Feature: Leipziger Studierende im Streik

felix 07.01.2004 19:03 Themen: Bildung
Nach vielen anderen Hochschulstandorten wehren sich nun auch die Studierenden der Universität Leipzig gegen den drohenden Bildungskahlschlag und die geplante Einführung von Studiengebühren. Heute wurde ein "kreativer Streik" beschlossen. Erste Aktionen fanden bereits statt, weitere werden folgen.
"Dennoch kann das Wissen eine gewisse Subversivkraft entwickeln, aber nur, wenn es der Ordnung des Diskurses entrissen wird. Dies ist zunächst nur als Destruktion vorstellbar. Der gesamte Wissenschaftsbetrieb muß durcheinandergerüttelt und in Unordnung gebracht werden!" (Alex, Diskus 1/78)


Leipzig, 13. Dezember: fast 20.000 gegen Bildungsabbau

Viele Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland - und auch in anderen europäischen Staaten - befinden sich gegenwärtig im Streik. Leipzig ist in dieser Hinsicht ein Nachzügler, was im Grunde auf den gesamten Osten zutrifft. Um so erfreulicher erwies sich die Nachricht vom 10. Dezember vergangenen Jahres, dass sich die studentische Vollversammlung der Uni zur Teilhabe an konkreten Protestaktionen in Form eines Streiks entschlossen hat. Heute nun votierte die Vollversammlung mit über 5.000 TeilnehmerInnen für den sofortigen Beginn des Streiks, welcher vorerst bis zum 16. Januar - also Freitag kommender Woche - andauern soll. Eine weitere Vollversammlung in einer Woche soll über eine mögliche Fortführung entscheiden.

Aktuell: Indymedia-Printausgabe für Leipzig
(Hauptschwerpunkt: StudentInnen-Proteste)

Bisherige Aktionen

Im Vorfeld des nun beginnenden Streiks fand am 13. Dezember eine überregionale Demonstration in Leipzig statt. Unter dem Motto "fight for your right to study" gingen an die 20.000 Personen, vor allem StudentInnen von Uni und HTWK, auf die Straße. Zur gleichen Zeit demonstrierten in Berlin 25.000 und in Frankfurt/Main 15.000 Menschen. Im Anschluss an die Endkundgebung vorm alten/neuen Reichsgericht fand eine sehr lautstarke Spontandemonstration Richtung Innenstadt mit rund 600 TeilnehmerInnen statt, welche in einer relativ lange gehaltenen, konsumkritischen Blockade des Weihnachtsmarkt durch mehrere Ketten endete, welche mehrfach durch Polizeigewalt durchbrochen wurde.


Kurz vor dem Ende der Demonstration


Blockadeaktion auf dem Weihnachtsmarkt

Zur inhatlichen und organisatorischen Unterstützung der Studentenproteste formierte sich im vergangenen Monat zudem ein studentisches "Forum gegen Bildungs- und Sozialabbau", unter anderem darum bemüht, den Protest zu kanalisieren und eine Solidarität innerhalb der StudentInnenschaft - längst erkennt nicht jedeR StudentIn die Notwendigkeit des Widerstandes - und auch darüber hinaus zu forcieren. Inwieweit dies bis dato gelang, ist schwer abzuschätzen. Zu beachten ist, dass es sich laut StuRa bei dem Protest um einen "konstruktiven" und "kreativen" Streik handeln soll - dies heißt, dass zwar keine universitären Veranstaltungen ausfallen, trotzdem bzw. parallen aber eigene Aktionen stattfinden sollen.

Video: Impressionen von der Auftaktkundgebung (MOV, 6,15 MB)

Spontandemo und Besetzung des Uni-Rektorats

Direkt im Anschluss an die heutige Vollversammlung formierte sich vom Uni-Innenhof aus eine Spontandemonstration über den Ring. Etwa 100 Studierende besetzen letztlich das Rektorat der Universität, Ritterstraße 26, bzw. das Büro des Rektors Prof. Dr. jur. Franz Häuser. Es besteht die ausdrückliche Forderung nach dem Rücktritt des selbigen. Durch die Besetzung erhofft man sich eine vorteilhaftere Verhandlungsbasis im Diskurs um Reformen im Hochschulsektor. Gleichzeitig wurde eine Reihe weiterer Aktionen für die kommenden Tage angekündigt, um dem Protest Nachdruck zu verleihen. Die BesetzerInnen zogen zwar gegen 16:30 Uhr wieder ab, werden die Räumlichkeiten aber mindestens bis zum vorläufigen Streikende (16. Januar) für sich nutzen. Morgen früh um 10 Uhr wird im Rektorat ein öffentliches Plenum abgehalten.

