Arbeit

Holger Witzenleiter 24.02.2004 15:23 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Eine kleine Studie zum Thema Arbeit, zusammengefasst aus Artikeln aus der Le monde diplomatique, dem Contraste und diversen Büchern.
Die Zukunft der Arbeit
Arbeit - keine Arbeit
 Der.Holger@attglobal.net

1 Einleitung: Positionen zur Arbeit

Das mittelalterliche Handwerk teilte den Tag in zwei Hälften. Vor der ausgiebigen Mittagspause wurde 3 Stunden gearbeitet, nach den Schäferstündchen nochmals 3 Stunden. Im antiken Griechenland war die Arbeit Sklavensache, einem freien Bürger unwürdig. Der Apostel Paulus schrieb ca. 500 Jahre später in seinem Brief an die Thessaloniker hingegen: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!" Karl Marx wollte mit seinem Lebenswerk die Welt den Bauern und Arbeitern zu Füßen legen. So groß war seine Achtung vor der Arbeit mit Hammer und Sichel, während sein Schwiegersohn Paul Laforgues vor nunmehr 100 Jahren sein Pamphlet "Das Recht auf Faulheit" schrieb.

Die Arbeit für sich ist, wie ich erläutern möchte, ein Mythos, ein Wert für sich und aus sich. Sie ist unabhängig vom politischen System, denn das System lebt von der Arbeit als Grundlage. Das die Arbeit richtig und gut ist, ist Volksglaube. Nicht nur im Land der Schwaben sagt man, "von nichts kommt nichts!", und dabei ist das gar nicht so unrichtig: Ist es doch die evolutionäre Entwicklung der Arbeit, die uns von der Nutzung eines Knochens als Knüppel bis in unser hochtechnisiertes Zeitalter getragen hat. In diesem Zeitalter, in dem die erfundenen Maschinen und Instrumente menschliche Arbeit mehr und mehr ersetzen, fragen wir uns nach dem Sinn des Arbeitens und des Schaffens.

Die Anarchistische Pogo Partei Deutschlands (APPD) schrieb einst: "Arbeit ist scheiße!" auf ihre Wahlplakate, - in altdeutscher Schrift, auf schwarzem Hintergrund. Nicht mal von den eigenen Wählerinnen und Wählern ernst genommen wird das angesprochene Thema Arbeit noch diskutiert werden, wenn es die Partei vermutlich längst nicht mehr gibt. Das die Intention des Wahlslogans nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, werden die Autoren des Buches "Die Kunst weniger zu arbeiten" Axel Braig und Ulrich Renz bestätigen. Sie plädieren gegen den Arbeitswahn unserer Gesellschaft und für den Müßiggang. Mit ihrer Internetz-Seite www.arbeitswahn.de wollen sie nicht nur ihr Buch verkaufen, sondern leisten mit ihrem Forum einen interessanten Beitrag zur Diskussion um die Bedeutung der Arbeit, zeigen nützliche Links und geben Hinweise für weitere Bücher. Auch die Berliner Gruppe "Die glücklichen Arbeitslosen" veröffentlichten im April 2002 ein Buch mit dem gleichnamigen Titel um die Arbeit in unserer Gesellschaft von ihrer Perspektive zu erläutern. Immerhin lag die Arbeitslosigkeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seit dem neoliberalen Gezeitenwechsel in den 1980ern bei durchschnittlich 10%. Der Spruch, "Wer arbeiten will, der findet schon was!" ist noch oft zu hören und untermauert damit die Ansicht, arbeiten müsse jeder Mensch, egal was. Auch Bill Clinton meinte, jeder Job sei besser als keiner! Meine griechischen Bekannten, Einwanderer aus den 1960ern zitieren immer wieder die Redensart, in Deutschland lebe man um zu arbeiten, in Griechenland arbeitet man um zu leben.

Die historischen und weltweiten Ansichten zum Thema Arbeit sind vielfältig. Ich persönlich habe lieber mehr Zeit und arbeite weniger, - womit ich vermutlich ganz dem Zeitgeist der breiten Masse entspreche. Zeit zu haben wird heute wieder eher als Lebensqualität gesehen, als Geld zu haben.

2 Definition und eigene Differenzierung des Begriffs Arbeit:

Für das Wort "Arbeit" gibt der DUDEN die Wortverwandten "große Anstrengung, Mühe und Plage "an; als Definitionen, die "Tätigkeit mit einzelnen Verrichtungen, Ausführung eines Auftrags". Jemand arbeitet, wenn er "Arbeit leistet, verrichtet oder tätig ist, und zwar sowohl körperlich, als auch geistig. Gearbeitet wird auch, wenn man beruflich tätig oder beschäftigt ist oder sich mit etwas befasst. Das vor allem im süddeutschen und schweizerischen Raum gebrauchte Wort "schaffen" bedeutet in seiner ersten Definition etwas "durch eigene schöpferische Leistung hervorbringen, schöpferisch gestalten. Seltener meint man mit "schaffen" auch hart und unermüdlich arbeiten, oder auch etwas zustande bringen, sprich etwas schaffen.

Ich möchte zwei Arten von Arbeit unterscheiden: Reproduktive (nachbildend, nachahmende) und produktive (hervorbringende, schaffende). Reproduktiv arbeiten, heißt gewohnte Tätigkeiten zu wiederholen um den Erhalt der Dinge zu gewährleisten. Produktiv arbeitet, wer durch seine eigene schöpferische Leistung etwas hervorbringt.

3 Funktion der Arbeit

3.1 Arbeit in der Natur

Zwei Beispiele aus der Natur fand ich zum Thema Arbeit in Gerhard Schönauer`s Buch "Aussteigen - aber wie?". Er schreibt darin, dass gerne mit den fleißigen Bienen oder Ameisen argumentiert wird. Diese allerdings verbrächten neben ihrer Nachtruhe noch die Hälfte des Tages damit, in ihrem Bau zu dösen und nichts zu tun. Neben der Insektenjagd oder der Brautschau sitzen Vögel den größten Teil des Tages auf einem Zweig herum um ganz "sinnlos" und zum puren Vergnügen zu zwitschern. Der König der Tiere, der Löwe, gehe nur alle paar Tage auf die Jagd und liegt den größten Teil des Tages faul im Schatten herum. Unseren Verwandten, den Affen, wenn sie sprechen könnten, wäre der Begriff der Arbeit völlig fremd, da sie die Früchte einfach pflücken und essen.
Das indogene Volk der Tasaday auf den Philippinen findet ebenso spielerisch und ohne große Mühe Nahrung im Dschungel. Ein amerikanischer Journalist beobachtete bei einem Besuch bei dem winzigen Volk, dass innerhalb von zwei Stunden zwei Männer so viel Eßbares gefunden hatten, dass sieben Menschen einen Tag lang gut und reichlich davon essen können. Die Wünsche und Bedürfnisse dieses Volkes erfüllen sich im Handumdrehen, wodurch ihnen viel Zeit für Muße bleibt, welche sie vertrödeln und verplaudern.

