Darauf Gift nehmen

sie 23.12.2003 22:29 Themen: Repression Weltweit Ökologie
Umweltschützer als »Terroristen« von Ex-FBI-Agenten bespitzelt: Eine schmutzige Kampagne diverser Chemiekonzerne.

Zur Verhinderung verbindlicher Sicherheitstests neuer Chemikalien gaben diverse, vor allem US-amerikanische Konzerne im Geheimen eine Kampagne in Auftrag. Der Umweltorganisation Environmental Working Group wurde ein entsprechendes Strategiepapier zugespielt. Demnach möchte das American Chemistry Council (ACC) das Vorsorgeprinzip in der Öffentlichkeit »stigmatisieren«, um den »Informationskrieg« gegen die Umweltbewegung zu gewinnen. Dem ACC gehören mehr als hundert Chemiekonzerne an, darunter Dow, DuPont, Monsanto, ExxonMobil und Honeywell aus den USA sowie Bayer, BASF, Celanese und Degussa aus Deutschland.
Zehntausende, auf den internationalen Märkten gehandelte Stoffe wurden nie hinsichtlich ihres Gefahrenpotentials untersucht. Giftige Chemikalien sind mittlerweile in Fischen, Polarbären oder im Hausstaub nachweisbar. Die meisten Menschen sind der Überzeugung, das Vorsorgeprinzip sei bei der Zulassung neuer Stoffe längst etabliert. Es fällt der Industrie also schwer, offen gegen vorsorgende Untersuchungen zu argumentieren. Die von der Werbeagentur Nichols-Dezenhall im Auftrag des ACC geplante Kampagne sieht entsprechend ungewöhnliche Schritte vor:

? Sammeln persönlicher Daten von Umweltaktivisten. Gründung eines »unabhängigen« Instituts, das Öffentlichkeitskampagnen gegen Chemikalientests durchführt und auf negative Auswirkungen für die Wirtschaft hinweist (die Satzung soll garantieren, daß Spenden aus der Industrie steuerlich absetzbar sind).

? Finanzielle Unterstützung für nach Möglichkeit anzuwerbende »nicht-konventionelle« Bündnispartner (Vertreter von Minderheiten, Verbraucherschützer, wissenschaftliche Institute), da diese in der Öffentlichkeit glaubwürdiger auftreten können als die Unternehmen selbst.

? Unterstützung bei der Gründung von Pseudo-Bürgerinitiativen, die mit Demonstrationen, Radiospots, Websites, Rundbriefen, Vorträgen und Pressekonferenzen auf die negativen Auswirkungen vorsorgender Umweltschutzmaßnahmen hinweisen sollen ? möglichst, wenn Diskussionen oder Abstimmungen über relevante Gesetze anstehen.

? Veröffentlichung einer Studie, welche die »zerstörerischen Auswirkungen« einer auf dem Vorsorgeprinzip basierenden Gesetzgebung »dramatisiert«.

? Hintergrundgespräche mit konservativen Journalisten und Talkshowmoderatoren zur »Stimulation« der Debatte.

? Präsentation »schockierender« Beispiele für angeblich übertriebenes Vorsorgedenken (z.B. Verbreitung tödlicher Krankheiten wegen fehlender Pestizide). Verbreitung »humoresker Elemente«, die demonstrieren, daß ein extremes Vorsorgeprinzip »zurück in die Steinzeit« führt, über Poster, Anzeigen und im Internet.

Jürgen Rochlitz, Chemieprofessor und Mitglied der deutschen Störfallkommission, ist empört: »Dieses Strategiepapier bietet einen seltenen Einblick in die doppelzüngige Vorgehensweise der Chemieindustrie. In Werbekampagnen ist von ?Responsible Care? und ?intensiven Anstrengungen für den Umweltschutz? die Rede. Gleichzeitig werden Kritiker bespitzelt und elementarste Sicherheitsvorkehrungen mit allen Mitteln bekämpft. Der Schutz von Umwelt und Verbrauchern ist für die Industrievertreter offenbar vollkommen nebensächlich.« Rochlitz fordert Bayer, BASF und Degussa auf, das ACC zu verlassen und sich deutlich von der Kampagne zu distanzieren. Deren monatliche Kosten schätzt die mit ihrer Durchführung betraute, in Washington ansässige Werbeagentur Nichols-Dezenhall auf etwa 15 000 Dollar.

