Interview mit einem Anwalt zu Thessaloniki

gipfelsoli 26.11.2003 00:45 Themen: Repression
- Interview mit einem Anwalt zur Freilassung der Thessaloniki - 7

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Interview mit einem Anwalt, der sich im Legal Team für die Freilassung der Thessaloniki - 7 einsetzt. Geführt am 24.11.2003, nachmittags
Wie schaut´s aus, momentan?

Die Lage der fünf Hungerstreikenden ist wirklich schlimm. Zuletzt habe ich sie am Donnerstag im Krankenhaus besucht, zusammen mit den betreuenden Ärzten aus Athen, die auch Gewerkschafter von der Föderation der Ärzte in Griechenland sind. Den Gefangenen ging es wirklich nicht gut, sie konnten sich kaum ohne Unterstützung bewegen, einigen von ihnen fallen die Haare aus, vor lauter Hunger und schlechtem Zustand ihrer Gesundheit. Sie können nicht schlafen weil ihre Glieder verkrampft sind, es gibt Probleme mit den Lippen, mit dem Puls, mit dem Herzen, alles mögliche. Die Ärzte haben erklärt sie hätten noch 5-6 Tage in diesem Zustand, bis sie unheilbare gesundheitliche Schäden davontragen werden.

Auf der anderen Seite stehen wir jetzt vor einem krassen Widerspruch zwischen dem Willen der Gesellschaft und den staatlichen Absichten in Zusammenhang mit den Gefangenen. Es gibt nicht einmal eine einzige Stimme, die das Weitergehen dieser U-Haft fordert. Die öffentliche Meinung und die gesamte Presse von rechts bis links kritisieren die griechische sozialdemokratische Regierung wegen ihres brutalen Verhaltens. Außerdem haben wir massive Unterstützung aus dem Ausland bekommen, weil ja drei der Gefangenen aus Spanien, bzw. England kommen. Deswegen waren diejenigen, die sich solidarisierten zum Teil sehr prominent, etwa der Ex-Minister- präsident Spaniens Felipe Gonzales, viele Eu-Parlamentarier und verschiedene Gewerkschafter, Menschenrechtsorganisationen und andere. Deshalb fragt man sich von wem die griechische Regierung eigentlich ihre Richtlinien bekommt. Wahrscheinlich gehen wir in eine Richtung amerikanischen Strafsystems, in dem Sinne, das staatliche Beschlüsse nicht bezweifelt werden dürfen egal ob sie illegal oder illegitimiert sind, siehe z.B. die Fälle von Mumia Abu Jamal oder die Guantanamo-Gefangenen, nach dem Motto: spreche sich dagegen aus wer wolle, nichts wird sich ändern.

Euer Hauptgegner sind also die Justiz und die sozialdemokratische Regierung?

Ja, diese Regierung steht kurz vor den Wahlen (Ende April 2004 sollen hier die nächsten Parlamentswahlen stattfinden) und man hätte eigentlich erwartet, dass sich diese Regierung an ein linkes Klientel wenden würde, weil sie sich zunächst einmal immer Aufgrund dieses Unterschiedes Rechts - Links behauptet, die Rede ist immer von einer extremen Rechten deren Regierungsbeteiligung verhindert werden muss usw. Trotzdem zögert diese Regierung nicht davor an diesem repressiven Vorgehen festzuhalten und sie im Gefängnis bleiben zu lassen.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Diese Gefangenen sind jetzt teilweise über 50 tage im Hungerstreik, und sie sind total am Ende aber auch entschlossen weiterzumachen, weil sie von ihrem Recht überzeugt sind. Heute haben wir den ablehnenden Vorschlag der Staatsanwaltschaft zu ihren Anträgen auf Freilassung unter Kaution bekommen. In den nächsten zwei bis drei Tagen wird dann der endgültige Beschluss des zuständigen dreiköpfigen richterlichen Gremiums erwartet. Wenn dieser Beschluss negativ ist, dann werden sie direkt vor die Frage gestellt werden: entweder sterben um rauszukommen oder aufhören, sofort aufzuhören. Egal was passiert das wird nicht nur eine Niederlage für jede Art von Vernunft sein, sondern auch ein ganz schwerer Schlag gegen die sozialen Bewegungen die diesen Kampf unterstützt haben.

