ESF: Eindrücke von Donnerstag abend und Freitag

sebastian 14.11.2003 21:33 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Nach und nach wird das ESF in Paris mehr sichtbar. In bestimmten Gegenden sind unzählige Plakate und Graffitis von ESF oder teilnehmenden Gruppen zu sehen. Aktionen finden überall in Paris statt. Heute wurde zum Beispiel von 8000 bis 1000 Leuten (aus dem GLAD) ein Gebäude besetzt, welches Soziales Zentrum werden soll, gerade findet eine Aktion an der griechischen Botschaft statt, gestern wurde McDonalds besetzt, täglich finden kleinere und größere Demonstrationen statt. Ein unglaublich fettes Kulturprogramm bringt täglich Ausstellungen, Konzerte, Theater, Filme, Lesungen usw. Jeden findet beispielsweise ein HipHop-Konzert in Saint-Denis statt.
Nun also noch ein paar weitere Eindrücke aus Paris von gestern abend und heute... alle anderen Artikel vom ESF sind im Feature Soziale Bewegungen Europas treffen sich in Paris verlinkt.
Der Versuch das ESF in den Aussenbezirken zu verstecken hat genausowenig funktioniert, wie der Versuch der staatstragenden und trotzkistischen Gruppen das ESF zu vereinnahmen. Andererseits ist die intransparente und hierarische Struktur schon in einigen Punkten bemerkbar - etwa wenn in einem undemokratischen Prozess entschieden wird, daß das nächste ESF in der SWP-Hochburg London stattfinden soll usw. (SWP - Trotzki-Sekte, die nur aus einem Grund in Paris sind: Werbung für ihre Sekte zu machen, Enfluss gewinnen, dominieren, strategische Schachzüge. Die meisten Mitglieder machen die ganze Zeit über nichts anderes und bekommen so natürlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit alle anderen Zusammenhänge, die hier in Paris aus anderen Gründen unterwegs sind. Der deutsche Ableger dieser Sekte heisst übrigens Linksruck). Auch viele Panels und Podien sind ziemlich hierarchisch strukturiert. In den bürgerlichen Medien werden überwiegend ESF-Eliten in den Mittelpunkt geschoben.
Teile der Anarchisten (welche das libertäre Sozial Forum machen) in Paris sind ebenfalls ziemlich dogmatisch und vom Avantgarde-Gedanken besessen (so wie in Dtl. eher K-Grüppler), so daß sich Libertäres hier mehr und mehr aufs GLAD (dem Forum der Ungehorsamen) konzentriert.