3.2 Arbeit ermöglicht die Befriedigung der Bedürfnisse

Und genau das stimmt in unserem System nicht mehr. Während die Menschen früher arbeiteten um ihr nacktes Überleben zu sichern, konnte schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte über den eigentlichen Bedarf hinaus produziert werden. Heute sind wir auf einer Stufe angelangt, auf der künstliche Bedürfnisse durch Werbung geweckt werden müssen, während die wahren Bedürfnisse möglichst unbefriedigt bleiben sollen. Nur wenn unsere wahren Bedürfnisse nach Harmonie, Gemeinschaft und Einklang unerfüllt bleiben, befriedigen wir weiter oberflächlich unsere künstlich geweckten, materiellen Bedürfnisse. Die Arbeit hat mit der Befriedigung von wahren Bedürfnissen nicht mehr viel zu tun. Sie ist viel mehr zum Instrument der Unterwerfung im dekadenten Buhlen der Menschen nach Teilhabe an den weltweiten Ressourcen geworden.

Erich Ribolits schreibt in seinem Artikel "Die Arbeit hoch ? - Diskussionen um eine Grundlage unserer Gesellschaft" im CONTRASTE vom Februar 2002, dass das Kräfteverhältnis von Arbeit und Kapital zugunsten des Kapitalbesitzes verschoben wurde. Diejenigen, die von Arbeit leben müssen, können an der Güter- und Leistungsfülle immer weniger teilhaben, während Kapitalbesitzer ein immer größeres Stück vom Kuchen bekommen. Der Gedanke das eine wirkliche Umgestaltung des Sozialstaates nur im Kampf gegen die Gewinn-Interessen einer nicht kleinen Anzahl von Kapitalbesitzern und vieler Millionen Kleinaktionäre durchgesetzt werden kann, lässt mich schaudern.

"Wenn Arbeit etwas Gutes wäre, hätten die Reichen sie nicht den Armen überlassen."

3.3 Arbeit definiert den Wert eines Menschen

Verschiedene Tätigkeiten werden verschieden bezahlt. Der Tausch von Arbeit gegen Geld ist Grundlage und Schlüssel zu beinahe allen Errungenschaften unserer Zivilisation. Dabei wird der Wert der Arbeit eines Menschen zum Wert des Menschen selbst. Arbeiten werden höchst unterschiedlich bezahlt.
Der Wert eines Menschen mißt sich an dem aus ihm zu pressenden Mehrwert. Ein Barbier auf der Straße von Neu Delhi erhält für eine Rasur, die 30 Minuten dauern kann, ungefähr 0,20 €. Bedienungen in amerikanischen Coffee Shops werden beinahe gar nicht bezahlt und leben oft nur vom Trinkgeld. Auch die zweite Kraft an einer Supermarktkasse, die Tüten bepackt und ins Auto trägt lebt dort von der Großzügigkeit der Kunden. In den meisten Ländern der Welt brauchen wenig gebildete Kräfte zwei oder drei Jobs um sich zu ernähren. Inzwischen betrifft die Arbeitslosigkeit in der BRD auch in zunehmendem Maße Fachhochschul- und Universitäts-Absolsventen. Eine Krankenschwester in Deutschland verdient mit Nachtschichten vielleicht 1.200,-€ netto, während die Gehälter von Managern Millionen (Telekom, Ron Sommer, Abfindung: 30 Millionen €) ausmachen. Die Gehälter der Topmanager von Daimler stiegen bei der Fusion mit Chrysler um 466%. Keine fadenscheinige Rechtfertigung solcher Einkommensunterschiede durch etwaige Bildung, Qualifikation und Verantwortung kann diese krassen Ungerechtigkeiten rechtfertigen. Die Ausmaße der globalen Ungleichheit sind mit denen von Kaisern und Königen gegenüber Untertanen und Leibeigenen vergleichbar. Die andauernde globale, aber auch nationale Ungleichheit und Ungerechtigkeit resultiert aus dem bewusstlosen Glauben der Verlierer an die Vorgaben der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wer verliert schweigt, weil man ganz im Sinne von Calvin still daran glaubt, das Verlieren selbstverschuldet sei, genau so wie Erfolg selbst verdient.

3.4 Arbeit konstituiert die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Viele europäische Staaten gingen bis 1990 bewusst den Weg einer sozialen Marktwirtschaft. Einst zwischen den Stühlen des Sozialismus und des Kapitalismus befinden sich die Reste unserer Sozialsysteme in Europa heute im globalen Wettbewerb. Aus diesem Wettbewerb resultieren Standortverlegungen, menschenverachtende und umweltschädliche Produktions-weisen in armen Ländern. Für westliche Industriestaaten bedeutet dieser Wettbewerb aber vor allem Arbeitslosigkeit. Unser Sozialsystem in der BRD ist auf die Arbeit zugeschnitten. Leistungen aus der Kranken- Pflege- und Rentenversicherung hängen größtenteils von einer Erwerbstätigkeit ab. Um Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu beziehen müssen wir vorher ein bezahlen , also arbeiten.
Die hohe Arbeitslosigkeit (Februar 2003: 4,7 Millionen Menschen in der BRD, 11,3%) ist für mich deshalb die eine wackelnde Säule des Sozialstaates, die sinkende Bereitschaft zur Umverteilung und zum Ausgleich zwischen Arm und Reich die andere.
Beim Sozialabbau werden auf der einen Seite Leistungen gekürzt und gestrichen (Arbeitslosengeld, Zahnersatz, Sehhilfen,...), während auf der anderen Seite die Zuzahlungen aus Steuergeldern steigen. Der Sozialstaat zieht sich aus der Verantwortung zurück und überträgt sie dem Individuum.
Selten wird bei diesem Sozialabbau über langfristige Konzepte nachgedacht. Die Rede ist von Reformen, gemacht werden Reförmchen. Wir brauchen aber keine Sanierungen, sondern einen Neubau weiter Teile des Systems um die Probleme des Sozialstaates (Überalterung, Arbeitslosigkeit, gerechte Verteilung, Standortwettbewerb...) zu lösen.