Proteste gegen SPD geplant

Morgen wird die so genannte "Sozial"demokratische Partei nach Weimar in Leipzig zu einer Klausurtagung zusammen treten. Wohl auch als eine Reaktion auf den bundesweiten Widerstand der Studierenden wurde aus deren Kreisen erst vor kurzem die Schaffung von Eliteuniversitäten als Antwort auf alle Zweifel an der gegenwärtigen Bildungspolitik von Bund und Ländern propagiert. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder wird in Leipzig erwartet. Treffpunkt für alle Interessierten ist der Uni-Innenhof um 13.30 Uhr.

Battle- statt Bettelstudenten (*)
(*) eine kleine Kritik, die sich der Autor nicht verkneifen kann.

Trotzdem bleiben im Angesicht der aktuellen Situation Kritikpunkte offen. Nicht nur, dass der Verbalradikalismus einiger Studierenden - vom Kämpfen reden und doch nichts unternehmen - an der Streik-Realität vorbeigeht; Vorschläge, den natürlich genervten AutofahrerInnen bei Kreuzungsbesetzungen Kaffee auszuschenken (so geschehen beim studentischen "Forum gegen Bildungs- und Sozialabbau"), um eine gewisse Vermittelbarkeit dieser Aktionsform herzustellen, sind schlichtweg naiv. Selbige konnte bis dato nicht einmal unter den eigenen Studierenden der Uni hergestellt werden: im Forum des StuRa beschwerten sich gar einige über die offenbar "linksradikale" Würze der Demonstration vom 13.12., da in der Auftaktkundgebung über den eigentlichen Kritikpunkt der Einführung von Studiengebühren hinweg Hetze "gegen das System" betrieben wurde.

Überhaupt sei die Anwesenheit roter Fahnen abschreckend. Was damals tatsächlich Ekel verursachte, war aber die Präsenz von Querfrontparolen ("Ob links, ob rechts - gegen den Sozialabbau") oder ähnlichem geistigen Dünnschiss in plump-nationalistischer Manier ("'89 für die Freiheit - '03 für die Bildung"), der unterm Strich noch einmal hervorhob, dass die Standortlogik trotz aller Versuche der Gegenargumentation ein dominierender Faktor zur Zustimmung der Protestaktionen ist und dabei die gesamtgesellschaftliche Dimension des Problems ausgeblendet bzw. entschärft wird. Alles soll seinen friedlichen Gang gehen - dies zeigten auch die über 100 OrdnerInnen der genannten Demonstration, die sich zum Büttel der Staatsmacht machten.

Apropos: die mangelnde Einigkeit in den Zielen des Streiks ist ein generelles Problem nicht nur der Studierenden der Leipziger Uni. Eine Strategiediskussion blieb bisher aus und auch eine "AG Inhalt" produzierte bis dato keine tragfähigen theoretischen Ansätze. Diese Theorieschwäche einerseits - bzw. der Umstand, sowieso keinen gesamtstudentischen Konsens finden zu können, der über den Ruf einer "positiven Reform" von oben, namentlich der Verwerfung von Studiengebühren, hinausgeht - und der Hang zum unartikulierten Minimalradikalismus und unorganisierter Schrebergartenmilitanz ohne tatsächliches Konzept andererseits lässt die Hoffnungen einiger verpuffen, die wohl glaubten, in einer StudentInnenbewegung einen linksradikalen Standpunkt verorten zu können.

Dieser wird zuweilen vertreten von Einzelpersonen und Kleingruppen, etwa der Linken StudentInnen Gruppe (lsg). Den TeilnehmerInnen der Spontandemo am 13.12. kann kaum entgangen sein, dass die Kette vor dem Weihnachtsmarkt von genau den Personen gebildet wurde, die selbiges für das Conne Island taten und teilweise selbst gar keine Studis sind. Von der Existenz einer "kritischen Masse" in Form der Studierendenschaft kann bisweilen keine Rede sein.

