Thessaloniki - 50 Tage Hungerstreik

UnterstützerInnengruppe Madrid 14.11.2003 16:42 Themen: EU Gipfel Thessaloniki Repression
Die 7 sind frei! Am 21. Juni 2003 fanden in Thessaloniki, Griechenland grosse Proteste gegen den EU-Gipfel statt.Über 150.000 Menschen nahmen an den Demonstrationen, Kundgebungen, Besetzungen und anderen Aktionen teil, viele von ihnen waren aus den umliegenden europäischen Ländern angereist. Hauptanliegen des Gipfels waren der Ausbau der "Festung Europa" und die Einigung auf eine europäische Verfassung, über die Köpfe der Menschen der Europäischen Union hinweg. Während der Proteste wurden Demonstranten von Polizei angegriffen, Banken und Geschäftsgebäude von manchen Protestierenden, vor allem Demonstranten wurden verletzt.
Über 100 Personen, die sich an den Protesten beteiligten, wurden von der Polizei festgenommen. 29 wurden angeklagt, Straftaten begangen zu haben, 7 von ihnen sind seitdem immer noch in Haft. Um gegen die lange U-Haft und die abstrusen Tatbestände, die ihnen vorgeworfen werden, Widerstand zu leisten, sind die 7 vor teilweise über 50 Tagen in den unbefristeten Hungerstreik getreten.

Weitere Texte:
- - Stand 5.11.
- - 6.11.: Hungerstreik wird kritisch
- - 8.11.: Demos und Aktionen inGriechenland
- - 7.11.: Krankenhaus
- - 12.11.: Situation verschlechtert sich
- - Video der Verhaftung von Simon C. in hoher Auflösung [Deutsche Übersetzung]

[MehrBerichterstattung hier]

Überblick über die Situation - Vorgeschichte - Unterstützungsmöglichkeiten


Es wurden mehrere Quellen verwendet. Hauptquelle ist dieser Artikel von Thessaloniki prisoner support group, übernommen mit Änderungen.

5 der 7 Gefangenen befinden sich seit 50 Tagen im Hungerstreik (Kastro aus Syrien seit diesem Tag, die übrigen 4 begannen eine Woche später). Sie wählten das letzte und äußerste Mittel,das ihnen zur Verfügung steht, um eine Freilassung durch politischen Druck zu erwirken, da in den Monaten der U-Haft klar wurde, dass auf dem juristischem Weg nichts zu erreichen war. Der Staatsapparat wollte Schuldige für die Randale im Juni haben und ihm ist durch und durch egal ob diese auch wirklich "schuldig" im juristischen Sinne sind oder nicht. Gemeint sind alle die sich das Recht auf Protest genommen haben und das sollen alle spüren.

Gegen die Inhaftierten, 3 Griechen, 2 Spanier, ein Brite und ein Syrer, gibt es schwere Anklagen, die zum größten Teil auf haarsträubende Polizeikonstrukte basieren. Bekanntestes Beispiel ist der Fall von Simon Chapman, dem ein Rucksack voll mit Molotovcoctails zur Last gelegt wird.Selbst im griechischen Staatsfernsehen war zu sehen, dass Simon während seiner Festnahme einen blauen Rucksack auf hatte, dieser ihm gewaltsam weggenommen wurde und von Riotcops gegen einen anderen, schwarzen ausgetauscht wurde. Für die zuständigen Rechtsbehörden war das kein Grund für seine Freilassung, auch wenn ganz Griechenland weiß, dass hier mal wieder die Bullen mit ihren stümperhaften Methoden am Werk sind.

Den Hungerstreik begann am 20. September Suleiman Castro, syrischerStaatsangehöriger der seit Jahren auf Kreta lebt. Dort involvierte er sich in die selbstorganisierten Arbeitskämpfe der MigrantInnen und war den Behörden eh schon ein Dorn im Auge. Ihm droht nicht nur Knast sondern auch eine Abschiebung nach Syrien. Das könnte sogar die Todesstrafe bedeuten da Castro in Syrien politisch verfolgt ist und auf diversen Listen des Regimes steht.

Dem Streik folgten 2 Wochen später Carlos Martinez und Fernando Perez aus dem spanischen Staat, der erwähnte Simon Chapman aus England und Spiros Tsitsas aus GR. Die gesundheitliche Situation der Gefangenen ist teilweise sehr kritisch, während die Verantwortung wie ein Bällchen vom Gefängnis über die Polizei zu diversen Krankenhäusern und wieder zurück gespielt wird. Die meiste Wut macht die Tatsache, dass selbst in so einer Situation, in der Menschen ihr Leben einsetzen um ein wenig Würde und Gerechtigkeit zu erlangen, der Staat diese zu brechen versucht. Eine Ärztin berichtete, dass während eines Aufenthaltes im Krankenhaus ein Gefangener geschlagen wurde.Durch Schlafentzug und physischem Druck sollte er seinen Streik beenden. Auch Familien und Angehörige wurden eingespannt, um den Willen zu brechen. Seit gestern befinden sich alle Gefangene in einem Krankenhaus, da ihre gesundheitliche Lage sehr ernst ist. Das Krankenhaus wurde in eine Festung verwandelt mit jede Menge Spezialeinheiten der Polizei drinnen und draußen.Immerhin liegen alle im gleichen Zimmer und hatten Kontakt mit denAnwältInnen.