3.5 Arbeit stiftet Sinn - Konsum auch

Bei einem Besuch, möglicherweise zu Weihnachten, in der Heimatstadt treffen wir alte Bekannte: "Und, - was machst Du jetzt ?", lautet die erste Frage, an Stelle eines "Wie geht es?" was zwar phrasenhaft herunter geleiert wird, aber doch eigentlich wichtiger wäre als die Frage nach dem aktuellen Berufsstand. Mir ist es schon passiert, dass ich vor der Frage nach meinem Berufsstand nicht mal gegrüßt wurde. Auch jemanden kennen zu lernen funktioniert oftmals über diese eine Frage nach der Beschäftigung. Die Arbeit gibt uns unseren Lebens-Sinn und bestimmt die Bedeutung, die wir für andere Menschen haben. Wir finden unsere Freunde für die Freizeit am Arbeitsplatz, und viele üben ihre Tätigkeit auch privat, also nach der eigentlichen Arbeitszeit aus (z.B. Schreiner, der allen Freunden bei der Installation ihrer Holzdecken hilft.) Wir stehen nicht mehr für uns, sondern für unsere Beschäftigung. "Man ist, was man macht!" Nicht Kleider, sondern Berufe machen heute Leute.
Ein Aufsatz von Ulrich Renz beim Spiegel online geht auf die wundersame Wandlung von profanen Wirtschaftsunternehmen zu Sinnvermittlungsinstanzen ein. Einmal auf der Gehaltsliste eines fortschrittlichen Unternehmens sorgt das "Human Ressource Management" dafür, das jedeR voll in der Firma aufgeht. Sich selbst zu verwirklichen ist kein Wunschtraum mehr, sondern gehört zur modernen Beschäftigungsphilosophie. Die Ressource "menschliche Arbeitskraft" soll so effektiv wie möglich genutzt werden. In der Süddeutschen Zeitung sprach eine Autorin von der Selbstinstrumentalisierung, vom Triumph der Selbstdressur und der Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes.

"Das eigentlich neue am Neoliberalismus besteht darin, dass er den Prozess der Zurichtung des
Menschen zum Funktionselement des Marktes als `Selbst-Optimierung` in die Individuen
hinein verlegt und sich damit das moderne Pathos von Freiheit und Selbstständigkeit zunutze
macht. (...) Wie alle Ideologien strebt auch die neoliberale danach, ihre Zumutung der
kritischen Bewertung zu entziehen, in dem er sie als überpersönliche Notwendigkeit darstellt.
(...) Die totale Mobilisierung zum Zwecke der Produktionssteigerung, die Faschismus und
Stalinismus durch die Aufhebung des Individuums in der Volksgemeinschaft beziehungsweise
im Kollektiv zu erreichen suchten, wird hier dem Individuum als permanente Selbstver-
änderung und Selbstinstrumentalisierung abverlangt."

Der Soziologe Ulrich Beck dagegen spricht ohne ideologischen Bezug und Schimpftriaden in seinem Buch Risikogesellschaft davon, dass in der Informationsgesellschaft jeder und jede einzelne zur eigenen Firma, zum eigenen Planungsbüro zur Verwertung der eigenen Arbeitskraft wird.

Der Sinn des menschlichen Lebens heute und bei uns, ist der seiner Arbeitskraft (human ressource) und der seiner Konsumkraft (demand). Arbeiten und Konsumieren. Die Ironie der Überflussgesellschaft ist, "permanent werden überflüssige Produkte hergestellt, und überflüssige Arbeitskräfte aussortiert."

3.6 Arbeit kontrolliert Menschen

"Alle Menschen zerfallen, wie zu alten Zeiten so auch jetzt noch, in Sklaven und Freie; denn wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens was er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter, Gelehrter." (Friedrich Nietzsche)

"Arbeit - Selbstintegration - Kontrolle" heißt ein Artikel von Stefan Killian im CONTRASTE vom Februar 2002 in dem er auf die Funktion der Arbeit aufmerksam macht, Menschen zu kontrollieren. Josef Stalin und Adolf Hitler waren gleichermaßen die größten Arbeitsbeschaffer und die schlimmsten totalitären Herrscher der Geschichte. Sie wußten um die Möglichkeit die Massen durch die Arbeit zu kontrollieren.
Bereits in jungen Jahren wird die Wichtigkeit der Arbeit indoktriniert: "Was willst Du denn mal werden?" Nicht das Leben selbst, sondern die Arbeit wird zum Wert an sich erhoben. Diese Frage, mit der Kinder von klein auf indoktriniert werden ist eigentlich eine Frechheit. Man ist ein Mensch, und mehr kann man gar nicht werden, allenfalls weniger!

4 Voraussetzungen für ein neues Konzept unserer Gesellschaft:

Wir sind am Ende der Arbeit angelangt. Vielleicht nicht am Ende aller Arbeit, aber die von Menschen geschaffenen Maschinen und Werkzeuge können einen Löwenanteil der Arbeit erledigen, während den Menschen immer mehr Zeit bleibt. Das sprichwörtliche "Paradies auf Erden" ist nur noch eine Frage der Strukturen und Verteilung. Wir entscheiden, ob wir einen Wohlfahrtsstaat wollen, oder ob sich die Wirtschaft, PolitikerInnen und Lobbies ein eigenes Modell überlegen und durchsetzen.

4.1 Nicht Systeme machen Menschen, sondern Menschen machen Systeme

Während zu Zeiten des Kalten Krieges noch die zwei Systeme Kapitalismus und Sozialismus bestanden, gibt es heute nur noch einen Pol, der alles anzieht. Dem neoliberalen Kapitalismus fehlt ein konkurrierendes Gegenmodell.
Das neoliberale System der Globalisierung zwingt die Unternehmen, Konzerne und Staaten in bestimmte Strukturen. Es verlangt den Abbau von Handelsbeschränkungen. Die Staaten werden durch den Wettbewerb der Standorte gegeneinander ausgespielt. Es gibt keine internationalen Abkommen und Standards für eine Mindeststeuer für Unternehmen, keine einheitlichen Sozial- und Umweltstandards. Die multinationalen Konzerne spielen deshalb die Nationen mit dem Wettbewerb der Standorte aus.