Selbige, bzw. deren Wortführer, bemühen sich lieber um Forderungen wie eine gesamtgesellschaftliche Solidarisierungswelle "wider Sozialabbau und Bildungsklau", anstatt ihren Standort und ihre in dieser Gesellschaft zu bestimmen und dann endlich einmal die treffende Frage zu stellen, inwieweit man denn an die Bundesrepublik Deutschland materielle Forderungen stellen kann, ohne sich genau dem Reformismus zu opfern, auf dessen personellem Buckel die studentischen Aktivisten bereits reiten - günstige Voraussetzungen für die Landesväter und -mütter also, den Protest auszusitzen oder maximal auszuschwitzen.

Im Übrigen bleibt die große Gruppe der SchülerInnenschaft ebenfalls unbeachtet: an keinem der Leipziger Gymnasien findet eine ernstzunehmende politische Arbeit außerhalb der repräsentativen SchülerInnen-Vertretungen statt und eine Mobilisierung, wie auch zur vergangenen Großdemonstration, beschränkt sich in der Regel auf das Aushängen von Plakaten. Der Wille, auch von dieser Seite etwas zu ändern, ist sicher vorhanden und begründet; man bedenke, dass beispielsweise einige Leipziger Schulen ihre SchülerInnen mit Videokameras überwachen, viel Energie in Drogenkontrollen investieren und die politische Betätigung auf dem Schulgelände verbieten und etsprechen sanktionieren.

Sicher gibt es jetzt viele StudentInnen, die zumindest ihre Situation ändern möchten, denn anders wäre eine überwältigende Mehrheit für den Streik nicht zu Stande gekommen - samt allen negativen Folgen für die Studierenden selbst. Die prophezeihte Kanalisierung des Protests wird trotz alledem unweigerlich ausbleiben, schließlich kommt es in diesem schönen Land alle paar Jahre zu eher kläglichen Ansätzen einer StudentInnenbewegung, welche aber nur selten Artikulationsformen über betont friedlich-laute Latschdemos hinaus gefunden hat, die eigene Rolle für die spätere Elitenbildung konsequent verkennt und die Ursache allen Übels - wie es jetzt wieder aktuell geschieht - im SMWK (Sächisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst) verortet. Soviel zur Tellerrand-Metapher.

Der Standort Deutschland bleibt - von einzelnen Wortäußerungen abgesehen, beispielsweise seitens der lsg oder dem regionalen FAU-Bildungssyndikat - unangetastet. Noch so blumige Aufrufe und Flyer führen trotz alledem nicht dazu, dass eine Mobilisierung gegen Bildungs- und Sozialabbau seitens der Studierenden zu mehr als ersterem führen wird, und selbst hier werden Querfronten geduldet - vornweg hopsen ein paar PoWi-Kommis und hier und da werden Freizeitanarchisten gesichtet, aber mittendrin stehen Personen aller couleur, denen es momentan darum geht, nicht abgezockt zu werden und weiter in Ruhe früh ausschlafen und abends Party machen zu können, niemals aber um die konsequent folgende Überlegung bezüglich des Gesamtzusammenhangs all dieser staatlichen Maßnahmen.

Die Orga-Arbeit liegt während dessen in den Händen einiger Weniger, deren vielleicht ein wenig sozialkritische Ansichten als Standpunkt der gesamten StudentInnen gilt, aber weder Massen- bzw. Basiswirksamkeit zeigt, noch konkrete langfristige Aktionskonzepte für die Praxis, geschweige theoretische Grundlagen hervorbringt.

Der Ruf nach der Aktion ist sicher berechtigt und der Zweck von Studiengebühren sagt viel über den Charakter dieser Gesellschaft aus. Das Mittel des Streiks ist legitim - aber gibt es einen tatsächlichen Druck von der Straße? Die Forderungen nach Hochschulreformen ist korrekt - aber müssen die tatsächlichen Absichten den realistischen und pragmatischen Zielen weichen? Freilich meinen einige, sich im Kampf zu befinden. Der gegenwärtige Zustand hat damit aber nichts zu tun, und der teilweise aufkommende Vergleich mit dem 68'er Zuständen ist im Angesicht der dominierenden studentischen Milde, sich doch nur um das eigene Konto zu sorgen, der Lächerlichkeit preiszugeben.

Der Streik, wie er angedacht ist bzw. bereits begann, wird an sich kaum fruchten. Selbst wenn heute dieses oder jenes Ministerium die Einführung von Studiengebühren noch negiert, geschieht dies eben in drei Jahren ohne den großen - auch medialen - Wirbel von heute, schließlich schreitet die Entpolitisierung von Schulen und Universitäten immer weiter voran. Die Versuche der Studentenschaft, sich dagegen zu wehren, sind mehr als kläglich. Konzeptionell beschränkt sich der gemeinsame Protest auf das Blöken eines wahnsinnig wertkritischen "och nö", welches spätestens ab den kommenden Semesterferien verhallt.

