Drinnen und draußen in Paris/St-Denis -Teil 1

***** 16.11.2003 15:50 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Persönliche Eindrücke aus Paris. Die Welt von St. Denis, einem der Randbezirke, die Standorte des ESF waren.
Ich war Dienstag bis Samstag da. Mit der Ruhe eines 'Besuchers' konnte ich nicht dabei sein, weil ich zum echt beachtlichen Haufen freiwilliger Helfer gehörte und damit so gut wie gar nichts anderes getan habe als arbeiten, und zwar richtig, aber ich war da und habe natürlich auch Eindrücke gesammelt und die eine oder andere interessante Sache mitgekriegt. Räumlich bin ich überhaupt nicht 'rumgekommen, alles, was ich erlebt habe, hat sich im Pariser Vorort St. Denis abgespielt. Obwohl die schon in anderen Beiträgen tematisierten, zweifelhaften Hintergrundepisoden der diesjärigen ESF-Organisation auch die Geschichte der Wahl dezentral gelegener Orte tangieren, fand ich es nicht schlecht, dass es so war, also weg vom Zentrum. Wegen der Bevölkerung. Zumindest in St. Denis. St. Denis ist ein Armenviertel, noch ärmer sind die unmittelbar hinter ihm gelegenen Stadtrandsiedlungen. Ich trat, wie auch immer ich dazu kam, während dieser kurzen Zeit vielfach mit den Bewohnern dieser Viertel in Kontakt. Ich kann nur sagen, dass ich diese Leute schnell immer mehr im Herzen getragen habe. (Muss allerdings sagen, dass es nicht meine erste nähere Begegnung mit dieser Welt war und dass ich um die französischen Banlieues weiß, was mir die Kommunikation erleichterte). Am ESF waren die Bewohner der sozialen Brennpunkte vom Ballungsraumn Paris jedenfalls nicht beteiligt, viele checkten erst am Dienstag, als es offiziell losging, was ihnen ins Haus stand, aus den Medien und aus dem regen Treiben in den Gassen und Straßen und Bussen und Bahnen. Für viele war das alles, was da plötzlich aus dem nichts tauchte, noch am vorherigen Wochenende total unklar. Noch am Dienstag musste ich vielen das ganze Ding mit dem ESF überhaupt erstmal erlären, am Mittwoch war das schon ganz anders. Die 'Altermondialistes', wie auch immer, in allen Köpfen, von heute auf morgen, das war schon beeindruckend. Die Wahrnehmung des ESF seitens der Menschen, die St. Denis ihr 'Quartier' nennen, scheint ausgesprochen intensiv gewesen zu sein, zumindest soweit ich das erfassen konnte, auch wenn sie ganz klar komplett draußen geblieben sind. Jedenfalls hat es mich tief berührt, wie freundlich, höflich und solidarisch alle Menschen waren, denen ich begnenet bin, Männer und Frauen verschiedenen Alters und aus verschidenen Kulturgemeinschaften, die mir übrigens oft, wenn wir uns verabschiedeten/sich unsere Wege trennten, noch schnell gesagt haben: 'Ich werde auf der Demonstration sein'. Jedesmal freute ich mich natürlich, aber ich konnte nicht wirklich glücklich sein, weil sie ja sonst vollkommen draußen waren. Die Demo war ja nicht zuletzt die einzige wirklich offene, weil kostenlose Veranstaltung des Treffens, und ein Stück weit auch die einzige für Außenstehende ziemlich eindeutig identifizierbare. Die Besucher des Treffens waren gut versorgt mit detaillierten Programmheften, nicht aber die Menschen dort. Die haben maximal aus den Medien von der Demo erfahren und sicher auch öfter mal hier und dort mal ein Flugi, mal ein Infoblatt, mal einen Aufkleber aufgelesen und sich langsam ein Bild von diesen 'Altermondialistes' machen können. Aber in den großen und kleinen Sälen und Hallen und Zelten, in denen das Treffen statt fand, sind sie nicht gewesen, das steht fest. Klar hat der nicht gerade geringe Eintrittspreis eine Beteiligung der Bevölkerung nicht gerade gefördert, es gilt vielmehr das Gegenteil. Aber blind sind die Leute nicht. Von den inneren Widersprüchen dieser Bewegung der Bewegungen haben sie nach wie vor keine Ahnung, aber der Begriff einer anderen Welt, die zu befürworten wäre, ohne Armut, Verfolgung, Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit und Kriege, der ist bei vielen irgendwie als Merkmal des Treffens angekommen und offenbar positiv aufgenommen worden. Sei es, dass ich nicht wusste, wie ich von A nach B komme, sei es, dass ich auf dem Weg von A nach B zu Fuß und schwer beladen war, oft habe ich Strecken mit Einheimischen zurückgelegt, mit denen dann richtige Gespräche entstanden sind, die mir ziemlich stark das Gefühl des Zuspruchs der Menschen dort gegeben haben. Ein meist nur leise gezeigter, aber sehr autentischer Zuspruch, weil sie logischerweise ein tiefes Bewusstsein dafür besitzen, dass Gerechtigkeit mehr als nötig wäre, um besser leben zu können. Die Gerechtigkeit, die sie aus der ureigenen Lage heraus zutiefst legitimiert sind, sogar richtig sehnsüchtig herbeizuwünschen. Ein Zuspruch, der vielleicht leise blieb, weil sie zu gut um ihr Dasein wissen, um wirklich hoffen zu können, aber es war ein Zuspruch. Ansonsten ist die Bevölkerung aber draußen geblieben, die Armen mit oder ohne Papiere, die da leben, waren nicht dabei. Zwischen ihnen und dem Happening an sich waren/sind und bleiben dennoch immer noch Welten und natürlich auch die Eintrittspreise sowie der Zugang zu Informationen. Obdachlose haben während der EFS-Tage an verschidenen Orten kleine Flecken öffentlichen Raumes belegt und auf Transparenten gefragt, was aus ihnen werden soll, auf einem großen weißen Tuch auf dem Marktplatz stand etwa: 'Während das Soziale Forum Statt findet sind wir hier ohne einem Dach über dem Kopf. Was halten sie davon?'. Ich habe mich ein Paar mal gefragt, wieviele Forum-Besucher die soziale Situation der Bewohner von St. Denis und Hinterland wahrgenommen haben. Ich habe diese Leute in den Gassen von St. Denis und noch mehr dort, wo ich gewohnt habe, noch weiter draußen, gesehen. Ich nahm sie das erste mal richtig heftig wahr, als ich relativ spät abends auf der Suche nach meiner 'accomodation' im tiefen Hinterland von St. Denis (Pierrefitte) war. Es stand wohl ein Sperrmülltag bevor, vor den kleinen Häusern in diesen kaum beleuchteten Straßen stieß man gelegentlich auf irgendwelche Gebilde aus altem Gerät und meist nicht mehr vollständigen Mobiliarteilen. Nichts Wertvolles, sowas gibt es dort wohl kaum. Die Straßen wirkten wegen der totalen Stille, dem Nebel und der Dunkelheit richtig verlassen, und waren doch voller Leben. Die Ärmsten der Armen dort waren alle auf den Beinen und suchten völlig lautlos die Sperrmüllhaufen ab. Eine ganze schwarzafrikanisché Familie, die offenbar Möbel brauchte und voll in Aktion war, zwei Straßen weiter drei arabische Kinder, die Küchengerät mit sich trugen und mit Augen, die nie still standen, nach weiterem Sperrmüll suchten. Sie hielten Pfannen in ihren Händen, einen Topf, eine alte Plastikschüssel, einen abgewetzten Ordner. Nochmal um die Ecke, eine kleine Gestalt mit Handwagen, die offenbar Brennholz sammelte. Und so weiter. Ein haufen Leute, richtig am Arbeiten, im Dunklen dieser Straßen. Überall, und so viele. Von denen dort hinten hat keiner das mit dem ESF mitgekriegt, es sei denn ganz am Rande, über die Medien oder über Freunde und Verwandte aus dem angrenzenden St. Denis. Dort war schon mehr 'Berührung' mit dem ganzen Happening, wenigstens im öffentlichen Raum. Das sind die Eindrücke, die ich 'draußen' gesammelt habe. Bei aller Freude über die wahnsinnige Freundlichkeit und den Zuspruch, die mir entgegengebracht wurden, habe ich Anlass gehabt, schwer zu trauern, ich fühlte mich jedes Mal schlecht, wenn ich die kleinen Spaliere der zur Kontrolle der Zugangsberechtigung abgestellten Leute passierte und drinnen bestenfalls und grundsätzlich eher selten, Delegierte aus den Welten, die aus Armut und Entbehrungen gemacht sind fand; ich habe viel an die Menschen, die ich getroffen hatte gedacht, von denen manche durchaus gerne mehr hätten wissen wollen, aber einfach nur ?draußen? waren und denke natürlich immer noch an sie, und auch an die Delegationen, die im Rahmen des Treffens mit dem Schwerpunkt "lokale Foren" zusammengekomen sind, weil diese am ehesten, soweit ich das wahrnehmen konten, den anderen nahe stehen, die draußen sind. Die haben heute ihr Abschlusstreffen, Ergebnisse hiervon werde ich posten, sobald ich sie bekomme, jemand will mir was zuschicken. Abgesehen von letzerer Nachricht, soviel zu St. Denis. Eindrücke von ?drinnen? dann beim nächsten mal.
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Ergänzungen