Bekannt ist Nichols-Dezenhall vor allem für erfolgreich durchgeführte Schmutzkampagnen. Die Firma beschäftigt eine Vielzahl ehemaliger FBI- und CIA-Agenten. Ihre Angestellten spionieren Umweltaktivisten und andere kritische Kräfte aus, klaubten für eine Kampagne gegen Umweltauflagen für Benzin-Additive etwa Materialien aus den Abfällen von Umweltschützern heraus. Nick Nichols, Teilhaber der Firma, begründet solche Maßnahmen mit der »Gefährlichkeit radikaler Umweltschützer«, die der von Terroristen gleichkäme.

Die Environmental Working Group erhielt das Geheimpapier von einer der »unabhängigen Gruppen«, die vom ACC für die Kampagne gewonnen werden sollten. Bill Walker, Vizepräsident des Umweltverbandes: »Die Vorgehensweise der Chemie-Industrie ist vollkommen inakzeptabel: gefakete Bürgerinitiativen, bezahlte PR-Agenten, die sich als unabhängige Experten ausgeben, und Wühlarbeit im Privatleben von Umweltschützern.« In einem Brief an das ACC fordert Walker, sämtliche Personen und Organisationen offenzulegen, die im Rahmen der Kampagne engagiert bzw. gegründet wurden. »Ich gehöre zu den kalifornischen Umweltaktivisten, deren Müll sie offenbar durchsuchen. Es ist eine Farce, wenn sich das ACC in der Öffentlichkeit als ehrbarer Teil der Gesellschaft darstellt, der nichts zu verbergen hat.«

Die Chemiekonzerne begegnen mit der Kampagne dem wachsenden Interesse amerikanischer (besonders kalifornischer) Umweltverbände und Behörden am neuen Chemikalienrecht der Europäischen Union. Diese plant, Tausende von Chemikalien erstmalig auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken hin untersuchen zu lassen. Langfristig sollen sämtliche gefährliche Stoffe vom Markt. Bislang werden staatliche Stellen sowohl in Europa als auch in den USA erst aktiv, wenn es zu gravierenden Umwelteinwirkungen kommt.

Kalifornien spielte in Sachen US-Umweltgesetzgebung stets eine Vorreiterrolle. Für einige besonders risikoreiche Anwendungen wurden in den vergangenen Jahren vorsorgende Untersuchungen vorgeschrieben. Das Strategiepapier des ACC bescheinigt dem Bundesstaat eine Vorbildwirkung auf andere Teilen der USA ? weswegen eine unter Gouverneur Arnold Schwarzenegger verschärfte Umweltgesetzgebung »besonders aggressiv« bekämpft werden müsse.
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Ergänzungen

rein rechtlich gesehen

weist 24.12.2003 - 04:03
wird das mit dem USA-PATRIOT II Act ed2k://|file|20030109.USA-PATRIOT.II.Act.draft.(CLASSIFIED).rar|11761787|1135338BDDDEC1D471061BE03DF861F4|/ (heißt jetzt anders) ja alles im grünen Bereich sein. Dieses wunderbare Gesetzeswerk zielt darauf ab, daß im Zuge des Kriegs gegen den Terror die US-Regierung namentlich auch umweltaktivistische Gruppen als 'Terroristen' brandmarken kann, und solche Leute unabhängig von ihren Aktivitäten, ihrer Staatsangehörigkeit(!) und ihrem Aufenthaltsort abgreifen und in Camp X-Ray verschwunden lassen kann. Klar, 6 Milliarden Menschen kann kein Regime überwachen; der Sinn der Sache ist, daß in Zukunft Leute, die der jeweiligen US-Regierung (der Krieg gegen den Terror wird laut Rumsi und Joscka 'viele Jahrzehnte' dauern :-((( )auf die Eier gehen, klargemacht werden können, ohne daß Angehörige etc (erst mal) rechtliche Schritte einlegen können.

Was mich interessiert, ist das im Text erwähnte Geheimpapier. Hat wer 'n Link?