Die Unternehmen ihrerseits geraten durch den internationalen Wettbewerb unter Druck, müssen expandieren oder verkaufen. Sie geraten durch den Weltmarkt unter Druck die Kosten zu senken, also auch die Personalkosten und die Kosten für eine umweltschonende Produktion. Wir befinden uns derzeit in einer Abwärtsspirale, die den Traum von einem Wohlfahrtsstaat oder nur einfach einer besseren Welt unmöglich macht. Nicht der Mensch sollte dem Wirtschaftssystem dienen, sondern die Wirtschaft dem Menschen. Der Kampf darum, wer die Oberhand behält, Mensch oder Kapital, Raubtier-Kapitalismus oder Menschlichkeit könnte als der größte Krieg in die Geschichte des 21. Jahrhunderts eingehen.

4.2 Wirtschafts-Wachstum schafft Arbeitsplätze und die Welt ist eine Scheibe !!!

Durch Produktionswachstum gehen ganz im Gegenteil Tausende von Arbeitsplätzen durch Rationalisierungsmaßnahmen verloren oder werden in Billiglohnländer verlagert, wo die Produktion unter umweltschädlichen und menschenverachtenden Bedingungen stattfindet. Das Universal-Rezept des quantitativen Wachstums von John Maynard Keynes half früher gegen Arbeitslosigkeit, funktioniert aber schon lange nicht mehr.

"Daß Wachstum und Arbeitsbeschaffung seit 20 Jahren (Anmerkung: seit 1980) voneinander
entkoppelt sind, müßten wir mittlerweile eigentlich verstanden haben und die Lösung des
Problems nicht in mehr Wachstum und >Deficit Spending>Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales
Verhalten>Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die
öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt, indem er sich aus Arbeitsscheu einer
geregelten Arbeit entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, wird mit Verurteilung auf Bewährung,
Haftstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft.MaßnahmenBeschäftigungssicherungScheinbeschäftigung für einen Scheinlohn>Trainingswerkstätten>Beschäftigungsfirmen> Arbeitsplätze >Maßnahmen<< werden erfunden, nur um den Schein zu wahren, dass die leerlaufende gesellschaftliche Tretmühle bis in alle Ewigkeit in Gang bleiben kann."

5.2 Das Bündnis für Arbeit und die Hartz-Konzepte

In dem von Noch-Kanzler Gerhard Schröder initiierten "Bündnis für Arbeiten" saßen Vertreter der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Regierung. Das es bei diesen Treffen nur vordergründig um die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht, hatten am Ende auch die kapiert, die täglich die Nachrichten von RTL und PRO7 anschauen. Vielmehr ging es um die Aufweichung von Arbeitnehmerrechten. Das eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft, deren einzig erklärtes Ziel die Gewinnmaximierung ist, Arbeitsplätze schafft, wird in die Geschichte der politischen Märchen, oder eher bei der Sammlung schlechter Witze eingeordnet werden. Wirkliche Reformen waren nicht zu erwarten, fehlte diesem Treffen doch die gesellschaftliche Relevanz.
An der Neugestaltung unserer Gesellschaft sollten alle mitreden dürfen. Beim Bündnis für Arbeit fehlen die Arbeitslosen, Schwarzarbeiter, Kleinunternehmer und vor allem diejenigen die reproduktive Arbeit leisten, wie Familienarbeit und unbezahlte Pflegetätigkeiten. Die Verteilung der Arbeit und des Kapitals sind für das Konzept unserer Gesellschaft so wichtig, dass das Problem nicht den Parteien in Bundestag, den Ländervertretern im Bundesrat, der Wirtschaft und den Gewerkschaften überlassen werden sollte. Nach dem Ausscheiden der Gewerkschaften aus der gesellschaftlichen Wertschätzung kann meiner Ansicht nach nur noch eine Nationalversammlung mit einem repräsentatievn Bevölkerungsschnitt die nötige Legitimation für ein neues Konzept besitzen.
Die Fortsetzung des "Bündnis für Arbeit" durch die Hartz-Kommission kann nur weiteren Sozialabbau und die Beschneidung der Rechte von ArbeitnehmerInnen bedeuten.

Das deutsche Politikerinnen und Manager mit ihrem ausschließlichen Ansatz am Arbeitsmarkt falsch liegen, schreibt ihnen der Nobelpreisträger Robert Solow ins Stammbuch:

"Die einseitige Konzentration auf den Arbeitsmarkt beruht auf dem naiven Glauben, dass
Arbeitslosigkeit aus einem Defekt des Arbeitsmarktes entsteht, so als ob das Loch in einem
platten Reifen immer unten sein mzuss, weil dort der Reifen platt ist."

5.3 Wirtschaftswachstum versus Arbeitslosigkeit

Wie bereits unter 4.2 ausführlich besprochen schwindet der statistische Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und den Beschäftigungszahlen. Falls die unter 5.1 genannten falschen Konzepte der Arbeitsmarktpolitik weiterhin angewendet werden sollten, führt dies unweigerlich zu einer Ausbeutung und Verschwendung von Steuergeldern ohne spürbaren Effekt für die Arbeitslosenzahlen und ohne Nutzen für die Gesellschaft. Die Regierung arbeitet sozusagen direkt in die Gewinnkassen der Kapitalbesitzer und Konzerne, tut dies in zunehmendem Maße - und damit muss Schluss sein!

