssicherheit sorgte vorrangig für die "politisch-operative" Sicherung der Redaktionen, Druckereien und Verlage durch den Einsatz von Inoffiziellen Mitarbeitern. Die "Schere im Kopf" war das wichtigste Arbeitsinstrument der JournalistInnen in der DDR. Und die LeserInnen lasen zwischen den Zeilen. Es gab 2 Programme des DDR-Fernsehens, Agitation wurde vor allem in der Aktuellen Kamera und dem Schwarzen Kanal betrieben. Eine größere Rolle bei der Manipulation der DDR-BürgerInnen spielte allerdings das Westfernsehen.
Die/er FernsehzuschauerIn in der DDR mußte das Wissen über die tatsächlichen Vorgänge in seinem Land aus persönlich Erlebtem, vorwiegend politisch manipulierter Information der DDR-Medien und der Berichterstattung des Westfernsehens zusammenstellen. Die Politik im Westen hatte den Wunsch, das Informationsmonopol des DDR-Fernsehens zu brechen. In den 80er Jahren berichteten vor allem Kontraste und Kennzeichen D über die DDR. Die DDR-Bevölkerung war der Propaganda aus Ost und West ausgesetzt. Außer den Systemloyalen glaubte die Mehrheit der DDR-Bevölkerung dem Westfernsehen, dieses spielte bei der Weckung von Konsumbedürfnissen und bei der Meinungsbildung eine große Rolle, insbesondere auch seit Sommer 1989 und der Flüchtlingswelle über Ungarn. Die DDR-Opposition setzte gezielt westliche Medien für ihre Zwecke ein. Das Westfernsehen ließ vermuten, die DDR-Opposition sei erstarkt. Ständig wurden Fliehende im Ausland und Verprügelte im Inland gezeigt. Der Unmut gegenüber der DDR-Regierung wuchs. Insgesamt kann festgestellt werden, daß das Westfernsehen für die Ereignisse im Herbst 1989 und natürlich bis zur Vereinigung von großer Bedeutung war. Bilder von angeblich leicht zu überschreitenden Grenzanlagen, das Nennen von Fristen, bis wann die Fluchtwege zur Verfügung ständen, die freundliche Aufnahme in der Bundesrepublik, freudestrahlende Flüchtlinge in der BRD und eine rosig geschilderte Situation des Arbeitsmarktes beseitigten etliche Bedenken, die viele DDR-BürgerInnen noch an der Flucht hinderten. Westliche Medien versuchten nun immer öfter, Personen der Opposition als Hoffnungsträger zu präsentieren. Die Westreporter vermittelten, der Protest werde immer stärker, die Zahl der Flüchtlinge und Demonstranten immer höher. Ereignisse und Westmedienberichte waren eng aneinander gekoppelt. Und sie konnten von der DDR-Opposition gut zu der nächsten Autorität Helmut Kohl umschwenken. Kohl winkte mit der D-Mark, und um die angeblich sozialistischen Menschen war es geschehen. Damit war die Vereinigung geboren und das Ende der DDR besiegelt. Die Westmedien haben dazu einen herausragenden Beitrag geleistet und konnten mit der Gleichschaltung in Richtung Neoliberalismus fortfahren.

Letzte Frage ist, warum diese Nostalgie?
Die DDR-BürgerInnen kannten keine Existenzangst, mit der sie heute zu kämpfen haben. Aber auch in der DDR gab es Angst, Angst vor der Stasi, Angst vor Repression, oftmals wurde dies aber im Alltagsleben verdrängt. Und die innere Zensur funktionierte, privat oder öffentlich, es wurde unterschiedlich geredet. Die Masse paßte sich an. Die Ängste von damals sind vergessen. Und es ist das Gefühl, daß die Gesellschaft und die Menschen solidarischer waren. Dem widerspricht das ausgeprägte Spitzelwesen, die Solidarität war oft aus dem Mangel geboren und mit der "Wende" brach sie sofort zusammen. Denn es war ein autoritäres System, in dem sie gelebt hatten. Aber zu einer autoritären Gesellschaft gehören autoritätsgläubige Menschen. Hier befindet sich mein letzter "Knackpunkt". Wie soll ein sozialistisches Menschenbild geprägt werden? Wieweit müssen sich die Menschen ändern, um überhaupt etwas verändern und eine neue bessere Gesellschaft gestalten zu können? Und wo beginnen? Mit einer anderen Erziehung und natürlich einer starken Gegenöffentlichkeit in den Medien? Ein weiter Weg.

Man sollte die Erfahrungen in den realsozialistischen Ländern nutzen. Aber trotzdem glaube ich, muß man den Sozialismus ganz neu denken.

In den Jahren ohne die DDR und ohne Mauer hat sich mein DDR-Bild verbessert, ich möchte nicht von Beschönigung oder Nostalgie sprechen. Ich bin verständnisvoller geworden. Hoffnung auf eine Veränderung des Realsozialismus in der DDR hatte ich jedoch nie.
Zu starr lag das System bereits am Boden. Die zentralistische Planwirtschaft hatte versagt und mit den "sozialistischen Menschen" war kein Aufbau eines wirklichen Sozialismus mehr möglich. Als anarchistischer Mensch wurde man quasi vom Staat erdrückt, allumfassend war die Staatsgewalt.

Und war für viele Linke nach der "Wende" die PDS noch ein Hoffnungsträger, Mitläufer waren ausgetreten, hat sich meine Befürchtung doch bestätigt. Anpassung, Machtgier, Opportunismus- nichts anderes habe ich von der DDR-Elite erwartet. Wie oft haben sich DDR-Sozialisierte schon mißbrauchen lassen? Normalbürger, Oppositionelle, Ausreisewillige, Sozialisten...

Mich hat die Zeit im Neoliberalismus gelehrt, daß es neben dem Kapitalismus mit seiner Raffgier und Profitsucht für einen Sozialismus in einem oder wenigen Ländern keine Chance gibt. Schon gar nicht in Zeiten der Globalisierung. Aber eine andere Welt ist möglich.

Planung für das nächste Semester des autonomen Seminars am SOWI der Humboldt-Uni Berlin:
Mittwoch, d.3.3. und Donnerstag, d.4.3. um 18 Uhr in der Dorotheenstr.24 (Hegelbau, R 318)
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen