Schriftl. Urteil zum "Mega"-Prozess in GI

v. buffy ;-) 17.01.2004 20:43 Themen: Repression
Mit einem harten Urteil gegen die beiden Angeklagten endete am 15. Dezember 2003 ein Prozeß gegen Mitwirkende der Projektwerkstatt in Saasen. Ein Angeklagter erhielt 9 Monate Gefängnisstrafe ohne Bewährung, der zweite 100 Tagessätze zu je 10 Euro. Hintergrund des schon im Vorfeld heftig umstrittenen Prozesses sind Auseinandersetzungen um die Law-and-Order-Politik der hessischen Landesregierung und der Giessener Stadtoberen. Fast einen Monat später ist das schriftliche Urteil bei den Angeklagten eingetrudelt ... hier ein paar Auszüge und eine erste Einschätzung.
Nach erstem Überfliegen sind die phantasievollen Begründungszusammhänge des Richters Wendel beibehalten worden. Wer veränderte Wahlplakate als ?spannende Form? des Protestes bezeichnet oder Roland Koch mit Worten der ?Fäkalsprache? in Verbindung bringt ... der muss es wohl auch gewesen sein. Und wer politische Motivationen hat, ist ganz besonders böse und unbelehrbar. Zu solchen juristischen Hochleistungen gehört auch das uneingeschränkte Vertrauen in Polizisten und PolitikerInnen. Die grüne OB-Kandidatin Gülle, welche einem Angeklagten mitten im Seltersweg eine verpasst hatte, empfängt demenstprechen viel Verständnis: ?Für eine solch extreme Reaktion muß es Gründe gegeben haben; für Oberbürgermeisterkandidaten macht es sich schließlich schlecht, wenn sie bei Wahlveranstaltungen grundlos Passanten prügeln. Schließlich wollen sie gewählt werden.? (Zitat aus der Urteilsbegründung) Aha! Angesichts dessen, dass z.B. Roland Kochs antisemitische Ausfälle ihm eher Stimmen gebracht haben und gerade beschissenes Verhalten die Popularität von PolitikerInnen erhöht, könnte mensch diese Logik auch umdrehen ... naja.

Neu hinzugekommen ist das mühevoll-kreative Anzweifeln aller Zeugen, die keine grünen Uniformen tragen ... rein zufällig natürlich. Da reicht schon mal das Wort ?meine Perspektive aus?, um Zweifel an Zeugenaussagen aufkommen zu lassen. Für Leute wie z.B. POK Walter, die offensichtlichste Widersprüche offenbaren, gilt das natürlich nicht. Das Ordnungshüter mit bewussten Lügen arbeiten oder ihre Position nutzen, um Gewalt gegen andere anzuwenden ... kann einfach nicht sein. Die Anschuldigungen seitens der Projektwerkstättler sind wahrscheinlich ebenso weit hergeholt wie die zahlreichen Übergriffe seitens Polizeibeamten vor allem gegenüber Menschen, die nicht ?deutsch? aussehen und welche von unabhängigen Initiativen präzise dokumentiert wurden. Und. Die Welt ist eine Scheibe ...

Die Angeklagten haben mittlerweile Berufung eingelegt. Damit wird sich die Beweisaufnahme und das Verfahren wiederholen ? diesmal vor dem Landgericht, damit aber wiederum innerhalb des Polit- und Polizeifilzes der Stadt Gießen, in der Innenminister Volker Bouffier als CDU-Kreisvorsitzender seit Jahren der Scharfmacher gegen politische Gegner ist. Zu befürchten ist erneut ein politisches Urteil, begleitet von Lügen und Erfindungen seitens der Polizei und Politik sowie der Hetze der stadtregierungsorientierten Redakteure in den beiden Tageszeitungen der Stadt. Die Hoffnung liegt nun darin, dass sich eine breitere Öffentlichkeit (von unabhängiger Presse bis zum bürgerrechtlichen Spektrum ... siehe:  http://www.justizirrtum.de) dem Prozess zuwendet und es viele öffentlichkeitswirksame, kreative Aktionen gibt, welche die konkreten Kritik an dem Prozess mit der grundsätzlichen Ablehnung von Repression verbinden. Dazu gibt es einige Ideen und konkrete Planungen ? hier nur ein kleiner Überblick:

- Geplant ist z.B. eine Veranstaltungsreihe zu den Themen ?politische Justiz?, öffentlicher Raum und Polizeigewalt (ReferentInnen gesucht!).
- Vom 8. - 14. März gibt es in Giessen Aktionstage gegen Knast und Repression - mit Aktionen, Konzerten, Veranstaltungen und viel Raum für eure Ideen! Infos:  http://www.antirepression.de.vu
- Eine umfangreiche Dokumentation über erfundene Straftaten, rechtswidrige Maßnahmen soll den Polizeiapparat in Gießen ins ?Visier? der Kritik rücken.