5.4 Negativsteuer, Kombilohn, Bürgergeld und Dividendenkapitalismus

Im Hartz II-Konzept wird die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld 2 vorgeschlagen. Eine Umsetzung ist für April 2004 geplant. Ich möchte diesen Vorschlag aufgreifen und die Diskussion darum ausweiten. Geht es nämlich nur darum, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen und Leistungen zu kürzen sind wir bei einer Umverteilung von unten nach oben. Diskutieren wir jedoch über die Zukunft des Sozialstaates, brauchen wir Ziele und Visionen, die das Leben der Menschen in unserer Gesellschaft gerechter und besser werden lassen.
Über die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld hinaus sollten wir die Möglichkeit einer Grundversorgung diskutieren, ein Grundeinkommen vom Staat, als reguläre Lebenshilfe ohne eine Bedürftigkeitsprüfung und ohne vorherige Beiträge.
Um den, durch die hohe Arbeitslosigkeit unter Druck geratenen Sozialstaat zu entlasten werden durch alle Parteien hinweg Konzepte diskutiert. Es geht um Neudefinitionen wichtiger Kernelemente unserer sozialen Marktwirtschaft. Dabei gibt es bestimmte Begriffe, deren Definition uns hilft die Diskussion mit zu verfolgen und uns aktiv darin einzumischen:

a. Die Negativsteuer beschreibt den Vorschlag, das Bürgergeld über das Finanzamt auszuzahlen. Die Negativsteuer soll dem Lohnsteuer-, oder dem Einkommenssteuer-Jahresausgleich aufgerechnet werden.
b. Das Bürgergeld ist eine staatliche Förderung, die jedeR BürgerIn zugute kommen soll. Ganz egal wer, ob gerade erst geboren, in Schule, Arbeit oder in Rente, ein Kleinverdiener oder Großverdiener hätte Anspruch auf einen bestimmten Betrag zur Grundsicherung.
c. Der Kombilohn bezeichnet vor allem die Zusammenlegung von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Die Höhe dieser Leistung fällt in der aktuellen Diskussion eher gering aus.
d. Der Dividendenkapitalismus ist der Vorschlag einer Alternative zum herrschenden Lohnkapitalismus. Hier soll eine zu weite Spanne zwischen Arm und Reich ausgeglichen werden. Die Menschen könnten ohne Zwang zum wirtschaften existieren. JedeR BürgerIn erhält einen gleichen Anteil am erwirtschafteten Bruttosozialprodukt als Leistung des Staates.

Die Soziologie kritisiert seit langem die Politik, da in unserem Gesellschaftsystem ein großer Anteil der Arbeit nicht erfasst wird. Die Familienarbeit von Hausfrauen und -männern, der Ressourcen-Zuwachs der Gesellschaft an der Weiterbildung einzelner, die den Standort Deutschland attraktiv machen, Heimpflege, Kinder kriegen und Schwarzarbeit werden durch unseren Sozialstaat kaum oder gar nicht berücksichtigt.

5.5 Mischarbeit

Das Fachforum "Anders Arbeiten" in Berlin machte sich Gedanken über die Nachhaltigkeit der Arbeit, also über die Frage, wie die Arbeit in unserer Gesellschaft so gestaltet werden kann, dass sowohl Arbeit als auch Verdienst, trotz aller wirtschaftlichen und technischen Neuerungen im Globalisierungsprozess gerecht verteilt werden.
Dabei wurde die wissenschaftlich-soziologische Definition des Begriffs Arbeit verwendet und der Begriff der Mischarbeit eingeführt. Mischarbeit bezieht sich auf das ganze Arbeitsvermögen einer Person, also einer Kombination verschiedener Arbeiten, welche zu Synergien zwischen den individuellen Lebensbereichen und den gesellschaftlichen Sektoren führt. Ziel der Mischarbeit ist die Sicherung der Grundversorgung, die dem Einzelnen ermöglichen soll, zu einem aktiven Mitglied der Gesellschaft zu werden. Deshalb wird durch die Einführung dieses Begriffs auch die Versorgungsarbeit und das Engagement für Gemeinschaftsarbeit aufgewertet.


Von der SPD und Gewerkschaften wurde das Konzept der Mischarbeit ohne tiefer gehende Diskussion ins Reich der Wunschträume verbannt. Deshalb sind die wichtigsten strategischen Optionen für nachhaltige Arbeit: "Arbeitszeitverkürzung, gezielte Umverteilung, Gzrundsicherung, Anerkennung informeller Arbeiten und Förderung entsprechender Kombinationen."

6 Wir basteln unseren Wohlfahrtsstaat

Utopien dienen dazu, sowohl Alternativen zu beschreiben, als auch dazu das gegenwärtige System zu kritisieren. Die Kritik am Sozialabbau und am ungebremsten Kapitalismus ist bereits sehr laut zu vernehmen. Ich möchte dazu einladen nicht nur zu kritisieren, sondern durch eigene Ideen und Utopien gleich die Alternativen zu beschreiben. Dabei sollten alle Möglichkeiten zur Disposition stehen.

6.1 Weniger Arbeit aber mehr Freizeit für alle!

Das ist vielleicht eine der einfachsten und schnellsten Maßnahmen. Beinahe 2 Milliarden Überstunden wurden in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2002 geleistet. Ausgegangen von einer Arbeitszeit von 38,5 Stunden und 30 Tagen Urlaub im Jahr macht das rein rechnerisch 235.059 Arbeitsplätze. Ein möglicher Ansatz wäre es Überstunden ab einer bestimmten Zahl pro ArbeitnehmerIn zu verbieten. Mit der geplanten Bürgerversicherung entstünden für Unternehmen durch eine größere Personaldecke kaum Mehrkosten.
Großverdiener mit viel Arbeitszeit sollten weniger arbeiten und weniger verdienen. Sie hätten dadurch mehr Zeit und auch mehr Lebensqualität für verhältnismäßig geringe materielle Einbußen. Kleinverdiener mit viel Arbeitszeit arbeiten weniger bei beinahe gleichbleibendem Verdienst. Wir schaffen dadurch mehr Arbeit bei gleichzeitiger gerechterer Verteilung des vorhandenen Verdienstes.. Der Wechsel vom einen in das andere System sollte freiwillig und flexibel gestaltet werden. Eine Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse durch einen Kündigungsschutz für Bildungsjahre und Auszeiten würde die "human ressources" schonen und mehr Arbeit schaffen. Eine umfassendere Reform könnte ihre Anhänger finden, da der Paradigmawechsel die Wertschätzung dafür Zeit zu haben steigert.

6.2 Lernen statt arbeiten

Heinz Joachim Heydorn charakterisiert Bildung als den Prozess, durch den der Mensch sich "als sein eigener Urheber [begreift, und] versteht, dass ihm die Ketten, die das Fleisch aufschneiden, vom Menschen angelegt sind, und dass es eine Aussicht gibt, sie zu zerreißen."
Bildung und Lernen dürfen daher nicht zum Ziel haben, die Menschen verwertbarer für den Arbeitsmarkt zu machen, sondern sollen primär ein besseres Leben an sich ermöglichen. Unsere Schulen sollten nicht nur auf ein Arbeitsleben vorbereiten, sondern das Wissen vermitteln, wie ein ausgeglichenes und glückliches Leben geführt werden kann. Zur Zeit jedoch ist der Mythos Arbeit so stark, dass Lehrer und Lehrerinnen die Schule freiwillig einer Instrumentalisierung durch die Wirtschaft ausliefern. Nicht zum Leben wird befähigt, sondern zum Arbeiten. Bildung ist im Informationszeitalter eine so unglaublich wichtige gesellschaftliche Ressource, dass wir sie ausbauen und stärker anerkennen müssen. Dazu gehören wirtschaftlich und staatlich geförderte Bildungsauszeiten für Berufstätige und der kostenlose und unbeschränkte Zugang zu allen Bildungseinrichtungen.