In den letzten vier Monaten hat sich die Solidaritätsbewegung sehr vernünftig verhalten. Sie hat sich bei den Aktionen auf eine symbolische Ebene beschränkt, d.h. viele große Demonstrationen wurden organisiert, symbolische kurzzeitige Besetzungen von öffentlichen Gebäuden, Ministerien, bis zu Rathäusern usw. haben stattgefunden. Der Druck dieser Kampagne ist der enormste in der griechischen Geschichte überhaupt, aber die Richter haben wahrscheinlich keine offenen Ohren dafür. Das verschärft natürlich die angespannte Stimmung in vielen Städten und ich kann nicht ahnen was nach einem ablehnenden Endbeschluss passieren wird.

Wie geht ihr als Anwaltsteam mit der enormen Verantwortung und dem medialen Druck um?

Wir haben uns seit Anfang dieses Jahres organisiert weil wir so eine Repressionswelle erwartet haben. Wenn man schon im Vorfeld die Panikberichte in der Presse gelesen hätte, dann konnte man schon ahnen dass, egal wie friedlich die Demonstrationen verlaufen würden, es trotzdem viele Verhaftete geben würde.

Deshalb sind unserem Aufruf viele AnwältInnen gefolgt, und jetzt haben wir in diesen vergangenen sechs Monaten ganz gut zusammengearbeitet, aber der Druck wird nicht aufhören. In den letzten drei Monaten bewältigten wir eine unglaubliche Stresssituation, wir waren täglich vom Vormittag bis zum Abend im Büro, in den Gerichten usw. unterwegs. Wir werden uns heute noch einmal zusammensetzen und alle zusammen entscheiden wie wir in den nächsten Tagen verfahren werden.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast.

Spenden für Prozesskosten werden erbeten an:
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Ergänzungen

soliaktion am Freitag

No Nation No bOrder 26.11.2003 - 11:04
Am Freitag finden in versch. Städten in Europa vor griech. Konsulat oder Botschaften soli Aktion für die polit.Gefangenen in Hungerstreik statt.
Bitte tut etwas egal wieviel vor Botschaften sind .
Zweitens mit alle Menschen ( auch GrüneAbgeordnete, SPD, Attac usw) darüber reden und Petition für die freilassung .Bitte bitte laß euch etwas gefallen alles ist möglich. Danke No Nation No Border

Ermittlungen wegen Rucksachtausch

passenger 26.11.2003 - 12:22
Die Italienische Zeitung Il Manifesto berichtete vor wenigen Tagen in einer Kurzmeldung darüber, dass der oberste Gerichtshof Griechenlands ‚soeben’ Ermittlungen über den Austausch des Rucksacks von Simon Chapman, der sich unter den Hungerstreikenen befindet angeordnet hat. Filmaufnahmen des griechichen Fernsehens,die in verschiedenen Medien der Gegenöffentlichkeit zu finden sind, zeigen wie Chapman, der einen blauen Rucksack trug, wenige Sekunden später diesen nicht mehr bei sich hatte. An der Stelle des verschwundenen Rucksacks tauchen in den Aufnahmen plötzlich drei schwarze Rucksäcke auf, mit sieben Brandflaschen und einem Hammer. Chapman und weitere sechs Personen wurden in dieser Situation festgenommen, Chapman wurde beschuldigt, Besitzer der Brandflaschen zu sein. Die Einleitung von Ermittlungen zum eklatanten Vorfall, die gut fünf Monate nach den Ereignissen zustande kam, ist den griechischen Behörden dennoch nicht Grund genug, auf die Forderungen der Hungerstreikenden einzugehen.

Wie auch in Italien, spricht vieles dafür, dass das Ziel dieser Politik allein das Statuieren von Exempeln (und das Schaffen von Präzedenzfällen) mittels unnachgiebigster und härtester Behandlung und Bestrafung inhaftierter Protestteilnehmer ist. Wie in Italien zeigt der späte Beginn der Untersuchung zu der Rucksackaffäre wie nur zu offensichtlich zweierlei Maß angewendet wird. Die Fälschung von Beweisen in Zusammenhang mit der 'Chilenischen Nacht' In Genua 2001 wurde nachgewiesen. Die Beschuldigten sind unbehelligt im Dienst geblieben und sogar an die Spitzen polizeilicher Organe befördert worden. Derweil saß Jimmy, einer der 26, die in diesen Tagen in Genua als ProtestteilnehmerInnen vor Gericht kommen und mitunter zweitstellige Haftstrafen riskieren, fast 50 Wochen mit der gleichen Begründung in Untersuchungshaft wie der Hungerstreikende Suleiman Dakduk (ihm wird unterstellt, dass er in Freiheit quasi zwangsläufig bei der nächstbesten Gelegenheit 'gewalttätig' werden könnte). Auch die anderen waren kürzer oder länger in Haft und leben bis heute unter Auflagen oder im Hausarrest. Eher unverhofft wurde die Untersuchungshaft Jimmys am vergangenen Donnerstag in strikten Hausarrest umgewandelt. Die Anwälte kämpften hierfür lange Zeit vollkommen erfolglos, noch Mitte letzter Woche stellten sie in Interviews die größte Unnachgiebigkeit der Zuständigen fest.

