Sicherheitspolitik in Europa (ESF, Paris)

pope-sisters 14.11.2003 21:29 Themen: Gender
Die vorherrschenden Debatten über Sicherheit ignorieren zumeist Fragen von ökonomischer und sozialer (Un-)sicherheit, und unterschiedliche sicherheitspolitische Problemstellungen aufgrund von Geschlechtlichkeit oder kultureller Differenzen. Die Veranstaltung "Questioning securitarian Europe: feminist interventions" des Netzwerkes "next_genderation" auf dem ESF in Paris bot diesen Fragen ein Forum.
Am 13. November fand im Rahmen des Europäischen Sozialforum eine Veranstaltung über Sicherheitspolitik in Europa statt. Die Idee der OrganisatorInnen und RednerInnen war, sicherheitspolitische Debatten aus einer feministischen Perspektive zu betrachten und entsprechend zu intervenieren. Gefragt wurde, über wessen Sicherheit denn eigentlich gesprochen wird und wer damit aus Sicherheitsdiskussionen ausgeschlossen ist. So fehlt die Berücksichtigung von Geschlechtlichkeit allgemein und darüber hinaus müssten Ideen aus dem black feminism und die Situation von Migrantinnen in Sicherheitsdebatten mit eingehen. Dies fehlt aber bisher sogar weitgehend in kritischen Debatten ? so beschäftigte sich jüngst eine Sonderausgabe der Le Monde Diplomatique mit Sicherheitsfragen ohne aber in irgendeiner Weise Geschlechterfragen zu berücksichtigen.
Bei der Veranstaltung wurden insgesamt sechs Dimensionen aufgezählt, die aus feministischer Perspektive am vorherrschenden Sicherheitsdiskurs kritisiert werden.
1. Soziale und ökonomische Fragen spielen im Diskurs über Sicherheit bisher kaum eine bzw. keine Rolle.
2. Die anti-neoliberale Bewegung wird zunehmend kriminalisiert und damit ebenfalls als Sicherheitsrisiko dargestellt.
3. Es wird zunehmend Angst geschürt, was strategisch auch für die heutige Rechtfertigung von Kriegen unerlässlich ist.
4. Im gleichen Kontext ist die zunehmende Fremdenfeindlichkeit zu verstehen, die nicht zuletzt mit einer verstärkten Abgrenzung vom "anderssein" zusammenhängt.
5. Selbst wenn von Frauen und ihrer Rolle in Sicherheitsfragen gesprochen wird, bleibt doch die Unterschiedlichkeit von Frauen (z.B. aufgrund von Armut und kulturellen Unterschieden) bisher nahezu unberücksichtigt.
6. Außerdem gibt es eine zunehmende Disziplinierung des Sozialen und des Diskurses über Sexualität. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise Moralvorstellungen, die für nicht-heterosexuelle Lebensformen keinen Raum lassen.
Zur Veranschaulichung sei hier nur kurz auf einen Redebeitrag der VeranstalterInnen eingegangen. Aisha Gill sprach über Ehrenmorde an jungen Frauen und die Darstellung eben dieser Morde in den Medien. Sie bezog sich dabei auf Interviews, die sie im Süden Londons mit südost-asiatischen Frauen durchgeführt hatte und eigene Auswertungen von Medienberichten. So stellt sie fest, dass in den medialen Debatten zumeist kulturelle Unterschiede betont werden, mit denen diese Ehrenmorde erklärt und zum Teil gerechtfertigt werden. Und tatsächlich funktioniert dies sogar vor Gericht, wo Männer, die ihre Töchter ermordeten sich auf ihre kulturelle Herkunft berufen in (teilweise erfolgreicher) Erwartung eines milderen Urteils.
An diesem Beispiel zeigt sich das Dilemma, dass die ? zum Teil von FeministInnen explizit geforderte - Berücksichtigung von kulturellen Unterschieden eben auch dem fundamentalen Recht auf Leben entgegenstehen kann. Wenn auch in diesem Falle dieses Dilemma relativ leicht aufzulösen ist, als dass das Recht der Frau auf Leben abgesehen von allen kulturellen Unterschieden unantastbar ist; so bleibt das Dilemma in anderen Punkten durchaus bestehen und ist nur durch intensiven Austausch mit "betroffenen" Frauen und reflektiertes Denken, dass den eigenen kulturellen Hintergrund mitberücksichtigt und ebenso immer wieder in Frage stellt, lösbar.

Die VeranstalterInnen gehören zum Netzwerk next_GENDERation, das sich als "transnationales Netzwerk von Studierenden, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen" versteht, die sich für feministische Theorie und Politik und deren Zusammenhang mit anti-rassistischen, lesbischen, queeren, anti-kapitalistischen und MigrantInnenperspektiven interessieren.
Kontakt und Info:  http://nextgenderation.let.uu.nl/esf2003/index.html
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Ergänzungen

Innenministerkonferenz in Jena 19.- 21.11.

egal 16.11.2003 - 00:26
Stoppt alle Abschiebungen!
Stoppt staatliche Repression!
Bleiberecht überall!

Gemeinsamer Widerstand
gegen die Innenministerkonferenz in Jena vom 19. bis 21. November

 http://www.abschiebemaschinerie-stoppen.de/
 http://www.contrast.org/borders/kein/

Freiheit der Kommunikation

gerd 17.01.2004 - 20:59
Die Schaffung freier Kommunikationsinfrastrukturen, die Nutzung von Verschlüsselungssystemen, der inklusive Umgang mit Informationstechnologie, all das ist heute die wirksamste Waffe gegen jede totalitäre betrebung. Wenn das gesichert ist gegen staatliche und politische Intervention, kann Freiheit bestehen bleiben, alles andere erlaubt die Totaliztarisierung der Information.

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