Fragen an die protestierenden Studierenden
DasSozialreferat des AStA FU hat:
Fragenan die protestierenden und streikenden Studierenden
LiebeStudierende! Zunächst einmal: Respekt! Wer neben demLeistungsdruck der Universität oder der harten Lohnarbeit nochdarüber nachdenkt, dass mit der Wirklichkeit irgendetwas faulist und wer dann noch die Kraft aufbringt, diese Zuständeöffentlich zu thematisieren, dem gilt unsere ganze Sympathie.Studierende waren immer ein Motor für unser Land. Sie sindunsere Zukunft. An Forschung und Lehre, angehenden und fertigenAkademikern darf nicht gespart werden. Bildungsstandort undWettbewerbsfähigkeit sind in Gefahr. Einige Nachfragen zu dem,was ihr gerade tut hätten wir allerdings trotzdem noch.
I
Ihrklagt ein, dass die Einsparungen in der universitären Bildungnicht Euren Interessen entsprechen. Um diesem Interesse Geltung zuverschaffen, bedient Ihr Euch u.a. dem Mittel der Meinungsfreiheit(viele von Euch wollen mit den Politikern reden). Viele von Euchwollen über Alternativen, überVerbesserungsvorschläge sprechen. Da fällt uns schoneinmal eine Frage ein: Meint Ihr etwa, dass die Regierenden bei dem,was sie gerade mit Euch vorhaben, nicht nachgedacht haben? Hat derFinanzminister beim Offizierskat gegen den Bildungsminister gewonnen?Oder hat letzterer beim Streichholzziehen den kürzeren gezogen?!Meint Ihr wirklich, dass man sie jetzt nur auf den richtigen Wegführen müsse?
Dastellt sich uns eine weitere Frage: Habt Ihr jemals miterlebt, dassdie Politik sich von einleuchtenden, vernünftigen Argumenten hatleiten lassen? Wir finden beispielsweise das Anliegen der HessenerStudierenden, die harten Studiengebühren abzuwehren, sehrvernünftig. Solche Einschränkungen der materiellenLebensverhältnisse sind nicht angenehm. Es ist absolut nichtvernünftig, statt einen netten Urlaub in der Sonne zuverbringen, Gebühren an die Hessische Landesregierung zu zahlen.Bisher hat die Hessische Regierung von ihrem Vorhaben aber nichtAbstand genommen. Eines kann man dem schon entnehmen: Um das Wohl derStudierenden scheint es hier nicht zu gehen.
Aberzurück zur Ausgangsfrage. Meint Ihr nicht auch, dass dasmeinungsfreiheitliche Gespräch mit den Regierenden ganzoffensichtlich kein adäquates Mittel zur Durchsetzung dereigenen Interessen ist? Wozu sollten die demokratischen Inhaber derStaatsgewalt dem denn auchentsprechen? Sie haben es doch eigentlich gar nicht nötig. Wennsie genug von Euch haben, dann sagen sie einfach: „Vielen Dank!Das war eine sehr interessante Debatte, aber der Sachzwang! Tut unsleid. Schön, dass Sie da waren!“ Wenn Ihr dann nicht gehtoder beginnt, Eurem Interesse praktisch auf die Füßezu helfen, was wird dann wohlpassieren? Richtig, Ihr bekommt die Grenzen derMeinungsfreiheit zu spüren:Man kann zur Regierung fast alles sagen, was man will. Man kannpatriotisch „Hurra“ rufen, aber auch richtig schimpfen,solange das alles keine praktische Konsequenz hat. Diesebehält sich der demokratische Souverän, der ja auch dieMeinungsfreiheit gewährt, dann bitte immer noch selbst vor! Wokämen wir denn hin, wenn die Menschen ihre Lebensplanunggemeinsam in die Hände nehmen, ohne sich von anderenvorschreiben zu lassen, wie das geht!?1Wie man die Grenzen der Meinungsfreiheit dann zu spüren bekommt,wisst Ihr selbst. Dafür gibt's das Strafgesetzbuch, dieStaatsanwaltschaft und die für letztere arbeitendenHilfsbeamten, die, wenn's drauf ankommt, nicht zimperlich sind undden Gummiknüppel ganz locker sitzen haben.