Seit Beginn des Hungerstreiks und bis jetzt fanden in ganz Giechenland um die 15 Solidemos statt. Anfangs organisiert von deranarchistischen/antiautoritären Szene, formiert sich mittlerweile einebreitere linke Bewegung für das Leben und die Freiheit der Gefangenen. Eine andere Form der direkten Aktion in diesem Kontext sind eine große Anzahl von Besetzungen von staatlichen Behörden, Rathäusern und Radiosendern. (Aber auch ohne dass die Sender besetzt werden, wird das Ganze mehr und mehr Thema in den Medien.) In Athen und Saloniki gibt es fast täglich Aktionen. Aber auch in anderen Ländern gab und gibt es Kundgebungen, z.B. vor Konsulaten oder Tourismusbehörden: St. Francisco, Helsinki, Malaga, Madrid, Burgos, Bilbao, Barcelona, London, Norwich und anderswo. Desweiteren wurden z.B. in Barcelona bei einer Soliaktion die Türen von 70 U-Bahnstationen zugeklebt. Überhaupt ist das ganze in Spanien ein Thema und die Zusammenarbeit zwischen Gruppen und Szenen der beiden Länder sehr intensiv.In Madrid findet seit dem beginndes Hungerstreiks in Griechenland ein rotativer Solidaritätshungerstreik vor dem Aussenministerium statt. Von der Behörde kamen bisher keinerlei Reaktionen...

Montag Nacht, am 3. November wurde Carlos Martinez, einer der zweispanischen Hungerstreikenden, von einem teilweise maskierten 50-MannPolizeiaufgebot zum Krankenhaus 8km ausserhalb von Thessaloniki gebracht. Bei der Ankunft wurde er keinem Bett zugewiesen, sondern an einen Stuhl gefesselt und laut Aussage eines der Ärzte die Nacht hindurch mehrmals von der Polizei geschlagen. Carlos' Körper weist überall Schlagmerkmale und Schwellungen auf.

Am frühen Morgen wurde Carlos in ein anderes Krankenhaus verlegt. Niemand wusste zu dem Zeitpunkt wo er sich befand. Im Krankenhaus selbst wurde ihm kein Dolmetscher gestellt. Als Ärzte versuchten ihm Blut abzunehmen wehrte sich Carlos, weil er dachte sie würden ihm Glukose (Traubenzucker) spritzen.Die Ärzte jedoch meinten, da er keine Tests mit sich machen liesse könnten sie nichts weiter für ihn tun.

Grund für den Versuch der Inhaftierten, an ein Krankenhaus überwiesen zu werden ist, dass das Krankenhaus Sorgepflicht und damit rechtliche Verantwortung hätte. Weigern die Hungerstreikenden sich aber dennoch Essen, Glukose, Vitamine oder ähnliches zu sich zu nehmen kann das Krankenhaus ihnen gegenüber rechtliche Verantwortung ablehnen. Sollte daraufhin auch das Gefängnis rechtliche Verantwortung für das Leben der 5 verweigern müsste es diese freilassen. Allerdings weigert sich die Polizei bisher, die Inhaftierten überhaupt an das Krankenhaus zu übergeben. Es scheint als habe hier die Polizei das sagen, und nicht die Gefängnisverwaltung, welche sich angesichts der rechtlichen Lage anscheinend nicht mehr bereit sieht, Verantwortung für das Leben der 5, und damit ihre zweifelhafte Inhaftierung,zu übernehmen.

Am Dienstag um 11.30 Uhr fand die Unterstützergruppe heraus, wo sich Carlos befand und es wurde eine Demonstration vor dem Krankenhaus abgehalten. Carlos' Anwalt versuchte mit ihm Kontakt aufzunehmen und konnte erst nach einigen Stunden mit ihm sprechen und obige Informationen weitergeben. Um 2 Uhr nachmittag wurde Carlos wieder zurück ins Gefängnis gebracht, wo er unterdessen von einem Arzt des unabhängigen medizinischen Teams besucht wurde.

Alle der Gefangenen sind in einem kritischen Gesundheitszustand undkörperlich schwach. Suliman Dakduk aus Syrien kann sich nicht mehr von seinem Bett erheben. Simon Chapman kann nicht schlafen und Fernando Perez verliert beim Klogang Blut.

Am Freitag und am Samstag soll es in Athen Demonstrationen gegen die Inhaftierung der sich im Hungerstreik befindlichen geben. In London soll am Samstag von 11-13 Uhr eine Solidaritätsdemonstration vor dem griechischen Tourismusbüro und den Büros der Olympic Airlines stattfinden. Es wird um weitere Solidaritätsaktionen gebeten.