Gestern abend besuchte ich im Banlieue Bobigny die Veranstaltung "Spirituel Resistance to neo-liberal globalisation: christianity, islam, judaism, buddhism". Etwa 300 bis 350 Menschen füllten das viel zu kleine Zelt. Ich selbst kam leider etwas zu spät, so daß ich nicht mehr alles mitbekam. Im Wesentlichen ging es bei diesem Zusammentreffen und Austausch von Vertretern der verschiedenen spirituellen Weltanschauungen und politischen Aktivisten um Dinge wie Zusammenleben, Menschlichkeit, Werte, Beziehungen zueinander und all die Dinge, die für die Veränderung der Welt von Bedeutung sind. (Übrigens Themen, an die sich viele Linke nicht herantrauen, weil es einfacher ist, andere als sich selbst zu verändern). Besonders oft wurde die Friedensbewegung erwähnt, da diese sehr stark von religiösen Gruppen getragen wurde/wird. Wohltuend war dabei, daß es nicht um Eigenwerbung für die jeweiligen Weltanschauungen, sondern um ein Finden von Gemeinsamkeiten untereinander ging. Die Frage war: Wo gibt es Gemeinsamkeiten und wie können wir voneinander lernen?
Eine Frau von einer französischen Mission erzählte von ihren Erfahrungen in Problem-Gegenden wie den Banlieues, die Rolle der Kirche bei der Sozialisierung der "sensitive areas", über das Zusammenkommen der Menschen, Hilfe-geben, social actions, Beratungen, Trainings oder Camps für besonders marginalisierte Bevölkerungsteile.
Corinne Akli, ein Buddhist sprach über Widerstand und Egoismus. Er warf die Frage auf, inwiefern Widerstand immer eigennützig sein muss oder uneigennützig sein kann. Später redete er über aktive Gewaltlosigkeit und von "Kommunikation als Waffe der Gewaltlosen". Er stellte zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen progressiven spirituellen Menschen und der Bewegung der Bewegungen fest. Die grundlegende Essenz von Spiritualität sei fundamental dieselbe wie bei politischen Utopien. Hier könne man gegenseitig anknüpfen. Dabei unterschied er ausdrücköich zwischen Fundamentalismus/Dogmatismus auf der einen und Idealismus auf der anderen Seite.
Yvonne Deutsch, feministische Aktivistin aus Israel ("Women in black") beklagte zunächst, daß der Tag der Rechte der Frauen mehr an den Rand gedrängt wurde und bei Veranstaltungen zu Nahost keine Frauen-Gruppen aus Israel berücksichtigt wurden, obwohl diese eine wichtige Rolle spielen. Insofern war sie überrascht, sich als sekuläre Person auf diesem Panel wiederzufinden. Allerdings gab sie zu, daß sie Spiritualität/Religion ziemlich interessant findet und Gemeinsamkeiten entdeckt hat. Ihr wesentlicher Antrieb für politische Arbeit ist der Wunsch, daß die Menschen zusammenkommen, Grenzen, Barrieren und Spaltungen in jedem Bereich (viele Menschen sind ja sogar in sich selbst gespalten) überwunden werden sollen. Insofern suche sie "Diversität in der Universalität". Thema ihrer Rede war auch die israelische Friedensbewegung, die ziemlich homogen ist und teilweise religiös motiviert, und die Lage der Gesellschaft Israels/Palästinas, welche durch Selbstmordanschläge auf der einen und Siedler/Militarismus auf der anderen Seite vergiftet ist. Sie fand es verkürzt, daß viele Leute ein Okkupationsende mit Friden gleichsetzen würden, da Krieg und Hass ganz andere Ursachen haben. So müssen grundlegende soziale Ungerechtigkeiten beseitigt werden, die gesellschaftlich Starken ihre Stärke dekonstruieren, um den Marginaliserten eine Chance zu geben.
Die anderen Redner befassten sich mit spirituellen Widerstand gegen Neoliberalismus auf der einen Seite und Religion als kriegerische, reaktionäre Kraft. Im Publikum meldeten sich unter anderem Menschenm, die in interreligiösen Dialogen beteiligt sind, erzählten von Erfahrungen und Projekten. Ein Österreicher sprach über seine unfreie katholische Erziehung, religiösen Fundamentalismus in Europa unter Christen, über Erfahrungen mit linken Christen, über ein Treffen aller Religionen beim Meeting des österreichischen Sozialform...


Einige Veranstaltungen sollen am Donnerstag abend in Streitereien mit sektierischen Gruppen geendet sein.

Am Freitag mittag wollte ich eine Veranstaltung zum Thema "Multitude or working class" besuchen, welches so eine Art Streitgespräch zwischen Negri, dem Boss der SWP und einer weiteren Person sein sollte. Es gab aber keine Möglichkeit in den Saal zu gelangen. Tausende von Menschen drängten sich in und vor dem Gebäude. Viele waren Parteisoldaten der SWP, die da waren, um ihren Boss zu beklatschen. Da mindestens 1000 Leute nicht in den Saal passten, wurde eine englische Übersetzung für die Draussenbleiber organisiert. In der kurzen Zeit habe ich mitbekommen, daß Negri eher analytisch, abstrakt argumentiert hatte und der SWPler eher polemisch und in Beispielen diskutierte. Ich bin aber bald wieder weg, um mich zur Veranstaltung "wie weiter mit der Bewegung" zu begeben. Hier sprachen Vertreter von Attac, Sozialforen, "Focus on global south", linke Gewerkschafter und andere über die Zukunft der sozialen Bewegungen in Europa. Hier nahmen zwischen 1200 und 1500 Menschen teil. Es wurde über die Notwendigkeit geredet, daß sich Gewerkschaften anderen Themen öffnen müssen, um wirksame Politik machen zu können, da die verschiedenen Themen miteinander zusammenhängen. Andererseits muss auch die NoGlobal-Bewegung mehr in soziale Kämpfe vor Ort intervenieren. Wichtig seien vor allem langfristige Zielsetzungen. Wie wichtig dabei ein weiteres Zusammengehen der verschiedenen Bewegungen ist, hat die durch das Zusammengehen von NoGlobal- und Friedensbewegung erreichte Stärke gezeigt. Bisher arbeiten die Bewegungen noch viel zu ineffizent...