Woher der 'Wandel', der wirklich etwas plötzlich war, kam, muss im Einzelnen noch herausgefunden werden. Fünf zeitliche Zusammenhänge begleiten ihn jedoch sehr augenfällig. 1) Am 4. Dezember wäre wegen des Ablaufs des 12. Untersuchungshaftmonats der Haftrichter zum Zug gekommen, um neu über die Zwangsverwahrung zu entscheiden. Die für die strikte Verwahrung Jimmys angeführte Rechtfertigung beruhte bisher, wie schon gesagt wie bei Souleiman Dakduk, auf eine 'negative Prognose', nach der laut Behörden damit zu rechnen sei, dass er in Freiheit quasi unumgänglich 'gewalttätig' werden würde. 2) Die inzwischen dramatische Lage der Hungerstreikenden in Griechenland lässt nicht mehr ausschließen, dass es dort einen oder mehrere Tote geben könnte. 3) Während es gegen die ProtestteilnehmerInnen zur Sache geht, könnte der Prozess gegen die 73 wegen der Chilenischen Nacht beschuldigten Polizisten und Ärzte signifikanten Aufschub bekommen, weil fünf von ihnen die Verlegung des´Gerichtsstands nach Turin beantragt haben. Dies würde die beiden Jahre staatsanwaltlicher Arbeit, die zu den 73 Anklagen führten, praktisch zunichte machen. 4)Italien hat schon einen Toten, für den sich per Verfahrenseinstellung niemand verantworten müssen wird. Und Italien sieht zu, wie Amtsträger, die der schwersten Gewalttaten und Fälschungen beschuldigt sind, noch höhere Ämter bekommen, während Protestteilnehmern die Grundfreiheiten verweigert werden, allerlei Menschen zunehmend willkürlich verfolgt werden und ganze gesellschaftliche Gruppen immer rabiater verunglimpft und unter Druck gestzt werden (man stelle sich vor, die wildesten politischen und medialen Kampagnen würden offensiv und lautstark die Unterstellung propagieren, der DGB sei Hort von Terroristen - Vergleichbares hat sich in Italien vor zwei-drei Wochen tatsächlich zugetragen). 5) Die Anwälte der Verteidigung in Genua erkennen klare Zeichen für den Willen der Behörden, um jeden Preis auf exemplarische Weise gegen die 26 von 2001 vorzugehen.

Wenn es in Griechenland zu einem Toten käme, blieben die Bewegungen und die zivile Gesellschaft in Italien nicht unberührt, soviel ist sicher, und sei es nur, weil sich dann die Bewegung fragen müssen wird, wie es sein konnte, dass sie selbst es nicht vermocht hat, die sieben von Thessaloniki zu schützen. Bei einer solchen Reflektion würde die von Teilen der Bewegungen von der Obrigkeit übernommene Debatte um gute und böse Demonstranten, die ganz deutlich eine Entsolidarisierung gegenüber von gefangenen Protestteilnehmern geführt hat, unter neuen Vorzeichen wieder aufgenommen werden müssen, und zwar im Angesicht weiterer Opfer in direkter Verbindung mit einer Affäre, die wie schon in Genua mit gefälschten Beweisen einhergeht. In diesem Licht betrachtet, kann die Umwandlung der fast einjährigen U-Haft Jimmys in Hausarrest durchaus als eine Art taktisches Bauernopfer der Behörden aufgrund der äußeren Situation gesehen werden.

Großartige Anwälte

p 26.11.2003 - 13:10
Ein Wort der ausdrücklichen Anerkennung für die Anwälte, die sich in Griechenland und Italien und auch anderswo einsetzen, ist wirklich fällig. Tatsächlich sind der Stress, der Druck und die unendlichen Mühen die sie beim Versuch, ihre Arbeit zu machen, auf sich nehmen, enorm. Ihnen wäre weit größere Unterstützung zu wünschen, bisher haben sie die schwersten Kämpfe fast allein geführt.

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