Noch einmal die Frage: Wieso sollten solche – imZweifel also sehr „potenten“ Menschen – denn aufEuer Begehr hören, wenn Ihr nichts als Worte, wenn auch sehrrichtige Argumente, auf der Tasche habt?
II
Ihrmeint, dass Euer Anliegen ein sehr wichtiges ist. Bildung ist dieZukunft des Landes, nicht wahr? Wenn dem wirklich so ist, warum seidIhr so bescheiden? Wieso dann nicht gleich noch 20 Universitätenund 50 Schulen zusätzlich fordern? Und BAföG in Höhevon 1500 Euro/Monat für alle hier Lebenden, egal ob deutscherStaatsbürgerschaft oder nicht? Bildung nützt doch dem Land,ist seine Zukunft! Wieso dann nicht noch den numerus claususabschaffen? Warum sollen Menschen nach der Schule denn explizit vonBildung ausgeschlossen sein, wenn Bildung doch sobestimmend sein soll für unser Gemeinwesen? Ist die Bildung derUniversität vielleicht doch nur für eine bestimmte Anzahlvon Menschen geschaffen? Und warum ist das so? Scheinen Bildung undWissenschaft nicht vielmehr eine rein funktionale Rolle fürandere Interessen zu sein? Anders gesagt: Meint Ihr wirklich, dassdie Bildungsinstitutionen Schule und Universität fürEuch da sind? Warum gibt´sdann eine Schulpflicht?
Oderbezieht Ihr Euch in dem Protest vielleicht doch auf EuerEigeninteresse, welches ein schönes Studium und ein angenehmesLebens drum herum einschließt? Wieso sagt Ihr das dann nicht?Die Studierenden in Hessen, die sich gegen übelst harteStudiengebühren wehren, machen's vor! Wieso müsst Ihr immerso tun, als wäre Euer Tun auch noch nützlich für dasGemeinwesen, deren (Volks)Vertreter Euch doch nichts als schadenwollen? Ist es denn nicht ein Gebot der Vernunft, harte materielleEinschnitte im eigenen Leben zu verhindern bzw. die Ursachen fürsolche Einschnitte zu erkennen und zu beseitigen? Wenn diesesEigeninteresse nicht gewährt wird, obwohl die Mittel dafürda sind, dann ist das kein vernichtendes Urteil über Euch,sondern über das in BILD, Rundfunk, Fernsehen und Kirchegepriesene Gemeinwesen!
III
Ihrmeint nun, das wäre alles zu utopisch? Wieso relativiertIhr Eure Interessen denn an bestehenden Zuständen?Nochmal: Wenn man ständig gezwungen wird, sein Interesse zurelativieren: Ist das nicht ein vernichtendes Urteil über diebestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse? Sind diemateriellen Güter wirklich so begrenzt, um ein angenehmes Lernenohne den Leistungsdruck des – euphemistisch – Wettbewerbs(besser: knallharte Konkurrenz) zu verhindern? Ohne dieNervenzusammenbrüche und Ängste in Prüfungssituationen?Ohne die Tabletten u.a. Drogen, die man ständig schmeißtoder raucht, damit man den Druck wenigstens abmildern kann?2Wollt Ihr wirklich weiterhin das auszubildende Menschenmaterialfür die ökonomischen Protagonisten an einem x-beliebigenStandort sein? Wobei ja noch überhaupt nicht klar ist, ob Ihrmit Eurer Bildung sozial teilhaben, also einen Beruf ausübenkönnt! Ihr habt lediglich die Chance!Eine Chance bedeutet aber längst keine materielle Sicherheit.Akademiker mit Sozialhilfe oder schlechten Jobs soll es ja auchgeben, munkelt man.