Ein bischen Fazit: Die großen Veranstaltungen sind ziemlich hierarchisch und strikt organisiert, weshalb hier kein wirklicher Prozess stattfinden kann. Die gehaltetenen Reden bringen auch nicht immer neue Erkenntnisse und sind oft nichts anderes als einfache Statements. Bei den Workshops und direkten Aktivitäten gibt es aber mehr Diskussion und echten Austausch (incl. Verknüpfungsarbeit)... Nervig auch die Ordner, die teilweise sehr ganau darauf achten, daß niemand auf dem Boden sitzt usw. ... Andererseits bieten die großen Veranstaltungen die Möglichkeit, sich gegenseitig wahrzunehmen und andere Bewegungen kennenzulernen. Die Basis ist von der ESF-Elite schwer bis gar nicht zu kontrollieren, was auf jeden Fall eine wichtige Qualität der Bewegung sichtbar macht. Und letztlich ist das ESF auch eine Möglichkeit für die Bewegungen sich zu präsentieren, sichtbar zu werden. Mehr Fazit schreib ich dann irgendwann später...
Da es unmöglich ist, bei diesen tausenden Veranstaltungen an zig Orten auch nur grob einen Überblick zu bekommen, werden die meisten sicherlich abweichende Wahrnehmungen vom ESF haben. Bis jetzt wissen beispielsweise die Veranstalter nicht einmal genau, wieviele Menschen nun hier sind.


PS: Der 20.März soll ein europaweiter Aktionstag gegen Neoliberalismus, Sozialabbau und Krieg werden - dabei wird in ähnlichen Dimensionen wie am 15.Febraur dieses Jahres gedacht...
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Ergänzungen

Jeder sieht es wie er\sie will

No nation No border 15.11.2003 - 10:57
Wir sind auch in Paris, und am donnerstag fand in der Lokal von CNT Paris eine Veranstaltung über syndikalismus und die Bewegung-Streik in Frühling bis jetzt in frankreich statt( die war sehr gut besucht) das problem ist auch dass diese gruppierung überhaupt keine unterstützung von ESF bekommen haben und auch mehr und mehr auf der basis der sozial arbeitet. Wir glauben dass das problem wie hier zu land sind die toleranz unter die gruppierung die nicht existiert und leider die Machtkampf untereinander obwohl jeder\e redet über eine andere Welt zu schaffen oder wollen. Wann hören wir auf uns selbst zu bekämpfen? Wir sollen wieder und wieder versuchen zusammen zu reden und ein Weg finden sowieso haben wir schon eine gemeinsam Nenner " Wir wollen diese Welt wie sie ist nicht und wollen eine gleichberechtigung und humanleben für die Menschen aus dieser Welt
Ah Ja die die wollen am Sonntag findet in 21 ter Rue Voltaire( Metro Nation oder Rue des Boulets) ein solikonzert mit Irie REvoltes aus Heidelberg. salut de Paris No nation No border

FEMINISMUS & Bewegung

op 18.11.2003 - 15:19
@ "sorry nix wahres"

Ich soll mich also wie jedeR einbringen? - Jede_ gibt es offenbar nicht?!!
Solange Typen wie "nix wahres" grosszügigerweise "Frauen gleich behandeln" und dabei zu faul oder eindimensional sind, die verschiedenen Dimensionen von UN/GLEICHHEIT überhaupt genauer zu betrachten, hoffe ich wahrlich auf keine "Revolution" in deren Sinne!
Solange Patriarchatskritik nicht ein zentrales Thema (neben anderen) in der Bewegung und den Sozialforen ist - und sich leider sehr viele, wenn nicht die überwiegende Mehrzahl der Linken überhaupt keine Gedanken darüber machen, was die von uns allen verinnerlichten patriarchalen Strukturen z.B. mit Hierarchie und Etatismus / Staats- bzw. HERRschaftsfixiertheit, aber auch mit Kapitalismus zu tun haben, solange wird es Feminismus geben müssen: als wachsende Bewegung gegen die Denkfaulheit und Ignoranz IN der "Bewegung der Bewegungen".
Immerhin: das nächste Weltsozialforum in Mumbay ist da fortschrittlicher als das ESF (und fragt mal Frauen aus Asien oder Afrika, wie es da mit Frauenrechten aussieht, oder schaut nur nach Schweden, wo kürzlich die Ungleichbezahlung von Frauen im öffentlichen Dienst WIEDER gesetzlich festgeschrieben wurde!...ganz zu schweigen von Gewalt in Beziehungen unter anderem bestimmter Linksrucker...hier, mitten in Europa). In Mumbay wird "Patriarchat" eine der fünf Themenachsen sein, und das ist verdammt an der Zeit!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

Soso — Anarchist

Über den Elitebegriff — Schlicht

@ Anarchist — STeve

Esos aller Länder vereinigt euch! — No gods no masters

@: "sorry nix wahres" — anarcho