Aspekte zum Abschluss des WSF

Piero Sansonetti, Übersetzung G.Melle 23.01.2004 15:12 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Ein linksliberaler Bericht aus der Tageszeitung L'Unità zum Ausklang des Weltsozialforums in Mumbai
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Die Peripherien der Welt lassen die Bewegung aus den Fugen geraten
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Piero Sansonetti, L'Unità, 21.01.2004

In einem Klima der Euphorie wurde das vierte Weltsozialforum beendet. Niemand dachte noch kurz zuvor, dass es mit großem Erfolg bedacht sein würde, doch so war es. Es war wieder einmal das größte Weltsozialforum, das den Horizont der No-Global eines Teils der Welt zu erweitern wusste, beeindruckend auf seine Art, bei denen, die Asien nur wenig kannten.

Das Forum schloss mit einer Massendemonstration ab, an einem Ort, der auf Indisch Azard Maida genannt wird, d.h. englisch übersetzt: Free-Ground. Er besteht aus einer einkilometerlangen Wiese mit dreihundert Metern Breite und liegt inmitten der Stadt. In der Nähe befindet sich das Rathaus und das Gericht. Dort spielen normalerweise die Kinder Kricket. Der Ort heißt Free-Ground, weil sich dort in den dreißiger Jahren die großen Schlachten um Freiheit und Unabhängigkeit abspielten, die von Gandhi angeführt wurden.

Auf dieser Wiese ist die Bühne aufgebaut worden und ab vier Uhr nachmittags wechselten sich dort Musiker, indische Musikgruppen und Künstlergruppen aus aller Welt ab. Auch ein Minister trat auf: Gilberto Gil, Sänger und brasilianischer Musiker auf hohem Niveau, der heute Kulturminister in der Regierung Lula ist. Später gab es Reden und in der Abenddämmerung begann wieder die Musik, die bis in die späte Nacht hinein spielte.

Asien und die No-Global
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Das beste Resultat auf diesem Forum war zweifellos die Rolle, die Asien und v.a. Indien gespielt hat. Sie haben sich als große Protagonisten erwiesen. Dies nicht nur, weil es gelang, mit einer gewissen Leichtigkeit, dieses politisch-kulturelle Ereignis zu organisieren, das solch große Ausmaße annahm, dass es die Venen und den Puls eines jeden experimentellen Organisators zum vibrieren brachte. Es wusste auch die Aufmerksamkeit der Welt auf seine Schwindel erregenden Probleme zu lenken. Der Hunger, die Armut, welche hunderte Millionen Menschen betreffen, der fast absolute Mangel an Trinkwasser, die nicht nur in Klassen, sondern auch in Kasten geteilte Gesellschaft (die nicht immer miteinander übereinstimmen), die Rolle der Frau, die Verfolgung, die sie erleidet, die unerträglichen Ungerechtigkeiten in den Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen den Menschen verschiedener Kasten: die Ehrendelikte, die Abtreibungen weiblicher Föten, die Gehälter und Löhne unter der Grenze des Lebensminimums, die Slums, die Barackenstädte, die einer Hölle auf dieser Erde gleich kommen, die immensen Bereiche einer Gesellschaft, in denen weder Rechte praktiziert, noch projektiert werden. Angesichts dieser Probleme kam das Forum ein wenig ins Schleudern, denn sie stand ihren gigantischen Ausmaßen plötzlich unvermittelt gegenüber.

Viele dieser Probleme hängen mit der neoliberalen Globalisierung zusammen. Und diese Globalisierung verschärft sie. Aber sie sind auch so komplex und antik, dass die antiliberalen und antiglobalen Analysen nicht ausreichen, um sie lösen zu können. Zu ihrer Erklärung reicht weder die Kirche, noch der Marxismus, noch der gesunde Menschenverstand oder der Ökologismus. Das Forum ist sich darüber bewusst geworden. Es ist eine fast unlösbare Aufgabe. V.a. die Westler waren angesichts diesem Neuen fassungslos. Hilflos auch gegenüber der Lebendigkeit, der politischen Klarheit und der organisierten Kraft der indischen Bewegung, die sie so nicht erwarteten. Sie haben bemerkt, wir haben bemerkt, dass wir nicht sehr viele Dinge wissen. Vielleicht ist es auch das erste Mal, dass sie wirklich verstanden haben, was es heißt nichts zu wissen. So sagte Sokrates vor 2500 Jahren, dass das einzig reale Wissen darin besteht, zu wissen, dass man nichts weiß. Deshalb hat das Forum in seiner Bewusstheit einen großen Schritt nach vorn gemacht. Die Anhänger einer anderen Welt im Westen kehren emotionaler, bewusster und bescheidener vom Forum zurück. In ihren Ländern angekommen, werden sie sich bemühen, diese Erfahrungen und diese vielen Probleme, die sich ihnen gestellt haben, zu verarbeiten.