6.3 Vorschläge der "glücklichen Arbeitslosen"

Mehr oder weniger ernst sind die Vorschläge der Gruppe der glücklichen Arbeitslosen. Sie fordern Automaten zu besteuern, weil diese als Schwarzarbeiter nicht nur straffrei blieben, sondern der Arbeit und Beschäftigung wirklich schadeten. Ferner wollen sie kein Bündnis für Arbeit, sondern ein Bündnis für Simulation. Die Regierung und Wirtschaft sollten so tun, als ob sie Arbeitsplätze schafften, die glücklichen Arbeitslosen würden so tun als ob sie arbeiteten. Neben diesem eher scherzhaften Ideen beschäftigt sich die Berliner Gruppe in ihrem gleichnamigen Buch durchaus mit sinnvollen Alternativen.

6.4 Am kapitalistisch-neoliberalen System ansetzen

Arbeitslose sollen durch ein kleineres Arbeitslosengeld gezwungen werden, auch schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Das Argument dahinter lautet: Wer arbeiten kann, soll der Gesellschaft nicht zur Last fallen, - oder - wer von unserer Gesellschaft profitiert, soll auch etwas für sie tun. Ich möchte dieses Argument auf Unternehmen und Konzerne übertragen. Wer bei uns in Deutschland verkauft und Gewinne macht, der soll etwas für diesen Sozialstaat tun. Das ist bereits so, jedoch sind die Arbeitgeber glaube ich stark ins Hintertreffen geraten. Die Kaufkraft der Deutschen ist enorm, die für uns geschaffenen Arbeitsplätze bleiben aber weit hinter dem Stellenabbau zurück (vgl. 4.2).
Um ein Ausbluten unseres Sozialstaates zu verhindern, müsste der Freihandel eingeschränkt werden. Wir brauchen einen Gegenpol zum System des Kapitalismus, eine Alternative. Eine Gesellschaft die sozial ausgeglichener und fairer ist, muss sich vor der Konkurrenz schützen, die nur der Gewinnmaximierung dient. Waren, die importiert würden, müssten sozusagen einen Zoll oder eine Steuer dafür bezahlen, dass sie in einem sozial minderwertigeren System produziert wurden. Das selbe gilt übrigens für die Verteidigung von ökologischen Standards. Natürlich ist dieser Ansatz politischer Sprengstoff. Bei zahlreichen internationalen Organisationen müsste die Mitgliedschaft gekündigt werden, der Austritt aus internationalen Verträgen erklärt werden und viele bilaterale Abkommen getroffen werden.
Nachdem in Cancun/Mexiko 2004 auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) bereits China und viele Entwicklungsländer sich einer weiteren Liberalisierungsrunde verwehrt haben, gibt es einen Gegenkurs zum Freihandel. Die WTO verpflichtet auch die EU und die BRD durch internationale Verträge, welche von der Politik als Sachzwänge und Realpolitik umgesetzt werden. Nur wenn diese scheinbaren Zwänge in einer Diskussion zur Disposition stehen, können wir unserer Gesellschaft mit einem nachhaltigen Konzept neue Strukturen geben.

6.5 Ein neuer ABM-Ansatz

Vom "Club of Rome" wird bereits seit den 70er Jahren ein Technologietransfer vom reichen, hoch entwickelten Norden in den armen Süden des Globus gefordert. Dieser sei nötig, um den Schaden zu vermeiden, den die umweltfeindliche Entwicklung des Nordens angerichtet hat.
Warum werden also keine großzügigen Kredite gewährt, deren Geld dann über Aufträge direkt der Beschäftigung in der BRD zugute kommen? Zwar würde eine höhere Verschuldung auch noch nachfolgende Generationen belasten, jedoch kämen die Investitionen der ökologischen und sozialen Sicherheit der Erdbevölkerung zugute. Langfristig könnte der Gewinn aus der Zusammenarbeit und Freundschaft mit diesen Staaten und deren Entwicklung diese Investitionen leicht aufwiegen. Kurzfristig könnte bei uns mehr Arbeit entstehen.

6.6 Eine Neudefinition

Erich Ribolits fordert in seinem Artikel die Herstellung der gesellschaftlichen Bedingungen, die allen Menschen die kulturelle Teilhabe bei einem Minimum an geforderter Arbeit ermöglicht. Ohne eine Neudefinition, da stimme ich ihm absolut zu, wird es kaum Reformen geben, die es verdienen, so genannt zu werden. Das Thema Arbeit, der Wert, Mytos und Sinn, müssen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Nur so können wir erreichen, das alle Interessengruppen an einem Strang ziehen. Falls dies nicht gelingt, werden Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Regierung und Öffentlichkeit weiter wie die an ihren Füßen zusammen gebundenen Hühner von Max und Moritz planlos durch die Gegend steuern. Für die Diskussion schlage ich die folgende eigene Definition des Begriffs Arbeit vor: "Arbeit sind alle schaffenden und erhaltenden Tätigkeiten, die dem Individuum zur eigenen Selbsterhaltung dienen und darüber hinaus eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen." Nur wenn alle verschiedenen Arbeiten in ihrem Wert für die Gesellschaft neu bewertet werden, ist eine Annäherung an das Ideal einer gerechten Leistung und Teilhabe des Individuums an der Gesellschaft möglich.

6.7 Kulturelle und materielle Teilhabe im Tausch gegen Engagement für den Wohlfahrtsstaat

Dass uns die Europaweiten Sozialreformen ein großzügiges Bürgergeld, mehr soziale Gerechtigkeit oder den Wohlfahrtsstaat bringen ist ein Traum, den wir nur träumen oder auch verwirklichen können. Ähnlich, wie in der Renaissance, der Wegfall vom "glauben müssen" eine wissenschaftliche und kulturelle Revolution auslöste, könnte der Wegfall vom "arbeiten müssen" uns auf eine neue Stufe der gesellschaftlichen Evolution bringen.