Schöner Beitrag

print 17.11.2003 - 16:12
& ich bin gespannt auf den nächsten Teil. Würde, wenn nichts dagegen spricht, den Artikel evtl. in unsrer Zeitschrift veröffentlichen.
Grüße

weiterer kleiner eindruck

richie 17.11.2003 - 17:08
Mich hat gleich am ersten Abend eins Geschockt, nämlich das Plakat von der baskischen Gruppe Batasuna.

Ich fang jetzt hier nicht gross an den baskischen Konflikt zu analysieren, aber folgendes muss ich einfach kritisieren.
Batasuna hat, zumindest bei dem Veranstaltungsort La Villette, an jede erdenkliche Ecke eine Europakarte aufgehängt.

Die überschrift des zweigeteilten Plakates war
Links=Gegen Das Europa der Staaten = Europakarte mit einzelnen Ländern
Rechts= Für ein europa der "Völker" (in frz. peuple, sicher kann es auch als "Menschen" übersetzt werden aber in dem verwendeten Zusammenhang steht es für Völker

die Karte enthielt ein zweigeteiltet Frankreich, wobei dem nördlichen Teil die Hälfte Belgiens einverleibt wurde, die andere Hälfte verschwand in den Niederlanden, doch der eingentliche Hammer - Deutschland, österreich und Schweiz existierten nicht mehr sondern waren D einverleibt, ebenso Königsberg - da war mir echt kotzübel,

wie können sich die Leute von Batasuna so einen Schwachsinn einfallen lassen, so ein "Projekt" zu unterstützen würde heissen ich kann all den Faschos in Deutschland die Hand geben, weil die eh das gleiche wollen.

Batasuna nein danke

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@ 3:49 — genervter