Meint Ihr, dass diese Verhältnisse, die die immerwieder angeführten „Sachzwänge“ hervorbringen,die Euch das Leben so schwer machen, nicht grundlegend veränderbarsind? Es sind doch von Menschen gemachte Verhältnisse. Es istbanal, aber: Was Menschen tun, kann verhindert oder verändertwerden, im Gegensatz zu Erdbeben oder Vulkanausbrüchen.
Fürsolche Veränderungen – selbst in kleinen Schritten –sind die Regierenden bestimmt keine Partner, sondern Gegner!Um die zugunsten unserer Interessen in eine Richtung zu schieben,braucht es aber etwas anderes als Gespräche und Demonstrationen.Es braucht materiellen Druck. Oder habt Ihr etwa einen erfolgreichenStudierendenprotest in den letzten Jahren erlebt, der dieVerantwortlichen mit Worten überzeugte und die Interessendurchgesetzt werden konnten? Wir nicht.
AStA FUSozialreferat 16.11.2003, 22:29 Uhr
FürFragen, Kritik etc.: sozialreferat (at) astafu.de
WeitereLiteratur: Prof. Dr. Freerk Huisken „Über dieFunktionalisierung der Wissenschaft für Staats- und Geldmacht“(http://www.fhuisken.de/wissfunk.htm)
Wichtig:Politikwissenschaftliche Referate und Diskussionen mit profiliertenReferentInnen der Bremer Universität am
03.12.03: Die Demokratie – Eine Form politischer Herrschaft erfreut sichgroßer Beliebtheit – Referentin:Prof. Dr. Margaret Wirth – 18:00 Uhr – Hörsaal D – HenryFord Bau Garystr. 35
10.12.03 Die Globalisierung und ihre Kritiker – Von der Empörungüber die Standortpolitik des Staates zum Glauben an dessen„eigentliche“ Aufgaben- Referent: Werner Pfau – 18:00 Uhr – Silberlaube JK27/106 Habelschwerdter Allee 45
Veranstalterist das Sozialreferat des AStA FU. Näheres www.astafu.de!Dort finden sich unter „Artikel“ weitere Texte desSozialreferats.
1Ein eventueller Einwand der Demonstrationsfreiheit würde übrigens an den gleichen Grenzen wie die Meinungsfreiheit scheitern! Demonstrieren heißt ja nicht: Veränderung. Sondern durch die Gegend latschen und dann wieder nach Hause gehen. Ein Blick ins Versammlungsgesetz genügt, dann wisst Ihr woran Ihr seid!
2Nichts gegen einen genüsslichen Drogenkonsum!
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)
Ergänzungen
Bitte html-isieren!
Anna
Abschluß,weil sowohl die neoliberaale Propaganda als auch die Konkurrenz unter den Studenten,der Elitismus der Bezahlten nicht mehr auszuhalten waren,und die sich gern an jedem Protest gegen bestehende De-Facto-Gebühren und kommende Wahnsinnssummen beteiligen würden,habne kkeine Lust,die nächste elie in die Positionen zu....tragen ?
Super !
linguistik
tatsächlich weist die geschichte der brd mehr wahlen auf, die massive politische konsequenzen hatten, als demonstrationen - die bundestagswahl '82 hat z.b. die weichen zum einschlafen der linksprogressiven szene für ~15 jahre, den niedergang der grünen als einer ihrer zeitweiligen sachwalter und die ungebrochene neoliberalistische tradition der hochpolitik gelegt. also, wenn demonstrieren etwas bringen würde, wäre es verboten - aber fuck, wenns nicht wieder so ne stumpfe deutesche parolenbrüll-latschdemo ist, sondern was nettes, p&s oder so, dann macht es ganz einfach SPASS ;-)
(das 'gegenteil' einer demonstration wäre somit eine revolte, revolution oder letzten endes sogar eine reform. alles mehr, als nur seine probleme öffentlich zu machen.)