Der Arbeitsethos in den Köpfen ist jedoch noch zu stark, als dass Menschen an den kulturellen und materiellen Leistungen unserer Gesellschaft teilhaben könnten, die dafür nicht nach unserer heutigen engen Vorstellung arbeiten. Dabei gibt es genügend unterbewertete und überhaupt nicht bewertete Tätigkeiten, die eine Teilhabe rechtfertigen würden. Die Tätigkeit im Haushalt, Pflege von Familienangehörigen und die Erziehung von Kindern stellen eine gesellschaftliche Wertschöpfung dar, die durch ein Bürgergeld honoriert werden könnte. Das Ehrenamt, die Mitarbeit in Vereinen, Kirchen, sozialen Einrichtungen und in der Jugendarbeit bringen unserer Gesellschaft und unseren Gemeinwesen seit Jahrzehnten einen großen Nutzen. Eine Anerkennung erhalten die engagierten Freiwilligen meist nur in Form eines feuchten Händedrucks.

Das Prinzip "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung." würde durch ein Bürgergeld möglich. Um Bürgergeld zu erhalten, müsste nur eine der genannten Tätigkeiten in geeignetem Umfang nachgewiesen werden. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe könnten zusammen gefasst werden. Der Zwang sich eine von der Wirtschaft angebotene Arbeitsstelle zu suchen fiele ebenso weg, wie der Druck der Gesellschaft auf die "Sozialschmarotzer" Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Das System unserer Gesellschaft würde so kompensierend und instrumentalisierend wirken. Konkrete Beispiele dafür sind
:
a. Eine allein erziehende Mutter von zwei Kindern leistet ohne Zweifel durch das Aufziehen zweier Kinder einen Beitrag zum Erhalt unserer Gesellschaft. Warum sollte sie also kein Bürgergeld bekommen?
b. Ohne Chancen auf dem Arbeitsmarkt engagiert sich ein ehemaliger Fabrikarbeiter mit 20 Stunden wöchentlich an der Jugendarbeit und betreut Gruppen für die freiwillige Feuerwehr. Warum sollte er für sein Engagement kein Bürgergeld vom Staat erhalten?
c. Ein pensionierter Handwerker hilft in einem staatlichen Altenheim mit Hausmeistertätigkeiten.
....u.s.w.
Durch einen solchen Ansatz würde die Krise auf dem Arbeitsmarkt und die Krise des Sozialstaates zu einer Chance für eine gerechtere Gesellschaft.

6.8 Alternativen entwickeln

Wo Arbeitszeit frei wird, muss sie von anderen Tätigkeiten ausgefüllt werden. Von Leuten, die in einer 40-Stunden-Woche arbeiten, wird oft leicht dahin gesagt, sie wüßten, was sie mit der vielen freien Zeit anfangen würden. Rentner fallen oft in ein Loch nach ihrer Pensionierung, wenn sie beginnen sich nutzlos zu fühlen und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Und auch unter Arbeitslosen sind Probleme wie Alkoholismus weiter verbreitet als in arbeitenden Bevölkerungsschichten. Was also tun, um die eigene Zeit sinnvoll zu nutzen ?

Erich Ribolits spricht von Müßiggang als einer Art neuer Lebensqualität. Heinz Joachim Heydorn möchte die frei gewordene Zeit für Bildung nutzen. Die Möglichkeiten die eigene Zeit sinnvoll zu nutzen sind so vielfältig, dass eine Aufzählung unseren Rahmen hier sprengen würde. Vielleicht können wir aber mit Immanuel Kant`s hypothetischen Imperativen besprechen, welche Wege zur Glückseligkeit, also zu einem erfüllten und sinnvollen Leben führen. Einer dieser Imperative ist die Tätigkeit, die aus sich selbst heraus als gut gilt, wie die Kunst und die Bildung. Der Zweite Imperativ ist gut, weil er ein gutes Ziel hat, wie zum Beispiel andere Menschen glücklich zu machen.
Wenn wir also nun über ein neues Modell eines Sozialstaats, einen Wohlfahrtsstaat, und über die Zukunft der Arbeit diskutieren, sollten wir vor allem darüber sprechen, wie wir frei werdende Zeit verbringen, um zum individuellen und gesellschaftlichen Glück zu finden. Die Initiative "Anders Arbeiten" fordert von uns:"Selber etwas aufbauen, nicht in negativistischer Kritik erstarren, und in einem diesseitigen Jenseits des Wertewandel praktizieren".

7. Informieren , Diskutieren, Protestieren und mitreden!

Die Neudefinition der Arbeit in unserer Gesellschaft und die Diskussion um ein nachhaltiges Konzept für unseren Sozialstaat muss alle erreichen, möglichst viele einbeziehen und ein Maximum an Gerechtigkeit verwirklichen. Während in Italien und Frankreich im Jahr 2003 bereits Demonstrationen gegen Sozialabbau mit mehreren Millionen Teilnehmern stattfanden, regt sich in der Bundesrepublik Deutschland Ende des Jahres 2003 Protest.

Nach dem ich eine erste Fassung dieses Artikels auf die Seite von www.indymedia.de, erreichte mich ein Diskussionsbeitrag von Gabi Eichl, der mir so gut gefallen hat, dass ich ihn hier als abschließenden Appell bringen möchte . Sie spricht davon, die Beweislast umzudrehen, und das können alle, wenn das Thema Arbeit, Stress und Leistung zur Sprache kommt:

" Drehen wir die Beweislast um. Nicht die Muße muß sich rechtfertigen, sondern der permanente Gestus des Überholens, die Ellbogenmentalität, das Immer-mehr-haben-und-tun-müssen, der unbedingte Trieb, jede Minute nutzbar zu machen. Unser von Dienstfertigkeit triefendes Gewissen. Die zum Selbstzweck gewordene Überaktivität, die sogar noch unsere Lebensgrundlagen zu »verarbeiten« droht."