---

"Nicht vergessen, was wir wollen. Festhalten an der konkreten Utopie einer Gesellschaft, die auf der Grundlage einer Produktion von Gebrauchswerten nur einen "Sachzwang" kennt: Freiheit. Es lebe die Hochschulguerilla!" (Reinhard Mohr)

--

Allgemeine Links

- Linke StudentInnen Gruppe
- StuRa Uni-Leipzig
- Website des Streik-Komitees
- Streikseite der Politikwissenschaft
- Referat für Hochschulpolitik
- StuRa HTWK Leipzig
- Berliner Streikseite
- x-berg.de Bereich Bildung
- emanzipatorische Bildungskritik aus Leipzig
- Föderation der Bildungssysdikate

Texte

- Resolution der Uni-Vollversammlung
- Resolution der HTWK-Vollversammlung
- Entwurf der Sächsischen Hochschulgebührenverordnung
- Reaktion der StuRä auf Dementi des SMWK
- Bildungssyndikat Leipzig (sy.bi.le): Für den Standort studieren wir gerne!?
- lsg: Bildung kaufen?
- lsg: Gegen Sozialabbau und Bildungsklau
- incipito:Sozialabbau und Bildungsklau die Antwort darauf...
- Antifaschistische Linke Liste: Sparen für den Wettbewerb!
- Jungle World (49): Bettelstudenten jobben
- Jungle World (49): Dienst an der Elite
- Freerk Huisken: Studiengebühren - "Humankapital" wird zur Kasse gebeten
- AStA TU Darmstadt: Argumente gegen Studiengebühren
- JD/JL: GATS und Bildung

LeseStoff

- Indymedia Printausgabe 45 - Bildungsspecial vom 10.12.
- Update zur Printausgabe 45 vom 12.12.
- Streikflyer
- StuRAktiv-Sonderzeitung
- KommUNIqué Streik-Extra Nr. 4 der AMS vom 15.12. (Nr. 1 | Nr. 2 | Nr. 3)

Kritisches

- CEE IEH (89): Die studentische Protestkultur
- CEE IEH (40): Spätpubertierender Haufen.
- CEE IEH (40): Zerschlagt die Universität.
- Jungle World (51): Für die Arbeit lernen wir
- AStA FU: Fragen an die protestierenden und streikenden Studierenden
- AKB: ...zum aktuellen Fest der Studierenden
- [a:ka]: Zur Kritik der neuesten deutschen Studierendenbewegung
- Antifa Duisburg: Hochschulpolitik als Schmierenkomödie
- Initiative zur Beendigung der studentischen Epoche: Der linksradikale Student

Aktionsartikel

- 20.000 auf Demo gegen Bildungsabbau (13.12.)
- Spontandemo in Leipzig (10.12.)
- UNI-Leipzig beschließt Streik (10.12.)
- Studium ohne Gebühr? Letzte Runde, Ende, Aus (09.11.)

Andere Features zum Thema

- Übersicht der Studentenproteste
- Tendenz steigend - Bildungs- & Sozialproteste
- Studium ohne Gebühr? Letzte Runde, Ende, Aus
- Wachsende Bewegung gegen Sozial- und Bildungsabbau
- Kampf ums Conne Island in Leipzig
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Bitte was und wo???

ich... 07.01.2004 - 20:05
Ein Streik an der Uni Leipzig? Wo so soll der stattfinden?
An der Uni Leipzig wurde zwar ein "kreativer Streik" beschlossen, was aber nichts weiter heißt als zu protestieren. Alle Vorlesungen und Übungen gehen weiter wie bisher. Nur ein paar alternative Veranstaltungen werden angeboten. Also nix da mit Streik. Verarscht Euch selber...

@"ich"

felix 07.01.2004 - 20:22
Und wo ist nun dein Problem? Dass es sich um einen "kreativen Streik" handelt, steht im Artikel - inklusive der natürlich berechtigten Kritik daran.

das angesprochene flugi ...

MPunkt 08.01.2004 - 13:46
... vom Bildungssyndikat Leipzig gibt es übrigens unter  http://www.fau.org/syndikate/bsy2/art_031207-213716

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

@mods — felix