"Du bist eine Frau"
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Eine italienische Volontärin stand gestern vor dem Stand ihrer Organisation für gleichen und solidarischen Handel und es näherte sich ihr eine indische Frau, um mit ihr zu sprechen. Es war eine Frau aus dem Volk, sie war arm, wie viele Zehntausende auch auf dem viertägigen Forum. Sie fragte, ob dies ihre Arbeit sei. Die Volontärin verneinte, meinte dass sie ansonsten eine andere Arbeit habe. die Inderin fragte, ob sie bezahlt würde, was die Italienerin wiederum, mit Verweis auf das Volontariat, verneinte. Danach zeigte die indische Signora auf einen italienischen Jugendlichen, der mit der Volontärin den Stand betrieb, und sie fragte: "Und er, bezahlen sie ihn?" - "Ja, er wird bezahlt, denn er hat eine Vollzeitstelle." Die indische Frau schüttelte misstrauisch den Kopf, lächelte und sagte: "Das stimmt nicht, meine Liebe: Sie bezahlen ihn, weil er ein Mann ist, du bist eine Freiwillige, weil du eine Frau bist."

Vandana Shiva
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Eine der bekanntesten Leader der Bewegung für eine andere Welt, ist die Inderin Vandana Shiva. Sie sagte, dass das Forum ein gigantischer Erfolg war, beklagte sich aber, dass die Probleme der Umwelt zu wenig Beachtung fanden. Vandan Shiva meint, dass die Fragen der Umwelt das wahre Herz im Kampf gegen die Globalisierung darstelle.

Nobelpreisträger
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Am Forum haben einige bekannte Persönlichkeiten aus der ganze Welt teil genommen. U.a. auch zwei kürzliche Nobelpreisträger. Es handelt sich um die iranische Rechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und den Nobelpreisträger für Ökonomie im Jahr 2001, Paul Stiglitz. Stiglitz verwies auf zwei Beobachtungen. Die erste, dass die Globalisierung die Demokratie aushöhlt, weil die wichtigen Entscheidungen in internationalen Gremien getroffen werden und der Westen sich weigert, demokratische Formen auf diese internationalen Gremien anzuwenden. Die zweite, dass die Regeln des Marktes grundlegend ungerecht sind und die multinationalen Konzerne und mächtigen Nationen begünstigen. Was ist zu tun? Die Tendenz der Liberalisierung umkehren und die Interventionsmöglichkeiten der Regierungen und Politik erhöhen, um die Märkte und die Allmacht der ökonomischen Gruppen erhöhen zu können.

Sexuelle Gewalt

(Es folgt eine Episode auf Regenbogenpresseniveau, die nicht der Übersetzung wert ist)

Die Schulden
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Das Forum hatte weniger Unkosten als seine luxuriöseren Vorgänger in Porto Alegre. Da es jedoch auf Sponsoren verzichtete, um seine absolute Unabhängigkeit herauszustreichen (im Gegensatz zu Porto Alegre, Florenz, Paris), ging es in die roten Zahlen. Das Forum hat mehr als eine Million Schulden gemacht. Dies trotz der hundertfünfzigtausend Menschen, welche die Akkreditierungsgebühr bezahlt haben. Sie waren jedoch von Land zu Land unterschiedlich. 30 Dollar für die Westler, wenige Dollar für die Teilnehmer aus den armen Ländern. Die Mehrheit der Teilnehmer stammte aus den armen Ländern.

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Ergänzungen

Korrektur

Lena 25.01.2004 - 20:47
Ich möchte nur anmerken, dass es in dem Absatz, indem es um Stiglitz`Ausführungen geht, am Ende wohl heißen sollte, dass Intervenierungsmöglichkeiten von Regierungen und Politik erhöht werden sollten, um die Allmacht der Märkte und ökonomischen Gruppen zu ERNIEDRIGEN (nicht erhöhen). Oder?

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Und was weiter? — Icke