Links (geklaut bei  http://www.arbeitswahn.de)
Anders Arbeiten:  http://www.andersarbeiten.de
Die Berliner Initiative beschäftigt sich mit Alternativen zur Lohnarbeit.
 http://www.arbeitswahn.de
Diskussion, Information und Links, Argumente gegen den Arbeitswahn und das Buch "Die Kunst weniger zu arbeiten" von Axel Braig und Ulrich Renz
 http://www.wenigerarbeit.de
Was will die Vereinigung für weniger Arbeit? Einen Gegenpol zur derzeitigen Politik setzen, Arbeit als größtes Gut der Menschheit zu verstehen. Es muss Schluss sein mit der Auffassung, die hohe Arbeitslosigkeit und das damit verbundene Elend vieler Menschen sei eine vorübergehende Krise, ...
 http://www.arbeit-buerger.zukunft.de
Initiative des Buchautors Helmut Saiger (»Die Zukunft der Arbeit liegt nicht im Beruf«). Wie die meisten Ansätze aus dem Bereich »Bürgerarbeit«, »Tätigkeitsgesellschaft« oder »New Work« geht auch dieses Forum von dem Axiom aus, dass dem Menschen als Ersatz für die dahinschwindende Erwerbsarbeit dringend eine andere Form der Arbeit - in Form von bürgerschaftlichem Engagement - angeboten werden muss.
 http://www.erwerbslos.de
Förderverein gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit e. V.: Forum für Erwerbsloseninitiativen
 http://www.arbeit-leben-zeit.de
Bei der Hans-Böckler-Stiftung angesiedeltes Forschungsprojekt von Kirche und Gewerkschaft zum Thema »Zukunft der Arbeit«
Reformwerkstatt Ruhr:  http://www.reformwerkstatt-ruhr.de
»Virtuelles Ideen- und Reflexionsforum« aus dem Bereich der kirchlichen Sozialarbeit zum Thema Bürgerengagement. Umfangreiche Literaturliste, v.a. aus dem Blickwinkel »Bürgerarbeit«
Koordinierungsstelle neue Arbeitsgesellschaft:  http://www.taetigkeitsgesellschaft.de
Diskussionsbeiträge und Linkliste zum Thema Bürgergesellschaft/ Ehrenamt
 http://www.zukunft-der-arbeit.com
Für die Expo2000 errichteter »Themenpark« zum Thema »Zukunft der Arbeit«. Streckenweise dominiert die Verpackung sehr über den Inhalt. Das Ganze wirkt - Auftraggeberbedingt - z.T. etwas angestrengt optimistisch.
Bundesanstalt für Arbeit:  http://www.arbeitsamt.de
Für Statistik-Fans

 info@bmwa.bund.de
Internetadresse des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit
 internetpost@bundeskanzler.de
Internetadresse des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes

Literatur-Links:
"Arbeit zwischen Misere und Utopie" von Andre Gorz, Suhrkamp 2000
"Feierabend" von Robert Kurz, Ernst Lohoff und Norbert Trenkle (Hg.), Konkret Verlag 1999
"Das Recht auf Faulheit" von Paul Lafargue
"Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche" von Guillaume Paoli (Hg.), Edition Tiamat 2002
"Arbeit macht nicht frei" von Erich Ribolits
"Hauptsache Arbeit? Was wird..." von Claudia Lenz, Waltraud Waidelich, Elisabeth von Dücker, Anne Reichmann (Hg.), VSA Verlag Hamburg 2001
"Die Kunst weniger zu arbeiten" von Axel Braig und Ulrich Renz

Anhang:
♫ Musik-Link: "Ich komme um zu kündigen" von Bernd Begemann
♫ Musik-Link: "Tag Herr Chef" von Joint Venture
♫ Musik-Link: "Powertrip " von Monster Magnet von der Platte Powertrip von 1998, Text: "The gods told me to relax, I never gonna work a day in my life !"
 Text-Link (266MonsterMagnetPowertrip.doc): Textauszug der ersten Strophe des Songs Powertrio

Seite 1:
Bild-Link: 266Arbeit macht frei 1.jpg
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Seite 2:
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Bild-Link: 266Arbeitsethos.jpg
Bild-Link: 266Arbeitsethos2.jpg

Seite 3:
Bild-Link: 266ArbeitIstScheiße.gif
Bild-Link: 266gelber_schein.jpg
Bild-Link: The way to success.jpg

Seite 4:
Text-Link (266Die Kunst weniger zu arbeiten10Thesen.doc): "Die Kunst weniger zu arbeiten - 10 Thesen gegen den Arbeitswahn" von  http://www.arbeitswahn.de

Seite 5:
 Text-Link (266Politbarometer März 2003): Politbarometer fragt zum Thema Reform der Sozialsysteme
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Ergänzungen

Das Recht auf Faulheit

Link-er 25.02.2004 - 10:20
Hier für alle Interessierten ein Link zum Buch von Paul Lafargue:
 http://www.wildcat-www.de/material/m003lafa.htm

Wem das Lesen am Bildschrim zu anstregend ist, bekommt das Teil auch als Papierausgabe im alternativen Buchhandel (In Berlin: M99, Manteuffelstrasse 99 oder Oh21, Oranienstrasse 21)


PS: Guter Artikel übrigens!

Problem

elfboi 26.02.2004 - 16:03
Es gibt zwei Gründe dafür, daß wir kaum noch Arbeit haben:

1) Jeder von uns hat rein rechnerisch etwa 60 "mechanische Sklaven", d.h. jedem von uns steht maschinelle Arbeitskraft zur Verfügung, die der von 60 Menschen entspricht. Diese werden jedoch größtenteils über fossile Energie angetrieben, und die fossilen Energieträger gehen einerseits rapide zur Neige, was zu einer Verteuerung unseres gesamten Lebens führen wird, wenn die Energiewende nicht schnell kommt (soll heißen: innerhalb der nächsten 5-10 Jahre), ganz abgesehen davon, daß diese den Klimawandel beschleunigen.

2) Jeder von uns hat auch noch reale Sklaven - für diese habe ich momentan allerdings keine Zahlen parat. Gemeint sind all jene chronisch unterbezahlten ausgebeuteten Arbeiter in den Entwicklungs- und Schwellenländern, welche für einen Hungerlohn am Fließband stehen, damit wir billige Waren kaufen können.

Beide Gründe würden nach einer globalen Revolution wegfallen, falls es dieser gelänge, auch globale Gerechtigkeit herzustellen. Dennoch könnten wir - bei gerechter Verteilung der Arbeit - dennoch viel weniger arbeiten; ich denke, 3-4 Stunden am Tag wären vollauf genug.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 4 Kommentare an

@ Witzenleiter — Norbert

Da hat sich.... — mannheim-68erz

ach mann/frau — bleh

hinweis: — ich