Super wäre, wenn sich jetzt ganz viele Menschen, Initiativen und Gruppen mit ihren eigenen Ideen einmischen (vom Radiobeitrag bis zur Blockade von Polizeikasernen usw.), um der politischen Justiz entgegen zu treten und Alternativen zu benennen.

Gruppen und Einzelpersonen, welche die beiden Angeklagten unterstützen wollen, Aktionen planen, Soli-Veranstaltungen organisieren usw., können ruhig direkten Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen:
Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Saasen. Tel. unter 06401 - 903283
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Ergänzungen

inhalt von bild zwei ...

kochlöffel 18.01.2004 - 03:06
leider ist das bild 2 etwas zerstört. dort stand, dass ein angeklagter roland koch mit einem ausdruck aus der fäkalsprache (o-ton der begründung) in verbindung gebracht hätte ...

eine bitte:

antirepressivi 18.01.2004 - 03:24
setzt doch bitte die ganze urteilsbegründung rein, dann kann sich jede ein objektives bild von der sache machen. zumindest besser, als wenn nur wie hier selektiv ein paar passagen abgebildet werden.

danke und solidar. grüße!

Ohne Opposition keine Demokratie

Alfons Kilad 18.01.2004 - 15:36
1. Mittlerweile gehen sogar Politiker, wie der Grüne Cem Özdemir (vgl. „Özdemir fordert Bewusstseinswandel der Polizei“ (SPIEGEL-Online 13.01.2004) von polizeilicher Misshandlung gegen Ausländer aus. Ob dies auf Ausländer reduzierbar ist, ist zumindest fraglich.

2. Bei irgendeiner Gesinnungsargumentation ist zu beachten, dass niemals die Gesinnung den Tatnachweis ersetzt. Ferner stellt sich die Frage, um was für Gesinnung es sich hier handelt. Dass Gericht nähert sich der Unterdrückung von Opposition an, was im übrigen selbst eine Straftat darstellt.

3. Dies betrifft vor allem den Polizeieinsatz selbst. Wenn Politiker in die Öffentlichkeit gehen, für ihre Politik also öffentliche Räume in Anspruch nehmen, können sie nicht erwarten, dass diese Öffentlichkeit nicht u.U. ebenso politisch durch Protest sich äußerst. Anders wäre es nur, bei persönlicher Bedrohung durch Demonstranten. Soweit ich es beurteilen kann, wurde die Polizei nur zur Durchsetzung einseitiger politischer Ansichten in der Öffentlichkeit eingesetzt.

4. Solche Gesinnung ist bestimmt nicht grundgesetzkonform. Hier erscheint das Gericht auch als (politisch) Befangen. Aus juristischer Sicht, ist es nicht befugt eine Gesinnung gegen die andere strafrechtlich zu ahnden. Überhaupt fehlt offenbar der Nachweis, dass es überhaupt an der Gesinnung des Angeklagten irgendetwas juristisch auszusetzen gibt. Das Urteil ist unangemessen, weil selbst bei realer Beleidigung, andere Strafmaße gelten. Die Frage ist nur, wer hier wem mehr beleidigt hat.

5. Die Unterdrückung von Opposition ist allerdings der entscheidene Hauptkritikpunkt. Man könnte deshalb auch sagen, dass von regierenden Politiker abweichende Gesinnungen nicht mehr zugelassen werden sollen. Die hier entsprechende Staatsform ist allerdings die Diktatur, nicht die Demokratie. Demokraten können so etwas nicht wollen, ja, müssen sich zu recht dagegen wehren, um die Demokratie zu verteidigen. Die Menschen können nicht für die Unfähigkeit regierender Politiker verantwortlich gemacht werden.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Dass allerdings auch Richter Menschen mit bestimmten politischen Ansichten sind, ist nachvollziehbar. Deshalb ist der weitere Rechtsweg ja möglich. Es müsste sogar Revision möglich sein. In jedem Fall schafft Unrecht kein Recht. Es muss ein gesundes Gerechtigkeitsempfinden verletzen. Ist es das, was das Gericht will?

ganze urteilsbegründung?

an be, ähhh verknackter 18.01.2004 - 21:03
Die Begründung ist 24 Seiten lang A4. Ich denke, daß sie deshalb nicht komplett reingepostet wurde. Das könnte aber vielleicht auf den Internetseiten zum Prozeß erfolgen ( http://www.projektwerkstatt.de/prozess).

das urteil in voller länge ...

noch ein verknackter 20.01.2004 - 23:17
Auf den Prozeßseiten ist jetzt das gesamte Urteil als Text zu finden.

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