Masse machts
Die Uniformiertheit und kindliche Besitzwahrung vieler Studierender kann man kritisieren, das nützt aber nicht viel. Vor allem nicht in Zeiten, wo viele Studis so verbohrt sind, dass 1500 Leute auf einer FU-VV als Riesenerfolg verbucht werden.
Ohne Massenmobilisierung, die immer auch die Leute da abholen muss, wo sie nun mal stehen, erreicht Eure "materielle" Macht nichts. ...so schön sie auch ausgedacht ist.
Vom AStA FU ist genau wie vom RefRat HU derzeit auf der landespolitischen Bühne nicht viel zu sehen. Kein Protest auf Senats- und AGH-Ebene, keine Bündnisarbeit, keine LAK-Aktionen. Und auch keine Lobbyarbeit, die im Moment mal nötig wäre. Was machen denn die vielen ReferentInnen den ganzen Tag? Wo ist denn die ganze Kohle?
Den Studis erklären, was sie alles falsch machen ist ne Supersache. Schönen Dank.
Verhältnis Theorie + Praxis
Tu doch nicht so, als wenn der Einstieg in die Praxis ohne irgendwelche Gedanken vorher passiert! Auch die protestierenden Studis machen sich vorher Gedanken, kommen zu Schlüssen und handeln. Auch sie haben eine "Theorie", wie die Gesellschaft tickt und wie man interveniert. Das Soz-Ref würde aber behaupten, dass das, was da gedacht und getan wird (ohne dies übrigens zu trennen!!) falsch ist. Das steckt in den Thesen. Eine Praxis ist nur so gut wie die Theorie, die ihr zugrunde liegt. Und damit sollte klar sein, dass es um richtige Theorie/Praxis geht. Ob die Thesen oben alle richtig sind, darüber kann und SOLL gestritten werden. Aber da scheinst Du ja gar nicht zu widersprechen!
Und apropos Praxis:
Was sind denn bitte die beiden Veranstaltungshinweise, wenn nicht Praxis? Die Erarbeitung einer Kritik läuft so im luftleeren Raum?
Im übrigen haben alle Referate des AStAs der FU sehr viel Arbeit in die Proteste gesteckt. Lüg doch nicht rum.
"Abholen der Leute wo sie stehen" Das sagt der Linksruck auch immer. Aber die Frage ist doch: WOFÜR?? Das sollte mal geklärt werden, bevor man irgendetwas tut!
Und nun
Ich auch nicht. Allerdings weiß ich auch nicht was materieller Druck ist. Vielleicht können mir da die ExpertInnen für systemexmannente Protestformen innerhalb einer bestehenden Gesellschaftsform einen Tip geben. Das Problem ist doch, das alle wissen, was nichts bringt, aber keiner eben einen anderen Plan habt. Auch ihr nicht oder ich bin zu blöd und konnte ihn aus eurem langen Text nicht rauslesen. Solche Beiträge sind von daher nicht einmal kontraproduktiv zu nennen, im Hinblick auf diejenigen, die überhaupt etwas tun, sondern nur unproduktiv, da sie unanwendbar sind. Klar, hier können keine Patentrezepte geliefert werden, aber ein Funken mehr Idee wäre sicher nicht abträglich.
Das Elend im Studierendenmilieu - revisited
TEXT unter:
www.realkaroshi.org/k2/elend.html
ein Original von 1968 findet ihr, zusammen mit anderen Texten & Einführung hier:
www.wurfsache.de , dann „golden moments“ anklicken
Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen
Originalquellenstudium... — rad
Nicht jammern! — Streikender
Eliten schreibt man mit E-L-I-T-E-N — -
@Reformeifer — Einer der Verfasser