Wer sind die 'Saloniki 7' und weshalb befinden sich 5 von ihnen imHungerstreik?

Über 100 Personen, die sich an den Protesten beteiligten, viele von ihnen aus den umliegenden europäischen Ländern, wurden von der Polizeifestgenommen. 29 wurden angeklagt, Straftaten begangen zu haben, 7 von ihnen sitzen seitdem immer noch in Haft.

Besonders interessant ist der Fall des Briten Simon Chapman, von dessen Inhaftierung Fotoaufnahmen, sowie ein Video existieren, das vom griechischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darauf ist deutlich zu sehen, wie Chapman seines blauen Rucksacks entledigt und ihm von der Polizei ein fremder, schwarzer Rucksack untergeschoben wird. Dieser wird zuvor mit Molotov-Cocktails und anderen Gegenständen gefüllt, um als Beweismaterial für Simons Schuld zu dienen. Auch dies ist auf dem Video zu sehen. Das Video wurde von seinem Anwalt zwar als entlastendes Material vor Gericht gebracht, die Massenmedien jedoch spielen die Geschichte herunter. Überall in Europa wurden die Demonstranten als unreflektierte, gewalttätige Randaliererporträtiert, ihre Anliegen unter den Tisch gekehrt. Die Einigung auf eine europäische Verfassung durch korrupte Politiker wie den derzeitigen EU-Ratspräsidenten Silvio Berlusconi ohne jegliche demokratische Beteiligung der europäischen Bevölkerung wurde als "Errungenschaft" bejubelt.

Simon Chapman und die anderen erwarten 7 bis 25 Jahre Gefängnis. Dem Syrer Suliman Dakduk droht die Abschiebung in sein Ursprungsland wo er als politisch Verfolgter die Todesstrafe zu befürchten hat.

Obiger Text ist eine Übersetzung von http://de.indymedia.org/2003/11/65073.shtml.

Was tun?

Jede verfügbare Unterstützung wird gebraucht. Im Moment ist ihre beste Waffe, um die Situation aufrechtzuerhalten unsere Ruhe, und auch ihre Desinformation natürlich. Deswegen, je mehr Information wir selbst verbreiten können, desto besser.

Bedenke, die Situation, in der sich die Streikenden befinden,verschlechtert sich von Tag zu Tag; die Zeit verstreicht nicht zu unsern Gunsten. Es gilt, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Schlimmste zu verhindern.

Hier also einige Ideen, die dir helfen könnten:

  • 1.Wenn du einem Kollektiv angehörst, informiere alle über das Thema. Wenn ihr eine Homepage habt, könnt ihr da Infos und links zu anderen Seiten veröffentlichen.
  • 2.Als StudentIn, nutze die Infrastruktur der Uni: Plakate, Flugis,Infoveranstaltungen, (es gibt auch Videos)...
  • 3.Wenn du Zugang zu einem Medium hast (Zeitung, Zeitschrift, Radio), versuche, das Thema da irgendwie reinzukriegen, z.B. als Leserbrief.
  • 4.Verschicke diese Info per E-Mail an Freunde, an Gruppen mit Homepage, die das veröffentlichen könnten, an Mailinglisten, etc...
  • 5.Wenn du irgendeine/n FreundIn oder ein Familienmitglied aus politischen (Parteien, Organisationen), sozialen (Kollektive, NGO`s...) oder kulturellen (Musikgruppen, Schriftsteller, Schauspieler, Künstler allgemein...) Zusammenhängen hast, sprich mit ihnen, und versuche, dass sie sich öffentlich gegen die Situation ausprechen.
  • 6.Wenn in deiner Stadt irgendein Ereignis von Wichtigkeit stattfindet, geh hin und informier über die Situation der Thessaloniki seven. Wenn irgendein wichtiger Politiker anwesend ist, kannst du hingehen und ihn darauf ansprechen. Sie sollen bloss nicht glauben, dass wir vergessen.

UnterstützerInnengruppe der Häftlinge, Madrid.
50.Hungerstreiktag von Kastro, der Rest:43 Tage.
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Ergänzungen

Spenden von Deutschland

Niki Salo 18.11.2003 - 01:54
Eine Anti-Repressions-Gruppe in Berlin sammelt Geld, um dieses nach Thessaloniki zu schicken. Das wird dort für Anwaltskosten, Kautionen und Unterstützungsarbeit benötigt. Es gibt ein Konto bei der Roten Hilfe in Berlin, auf das Ihr Geld spenden könnt:
Rote Hilfe Berlin
Kontonummer 7 189 590 600
BLZ 100 200 00
Stichwort "Thessaloniki"

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English Translation:

An anti-repression group in Berlin are collecting money to send to Thessaloniki where it will be used for lawyers costs, bail and support work. The Rote Hilfe have an account that is being used to collect donations:

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Stichwort (Codeword): "Thessaloniki"

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